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EuGH Urteil v. - C-206/24

Vorlage zur Vorabentscheidung – Zollunion – Erstattung oder Erlass von Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben – Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 – Unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Zölle – Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 – Voraussetzungen für die Erstattung von Amts wegen – Feststellung, dass die Zölle rechtsgrundlos erhoben wurden, vor Ablauf einer Frist von drei Jahren ab dem Zeitpunkt ihrer buchmäßigen Erfassung – Feststellung, die die Kenntnis der nationalen Zollbehörden von der Identität der betreffenden Wirtschaftsteilnehmer und dem an jeden Einzelnen von ihnen zu erstattenden Betrag impliziert – Verpflichtung der nationalen Zollbehörden, die erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zu treffen, um an die für eine solche Erstattung erforderlichen Informationen zu gelangen

Leitsatz

Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 des Rates vom über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 3069/86 des Rates vom

ist dahin auszulegen, dass

die Verpflichtung einer nationalen Zollbehörde, Zölle von Amts wegen zu erstatten, davon abhängt, dass diese Behörde vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach der buchmäßigen Erfassung dieser Zölle selbst festgestellt hat, dass diese Zölle rechtsgrundlos erhoben worden waren, wobei diese Feststellung impliziert, dass die Zollbehörde Kenntnis von der Identität der Personen, die die Zölle entrichtet haben, und von dem an jeden Einzelnen von ihnen zu erstattenden Betrag hat. Verfügt die nationale Zollbehörde nicht über alle Informationen, die erforderlich sind, um eine solche Erstattung an die Person, die die rechtsgrundlos erhobenen Zölle entrichtet hat, oder an die Personen, die in deren Rechte und Pflichten eingetreten sind, vorzunehmen, und konnte sie nicht über diese Informationen verfügen, so hat sie, um ihrer Erstattungspflicht nachzukommen, die Maßnahmen zu ergreifen, die, ohne unverhältnismäßig zu sein, erforderlich und geeignet sind, um an diese Informationen zu gelangen und die Erstattung vorzunehmen.

Gesetze: VO (EWG) Nr. 1430/79 Art. 1, VO (EWG) Nr. 1430/79 Art. 2 Abs. 2, VO (EWG) Nr. 1430/79 Art. 15 Abs. 1, VO (EWG) Nr. 2913/92 Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 3

Gründe

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 des Rates vom über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben (ABl. 1979, L 175, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 3069/86 des Rates vom (ABl. 1986, L 286, S. 1) (im Folgenden: Verordnung Nr. 1430/79) und von Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. 1992, L 302, S. 1, im Folgenden: Zollkodex der Gemeinschaften).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen YX und der Logística i Gestió Caves Andorranes i Vidal SA (im Folgenden: Caves Andorranes), einer Gesellschaft andorranischen Rechts, auf der einen Seite und dem Ministre de l’Économie, des Finances et de la Relance (Minister für Wirtschaft, Finanzen und Aufschwung, Frankreich) sowie dem Directeur général des douanes et droits indirects (Generaldirektor für Zölle und indirekte Abgaben, Frankreich) auf der anderen Seite über die Erstattung von Amts wegen von Zöllen, die rechtsgrundlos auf Einfuhren von Waren aus Drittländern nach Andorra erhoben wurden.

Rechtlicher Rahmen

Verordnung Nr. 1430/79

3 Art. 1 der Verordnung Nr. 1430/79 sah vor:

„(1)  Diese Verordnung legt die Voraussetzungen fest, unter denen die zuständigen Behörden die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben gewähren.

(2)  Im Sinne dieser Verordnung gelten als:

e)

buchmäßige Erfassung: der Verwaltungsakt, mit dem die zu erhebenden Eingangs- oder Ausfuhrabgaben von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgesetzt werden;

…“

4 Art. 2 dieser Verordnung lautete:

„(1)  Eingangsabgaben werden insoweit erstattet oder erlassen, als den zuständigen Behörden nachgewiesen wird, dass der buchmäßig erfasste Betrag

  • Waren betrifft, für die keine Zollschuld entstanden ist oder für die die Zollschuld aus einem anderen Grund als wegen Entrichtung des entsprechenden Betrags oder Verjährung erloschen ist;

  • die gesetzlich zu erhebenden Abgaben aus irgendeinem Grunde übersteigt.

