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BVerwG Beschluss v. - 2 WDB 1.24

Instanzenzug: Truppendienstgericht Süd Az: S 2 DsL 01/24 Beschluss

Tatbestand

1Die Beschwerde betrifft die Ablehnung einer Durchsuchungsanordnung.

21. Der Soldat ist Oberstleutnant. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft beantragte am beim Truppendienstgericht Süd eine Durchsuchung und Beschlagnahme bei dem Soldaten. Die Durchsuchung solle sich auf den Soldaten, seine persönlichen Sachen, sein Fahrzeug, seinen Spind und das Wertfach sowie seine elektronischen Datenträger und EDV-Anlagen erstrecken. Dem Soldaten wird vorgeworfen, nicht für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten. Der Verdacht bestehe aufgrund eines Schreibens des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) vom . Dieser Erkenntnisbericht ist dem Antrag beigefügt und enthält insgesamt 24 Posts, die dem öffentlichen Facebook-Profil des Soldaten entnommen und mit Bewertungen des BAMAD versehen sind. Diese Posts begründen nach Ansicht des BAMAD den Verdacht der Beteiligung an bzw. Unterstützung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen. Durch die beantragte Durchsuchung soll insbesondere nachvollzogen werden können, ob der Soldat noch auf anderen sozialen Netzwerken vergleichbare Verlautbarungen getroffen, entsprechende Nachrichten an andere Nutzer, ggf. sogar Kameraden, versandt und sog. Memes, die dem Spektrum der "Neuen Rechten" zuzuordnen sind, auf seinem Handy gespeichert und in militärische Liegenschaften eingebracht hat.

32. Der Vorsitzende der 2. Kammer des Truppendienstgerichts Süd hat den Antrag mit Beschluss vom abgelehnt. Es bestehe auf Grundlage der mitgeteilten Tatsachen im Durchsuchungsantrag kein zureichender Verdacht für das vorgeworfene Dienstvergehen. Der Inhalt des Erkenntnisberichts des BAMAD vom dürfe nicht als Verdachtsquelle herangezogen werden, da ein Beweisverwertungsverbot bestehe. Denn die Voraussetzungen einer Datenübermittlung nach § 11 Satz 1 MADG hätten nicht vorgelegen. Im Ergebnis wäre der Antrag aber auch dann als unzulässig abzulehnen gewesen, wenn die Informationsübermittlung seitens des BAMAD als rechtmäßig betrachtet würde. Denn aus den Vorhaltungen könne eine Verletzung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht angenommen werden. Der Soldat habe sich zwar, zum Teil sehr, (insbesondere regierungs-)kritisch geäußert, aber noch in den Grenzen der grundgesetzlichen Meinungsäußerungsfreiheit bewegt.

43. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft hat gegen den ablehnenden Beschluss am Beschwerde erhoben. Der Erkenntnisbericht sei verwertbar. Der Soldat habe durch das Veröffentlichen der 24 Facebook-Beiträge zumindest den Eindruck erweckt, die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes nicht anzuerkennen und nicht für sie einzutreten. Es stehe außerdem zu befürchten, dass er unterstellte Kameradinnen und Kameraden in seinem Sinne zu beeinflussen versuche.

54. Der Vorsitzende der Truppendienstkammer hat der Beschwerde mit Verfügung vom nicht abgeholfen und sie dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Die Bundeswehrdisziplinaranwaltschaft teilt den Standpunkt, dass der Erkenntnisbericht keinem Beweisverwertungsverbot unterliegt. Es handele sich um ein sekundäres Beweismittel in Form eines Behördenzeugnisses, dem indizielle Wirkung zukomme. Es bestünden auch eine berechtigte Auffindevermutung und der Verdacht eines Dienstvergehens. Der Soldat schließt sich der Ansicht des Vorsitzenden der Truppendienstkammer an und verweist darauf, dass ihm bei der nunmehr erfolgten Einleitung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens vom kein Verstoß gegen § 8 SG mehr vorgeworfen werde.

