Instanzenzug: Truppendienstgericht Nord Az: N 7 VL 30/23 Urteil
Tatbestand
1Das Verfahren betrifft die disziplinarische Ahndung der Missachtung von Befehlen zur COVID-19-Schutzimpfung sowie von Äußerungen verfassungswidrigen Inhalts.
21. Der ... geborene Soldat leistete nach seinem Abitur Grundwehrdienst und freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst. ... trat er seinen Dienst als Obergefreiter (Bootsmannanwärter) bei der ...schule an und wurde unter Berufung in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit zum Maat ernannt. Zuletzt wurde er ... zum Oberbootsmann befördert. Seine Dienstzeit soll Ende September ... planmäßig enden.
3Der Soldat gehört der Verwendungsreihe ... (...) an und ist seit 2013 Teil der ... Staffel ... des ...geschwaders ... Die Bootsmann-Lehrgänge absolvierte er mit gutem Ergebnis. Im Rahmen der zivilberuflichen Aus- und Weiterbildung bestand er 2014 die Ausbildung zum Elektroniker für luftfahrttechnische Systeme. Nach weiteren Verwendungslehrgängen ist er seit Oktober 2017 als ausgebildeter ...-Bootsmann und in der ...-Werkstatt der ... Staffel ... eingesetzt. Wegen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe wurde ihm das Betreten des sicherheitsempfindlichen Bereichs untersagt. Bis zu seiner vorläufigen Dienstenthebung im März 2022 leistete er am Standort ... Dienst in der Abteilung Logistik.
4Der Soldat wurde planmäßig zum mit "6,40" beurteilt. Er sei fester und wichtiger Bestandteil der ...-Werkstatt. Aufgaben arbeite er engagiert und zuverlässig zur vollen Zufriedenheit ab. Er sei absolut kritikfähig, nehme Verbesserungsvorschläge an und setze sie unverzüglich um. Er sei ein zuverlässiger und motivierter Portepeeunteroffizier mit einer vorbildlichen Einstellung zum Soldatenberuf. Gegenüber Vorgesetzten trete er maßvoll und korrekt auf. Er habe es verstanden, ein Instandsetzungsteam zu führen. Trotz der Leistungssteigerung im Beurteilungszeitraum sei sein Entwicklungspotential noch nicht ausgeschöpft. Der Staffelchef vergab die Entwicklungsprognose "bis zur allgemeinen Laufbahnperspektive".
5Der nächste Disziplinarvorgesetzte und Staffelchef der ... Staffel ..., Kapitänleutnant A, charakterisiert den Soldaten in einer Stellungnahme vom als ruhig und zurückhaltend. Tadelloses Auftreten sowie ein gesundes soldatisches Selbstverständnis seien eindeutig zu erkennen. Disziplinar sei der Soldat nicht in Erscheinung getreten. Mit Bekanntgabe der Duldungspflicht zur Impfung gegen SARS-CoV-2 sei er allerdings durch eine renitente Haltung aufgefallen. Wegen der Beharrlichkeit der Gehorsamsverweigerung und einer klar erkennbaren Verschwörungsideologie bestehe eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte.
6Erstinstanzlich hat er bestätigt, den Soldaten zunächst als unauffälligen, normalen und ruhigen Kameraden kennengelernt zu haben, der zuverlässig seinen Dienst verrichtet habe. In der Berufungshauptverhandlung hat er ausgesagt, die gute Beurteilung des ihm zum Zeitpunkt des Vorfalls seit drei Monaten unterstellten Soldaten habe sich auf die Arbeitsleistungen und Arbeitsergebnisse bezogen. Der Soldat hätte ohne das disziplinargerichtliche Verfahren zum Hauptbootsmann befördert werden können.
7Die aktuellen Auskünfte aus dem Zentralregister und Disziplinarbuch weisen keine Eintragung mit Ausnahme einer Disziplinarbuße vom wegen Befehlsverweigerung gemäß Anschuldigungspunkt 1a auf.
8Der bei seinen Eltern wohnende und weiterhin nicht gegen COVID-19 geimpfte ledige Soldat erhält abzüglich des Einbehalts von 10 % Dienstbezüge der Besoldungsgruppe A 7 in Höhe von etwa 2 570 € netto. Die finanziellen Verhältnisse bezeichnet er als geordnet. Pläne für seine berufliche Zukunft nach dem Ausscheiden aus der Bundeswehr hat er nach eigener Aussage nicht geschmiedet, weil er dies vom Ausgang des Verfahrens abhängig gemacht habe.
92. Nachdem gegen den Soldaten mit Verfügung vom das gerichtliche Disziplinarverfahren eingeleitet, er vorläufig des Dienstes enthoben, ihm das Tragen der Uniform verboten und die Einbehaltung der Dienstbezüge angeordnet worden war, wurde ihm mit Anschuldigungsschrift vom zur Last gelegt:
"1. Der Soldat hat entgegen der ihm jeweils bekannten Duldungspflicht gemäß der Zentralen Dienstvorschrift A-840/8 Abschnitt 2.3, Nr. 210 ff. sowie der Allgemeinen Regelung A1-840/8-4000 Abschnitt 7.1', wonach die COVID-19-Schutzimpfung in das Impfschema der Basisimmunisierung aufgenommen wurde und alle Soldaten die ausgewiesenen Impf- und Prophylaxemaßnahmen zu dulden haben, sofern keine individuelle medizinische Kontraindikation vorliegt,
a) den am um 14:10 Uhr innerhalb des ...stützpunktes ... durch den Staffelchef, Kapitänleutnant A, telefonisch ausgesprochenen Befehl, sich im Sanitätsversorgungszentrum ... gegen COVID-19 impfen zu lassen verweigert, indem er seinem Disziplinarvorgesetzten gegenüber sinngemäß angab, dass er den o.g. Befehl nicht befolgen werde und dem Befehl in der Folge nicht nachkam,
b) den ihm am um 13:04 Uhr im ...stützpunkt ..., ..., in ... durch seinen Staffelchef, Kapitänleutnant A, schriftlich ausgehändigten Befehl, einen Impftermin für eine Schutzimpfung gegen COVID-19 bis zum um 13:00 Uhr im Sanitätsversorgungszentrum ... im Stützpunkt zu vereinbaren und sich entsprechend impfen zu lassen, verweigert, indem er seinem Disziplinarvorgesetzten gegenüber sinngemäß erklärte, dass er die Impfung nicht durchführen lassen wolle und dem Befehl in der Folge nicht nachkam.
2. Der Soldat legte am seinem Disziplinarvorgesetzten, Kapitänleutnant A, in dessen Büro, Gebäude Nr. ..., Raumnummer ..., ... in ..., ein von ihm signiertes Schreiben vom unter anderem mit folgendem Inhalt vor:
[...]
7. Werden Personen oder Menschen geimpft?
[...]
Beantwortet der Empfänger/impfende Arzt nicht dezidiert und unmissverständlich diesen Brief innerhalb der vorgegebenen 7-Tage-Notfrist, muss der Signierende es als erwiesen ansehen, daß der Arzt ihn durch Täuschung, Druck und Zwang als rechtlosen Probanden, u. a. durch vorsätzliche Personenstandsfälschung, in ein verbotenes Genveränderungsexperiment auf der Grundlage einer ergaunerten bzw. 'nicht informierten Zustimmung' reinmanövrieren wollte, von dem er weiß, daß dieses hochkriminell, unmenschlich und somit vorsätzlich schuldhaft, analog Völkerstrafgesetzbuch gegen den Nürnberger Kodex aus dem Jahr 1947, verstößt und er somit jederzeit durch ein Kriegsgericht angeklagt und verurteilt werden kann.
[...]
obwohl er wusste, zumindest hätte wissen können und müssen, dass er durch das vorgenannte Schreiben zum Ausdruck bringt, die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht anzuerkennen und dadurch wissentlich, zumindest aber unter Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt, die Überzeugung zum Ausdruck bringt, in seiner Person das Gedankengut der Reichsbürgerbewegung anzuerkennen."