(2) Die Erstattung oder der Erlass von Eingangsabgaben aus einem der in Absatz 1 genannten Gründe erfolgt auf Antrag; dieser ist innerhalb von drei Jahren nach der buchmäßigen Erfassung der Abgaben durch die für die Erhebung zuständige Behörde bei der zuständigen Zollstelle einzureichen.

Diese Frist ist nur dann verlängerbar, wenn der Zollbeteiligte den Nachweis erbringt, dass er durch einen Zufall oder durch höhere Gewalt daran gehindert war, seinen Antrag innerhalb der genannten Frist einzureichen.

Die zuständigen Behörden nehmen die Erstattung oder den Erlass von Amts wegen vor, wenn sie innerhalb dieser Frist selbst feststellen, dass einer der in Absatz 1 beschriebenen Sachverhalte vorliegt.“

5 Art. 15 Abs. 1 der Verordnung bestimmte:

„Eingangs- oder Ausfuhrabgaben werden demjenigen, der die Abgaben entrichtet hat, dem Abgabenschuldner oder den Personen, die in deren Rechte eintreten oder deren Verpflichtungen übernehmen, erstattet oder erlassen.“

6 Die Verordnung Nr. 1430/79 wurde durch Art. 251 des Zollkodex der Gemeinschaften aufgehoben.

Zollkodex der Gemeinschaften

7 Art. 236 des Zollkodex der Gemeinschaften lautete:

„(1)  Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben werden insoweit erstattet, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war oder der Betrag entgegen Artikel 220 Absatz 2 buchmäßig erfasst worden ist.

Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben werden insoweit erlassen, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Zeitpunkt der buchmäßigen Erfassung nicht gesetzlich geschuldet war oder der Betrag entgegen Artikel 220 Absatz 2 buchmäßig erfasst worden ist.

Eine Erstattung oder ein Erlass wird nicht gewährt, wenn die Zahlung oder buchmäßige Erfassung eines gesetzlich nicht geschuldeten Betrags auf ein betrügerisches Vorgehen des Beteiligten zurückzuführen ist.

(2)  Die Erstattung oder der Erlass der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben erfolgt auf Antrag; der Antrag ist vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach Mitteilung der betreffenden Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen.

Diese Frist wird verlängert, wenn der Beteiligte nachweist, dass er infolge eines unvorhersehbaren Ereignisses oder höherer Gewalt gehindert war, den Antrag fristgerecht zu stellen.

Die Zollbehörden nehmen die Erstattung oder den Erlass von Amts wegen vor, wenn sie innerhalb dieser Frist selbst feststellen, dass einer der in Absatz 1 Unterabsätze 1 und 2 beschriebenen Sachverhalte vorliegt.“

8 Nach seinem Art. 253 Abs. 2 galt dieser Kodex ab .

9 Der Kodex wurde durch Art. 186 der Verordnung (EG) Nr. 450/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft (Modernisierter Zollkodex) (ABl. 2008, L 145, S. 1) aufgehoben; letzterer Kodex wurde seinerseits durch Art. 286 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. 2013, L 269, S. 1, und Berichtigung ABl. 2016, L 267, S. 2) aufgehoben.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

10 In den Jahren 1988 bis 1991 führten Gesellschaften andorranischen Rechts durch Vermittlung der Gesellschaft Ysal, einer in Frankreich ansässigen Zollagentin, vorwiegend aus Drittstaaten stammende Waren nach Andorra ein. Für diese Einfuhren waren Zölle in Frankreich zu entrichten. Zu dieser Zeit verlangten die französischen Zollbehörden nämlich, dass Waren aus Drittländern mit dem Bestimmungsland Andorra in den zollrechtlich freien Verkehr überführt werden mussten, wenn sie das französische Hoheitsgebiet durchquerten.

11 Am veröffentlichte die Europäische Kommission die mit Gründen versehene Stellungnahme COM(90) 2042 endg., mit der sie zum einen feststellte, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus bestimmten unionsrechtlichen Vorschriften verstoßen habe, dass sie das genannte Erfordernis einer Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr vorgesehen habe, und zum anderen diesen Mitgliedstaat aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um der mit Gründen versehenen Stellungnahme innerhalb von 30 Tagen nachzukommen.

12 Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass die französischen Behörden der Kommission am mitteilten, dass sie beschlossen hätten, der Aufforderung der Kommission durch Aufhebung des Erfordernisses der Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr nachzukommen, was sie mit einer am im Journal officiel de la République française (Amtsblatt der Französischen Republik) veröffentlichten Bekanntmachung des Ministère de l’Économie, des Finances et du Budget (Ministerium für Wirtschaft, Finanzen und Haushalt, Frankreich) an die Importeure und Exporteure taten.

