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BGH Urteil v. - 6 StR 5/25

Instanzenzug: LG Hildesheim Az: 14 KLs 7 Js 40884/22

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter räuberischer Erpressung und wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Strafe aus einem Urteil vom zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es gegen ihn wegen bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und mit Besitz von Betäubungsmitteln unter Einbeziehung von Strafen aus einem Urteil vom eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verhängt. Die Vollstreckung beider Gesamtfreiheitsstrafen hat es zur Bewährung ausgesetzt. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat teilweise Erfolg.

I.

2Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

31. Der Zeuge K.         war am in den frühen Morgenstunden gemeinsam mit einer Gruppe unterwegs, zu der auch der Angeklagte H.        und die nicht revidierenden Mitangeklagten N.         und A.       gehörten. Gemeinsam wollten sie ein Fahrrad, das K.       an einen Bekannten H.          s verliehen hatte, zurückholen. Nachdem sie sich auf den Weg zu dessen Wohnort gemacht hatten, kehrte K.        um, weil er keine Konfrontation wollte. Die anderen setzten ihren Weg ebenfalls nicht fort und trafen erneut auf K.          . Da insbesondere H.          und N.        wollten, dass „an diesem Abend irgendjemand eine ,Abreibung bekommen‘ sollte“, „bauten“ sie sich bedrohlich vor K.         auf. H.       forderte aufgrund eines spontanen Entschlusses von K.         dessen Portemonnaie heraus, wobei er mit den Worten drohte: „Ansonsten wirst du sehen.“ Der durch das Auftreten H.       s und N.        s eingeschüchterte K.     nahm die Drohung ernst und übergab H.           sein Portemonnaie. Als H.       daraufhin feststellte, dass das Portemonnaie kein Bargeld enthielt, warf er es weg (Fall 1 der Urteilsgründe).

4H.          befand sich weiterhin in aggressiver Stimmung und schlug nunmehr unvermittelt mit der Faust in das Gesicht K.       s. Daraufhin entschlossen sich auch N.          und A.           sowie der gesondert verfolgte S.            , K.       anzugreifen, und schlugen ihn. H.           versetzte ihm mindestens zwei weitere Faustschläge ins Gesicht und einen gegen den Arm, bevor er ihn in einen flachen Graben stieß und trat. Gemeinsam mit S.       wirkte er mit beschuhten Füßen auf den Oberkörper des auf dem Boden liegenden K.          ein. Als H.         und S.         von ihm abließen, flüchtete K.          . Er erlitt mehrere schmerzhafte Prellungen (Fall 2 der Urteilsgründe).

5Am bewahrte H.        in seiner Wohnung 342,81 Gramm Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 35,85 Gramm THC, 33,25 Gramm Amphetamin mit einer Wirkstoffmenge von 3,93 Gramm Amphetamin-Base sowie 12 Ecstasytabletten auf. 192,81 Gramm Marihuana, 13,25 Gramm Amphetamin und fünf Ecstasytabletten waren zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt. In unmittelbarer Nähe zu den Drogen verwahrte er einen Teleskopschlagstock, ein Cutter-Messer sowie eine nicht funktionstüchtige Pistole aus Vollmetall (Fall 3 der Urteilsgründe).

62. Das Landgericht hat die Taten im Fall 1 als versuchte räuberische Erpressung (§ 255, § 253 Abs. 1 und 3, § 22 StGB), im Fall 2 als gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) und im Fall 3 als bewaffnetes Handeltreiben mit Cannabis in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und mit Besitz von Betäubungsmitteln (§ 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG, § 29 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BtMG) gewertet. Es hat die Taten in den Fällen 1 und 3 als minder schweren Fall einer räuberischen Erpressung sowie des bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis gewertet und jeweils mit einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten geahndet; im Fall 2 hat es eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verhängt.

II.

7Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, soweit das Landgericht die Vollstreckung der Gesamtstrafen zur Bewährung ausgesetzt hat.

81. Die auf die Sachrüge gebotene Überprüfung der Aussprüche über die Gesamtstrafen hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten ergeben.