103. Im sachgleich zu Anschuldigungspunkt 1 geführten Strafverfahren wurde der Soldat zunächst durch amtsgerichtliches Urteil vom wegen Gehorsamsverweigerung zu einer Geldstrafe verurteilt. Auf die Revision des Soldaten hob das Oberlandesgericht das Urteil mit Beschluss vom auf und verwies die Sache zurück. Zwar seien die dem Soldaten erteilten Befehle nicht unverbindlich gewesen. Das Amtsgericht habe sich aber nicht mit einer möglichen Irrtumsproblematik auseinandergesetzt. In der nachfolgenden Hauptverhandlung vom stellte das Amtsgericht das Verfahren durch Beschluss nach § 153a StPO vorläufig und am endgültig ein.
114. Das Truppendienstgericht hat den Soldaten unter Aufhebung der gegen ihn verhängten Disziplinarbuße mit Urteil vom aus dem Dienstverhältnis entfernt.
12a) Der angeschuldigte Sachverhalt stehe wegen der insoweit geständigen Einlassungen des Soldaten fest. Danach habe dieser nach Aufforderungen durch den Disziplinarvorgesetzten am mit einem Vertragsarzt und am mit einem Truppenarzt jeweils Aufklärungsgespräche geführt, aber daran festgehalten, sich wegen der nicht in gewünschtem Umfang beantworteten Fragen nicht impfen zu lassen. Im Gespräch mit seinem Disziplinarvorgesetzten habe er von Anfang an erklärt, sich nicht impfen lassen zu wollen, da er eine Gefährdung seiner Gesundheit sehe. Über die Konsequenzen sei er von Anfang an belehrt worden. Auch die Urheberschaft des in Anschuldigungspunkt 2 bezeichneten Schreibens stelle der Soldat nicht in Abrede.
13b) Der Soldat habe damit ein Dienstvergehen begangen.
14Er habe gegen die Pflicht zum Gehorsam (§ 11 Abs. 1 SG), zur Disziplin (§ 17 Abs. 1 SG), zum innerdienstlichen Wohlverhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) und zum treuen Dienen nach § 7 SG verstoßen. Sie erfasse insbesondere die Verpflichtung zur Loyalität gegenüber der geltenden Rechtsordnung, vor allem die Beachtung der Strafgesetze. Dies umfasse auch § 20 Abs. 1 WStG, gegen den der Soldat wiederholt verstoßen habe. Er habe zunächst die Befolgung des mündlich erteilten Befehls dadurch verweigert, dass er sich mit Worten gegen ihn aufgelehnt habe (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 WStG). Gegenüber dem schriftlich wiederholten Befehl sei erneut eine wörtliche Verweigerung erfolgt, sodass auch § 20 Abs. 1 Nr. 2 WStG verwirklicht sei. Es habe auf Seiten des Soldaten kein Irrtum über die Verbindlichkeit des Befehls bestanden. Vielmehr habe er den Befehl von vornherein nicht ausführen wollen. Seine Einlassung, Dauer und Umfang des vom 1 WB 2.22 - (BVerwGE 176, 138) entschiedenen Verfahrens zeigten, dass er als Rechtsunkundiger die Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit der Befehle nicht hätte bewerten können, spreche weder für einen entsprechenden Irrtum noch habe dieses Verfahren ihn bei seinem Verhalten beeinflussen können. Denn es sei erst im Januar 2022 beim Bundesverwaltungsgericht anhängig geworden.
15Die Pflicht zum treuen Dienen umfasse zudem die Pflicht, Weisungen des Dienstherrn auch in Form von Verwaltungsvorschriften zu beachten. Mit seiner Gehorsamsverweigerung habe der Soldat gegen die bezüglich COVID-19 konkretisierte Duldungspflicht in der Zentralen Dienstvorschrift A-840/8 Abschnitt 2.3, Nr. 21 Off. i. V. m. A1-840/8-4000 Abschnitt 7.1 und damit gegen eine dienstliche Weisung verstoßen. Der Soldat habe zudem wiederholt gegen seine Pflicht zur Duldung ärztlicher Maßnahmen nach § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG verstoßen. Die ärztliche Maßnahme sei auch nicht gemäß § 17a Abs. 4 Satz 2 SG unzumutbar gewesen. Die Aufnahme der COVID-19-Schutzimpfung in die Liste der duldungspflichtigen Basisimpfungen sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch unter Berücksichtigung des von Art. 2 Abs. 2 GG geschützten körperlichen Integritätsinteresses der Soldaten rechtmäßig.
16Der Soldat habe vorsätzlich gehandelt und sei nicht nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 SG von der Verantwortung befreit gewesen. Denn es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er irrig angenommen habe, es handele sich um Befehle, welche die Menschenwürde verletzten oder nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt worden seien. Zudem sei ihm zuzumuten gewesen, sich mit Rechtsbehelfen gegen den Befehl zu wehren. Entsprechendes gelte für die Annahme eines unvermeidbaren Irrtums über das Vorliegen eines ungeschriebenen Unverbindlichkeitsgrundes (§ 17 Satz 1 StGB). Ein eventueller Irrtum wäre nur unvermeidbar gewesen, wenn der Soldat trotz Anspannung all seiner geistigen Erkenntniskräfte und seiner sittlichen Wertvorstellungen angenommen hätte, der verbindliche Befehl sei unverbindlich gewesen. Hierfür gebe es keine Anhaltspunkte.
17Gegen die Verpflichtung zum Eintreten für die Erhaltung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nach § 8 SG habe der Soldat schließlich durch die Übermittlung des in Anschuldigungspunkt 2 bezeichneten Schreibens verstoßen. Auch wenn der Soldat damit nicht seine tatsächliche innere Haltung zum Ausdruck bringe, habe er mit dem Schreiben jedenfalls den Eindruck einer hohen Identifikation mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen erweckt. Er habe mit dem Vorlegen seines "Fragenkataloges" trotz erfolgloser Aufklärungsangebote medizinische Erkenntnisse diskreditiert, negiert und Verschwörungsnarrative verbreitet, wie sie in auf die Delegitimierung des Staates betreibenden Kreisen anzutreffen seien. Insbesondere durch den Verweis auf die vermeintliche Verletzung des sog. "Nürnberger Kodex" ziehe er eine haltlose Parallele zum NS-Regime, indem er die Durchführung der COVID-19-Schutzimpfungen den medizinischen Forschungsexperimenten der Nationalsozialisten gleichstelle, wodurch er das den Betroffenen zugefügte Unrecht verharmlose, wenn nicht gar leugne. Einher gehe damit ein Verstoß gegen § 17 Abs. 2 SG.
18c) Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bilde zwar eine Dienstgradherabsetzung; jedoch sei auf der zweiten Prüfungsstufe eine Verschärfung geboten. Dies folge aus der Kombination von Gehorsamsverweigerung und dem Erwecken des Eindrucks, einer verfassungsfeindlichen Ideologie anzugehören. Erschwerend träten die Auswirkungen des Dienstvergehens auf den Dienstbetrieb, die eigennützige Motivation, das teilweise kriminelle Unrecht der Pflichtverletzungen sowie der Umstand hinzu, dass die Missachtung des zweiten Befehls und die Vorlage des Schreibens trotz einer vorherigen Disziplinierung erfolgt seien und der Soldat zwei Monate lang nicht die ihm mehrfach dringlich nahegelegten ärztlichen Aufklärungsgespräche wahrgenommen habe. Vor diesem Hintergrund erreichten die für den Soldaten sprechenden Aspekte - insbesondere seine ordentlichen dienstlichen Leistungen und das weitgehende Geständnis - kein solches Gewicht, dass von der Entfernung aus dem Dienstverhältnis abgewichen werden müsse. Der Soldat habe sich als entschiedener und kompromissloser Impfgegner erwiesen.
19Die Höchstmaßnahme sei auch nicht unverhältnismäßig, weil sie auf vorwerfbaren Pflichtverletzungen beruhe und damit im Risikobereich des für sein Handeln eigenverantwortlichen Soldaten liege, der sich bewusst gewesen sei, seine berufliche Existenz damit zu gefährden. Schließlich verbiete auch die Einstellung des Strafverfahrens nicht die Verhängung der Höchstmaßnahme. Dies folge aus § 16 Abs. 1 und § 17 Abs. 2 bis 4 WDO sowie aus den unterschiedlichen Zwecken von Straf- und Disziplinarverfahren.