13 Am erhob Ysal bei einem erstinstanzlichen französischen Gericht gegen die französische Zollverwaltung Klage auf Erstattung der Zölle, die diese in den Jahren 1988 bis 1991 rechtsgrundlos auf Einfuhren von Waren aus Drittländern nach Andorra erhoben habe (im Folgenden: in Rede stehende Zölle).

14 Mit Urteil vom erklärte das erstinstanzliche Gericht die Klage von Ysal wegen fehlender Klagebefugnis und mangelnden Rechtsschutzinteresses für unzulässig. Dieses Urteil wurde am in der Berufungsinstanz bestätigt.

15 Die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) wies das Rechtsmittel von Ysal gegen die in der Berufungsinstanz ergangene Entscheidung mit Urteil vom zurück. Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) in jenem Urteil u.a. festgestellt hat, dass die andorranischen Importeure die in Rede stehenden Zölle an Ysal gezahlt hätten und Ysal sie für deren Rechnung entrichtet habe, und dass daher nur diese Importeure klagebefugt seien und ein Rechtsschutzinteresse hätten.

16 Am erhoben diese Importeure, deren Rechtsnachfolger Caves Andorranes und YX sind, vor dem Tribunal de grande instance de Toulouse (Großinstanzgericht Toulouse, Frankreich) gegen die französische Zollverwaltung Klage auf Zahlung eines Betrags in Höhe der in Rede stehenden Zölle, die die französische Zollverwaltung rechtsgrundlos erhoben habe. Mit Urteil vom wies dieses Gericht die Klage ab.

17 Mit Urteil vom bestätigte die Cour d’appel de Toulouse (Berufungsgericht Toulouse, Frankreich) dieses Urteil. Das Gericht führte insoweit aus, dass die französische Zollverwaltung, um eine Erstattung der in Rede stehenden Zölle auf der Grundlage von Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1430/79 und Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 3 des Zollkodex der Gemeinschaften von Amts wegen vorzunehmen, über die Informationen verfügen müsse, die erforderlich seien, um sowohl den Betrag der zu erstattenden Abgaben als auch die Identität aller Zollschuldner zu bestimmen, ohne dass sie dabei Nachforschungen in unverhältnismäßigem Ausmaß anzustellen habe.

18 Caves Andorranes und YX legten bei der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof), dem vorlegenden Gericht, ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil ein, mit dem sie im Wesentlichen geltend machen, dass die Cour d’appel de Toulouse (Berufungsgericht Toulouse) mit ihrem Urteil vom gegen Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1430/79 verstoßen habe. Die in dieser Bestimmung vorgesehene Verpflichtung zur Erstattung von Amts wegen hänge lediglich von der Einhaltung einer Frist von drei Jahren nach Mitteilung der Zölle an den Zollschuldner ab. Dagegen sehe diese Bestimmung nicht vor, dass die Zollbehörden über die Informationen verfügen müssten, die erforderlich seien, um sowohl den Betrag der zu erstattenden Abgaben als auch die Identität aller Zollschuldner zu bestimmen. Damit habe die Cour d’appel de Toulouse (Berufungsgericht Toulouse) dieser Bestimmung eine Voraussetzung hinzugefügt, die sie nicht enthalte.

19 Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die französische Zollverwaltung geltend mache, dass ihr eine Erstattung der in Rede stehenden Zölle von Amts wegen nur dann möglich sei, wenn sie über alle Informationen verfüge, aufgrund deren sie feststellen könne, dass diese Zölle rechtsgrundlos erhoben worden seien und dass sie zurückzuerstatten seien. Es könne nicht von ihr verlangt werden, selbst umfassende Nachforschungen anzustellen, um den Betrag der an jeden Einzelnen der betroffenen Beteiligten zu erstattenden Zölle zu ermitteln.

20 Daher wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1430/79 und Art. 236 Abs. 2 des Zollkodex der Gemeinschaften dahin auszulegen sind, dass die zuständige nationale Behörde nur dann dazu verpflichtet ist, rechtsgrundlos erhobene Zölle von Amts wegen zu erstatten, wenn sie hierfür über alle erforderlichen Informationen verfügt, und dass sie, sofern dies nicht der Fall ist, nicht dazu verpflichtet ist, Nachforschungen in unverhältnismäßigem Ausmaß anzustellen.