Gründe

6Die nach § 114 WDO zulässige Beschwerde ist unbegründet.

71. Nach § 20 Abs. 1 WDO ist Voraussetzung für den Erlass einer Durchsuchungsanordnung der Verdacht eines Dienstvergehens. Zwar genügt dabei der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass ein Dienstvergehen begangen wurde und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt, ohne dass es eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf (vgl. - juris Rn. 11 m. w. N.). Eine Durchsuchung darf aber nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Anfangsverdachts erst erforderlich sind (vgl. 2 WDB 12.21 - BVerwGE 175, 1 Rn. 49). Das Gewicht des mit einer Durchsuchung verbundenen Grundrechtseingriffs verlangt zudem ein angemessenes Verhältnis zur Schwere des vorgeworfenen Dienstvergehens und der Stärke des Tatverdachts (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 2 WDB 12.21 - juris Rn. 55, vom - 2 WDB 11.21 - NVwZ-RR 2022, 995 Rn. 38 und vom - 2 WDB 8.22 - juris Rn. 28).

8Vorliegend lagen in Bezug auf das von der Wehrdisziplinaranwaltschaft angenommene Dienstvergehen der Verletzung der Verfassungstreuepflicht aus § 8 SG lediglich vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen vor (2). Für die Verletzung der Pflicht zur Zurückhaltung aus § 10 Abs. 6 SG bei außerdienstlichen Äußerungen gab es zwar konkrete Anhaltspunkte (3). Zum Nachweis dieses Dienstvergehens bedurfte es jedoch keiner Durchsuchung, weil die entsprechenden Posts auf dem Facebook-Profil des Soldaten veröffentlicht sind.

92. § 8 SG verlangt von Soldatinnen und Soldaten, die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes anzuerkennen und durch ihr gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung einzutreten.

10a) Der Begriff "freiheitliche demokratische Grundordnung" hat denselben Inhalt wie in Art. 21 Abs. 2 und 3 GG (dazu - BVerfGE 144, 20 Rn. 530 ff. und vom - 2 BvB 1/19 - NJW 2024, 645 Rn. 247 ff.). Daraus folgt eine Konzentration auf wenige zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Dazu zählen die Würde des Menschen, das Demokratieprinzip und der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit (vgl. 2 WD 25.20 - NVwZ 2022, 1133 Rn. 28).

11§ 8 SG begrenzt in verfassungsrechtlich zulässiger Weise die Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ( - juris Rn. 14). Meinungsäußerungen stellen dabei keinen Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht dar, solange sie sich darin erschöpfen, im Vertrauen auf die Überzeugungskraft des Arguments Kritik an bestehenden Zuständen zu üben oder rechtliche Regelungen in dem dafür rechtlich vorgesehenen Verfahren zu ändern. Denn weder der Staat noch die Gesellschaft haben ein Interesse an unkritischen Beamten und Soldaten (vgl. - BVerfGE 39, 334 <347>). Dagegen stellen Agitationen, die die freiheitliche demokratische Grundordnung herabsetzen, verfassungsrechtliche Wertentscheidungen und Institutionen diffamieren und zum Bruch geltender Gesetze auffordern - mithin nicht den Staat und seine Staatsorgane lediglich kritisieren, sondern deren Legitimität in Frage stellen - einen Verstoß gegen die politische Verfassungstreuepflicht dar (vgl. - BVerfGE 39, 334 <351>). Nicht hingegen verlangt § 8 SG, sich mit den Zielen oder einer bestimmten Politik der jeweiligen Bundesregierung oder der im Bundestag vertretenen Parteien zu identifizieren und sie zu unterstützen (vgl. 2 WD 10.21 - NVwZ 2023, 91 Rn. 19 und Beschluss vom - 2 WDB 10.23 - NVwZ-RR 2024, 553 <555>; - BVerfGE 39, 334 <347 f.>).