205. Der Soldat begehrt mit seiner Berufung, einen Freispruch, hilfsweise, eine niedrigere Disziplinarmaßnahme.
21Bei Anschuldigungspunkt 1 habe das Truppendienstgericht nicht ausreichend berücksichtigt, dass er den Befehl nicht schuldhaft verweigert habe. Denn er habe sich während des gesamten Verfahrens intensiv darum bemüht, eine Klärung der Wirksamkeit einer COVID-19-Schutzimpfung herbeizuführen, nachdem er sich zuvor mit einer Vielzahl von Entscheidungen und Gutachten auseinandergesetzt habe. Die an die Bundeswehr - gemäß Anschuldigungspunkt 2 - gerichteten Fragen seien auch berechtigt gewesen, wie sich aus dem Ablauf des vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen, hochkomplexen Verfahrens - 1 WB 2.22 - ergebe. Zum Zeitpunkt der Befehlsverweigerungen habe er nicht über diejenigen Kenntnisse verfügt, die dem in diesem Verfahren ergangenen umfangreichen Beschluss zu entnehmen seien. Die Impfung habe eine deutliche Gefahr für Leib oder Leben dargestellt, weil eine impfbedingte schwere Erkrankung nicht habe ausgeschlossen werden können.
22Er sei wegen der unterbliebenen Beantwortung seiner Fragen durch die Bundeswehr nicht in der Lage gewesen, die Verbindlichkeit des ihm erteilten Befehls abschließend zu bewerten. Die Annahme des Truppendienstgerichtes, er habe von vornherein nicht beabsichtigt, den Befehl zu befolgen, sei nicht korrekt. Es sei um die Frage gegangen, ob die Bundeswehr berechtigt gewesen sei, von ihm zu verlangen, in seiner körperlichen Unversehrtheit beeinträchtigt zu werden. Es sei ihm nicht zuzumuten gewesen, sich mit Rechtsbehelfen gegen den Befehl zu wenden, weil diese nicht innerhalb der kurzen Fristen Erfolg gehabt hätten. Ebenso wenig könne dem Truppendienstgericht darin gefolgt werden, es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er nicht angenommen habe, es handele sich um Befehle, welche insbesondere die Menschenwürde verletzten. Die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit stelle eine Verletzung der Menschenwürde dar. Das Truppendienstgericht habe zudem nicht ausreichend berücksichtigt, dass das sachgleichen Strafverfahren eingestellt worden und mithin von einer geringen Schuld ausgegangen worden sei.
23Mit dem unter Anschuldigungspunkt 2 bezeichneten Schreiben habe er die Pflicht zur Verfassungstreue nicht verletzt. Er unterstütze die sogenannte "Reichsbürgerbewegung" nicht. Er bestreite nicht die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und spreche deren demokratisch gewählten Repräsentanten nicht die Legitimation ab. Verschwörungstheoretische Ansichten habe er nicht geäußert. Auch wenn er Vorlagen aus dem Internet genutzt habe, habe er sie nicht vollständig verinnerlicht.
24Jedenfalls sei zu berücksichtigen, dass das Bundesverwaltungsgericht für die wiederholte Weigerung, sich einer COVID-19-Schutzimpfung zu unterziehen, lediglich eine Dienstgradherabsetzung als angemessene Sanktion festgesetzt habe.
256. Wegen der weiteren Einzelheiten zur Person des Soldaten wird auf das Urteil des Truppendienstgerichts, hinsichtlich der Zeugenaussagen und der in das Verfahren eingeführten Urkunden auf das erstinstanzliche sowie auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung verwiesen.
Gründe
26Die zulässige Berufung ist unbegründet. Da sie unbeschränkt ist, hat der Senat im Rahmen der Anschuldigung eigene Tat- und Schuldfeststellungen zu treffen (1.), diese rechtlich zu würdigen (2.) und über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden (3.).
271. Der Soldat hat die angeschuldigten Handlungen begangen. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der insoweit geständigen Einlassungen des Soldaten, der glaubhaften Aussagen des Korvettenkapitän A sowie der in die Berufungshauptverhandlung eingeführten Dokumente fest.
28a) Bei Anschuldigungspunkt 1 hat sich der Soldat wissentlich und willentlich der Befolgung des ihm von seinem Disziplinarvorgesetzten, Korvettenkapitän A, am telefonisch erteilten Befehls, sich im Sanitätsversorgungszentrum ... gegen COVID-19 impfen zu lassen, ebenso verweigert wie dem ihm am vom selben Disziplinarvorgesetzten schriftlich erteilten Befehl, einen Impftermin für eine entsprechende Schutzimpfung bis zum im Sanitätsversorgungszentrum ... zu vereinbaren und sich impfen zu lassen. Dabei waren beide Befehle dahingehend zu verstehen, eine COVID-19-Schutzimpfung erst dann dulden zu müssen, wenn zuvor aufgrund einer individuellen ärztlichen Untersuchung die medizinische Unbedenklichkeit festgestellt worden war. Fest steht ebenfalls, dass sich der Soldat vor den befohlenen Impfterminen gar nicht im Sanitätsversorgungszentrum vorgestellt hat. Er hat sich weder von einem Arzt der Bundeswehr noch einem anderen Arzt auf ein individuell erhöhtes Risiko (Kontraindikation) untersuchen oder über die Gefahren einer COVID-19-Schutzimpfung aufklären lassen. Der Soldat begründet dies damit, dass er zu Bundeswehrärzten kein Vertrauen gehabt habe.
29Ferner steht zur Überzeugung des Senats fest, dass sich der Soldat zum Zeitpunkt der Befehle nicht über deren (Rechts-)Verbindlichkeit geirrt, hat. Der Soldat hat im Jahr 2021 bereits mehr als acht Jahre gedient und als Vorgesetzter im Rang eines Oberbootsmanns im Rahmen seiner Ausbildung erlernt, dass ein Befehl die Anordnung eines Vorgesetzten mit dem Anspruch auf Gehorsam ist. Dass die Anordnungen von Korvettenkapitän A, sich im Sanitätsversorgungszentrum zum Zwecke einer COVID-19-Schutzimpfung vorzustellen, nicht nur als Befehl bezeichnet, sondern auch mit Anspruch auf Gehorsam ausgesprochen worden sind, ist ihm klar gewesen. Ebenso ist ihm die gesetzliche Dienstpflicht zur Duldung von Infektionsschutzmaßnahmen nach § 17a SG - wie aus einem Schreiben vom hervorgeht - bekannt gewesen, sodass er keine Fehlvorstellung über den dienstlichen Charakter des Befehls gehabt hat. Er hat auch nicht angenommen die Befehle würden gegen die Menschenwürde verstoßen und er sei deshalb gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 SG von der Befolgungspflicht befreit.
30In der Befragung vom zum Befehl vom Vortag hat sich der Soldat lakonisch eingelassen, er wolle die Impfung nicht durchführen lassen. Erst in der Befragung vom zum Befehl vom hat er seine Motivation dahingehend präzisiert, nach seiner Ansicht führe die aktuelle Datenlage nicht dazu, die Voraussetzungen des § 17a SG als erfüllt anzusehen. Wegen der Inhaltsstoffe der COVID-19-Schutzimpfung sehe er einen groben Eingriff in seine Grundrechte sowie eine Gefährdung seiner Gesundheit. Studien, Berichte und Mediziner weltweit zeigten dies und forderten ein Ende der Indizierung experimenteller Impfstoffe, sodass ein Verstoß gegen den Nürnberger Kodex vorliege. Die genannten Punkte seien seine Beweggründe, den Befehl nicht zu befolgen. Darin liegt keine ausdrückliche Berufung auf eine Unverbindlichkeit des Befehls, sondern nur die Geltendmachung medizinischer und rechtlicher Einwände gegen dessen Rechtmäßigkeit.