21 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts stellt sich ferner die Frage, ob eine Erstattung durch die nationale Zollbehörde von Amts wegen nach Ablauf der Frist von drei Jahren nach Mitteilung der Zölle an den Zollschuldner erfolgen kann. Im Hinblick auf das Urteil vom , CIVAD (C‑533/10, EU:C:2012:347), in dessen Rn. 21 der Gerichtshof entschieden hat, dass nach Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 1 des Zollkodex der Gemeinschaften für die Erstattung nicht gesetzlich geschuldeter Zölle eine Frist von drei Jahren gilt, fragt das vorlegende Gericht, ob Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1430/79 dahin auszulegen ist, dass die zuständigen Behörden nach Ablauf dieser Frist keine Erstattung von Amts wegen mehr vornehmen können, und zwar selbst dann nicht, wenn nachgewiesen ist, dass die Behörden innerhalb dieser Frist festgestellt haben, dass diese Abgaben nicht gesetzlich geschuldet waren.

22 Unter diesen Umständen hat die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1430/79, der in Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 3 des Zollkodex der Gemeinschaften übernommen wurde, dahin auszulegen, dass die Erstattung von Amts wegen der von einer Zollbehörde erhobenen Zölle auf eine Frist von drei Jahren nach der buchmäßigen Erfassung dieser Abgaben durch die für die Erhebung zuständige Behörde beschränkt ist, oder dahin, dass die Zollverwaltung innerhalb von drei Jahren nach dem Eintreten der Zollschuld in der Lage sein muss, festzustellen, dass die Abgaben nicht geschuldet waren?

2.

Ist Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1430/79, der in Art. 236 Abs. 2 Unterabs. 3 des Zollkodex der Gemeinschaften übernommen wurde, dahin auszulegen, dass die Erstattung von Amts wegen der von einer Zollbehörde erhobenen Zölle voraussetzt, dass diese Behörde von der Identität der betroffenen Beteiligten sowie von den an jeden Einzelnen von ihnen zu erstattenden Beträgen Kenntnis hat, ohne dass sie dabei verpflichtet wäre, umfassende Nachforschungen oder Nachforschungen in unverhältnismäßigem Ausmaß anzustellen?

Zu den Vorlagefragen

23 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass in Anbetracht des Zeitpunkts, zu dem der Anspruch auf Erstattung von Amts wegen der in Rede stehenden Zölle entstanden sein soll, ausschließlich die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1430/79 auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar sind.

24 Daher ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 1430/79 dahin auszulegen ist, dass die Verpflichtung einer nationalen Zollbehörde, Zölle von Amts wegen zu erstatten, zum einen davon abhängt, dass diese Behörde vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach der buchmäßigen Erfassung dieser Zölle selbst festgestellt hat, dass diese Zölle rechtsgrundlos erhoben worden waren, und zum anderen davon, dass die Zollbehörde Kenntnis von der Identität der betreffenden Wirtschaftsteilnehmer und von dem an jeden Einzelnen von ihnen zu erstattenden Betrag hat. In diesem Rahmen fragt das vorlegende Gericht, welche Maßnahmen die Behörde gegebenenfalls zu ergreifen hat, um an diese Informationen zu gelangen.

25 Aus Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1430/79 ergibt sich u.a., dass Zölle insoweit erstattet werden, als den zuständigen Behörden nachgewiesen wird, dass der buchmäßig erfasste Betrag Waren betrifft, für die keine Zollschuld entstanden ist, oder dass er den gesetzlich geschuldeten Betrag übersteigt.

26 Art. 2 Abs. 2 der Verordnung sieht zwei unterschiedliche Modalitäten für eine solche Erstattung vor, nämlich entweder auf Antrag oder von Amts wegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Aqua Pro, C‑407/16, EU:C:2017:817, Rn. 41).

27 So erfolgt die Erstattung gemäß Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1430/79 erstens auf Antrag; dieser ist innerhalb von drei Jahren nach der buchmäßigen Erfassung der Zölle bei der betreffenden Zollstelle einzureichen. Zweitens nehmen die zuständigen Behörden nach Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 dieser Verordnung die Erstattung von Amts wegen vor, wenn sie innerhalb dieser Frist selbst feststellen, dass einer der in Art. 2 Abs. 1 der Verordnung beschriebenen Sachverhalte vorliegt.