9a) Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Nur in diesem Rahmen kann eine Verletzung des Gesetzes im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO vorliegen (st. Rspr.; vgl. etwa , BGHSt 34, 345, 349; Urteil vom – 4 StR 47/19, NStZ-RR 2019, 339).

10b) Hieran gemessen hält die Strafzumessungsentscheidung revisionsgerichtlicher Überprüfung stand. Es stößt zwar auf rechtliche Bedenken, dass die Strafkammer im Fall 3 der Urteilsgründe dem Zeitablauf zwischen Tat und Urteil strafmilderndes Gewicht beigemessen hat, obwohl hier ein strafzumessungsrechtlich relevanter – großer – Abstand (vgl. , BGHSt 62, 184, 192, Rn. 25, 30; Urteil vom – 5 StR 343/22, Rn. 43) zwischen der am begangenen Tat und dem am ergangenen Urteil nicht erkennbar ist. Darauf beruht das Urteil aber nicht. Der Senat schließt im Hinblick auf die sonstigen Strafzumessungserwägungen aus, dass das Landgericht ohne strafmildernde Berücksichtigung des Zeitablaufs zwischen Tat und Urteil auf eine höhere Strafe erkannt hätte.

112. Hingegen halten die Aussetzungsentscheidungen rechtlicher Überprüfung nicht stand.

12a) Grundsätzlich gilt, dass dem Tatgericht bei der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ein weiter Beurteilungsspielraum zukommt, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung bis zur Grenze der Vertretbarkeit hinzunehmen hat (vgl. , Rn. 20; vom – 1 StR 437/21, StV 2022, 642, 643). Hat das Gericht die für und gegen eine Aussetzung sprechenden Umstände gesehen und gewürdigt und ist es – namentlich aufgrund seines in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks – zu dem Ergebnis gekommen, dass die Wahrscheinlichkeit künftigen straffreien Verhaltens nicht größer ist als diejenige neuer Straftaten, so ist seine Entscheidung grundsätzlich auch dann hinzunehmen, wenn eine andere Bewertung denkbar gewesen wäre oder näher gelegen hätte (vgl. , Rn. 3).

13b) Ausgehend von diesem Maßstab ist die Prognoseentscheidung des Landgerichts nicht frei von Rechtsfehlern.

14Das Landgericht hat zu Unrecht als „legalprognostisch günstig“ bewertet, dass der Angeklagte „in der Zwischenzeit keine weiteren Straftaten mehr begangen“ habe. Dies ist den Urteilsgründen zufolge jedoch nicht der Fall. Danach wurde der Angeklagte wegen zweier am und damit zeitlich nach den jetzt abgeurteilten Taten begangener Beleidigungen verurteilt. Zudem erweist es sich als rechtsfehlerhaft, dass die Strafkammer auch im Rahmen der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung den Zeitablauf zwischen der Tat im Fall 3 und dem Urteil zugunsten des Angeklagten in Ansatz gebracht hat.

15Schließlich hat das Landgericht keine gemäß § 56 Abs. 2 StGB erforderlichen besonderen Umstände festgestellt, die es rechtfertigen könnten, die Vollstreckung der jeweils über ein Jahr hinausgehenden Gesamtfreiheitsstrafen zur Bewährung auszusetzen. Die Ausführungen erschöpfen sich in dem Hinweis auf die „selbständige und eigenmotivierte“ Anmeldung des 23 Jahre alten Angeklagten zur Nachholung eines Schulabschlusses und seine halbjährige berufliche Tätigkeit von Januar bis Juli 2024. Diese Umstände begründen indes allenfalls eine vage Hoffnung auf eine Stabilisierung der Verhältnisse des Angeklagten und tragen die Aussetzungsentscheidungen in Anbetracht seiner zahlreichen Vorstrafen, des Bewährungsverstoßes im Fall 3 und seiner festgestellten Unzuverlässigkeit im Bewährungsverlauf nicht.

163. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf, um dem Tatgericht widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen. Er verweist die Sache an eine allgemeine Strafkammer zurück, weil die besondere funktionelle Zuständigkeit der Jugendkammer nicht mehr begründet ist.

Tiemann                         Feilcke                         Wenske

                  Fritsche                     von Schmettau

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:300425U6STR5.25.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-97129