31Die im strafrechtlichen Revisionsverfahren geforderte Überprüfung eines etwaigen Irrtums, hat keine Anhaltspunkte für eine Fehlvorstellung des Soldaten über die Verbindlichkeit des Befehls ergeben. Die zeitnahen Äußerungen des Soldaten bei Befehlserlass sprechen eindeutig dagegen. Auch nach der Zurückverweisung durch das Oberlandesgericht erklärte er in der Verhandlung vor dem Amtsgericht am , man könne niemanden dazu zwingen, etwas zu machen, was wissenschaftlich nichts bringe. Ein Arzt habe ihm gesagt, dass er 8000 Personen geimpft und es nur ein paar Gesichtslähmungen gegeben habe. Dass habe ihn bestätigt, sich nicht impfen zu lassen. Es liege auch keine Impfung, sondern eine Gen-Therapie vor. Von einer Fehlvorstellung über die Verbindlichkeit des Befehls ist keine Rede.
32Der Soldat hat in der Berufungshauptverhandlung nicht bestritten, dass er den Unterschied zwischen der Rechtswidrigkeit und der Unverbindlichkeit eines Befehls gekannt hat, dass er keine Beschwerde gegen die Befehle erhoben und dass er deren vorläufige Aussetzung nicht beantragt hat. Ferner hat der Soldat in der Berufungshauptverhandlung einen entsprechenden Irrtum nicht mehr ausdrücklich behauptet, sondern sich dahingehend eingelassen, die Befehlsverweigerung sei für ihn eine "Gewissensentscheidung" gewesen, weil der Dienstherr bei ihm eine impfbedingte Gesundheitsbeeinträchtigung nicht habe ausschließen können.
33Nach allem hat der Soldat sich nicht über die Verbindlichkeit der Befehle geirrt. Vielmehr war er von Anfang an entschlossen, die ihm von Korvettenkapitän A erteilten Befehle unabhängig von ihrer Verbindlichkeit in keinem Fall auch nur teilweise zu befolgen. Nur dies erklärt, dass er schon nicht bereit gewesen ist, sich von einem Truppenarzt auf seine Impftauglichkeit untersuchen zu lassen. Dem entspricht ferner, dass er sich im Dezember 2021 Beratungsgesprächen nicht nur gegenüber Ärzten der Bundeswehr, sondern auch externen Ärzten gegenüber verschlossen hat und auch die ärztlichen Beratungsgespräche im Februar 2022 fruchtlos blieben. Dass ihm die Frage der Rechtmäßig- und Verbindlichkeit entsprechender Befehle gleichgültig war, wird des Weiteren daran deutlich, dass er es "vergessen" hat, durch Einlegung von Beschwerden, die Rechtmäßigkeit der Befehle prüfen zu lassen oder im Vorfeld die Aufnahme der COVID-19-Schutzimpfung in die Liste duldungspflichtigen Basisimpfungen (Nr. 1080 AR A1-840/8-4000) gerichtlich anzufechten sowie um einstweiligen Rechtsschutz nachzusuchen. Dafür spricht auch, dass er in der Berufungshauptverhandlung eingeräumt hat, trotz der Befehle keinen Rechtsrat eingeholt zu haben, obwohl ihm die ernsten disziplinarischen Konsequenzen der Gehorsamsverweigerung im schriftlichen Befehl nachdrücklich vor Augen geführt worden waren. Seine Einlassung, es sei ihm nicht möglich gewesen, einen entsprechenden Anwalt zu finden, bildet dabei eine Schutzbehauptung. Denn der Soldat hat in der Berufungshauptverhandlung seine grundsätzliche Haltung zur Befolgung von Befehlen dahingehend beschrieben, er habe die Impfung nicht mit seinem Gewissen vereinbaren können und am Ende müsse man das als Soldat selbst entscheiden. Einen Kadavergehorsam gebe es nicht mehr. Auch wenn im Gefecht ein Schießbefehl erteilt werde, müsse man darüber nachdenken, was man tue. Die letzte Instanz sei der Mensch. Dies belegt, dass der Soldat sich unabhängig von der Frage der Verbindlichkeit eines Befehls ein persönliches Letztentscheidungsrecht einräumt und sich bei der Verweigerung von Befehlen nicht an den rechtlichen Grenzen der Gehorsamspflicht orientiert.
34b) Zu Anschuldigungspunkt 2 steht fest, dass der Soldat wissentlich und willentlich seinem Disziplinarvorgesetzten, (seinerzeit) Kapitänleutnant A, am das von ihm signierte Schreiben vom hat zukommen lassen. Soweit der Soldat behauptet, den Inhalt insbesondere der "Rechtsbelehrung" nicht zur Kenntnis genommen, sondern unbesehen aus einem im Internet veröffentlichten und von ihm nur überflogenen Text übernommen zu haben, handelt es sich um eine Schutzbehauptung. Denn die vom Soldaten textlich prominent dargestellte "Rechtsbelehrung/Belehrung des Rechtes" besteht nicht aus umfangreichen und mehreren Textkomplexen, sondern nur aus einem Satz, der bereits ab der dritten Zeile mit massiven Vorwürfen und Unterstellungen beginnt. Die Annahme, auch bei einem bloßen Überfliegen des eingefügten Textes habe sich dem Soldaten dessen Inhalt nicht erschlossen, ist danach lebensfremd.
352. Der Soldat hat sich mit dem festgestellten Verhalten nach § 23 Abs. 1 SG eines Dienstvergehens schuldig gemacht.
36a) Durch sein Verhalten gemäß Anschuldigungspunkt 1 hat er vorsätzlich seine Pflichten zum Gehorsam (§ 11 Abs. 1 SG), zur Duldung ärztlicher Maßnahmen (§ 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG), zum treuen Dienen (§ 7 SG), zur Wahrung der Disziplin (§ 17 Abs. 1 SG) und zum innerdienstlichen Wohlverhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG) verletzt, weil er zweimal wissentlich und willentlich, mithin vorsätzlich Befehle missachtet und damit eine Wehrstraftat nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 WStG begangen hat.
37aa) Bei den mündlichen wie schriftlichen Anweisungen des Disziplinarvorgesetzten A vom 13. und handelte es sich um Befehle im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 2 SG. Denn der Soldat wurde damit entsprechend der insoweit zugrunde zu legenden Definition in § 2 Nr. 2 WStG (vgl. 2 WD 12.04 - BVerwGE 127, 302 <310>) von seinem Vorgesetzten mit dem Anspruch auf Gehorsam zu einem bestimmten Verhalten angewiesen, nämlich sich - nach einer entsprechenden ärztlichen Voruntersuchung - einer COVID-19-Schutzimpfung zu unterziehen. Beide Befehle hat er nicht befolgt.
38bb) Die Befehle waren auch verbindlich.
39aaa) Gesetzlich anerkannte Unverbindlichkeitsgründe nach § 11 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 SG lagen nicht vor.
40(1) Die Befehle wurden zu dienstlichen Zwecken erteilt ( 2 WD 12.04 - BVerwGE 127, 302 <311>). Denn sie dienten der Umsetzung der seit dem im Grundsatz für alle aktiven Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr unmittelbar geltenden Duldungspflicht hinsichtlich der COVID-19-Schutzimpfung (vgl. 1 WB 2.22 - BVerwGE 176, 138 Rn. 26 f.). Dass die Befehle der Umsetzung dieser Duldungspflicht dienten, ergab sich für den Soldaten unmissverständlich daraus, dass im schriftlichen Befehl vom im Betreff ausdrücklich auf die "Herstellung des Basisimpfschutzes; Anteil COVID-19" hingewiesen wurde.