28 In Anbetracht der in Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1430/79 beschriebenen Fälle ergibt sich daraus, dass die zuständigen Behörden Zölle von Amts wegen erstatten, wenn sie innerhalb dieser Frist selbst feststellen, dass diese Zölle rechtsgrundlos erhoben worden sind, d.h., wenn diesen Behörden gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1430/79 u.a. nachgewiesen wird, dass der buchmäßig erfasste Betrag Waren betrifft, für die keine Zollschuld entstanden ist, oder dass er über dem gesetzlich geschuldeten Betrag liegt.

29 Insoweit begründet Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 1430/79, da er kategorisch vorsieht, dass die nationalen Zollbehörden „die Erstattung … von Amts wegen [vornehmen]“, eine Erstattungspflicht für diese Behörden, ohne dass der betreffende Importeur einen entsprechenden Antrag stellen müsste.

30 Da sich die Wendung „innerhalb dieser Frist“ in dieser Bestimmung auf das Verb „feststellen“ bezieht, ist sie dahin zu verstehen, dass die Erstattungspflicht nur dann entsteht, wenn die Feststellung vor Ablauf einer Frist von drei Jahren ab dem Zeitpunkt der buchmäßigen Erfassung der Zölle erfolgt. Nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung Nr. 1430/79 ist dies der Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts, mit dem die Zölle ursprünglich von den zuständigen Behörden festgesetzt wurden.

31 Daher hängt das Bestehen der Verpflichtung einer nationalen Zollbehörde, Zölle von Amts wegen zu erstatten, davon ab, dass diese Behörde vor Ablauf der Frist von drei Jahren nach der buchmäßigen Erfassung der betreffenden Zölle selbst festgestellt hat, dass diese Zölle rechtsgrundlos erhoben worden sind.

32 Diese Frist begrenzt somit den Zeitraum, in dem sich die nationalen Zollbehörden, die selbst festgestellt haben, dass Zölle rechtsgrundlos erhoben worden sind, verpflichten müssen, diese Zölle von Amts wegen zu erstatten. Dagegen muss, wie der Generalanwalt in den Nrn. 46 bis 50 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, die Erstattung als solche nicht notwendigerweise innerhalb dieser Frist erfolgen, so dass sie über deren Ablauf hinaus erfolgen kann.

33 Da die Zölle auf bestimmte Beträge erhoben werden, die von der nationalen Zollbehörde auf der Grundlage von Zollanmeldungen festgesetzt werden, die im Namen einer bestimmten Person abgegeben wurden, impliziert im Übrigen die Feststellung der nationalen Zollbehörde, dass diese Zölle rechtsgrundlos erhoben wurden, zwangsläufig die Feststellung, dass eine der nationalen Zollbehörde bekannte Person einen bestimmten, ihr ebenfalls bekannten Betrag rechtsgrundlos entrichtet hat. Stellt die nationale Zollbehörde fest, dass Zölle rechtsgrundlos erhoben wurden und zu erstatten sind, ist ihr daher grundsätzlich sowohl die Identität der Person, an die sie die Erstattung zu leisten hat, als auch der genaue zu erstattende Betrag bekannt.

34 Die nationale Zollbehörde kann sich nämlich nicht darauf berufen, dass sie nicht mehr über die von den Beteiligten eingereichten Zollanmeldungen oder die sie betreffenden Einzelfallentscheidungen verfügt, um zu rechtfertigen, dass sie den Betroffenen die Zölle gegebenenfalls nicht erstattet hat, bezüglich deren sie innerhalb der Dreijahresfrist von Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 1430/79 festgestellt hat, dass sie rechtsgrundlos erhoben wurden, denn solange diese Frist noch nicht abgelaufen ist, sind die Zollbehörden verpflichtet, die Unterlagen und Informationen aufzubewahren, die für eine etwaige Erstattung der erhobenen Zölle von Bedeutung sein können.

