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BSG Beschluss v. - B 14 AS 261/20 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Bindung des Gerichts an die erhobenen Ansprüche - Auslegung des Klagebegehrens - anwaltliche Vertretung

Gesetze: § 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 123 SGG, § 133 BGB

Instanzenzug: Az: S 8 AS 42/16 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 2 AS 1406/18 Beschluss

Gründe

1Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die Klägerin den allein geltend gemachten Zulassungsgrund des Verfahrensmangels nicht in der gebotenen Weise bezeichnet hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG, § 169 SGG).

2Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; siehe bereits - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist - auch für die Rüge einer Gehörsverletzung, die im sozialgerichtlichen Verfahren nicht als absoluter Revisionsgrund geregelt ist (vgl § 202 Satz 1 SGG iVm § 547 ZPO) - aufzuzeigen, dass und warum die Entscheidung, ausgehend von der Rechtsansicht des LSG, auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (zu den Anforderungen vgl etwa - juris, RdNr 9 mwN).

3Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Die Klägerin nennt schon keine Verfahrensnorm, die das LSG verletzt haben soll. Doch selbst wenn man ihr Vorbringen, das LSG habe sich über ihren ausdrücklichen Antrag hinweggesetzt, als Rüge der Verletzung des § 123 SGG auslegt (Verkennung des Streitgegenstands), genügt ihr Vorbringen nicht zur ordnungsgemäßen Begründung eines solchen Mangels.

4Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die erhobenen Ansprüche, ohne an die Anträge gebunden zu sein. Bei unklaren Anträgen muss das Gericht mit den Beteiligten klären, was gewollt ist, und - vor allem bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten - darauf hinwirken, dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 Satz 2 SGG; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 123 RdNr 3; Schmidt aaO § 112 RdNr 8). Rechtsprechung und Literatur gehen zudem davon aus, dass ein von einem Rechtsanwalt formulierter Antrag in der Regel das Gewollte zutreffend wiedergibt (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 123 RdNr 3; B 10 ÜG 29/13 B - juris, RdNr 12). Andererseits schließt nicht allein der Umstand der anwaltlichen Vertretung eine an § 133 BGB orientierte Auslegung des Begehrens aus ( - SozR 4-3250 § 14 Nr 3 RdNr 24; Giesbert in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 123 SGG RdNr 20), zumindest dann, wenn die gewählte Formulierung nicht eindeutig ist (vgl - SozR 4-1500 § 92 Nr 4 RdNr 11; - juris RdNr 25).

5Die ordnungsgemäße Bezeichnung eines Verstoßes gegen § 123 SGG hätte vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung mithin verlangt, dass die Klägerin nicht nur behauptet, das LSG habe sich über ihren Antrag hinweggesetzt, sondern dass sie auch im Einzelnen bezeichnet, wie das LSG den von ihrem Bevollmächtigten vor dem SG selbst formulierten und in der Beschwerdebegründung wiedergegebenen Antrag ("… die Bescheide vom , in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom zurückzunehmen und der Klägerin für die Zeit vom bis endgültig höhere Leistungen festzusetzen und den Erstattungsbescheid vom entsprechend aufzuheben …") hätte verstehen und an § 133 BGB orientiert auslegen müssen. Dazu fehlt jeder Vortrag. Wenn die Klägerin behauptet, der Antrag hätte von Anfang an dahingehend gelautet, den Erstattungsbescheid komplett aufzuheben, ist ihr Vortrag widersprüchlich zur behaupteten Auslegungsbedürftigkeit des Antrags und schon deshalb nicht geeignet, einen Verstoß gegen § 123 SGG durch das LSG zu begründen.

6Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO). An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es hier, wie ausgeführt. Mit der Ablehnung von PKH entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 Satz 1SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

7Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2021:230221BB14AS26120B0

Fundstelle(n):
RAAAJ-97139