41(2) Die Befehle verstießen auch nicht gegen die Menschenwürde. Eingriffe in die körperliche Integrität können zwar geeignet sein, in die Menschenwürde einzugreifen; sie sind es aber dann nicht, wenn der ihnen zugrundeliegende Befehl keine Geringschätzung des dem Menschen Kraft seiner Persönlichkeit zukommenden Werts zum Ausdruck bringt ( 2 WD 12.04 - BVerwGE 127, 302 <311>). Dass dem nicht so ist, ist evident. Die Pflicht zur Duldung von COVID-19-Schutzimpfungen, war in keiner Weise diskriminierend. Sie bewirkte keine Herabwürdigung einzelner Soldaten, sondern galt für alle aktiven Soldatinnen und Soldaten gleichermaßen. Sie bezweckte auch keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes, sondern war als vorbeugende medizinische Maßnahme auf eine Verbesserung des Gesundheitszustandes, eine Stärkung der Immunabwehr gegen den SARS-CoV-2-Virus und eine Verringerung des Risikos schwerer COVID-19-Erkrankungen gerichtet. Der Befehl zur Duldung der COVID-19-Schutzimpfungen griff auch nicht in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein, weil die Impfstoffe nicht unter physischem Zwang verabreicht wurden und keine persönlichkeitsverändernde Wirkung hatten (vgl. 1 WB 2.22 - BVerwGE 176, 138 Rn. 50 m. w. N.).
42Eine Verletzung der Menschenwürde kann auch nicht damit begründet werden, dass die Verabreichung der von der Bundeswehr seinerzeit beschafften mRNA-Impfstoffe für die betroffenen Soldaten ein verbotenes "Genveränderungsexperiment" bewirkt und gegen den "Nürnberger Kodex" verstoßen hätte (vgl. 1 WB 2.22 - BVerwGE 176, 138 Rn. 234 bis 236 m. w. N.).
43Eine Verletzung der Menschenwürde folgt auch nicht - wie vom Soldaten erst im Laufe des Disziplinarverfahrens in den Vordergrund gestellt - aus der vermeintlichen Rechtswidrigkeit des Eingriffs in sein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Denn § 11 Abs. 1 Satz 3 SG begrenzt die Unverbindlichkeit von Befehlen auf spezifische Verletzungen der Menschenwürde, sodass in diesem Rahmen nicht bloße Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit eines Befehls erhoben werden können. Jenseits spezialgesetzlich wie von der Rechtsprechung anerkannter Gründe ist ein Soldat nicht berechtigt, Befehlen den Gehorsam nur deshalb zu verweigern, weil er sie für rechtswidrig erachtet ( 2 WD 14.17 - juris Rn. 48 und vom - 2 WD 7.21 - BVerwGE 175, 118 Rn. 32, Beschluss vom - 2 WNB 2.24 - juris Rn. 12, 26; vgl. auch Lingens/Korte, Wehrstrafgesetz, 6. Aufl. 2023 § 2 Rn. 37).
44bbb) Es lag auch kein in der Rechtsprechung des Senats anerkannter, ungeschriebener Unverbindlichkeitsgrund vor. Der Soldat kann sich nicht darauf berufen, dass ihm die Befolgung des Befehls zur Duldung der COVID-19-Schutzimpfung aus Gewissensgründen nicht zumutbar war. Zwar mag es Situationen geben, in denen es einem Soldaten sein Gewissen verbietet, einen Befehl zu befolgen, und in denen dem Grundrecht der Freiheit des Gewissens aus Art. 4 Abs. 1 GG gegenüber einem Befehl das höhere Gewicht zukommt mit der Folge, dass der Befehl unverbindlich ist ( 2 WD 16.87 - BVerwGE 83, 358 <360 f.> und Urteil vom - 2 WD 12.04 - BVerwGE 127, 302 <320 ff.>). Eine Gewissensentscheidung ist jedoch nicht jede relative Entscheidung über die Zweckmäßigkeit menschlichen Verhaltens aufgrund ernsthafter und nachdrücklicher Auffassung von guter politischer Ordnung und Vernunft, sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Nützlichkeit, sondern ausschließlich die ernste sittliche, an den Kategorien von Gut und Böse orientierte Entscheidung, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, sodass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte ( u. a. - BVerfGE 153, 182 Rn. 309). Im vorliegenden Fall ging es jedoch nicht um einen moralischen Gewissenskonflikt. Es ging um die Einschätzung der Gefährlichkeit der COVID-19-Pandemie, der Risiken der zu ihrer Bekämpfung entwickelten mRNA-Impfstoffe und um die Bereitschaft des Soldaten, ein mit einem Befehl verbundenes Risiko für seine Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 GG) einzugehen. Sorge um die eigene Gesundheit ist jedoch keine Gewissensnot. Daher scheidet die Berufung auf Art. 4 Abs. 1 GG aus.
45Da Soldaten von Berufs wegen bereit sein müssen, bei militärischen Einsätzen Gefahren für Leib und Leben einzugehen, ist allein das Vorliegen einer gesundheitlichen Gefahr kein Grund für die Unverbindlichkeit eines Befehls. Lediglich ein Befehl, der eine so große Gefahr für Leib oder Leben von Untergebenen herbeiführt, dass diese Gefahr in keinem Verhältnis zu dem dienstlichen Zweck des Befehls steht, ist unverbindlich (vgl. 2 WD 7.21 - BVerwGE 175, 118 Rn. 50 m. w. N.). Dementsprechend sind auch ärztliche Infektionsschutzmaßnahmen nach § 17a Abs. 4 Satz 2 SG unzumutbar, wenn sie - etwa aufgrund einer Kontraindikation - mit einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind. Dabei kommt es jedoch nicht auf die subjektive Einschätzung des betroffenen Soldaten an. Denn die in Art. 87a Abs. 1 GG vorausgesetzte Funktionsfähigkeit der Bundeswehr wäre gefährdet, wenn die Frage der Zumutbarkeit von mit gesundheitlichen Risiken verbundenen Befehlen von der individuellen Risikoeinschätzung der einzelnen Soldaten abhängig wäre ( 2 WNB 8.20 - ZBR 2021, 129 Rn. 7). Vielmehr kommt es nach dem eindeutigen Wortlaut des § 17a Abs. 4 Satz 2 SG auf das objektive Bestehen einer solchen Gefahr bei Durchführung der ärztlichen Maßnahme an (vgl. 2 WNB 8.20 - ZBR 2021, 129 Rn. 14).
46Auch danach waren die in Rede stehenden Befehle zur Wahrnehmung der Termine zur COVID-19-Schutzimpfung verbindlich. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der ihr zu entnehmenden Anweisung, zunächst das Aufklärungsgespräch mit dem Impfarzt zu führen, sondern auch für die darin enthaltene weitere Anweisung, sich im Fall der Feststellung der Impftauglichkeit durch den Impfarzt sodann der COVID-19-Schutzimpfung zu unterziehen. Der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts hat in seinen Beschlüssen vom - 1 WB 2.22 und 1 WB 5.22 - festgestellt, dass die Aufnahme der COVID-19-Schutzimpfung in die Liste der duldungspflichtigen Basisimpfungen mit Wirkung vom unter Berücksichtigung des von Art. 2 Abs. 2 GG geschützten körperlichen Integritätsinteresses der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr verhältnismäßig war ( 1 WB 2.22 - BVerwGE 176, 138 Rn. 99 ff.)
47Dabei hat er die zu erwartenden Risiken und Nebenwirkungen, die bei den zur Verfügung stehenden und nach Mitteilung des Dienstherrn eingesetzten mRNA-Impfstoffen auftreten, in die Rechtmäßigkeitsprüfung einbezogen (a. a. O. Rn. 32) und das vom Robert-Koch-Institut und der Ständigen Impfkommission erhobene und bewertete Datenmaterial als belastbare Entscheidungsgrundlage anerkannt (a. a. O. Rn. 90). Daraus folgt, dass die Aufnahme der COVID-19-Schutzimpfung in die Liste der duldungspflichtigen Basisimpfungen mit Wirkung vom unter Berücksichtigung des körperlichen Integritätsinteresses der Soldatinnen und Soldaten rechtmäßig war und sich daran auch bis zur Beschlussfassung des 1. Senats im Juli 2022 nichts geändert hat. Nachdem beim Soldaten im Dezember 2021 auch keine Hinweise auf eine der Impfung gegen COVID-19 entgegenstehende Vorerkrankung vorlagen, der Soldat vielmehr erklärt hat, ein Arzt habe auch im Hinblick auf Herzerkrankungen von Verwandten kein Risiko gesehen, war er nicht berechtigt, den Gehorsam zu versagen.