35 Diese Erwägungen gelten auch für den Fall, dass die rechtsgrundlose Erhebung von Zöllen auf einen Irrtum der nationalen Zollbehörde über die Möglichkeit zurückzuführen ist, Zölle auf Einfuhren aus oder nach einem bestimmten Drittland zu erheben. Zwar kann ein solcher Irrtum eine Vielzahl von Wirtschaftsteilnehmern und Einzelentscheidungen betreffen und folglich von der Zollbehörde des betreffenden Mitgliedstaats zahlenmäßig umfangreiche Recherchen erfordern, um die Personen zu ermitteln, die Anspruch auf eine Erstattung haben. Allerdings können sich die Behörden eines Mitgliedstaats nach ständiger Rechtsprechung nicht auf praktische, administrative oder finanzielle Schwierigkeiten berufen, um die Nichteinhaltung der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Verpflichtungen zu rechtfertigen (Urteil vom , Kommission/Belgien [Buchhalter], C‑384/18, EU:C:2020:124, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36 Es trifft zu, dass die nationale Zollbehörde in bestimmten Fällen für die Erstattung von Zöllen, bezüglich deren sie festgestellt hat, dass sie rechtsgrundlos erhoben wurden, möglicherweise bestimmte Informationen benötigt, die sich nicht in ihrem Besitz befinden und auch nicht befinden konnten. Dies kann z.B. für die Identität der Person oder der Personen gelten, die die Nachfolge der Person angetreten haben, die die zu erstattenden Zölle entrichtet hat, denn nach Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1430/79 werden Zölle nur demjenigen erstattet, der die Zölle entrichtet hat, oder den Personen, die in dessen Rechte eingetreten sind oder dessen Verpflichtungen übernommen haben. Dies kann auch für die Angaben zu einem Bankkonto gelten, auf das die Erstattung vorzunehmen ist.

37 Dieser Umstand ist jedoch gegebenenfalls nicht für die Feststellung des Vorliegens einer Erstattungspflicht relevant, da diese entsteht, sobald die nationale Zollbehörde unter den in Rn. 31 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen feststellt, dass die Zahlung von Zöllen rechtsgrundlos erfolgt ist, sondern für die Feststellung, ob die nationale Zollbehörde ihre Pflicht, von Amts wegen tätig zu werden, dadurch verletzt hat, dass sie die Erstattung verspätet oder gar nicht vorgenommen hat.

38 Insbesondere hat die nationale Zollbehörde, wenn sie ohne eigenes Verschulden nicht über die für die Erstattung rechtsgrundlos erhobener Zölle erforderlichen Informationen wie die in Rn. 36 des vorliegenden Urteils genannten verfügt, zur Einhaltung ihrer Erstattungspflicht aus Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 1430/79 die erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um an diese Informationen zu gelangen. Zwar umfassen solche Maßnahmen keine Nachforschungen in unverhältnismäßigem Ausmaß, d.h. Nachforschungen, die den Einsatz personeller und materieller Ressourcen erfordern würden, die in keinem Verhältnis zu dem stehen, was von einer sorgfältigen Verwaltung vernünftigerweise erwartet werden kann. Eine passive Haltung der Zollbehörde unter dem Vorwand, dass sie nicht über diese Informationen verfüge, ist jedoch weder mit ihrer oben genannten Erstattungspflicht noch mit den Anforderungen vereinbar, die sich aus dem Recht auf eine gute Verwaltung ergeben, das einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts darstellt, der für die Mitgliedstaaten gelten soll, wenn sie dieses Recht umsetzen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság u.a., C‑159/21, EU:C:2022:708, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39 Im Ausgangsverfahren wird das vorlegende Gericht daher zu klären haben, ob davon ausgegangen werden kann, dass die französischen Zollbehörden vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach der buchmäßigen Erfassung der in Rede stehenden Zölle selbst festgestellt haben, dass diese rechtsgrundlos erhoben worden waren. Gleichwohl kann der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht, um es bei dieser Beurteilung zu leiten, alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts geben, die ihm dienlich sein können (Urteil vom , Berlin Chemie A. Menarini, C‑333/20, EU:C:2022:291, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40 Insoweit geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass die Kommission am eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Französische Republik richtete, in der sie geltend machte, dass die Praxis, Zölle auf Waren aus Drittländern nach Andorra zu verlangen, gegen das Unionsrecht verstoße. Mit Schreiben vom antworteten die französischen Behörden der Kommission, dass sie beschlossen hätten, der Aufforderung der Kommission nachzukommen und unter Berücksichtigung der Bestimmungen eines Abkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Drittland Andorra, das am habe in Kraft treten sollen, die Regelung für die Ausfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse nach Andorra vorzeitig abzuändern. Mit ministerieller Bekanntmachung vom beendeten die französischen Behörden diese Praxis in Bezug auf alle für Andorra bestimmten Waren aus Drittländern.

41 Sollte das vorlegende Gericht der Auffassung sein, dass aus diesen Ereignissen abgeleitet werden kann, dass die französischen Zollbehörden implizit, aber zwangsläufig festgestellt haben, dass die bei der Einfuhr von Waren aus Drittländern nach Andorra erhobenen Zölle rechtswidrig erhoben worden waren, wäre, da eine mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission als solche keine verbindlichen Rechtswirkungen entfaltet (vgl. u.a. Urteil vom , Kommission/Deutschland, C‑191/95, EU:C:1998:441, Rn. 44), davon auszugehen, dass die Zollbehörden diese Feststellung „selbst“ getroffen hätten, so dass sie, um Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 1430/79 nachzukommen, verpflichtet gewesen wären, die in Rede stehenden Zölle von Amts wegen zu erstatten, wenn diese innerhalb von drei Jahren vor der Feststellung erhoben wurden.

42 Sollte sich herausstellen, dass die französischen Zollbehörden für die Erstattung der in Rede stehenden Zölle zusätzliche Informationen wie die in Rn. 36 des vorliegenden Urteils genannten benötigten, die sich weder in ihrem Besitz befanden noch befinden konnten, wird das vorlegende Gericht zur Feststellung, ob die französischen Zollbehörden ihrer Verpflichtung aus Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 1430/79, die Erstattung von Amts wegen vorzunehmen, zu Unrecht nicht nachgekommen sind, zu prüfen haben, ob die französischen Zollbehörden nach ihrer Feststellung, dass die in Rede stehenden Zölle rechtswidrig erhoben worden waren, Maßnahmen ergriffen haben, die, ohne unverhältnismäßig zu sein, erforderlich und geeignet waren, um an diese Informationen zu gelangen. Insoweit ist jedoch – vorbehaltlich der Beurteilung durch das vorlegende Gericht – festzustellen, dass aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten nicht hervorgeht, dass solche Maßnahmen ergriffen wurden.

43 Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 1430/79 dahin auszulegen ist, dass die Verpflichtung einer nationalen Zollbehörde, Zölle von Amts wegen zu erstatten, davon abhängt, dass diese Behörde vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach der buchmäßigen Erfassung dieser Zölle selbst festgestellt hat, dass diese Zölle rechtsgrundlos erhoben worden waren, wobei diese Feststellung impliziert, dass die Zollbehörde Kenntnis von der Identität der Personen, die die Zölle entrichtet haben, und von dem an jeden Einzelnen von ihnen zu erstattenden Betrag hat. Verfügt die nationale Zollbehörde nicht über alle Informationen, die erforderlich sind, um eine solche Erstattung an die Person, die die rechtsgrundlos erhobenen Zölle entrichtet hat, oder an die Personen, die in deren Rechte und Pflichten eingetreten sind, vorzunehmen, und konnte sie nicht über diese Informationen verfügen, so hat sie, um ihrer Erstattungspflicht nachzukommen, die Maßnahmen zu ergreifen, die, ohne unverhältnismäßig zu sein, erforderlich und geeignet sind, um an diese Informationen zu gelangen und die Erstattung vorzunehmen.

Kosten

44 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 des Rates vom über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 3069/86 des Rates vom

ist dahin auszulegen, dass

die Verpflichtung einer nationalen Zollbehörde, Zölle von Amts wegen zu erstatten, davon abhängt, dass diese Behörde vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach der buchmäßigen Erfassung dieser Zölle selbst festgestellt hat, dass diese Zölle rechtsgrundlos erhoben worden waren, wobei diese Feststellung impliziert, dass die Zollbehörde Kenntnis von der Identität der Personen, die die Zölle entrichtet haben, und von dem an jeden Einzelnen von ihnen zu erstattenden Betrag hat. Verfügt die nationale Zollbehörde nicht über alle Informationen, die erforderlich sind, um eine solche Erstattung an die Person, die die rechtsgrundlos erhobenen Zölle entrichtet hat, oder an die Personen, die in deren Rechte und Pflichten eingetreten sind, vorzunehmen, und konnte sie nicht über diese Informationen verfügen, so hat sie, um ihrer Erstattungspflicht nachzukommen, die Maßnahmen zu ergreifen, die, ohne unverhältnismäßig zu sein, erforderlich und geeignet sind, um an diese Informationen zu gelangen und die Erstattung vorzunehmen.

ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2025:611

Fundstelle(n):
AAAAJ-97068