48Dem steht nicht entgegen, dass das Bundesministerium der Verteidigung dem Bundesverwaltungsgericht in beim 1. Wehrdienstsenat geführten Verfahren mitgeteilt hat, am den Vorschlägen des Wehrmedizinischen Beirats vom , die Duldungspflicht für alle Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zu einer bloßen Empfehlung einer Impfung gegen COVID-19 herabzustufen, und dem dies unterstützenden Votum des Kommandos des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, gefolgt zu sein (vgl. BVerwG, Einstellungsbeschlüsse vom - 1 W-VR 11.22 -, vom - 1 WB 46.22 - und vom - 1 W-VR 8.24 -, sowie streitige Beschlüsse vom - 1 WB 25.24 -, vom - 1 WB 44.24 -, vom - 1 WB 41.24 -, vom - 1 WB 43.24 - und vom - 1 WB 40.23 -). Denn maßgeblicher Zeitpunkt für die disziplinarrechtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Befehle bildet der Tatzeitpunkt (BVerwG, Beschlüsse vom - 1 W-VR 20.23 - juris Rn. 11 m. w. N. und vom - 2 WNB 2.24 - juris Rn. 25), mithin der Dezember 2021, zu dem die seinerzeitige Anordnung der Bundesministerin der Verteidigung und die darauf gestützten Befehle verhältnismäßig waren.
49b) Ebenso liegt ein vorsätzlicher Verstoß gegen die Pflicht zum treuen Dienen (§ 7 SG), zur Wahrung der Disziplin (§ 17 Abs. 1 SG) und zum innerdienstlichen Wohlverhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG) vor ( 2 WD 5.23 - BVerwGE 180, 248 Rn. 35).
50c) Eine Verletzung der Kameradschaftspflicht (§ 12 Satz 2 SG) kann schon deshalb nicht festgestellt werden, weil sie weder ausdrücklich noch implizit durch in der Anschuldigungsschrift dargestellte Tatsachen angeschuldigt worden ist (vgl. 2 WDB 1.18 - NVwZ-RR 2019, 604 Rn. 9 und vom - 2 WD 5.23 - BVerwGE 180, 248 Rn. 40).
51d) Durch seiner unter Anschuldigungspunkt 2 ausgeführte Äußerung hat der Soldat ebenfalls seine Dienstpflichten verletzt. Anders als vom Truppendienstgericht angenommen, begründet die Erklärung jedoch keinen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue nach § 8 SG.
52aa) Die unabhängig vom Dienstgrad bestehende Verfassungstreuepflicht verpflichtet einen Soldaten, die freiheitliche-demokratische Grundordnung des Grundgesetzes zum einen anzuerkennen und zum anderen, für ihre Erhaltung einzutreten ( 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 44). Dabei liegt eine Betätigung gegen die freiheitliche-demokratische Grundordnung nicht nur dann vor, wenn abstrakt eine Abschaffung zentraler Grundprinzipien gefordert wird, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind, wie etwa die Würde des Menschen, das Demokratieprinzip oder der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit. Vielmehr bezieht sich das Dienst- und Treueverhältnis von Soldaten, Beamten und anderen Hoheitsträgern nach Art. 33 Abs. 4 GG auch auf den konkreten Verfassungsstaat, seine gegenwärtigen Institutionen und seine demokratisch legitimierten Repräsentanten (vgl. 2 WD 11.22 - BVerwGE 179, 118). Ungeachtet der sich im Einzelnen aus der Eintretenspflicht ergebenden Anforderungen ist damit jedenfalls ein Verhalten unvereinbar, das objektiv geeignet oder gar darauf angelegt ist, die so genannte "Reichsbürgerbewegung" zu unterstützen, welche aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen - u. a. durch die Berufung auf das historische Deutsche Reich, auf verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht - die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren. Ihr verbindendes Element ist die fundamentale Ablehnung der Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland sowie der bestehenden Rechtsordnung ( 2 WDB 5.23 - juris Rn. 48 m. w. N.).
53bb) Geben Äußerungen eines Soldaten zu Zweifeln an dessen Verfassungstreue Anlass, ist von deren objektivem Erklärungsgehalt auszugehen, wie ihn ein unbefangener Dritter verstehen musste. Dabei sind alle Begleitumstände einschließlich des Kontextes und der sprachlichen und gesellschaftlichen Ebene, auf der die Äußerung fiel, zu berücksichtigen ( 2 WDB 2.20 - juris Rn. 21 m. w. N.). Bei mehrdeutigen Äußerungen müssen andere mögliche Deutungen mit schlüssigen Gründen ausgeschlossen werden, bevor eine zur Verurteilung führende Bedeutung zugrunde gelegt wird (vgl. 2 WDB 13.22 - NVwZ 2023, 1591 Rn. 38).
54cc) Nach Maßgabe dessen weist das angeschuldigte Schreiben zwar Formulierungen auf, die auch in der "Reichsbürgerbewegung" anzutreffen sind. Dazu mag etwa die Unterscheidung zwischen "Personen oder Menschen" sowie die Androhung eines Kriegsgerichts zählen. Jedoch kann eine andere Deutung, die den Formulierungen ihre diesbezügliche disziplinarische Relevanz nimmt, nicht schlüssig ausgeschlossen werden. Denn der eine Nähe zur "Reichsbürgerbewegung" bestreitende Soldat wehrt sich gegen seine Behandlung durch den Dienstherrn ausschließlich sektoral, nämlich im Bereich der COVID-19-Bekämpfung. Er stellt nicht die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland fundamental in Frage, sondern nur punktuell staatliches Handeln unter Verwendung von Mosaiksteinen reichsbürgerlicher Rhetorik. Hinzu tritt, dass der von ihm verwendete Begriff des Kriegsgerichts nicht zwangsläufig auf das Gedankengut von Reichsbürgern hinweist. Denn der Nürnberger Kodex aus dem Jahr 1947 wurde im Rahmen der sogenannten Nürnberger Ärzteprozesse entwickelt (vgl. 1 WB 2.22 - BVerwGE 176, 138 Rn. 234 ff.). Sie fanden zum einen tatsächlich vor einem amerikanischen Militärgericht (Military Tribunal) statt und dienten zum anderen der Ahndung von medizinischen Experimenten an Menschen durch Nationalsozialisten. Der Vergleich zwischen den Unrechtstaten in der Zeit des Nationalsozialismus und den Impfaktionen der Bundeswehr ist zwar überzogen, bietet aber - anders als vom Truppendienstgericht angenommen - keinen Anhalt dafür, dass der Soldat damit auch nationalsozialistisches Unrecht leugnen wollte. Gegenläufige Erkenntnisse des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst zur Person des Soldaten liegen nicht vor.
55e) Die Aussagen in dem Anschreiben des Soldaten begründen zwar ebenso wenig einen Verstoß gegen die Mäßigungspflicht nach § 10 Abs. 6 SG (vgl. 2 WD 12.22 - juris Rn. 69 ff. sowie Beschluss vom - 2 WDB 11.23 - Rn. 32 ff.), weil nicht festgestellt wurde, dass die Äußerungen Untergebenen zur Kenntnis oder in die Öffentlichkeit gelangten (vgl. zu diesem Erfordernis: 2 WD 1.08 - BVerwGE 132, 179 Rn. 34); jedoch hat er gegen die Pflicht nach § 17 Abs. 1 SG verstoßen. Sie verlangt von ihm nicht nur, Disziplin zu wahren, sondern auch, die dienstliche Stellung des Vorgesetzten in seiner Person zu achten. Untergebene sind nach § 17 Abs. 1 SG gehalten, die dienstliche Autorität ihrer Vorgesetzten ohne Rücksicht auf persönliche Sympathien oder Antipathien anzuerkennen und ihr Verhalten danach auszurichten ( 2 WD 6.07 - juris Rn. 65 m. w. N).
56Dabei sind die Meinungsfreiheit beschränkende Normen wie § 17 Abs. 1 SG aus der Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung der Meinungsfreiheit ihrerseits einschränkend auszulegen ( 2 WD 15.19 - BVerwGE 169, 66 Rn. 23 und vom - 2 WD 12.22 - juris Rn. 68). Nach Maßgabe dessen überschritten die Aussagen in dem Anschreiben des Soldaten die Grenzen der Meinungsfreiheit. Mit dem Vorwurf gegenüber seinem Disziplinarvorgesetzten, an einer Behandlung mitzuwirken, bei der Ärzte ihn - den Soldaten - als rechtlosen Probanden ansähen, der durch Täuschung, Druck und Zwang und einer dadurch ergaunerten Zustimmung in ein verbotenes Genveränderungsexperiment eingebunden werde, welches hochkriminell sei und dessen wegen er vor ein Kriegsgericht gestellt werden könne, bezichtigte er den Disziplinarvorgesetzten der Beteiligung an menschenrechtswidrigen Verstößen und deklarierte ihn zum Schwerstkriminellen. Dabei enthält der Hinweis auf ein Kriegsgericht, dem sich der Disziplinarvorgesetzte stellen müsse, nötigende Elemente. Der Soldat ließ damit jedes Maß an Zurückhaltung gegenüber seinem Disziplinarvorgesetzten A vermissen; dessen Aussage, er habe sich durch das Schreiben persönlich angegriffen gefühlt, ist glaubhaft. Der Soldat hat sich denn auch in seinem letzten Wort von dem Schreiben distanziert.
57f) Ob mit dem Verstoß gegen § 17 Abs. 1 SG ein zusätzlicher vorsätzlicher Verstoß gegen § 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 SG einher geht, kann dahingestellt bleiben, weil die Schwere des Dienstvergehens dadurch nicht mehr in einer die Zumessungsentscheidung bedeutsamen Weise beeinflusst würde ( 2 WD 20.18 - juris Rn. 51).
583. Bei Art und Maß der für das Dienstvergehen zu verhängenden Disziplinarmaßnahme sind nach § 58 Abs. 7 i. V. m. § 38 Abs. 1 WDO Eigenart und Schwere des Dienstvergehens und seine Auswirkungen, das Maß der Schuld, die Persönlichkeit, die bisherige Führung und die Beweggründe des Soldaten zu berücksichtigen. Insoweit legt der Senat ein zweistufiges Prüfungsschema zugrunde. Es führt dazu, dass die erstinstanzliche Zumessungsentscheidung im Ergebnis nicht zu beanstanden ist.
59a) Auf der ersten Stufe bestimmt der Senat zwecks Gleichbehandlung vergleichbarer Fälle und im Interesse der Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit der Disziplinarmaßnahme eine Regelmaßnahme für die betreffende Fallgruppe als Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen.
60Danach bildet bei Verstößen gegen die hier im Zentrum der Würdigung stehende Gehorsamspflicht - je nach Schwere des Verstoßes - eine Gehaltskürzung, ein Beförderungsverbot oder auch eine Dienstgradherabsetzung den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen. Dabei hat der Senat das disziplinare Gewicht eines Ungehorsams umso höher eingestuft, je größer die dadurch drohenden Gefahren für ein bedeutsames Rechtsgut, insbesondere Leib und Leben von Kameraden, sind (vgl. 2 WD 20.18 - juris Rn. 61 m. w. N.). Ausgehend davon stellt auch eine Gehorsamsverweigerung nach § 20 Abs. 1 WStG hinsichtlich des Befehls zur Wahrnehmung der COVID-19-Schutzimpfung eine schwere Dienstpflichtverletzung dar, für die Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen eine Dienstgradherabsetzung ist. Denn es handelt sich um eine Wehrstraftat. Zwar hat sie nicht zu konkreten Gefahren für Leib und Leben anderer geführt, aber zu insoweit erhöhten abstrakten Gefahren insbesondere für die Kameraden, wodurch zugleich die allgemein-militärische Einsatzfähigkeit des Soldaten selbst und seiner Kameraden abstrakt gefährdet wurde. Zwar versprach die Impfung unter der damaligen Dominanz der Deltavariante keinen vollständigen, sondern nur einen 90%igen Schutz gegen schwere Verläufe und einen 75%igen Schutz gegen symptomatische Erkrankungen. Unter dem Gesichtspunkt der allgemein-militärischen Einsatzfähigkeit ist aber auch schon eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Verhinderung eines schweren Verlaufs einer COVID-19-Erkrankung als bedeutender Vorteil einzustufen. Eine Reduzierung schwerer Verläufe bewirkt nicht nur für die infizierten Soldatinnen und Soldaten einen geringeren Leidensdruck und eine kürzere Leidenszeit. Zugleich bedeutet dies für den Dienstherrn kürzere Ausfallzeiten mit insgesamt höherer Einsatzbereitschaft. Hinzu kommt, dass eine 75%ige Reduzierung symptomatischer Erkrankungen ein gewichtiges Weniger an Ausfallzeiten durch Erkrankung und Quarantäne verspricht. Gleichzeitig wird mit der Reduzierung symptomatischer Erkrankungen auch eine Verringerung der Transmission des Virus innerhalb der Truppe erreicht, was die Gefahr einer Infektion anderer Soldaten mindert, Angehörige vulnerabler Gruppen innerhalb der Streitkräfte schützt und der Einsatzbereitschaft der Verbände insgesamt zugutekommt (zusammenfassend: 2 WD 5.23 - BVerwGE 180, 248 Rn. 41 ff. unter Bezugnahme auf den Beschluss vom - 1 WB 2.22 - BVerwGE 176, 138 Rn. 124).
61b) Auf der zweiten Stufe der Zumessungserwägungen ist zu prüfen, ob im Einzelfall im Hinblick auf die Bemessungskriterien des § 38 Abs. 1 WDO Umstände vorliegen, die eine Milderung oder Verschärfung gegenüber der auf der ersten Stufe angesetzten Regelmaßnahme gebieten. Liegt angesichts der be- und entlastenden Umstände ein höherer bzw. niedrigerer Schweregrad vor, ist die zu verhängende Disziplinarmaßnahme nach "oben" bzw. nach "unten" zu modifizieren. Zusätzlich sind die gesetzlichen Bemessungskriterien für die Bestimmung der konkreten Situation zu gewichten, wenn die Maßnahmeart, die den Ausgangspunkt der Zumessungserwägungen bildet, dem Wehrdienstgericht hinsichtlich des Disziplinarmaßes einen Spielraum eröffnet. Dabei müssen Milderungsgründe umso gewichtiger sein, je schwerer ein Dienstvergehen wiegt ( 2 WD 23.20 - BVerwGE 173, 352 Rn. 29 m. w. N.). Danach ist eine Abweichung von der Regelmaßnahme und der Übergang zur Entfernung aus dem Dienst nach § 60 Abs. 1 Nr. 5, § 65 WDO geboten. Denn es handelt sich vorliegend um einen Extremfall einer wiederholten Befehlsverweigerung gegen Infektionsschutzmaßnahmen (vgl. 2 WD 5.23 - BVerwGE 180, 248 Rn. 61 und Beschlüsse vom - 1 WB 2.22 - BVerwGE 176, 138 Rn. 55 und 116 sowie vom - 1 WB 22.23 - NVwZ 2024, 1178 Rn. 58).
62aa) Für den Soldaten spricht zwar, dass er solide dienstliche Leistungen erbracht hat. Allerdings ist nicht von einer erheblich mildernd zu berücksichtigenden Nachbewährung auszugehen. Denn eine in fachlicher Hinsicht deutliche Leistungssteigerung oder die Beibehaltung eines hohen Leistungsniveaus (vgl. 2 WD 18.18 - juris Rn. 31 m. w. N. und vom - 2 WD 7.20 - NVwZ-RR 2021, 770 Rn. 37) liegt nicht vor.
63Der Soldat unterlag auch keinem Verbotsirrtum. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit und Verbindlichkeit der Befehle spielte aus der Warte des Soldaten seinerzeit keine Rolle, weil er ausschließlich sich und nicht den Dienstherrn oder den Gesetzgeber als berechtigt ansah, darüber zu entscheiden, sich impfen zu lassen. Der Soldat verstieß aus Überzeugung gegen die Befehle, sodass Unrechtsbewusstsein vorlag (vgl. Fischer, StGB, 72. Aufl. 2025, § 17 Rn. 3b). Denn wer einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Verbotsnorm oder einer - wie vorliegend - darauf gestützten staatlichen Anordnung wissentlich zuwiderhandelt, weil er sich aus politischen, religiösen oder - wie der Soldat - aus sittlichen Überzeugungen als hierzu berechtigt ansieht, unterliegt weder einem (Erlaubnis-)Tatbestands- noch einem Verbotsirrtum (§§ 16, 17 StGB). Er wendet sich vielmehr bewusst gegen die staatliche Rechtsordnung, weil er deren Wertung nicht teilt, ihre Verbindlichkeit für sich ablehnt oder sich einem von ihm als höher bewerteten Ziel - vorliegend der eigenen Gesundheit - verpflichtet fühlt. Dieses Tatmotiv berührt nicht die Schuld ( - NJW 2024, 686 Rn. 35).
64Einsicht und Reue hat der Soldat nicht gezeigt, sodass sie nicht mildernd berücksichtigt werden können. Dieses Verhalten bildet allerdings auch keinen nachteiligen Umstand (vgl. 2 WD 6.21 - juris Rn. 43 m. w. N.). Die wenigen für den Soldaten sprechenden Umstände sind nicht von solchem Gewicht, dass sie die für die Verhängung der Höchstmaßnahme sprechenden Umstände kompensieren könnten.
65bb) Zu den erschwerenden Umständen gehört, dass das Dienstvergehen nach Art und Schwere sehr schwer wiegt, woran wegen der unterschiedlichen Zielrichtung von Straf- und Disziplinarrecht die zu Anschuldigungspunkt 1 vorgenommene Einstellung des Strafverfahrens nichts ändert. Art oder Höhe einer Kriminalstrafe oder sonstige Strafsanktion sind für die Gewichtung der Schwere des sachgleichen Dienstvergehens regelmäßig nicht von ausschlaggebender Bedeutung; ihnen kommt insbesondere keine die disziplinare Maßnahmebemessung limitierende Indizwirkung zu ( 2 WD 11.21 - juris Rn. 48). Denn der Soldat hat nicht nur in Anschuldigungspunkt 1 - wie es typischerweise bei einer Gehorsamsverweigerung nach § 20 Abs. 1 WStG der Fall ist - die Pflichten zum treuen Dienen, zur Wahrung der Disziplin und zum innerdienstlichen Wohlverhalten verletzt, sondern zudem zweimal seine Pflicht zur Duldung ärztlicher Maßnahmen nach § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG. Ferner hat er in Anschuldigungspunkt 2 in besonders schwerwiegender Weise gegen die Pflicht nach § 17 Abs. 1 SG verstoßen, seine Vorgesetzten zu achten. Darüber hinaus bestand zur Tatzeit ein besonderes militärisches Interesse an der COVID-19-Schutzimpfung. Denn vor dem Hintergrund der drohenden Verschärfung der pandemischen Lage im Winter 2021/2022 war die größtmögliche Erhaltung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr besonders vordringlich, weil mit einer Fortführung einer erheblichen Anzahl von Inlandseinsätzen und diverser Auslandseinsätze zu rechnen war (vgl. 1 WB 2.22 - BVerwGE 176, 138 Rn. 123).
66Der Soldat ist zudem Vorgesetzter und er wurde vom Dienstherrn zur Vermeidung von Risiken für andere Kameraden vorläufig des Dienstes enthoben, nachdem er zuvor noch aus dem Sabotagebereich versetzt werden musste. Zudem war er vor der Verweigerung des zweiten (schriftlichen) Befehls bereits durch eine Disziplinarbuße eindringlich auf die Erfüllung seiner Pflichten hingewiesen worden, ohne dass ihn dies zu einem Einlenken veranlasst hätte. § 38 Abs. 2 WDO sieht in diesen Fällen vor, regelmäßig zu einer schwereren Disziplinarmaßnahme überzugehen. Der Disziplinarvorgesetzte hat ihn ferner im schriftlichen Befehl vom ausdrücklich auf das Risiko hingewiesen, im Falle einer weiteren Gehorsamsverweigerung aus dem Dienstverhältnis entfernt zu werden. Auch dies hat den Soldaten nicht beeindruckt.
67cc) Diesem Verhalten entspricht schließlich als ganz erheblich erschwerender Umstand, dass der Soldat aus Überzeugung und ohne Irrtum über die Verbindlichkeit des Befehls rigoros seine Interessen durchsetzte, obwohl ihm als Soldat im Interesse des militärischen Dienstes (§ 6 Satz 2 SG) nach § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG weitere Einschränkungen des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit als anderen Staatsbürgern auferlegt werden und von ihm verlangt wird, sich höheren Risiken auszusetzen. So entschuldigt etwa die Furcht vor persönlicher Gefahr eine Tat nicht, wenn die soldatische Pflicht verlangt, sie zu bestehen (§ 6 WStG). In der Berufungshauptverhandlung ist vor allem deutlich geworden, dass die Haltung des Soldaten, Befehle unter den Vorbehalt individueller Akzeptanz zu stellen, sich nicht auf Befehle der in Rede stehenden Art beschränkt. Denn ausgehend von dem in der Berufungshauptverhandlung bekräftigten Grundsatz, dass für ihn der Mensch die letzte Instanz sei, hat er nicht bestätigen können, einen Schießbefehl selbst in einer Gefechtssituation zu befolgen. Auch hier beanspruchte er, darüber nachzudenken, womit er im Verteidigungsfall eine massive Gefährdung von Kameraden in Kauf nehmen würde.
68Der Soldat hat damit zu erkennen gegeben, auch gegenwärtig weitab jeglicher selbstkritischer Reflexion Verantwortlichkeiten weiterhin ausschließlich bei anderen zu sehen und Befehle nicht als verbindlich, sondern als ihm gegenüber jeweils erklärungs- und rechtfertigungsbedürftig zu betrachten und die mit der Verweigerung verbundenen Gefährdungen im Betrieb der Streitkräfte in Kauf zu nehmen. Er akzeptiert damit das für alle Streitkräfte elementare Prinzip von Befehl und Gehorsam nicht, welches von einer - auch unter der Geltung des Grundgesetzes - nur unter engen rechtlichen Voraussetzungen eingeschränkten sofortigen Vollziehbarkeit von Befehlen ausgeht (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 und 3 WBO) und dem Soldaten lediglich das Recht verleiht, sie nachfolgend rechtlich überprüfen lassen zu können (vgl. § 19 Abs. 1 Satz 2 WBO). Die prinzipielle Infragestellung des Prinzips von Befehl und Gehorsam lässt die Eignung des Soldaten für den militärischen Dienst entfallen ( 2 WD 21.96 - BVerwGE 103, 361 <372 f.>). Das Gewicht der aus Überzeugung begangenen Gehorsamsverstöße in Verbindung mit seinen Einlassungen in der Berufungshauptverhandlung zeigen, dass der Soldat seine körperliche Unversehrtheit betreffende Befehle nur dann zu befolgen bereit ist, wenn er sie nach eigener Einschätzung für berechtigt erachtet. Da beim Disziplinarrecht nicht die Tat als solche im Vordergrund steht, sondern die durch sie zum Ausdruck gekommenen Charakter- und Persönlichkeitsmängel ( 2 WD 2.89 - NZWehrr 1990, 77 <79> und vom - 2 WD 19.00 - juris Rn. 11), können Gesichtspunkte der Persönlichkeit eine hohe Disziplinarmaßnahme selbst dann rechtfertigen, wenn dies nach der Schwere des Dienstvergehens für sich genommen nicht indiziert ist (vgl. 2 B 37.12 - juris Rn. 21 und Urteil vom - 2 C 63.11 - BVerwGE 147, 229 Rn. 18).
694. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2, § 144 Abs. 5 Satz 2 WDO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:130325U2WD17.24.0
Fundstelle(n):
AAAAJ-97149