12b) Nach diesen Maßstäben lagen mit den in dem Erkenntnisbericht aufgeführten Äußerungen des Soldaten, die durch eine rechtmäßig offene Datenerhebung durch die Ermittler des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst dem Facebook-Auftritt des Soldaten entnommen wurden und an die Wehrdisziplinaranwaltschaft weitergeleitet werden durften (vgl. 2 WD 13.23 - juris Rn. 39 ff.), keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Verletzung seiner Pflicht zur Verfassungstreue vor. Bei der disziplinarrechtlichen Würdigung derartiger Äußerungen in Wort, Schrift oder Bild ist von ihrem objektiven Erklärungsgehalt auszugehen, wie ihn ein unbefangener Dritter verstehen muss. Dabei sind alle Begleitumstände einschließlich des Kontextes und der sprachlichen und gesellschaftlichen Ebene, auf der sich die Bekundung bewegt, zu berücksichtigen. Maßgeblich für die Deutung ist nicht die subjektive Absicht des Soldaten, sondern der Sinn, den die Bekundung objektiv nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Dritten hat (vgl. 2 WD 11.22 - BVerwGE 179, 118 Rn. 25 m. w. N. und Beschluss vom - 2 WDB 10.23 - NVwZ-RR 2024, 553 Rn. 35 m. w. N.). Gegen diesen Grundsatz wird verstoßen, wenn Teilen einer Meinungsäußerung eine bei hinreichender Beachtung des Zusammenhangs nicht mehr verständliche, verschärfende und damit überzogene Deutung gegeben und sie in dieser Deutung einer disziplinarrechtlichen Würdigung und Ahndung unterworfen wird ( 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 31 f.; - NJW 1992, 2750 <2751>).

13Dafür, dass der Soldat die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht anerkennen und nicht für die Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eintreten würde, bieten dessen Veröffentlichungen auf Facebook lediglich vage Anhaltspunkte, die über bloße Vermutungen nicht hinausgehen. In tatsächlicher Hinsicht hat der Soldat nicht bestritten, die im Erkenntnisbericht aufgelisteten Facebook-Posts veröffentlicht zu haben. Inhaltlich geht es darin um eigene oder fremde Stellungnahmen zum Ukraine-Krieg und zur NATO (c), zum Vorgehen der Verfassungsschutzbehörden (d), zur Corona-Politik der Bundesregierung (e), zu allgemeinpolitischen Fragen (f) und zu diversen, zumeist tagesaktuellen Themen (g). Bei Durchsicht der geteilten Posts entsteht insgesamt der Eindruck eines russlandfreundlichen, USA- und NATO-skeptischen Soldaten, der die COVID-19-Maßnahmen der Bundesregierung kritisch sieht und Verschwörungstheorien teilweise ernst nimmt. Verfassungsfeindliches Gedankengut wird aber nicht verbreitet und die demokratische Legitimation der Bundesregierung und anderer staatlicher Repräsentanten wird nicht in Zweifel gezogen oder durch Diffamierungen untergraben.

14Dies gilt auch für die vom Soldaten geteilten Beiträge anderer Autoren. Ob der Soldat sich mit der Verbreitung dieser fremden Äußerungen deren Aussagen zu eigen gemacht hat, ist eine Frage des Einzelfalls. Bei einer solchen Schlussfolgerung ist vor dem Hintergrund der von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungsfreiheit Zurückhaltung geboten ( 2 WDB 16.21 - juris Rn. 47 m. w. N.). Vor allem kann allein aus dem Teilen fremder Beiträge nicht darauf geschlossen werden, dass sich der Soldat nicht nur die in dem Beitrag vertretene Position, sondern auch andere Meinungen und politische Grundeinstellungen der jeweiligen Autoren zu eigen macht.

15c) Im Einzelnen beschäftigen sich die im Erkenntnisbericht aufgelisteten Beiträge (1) bis (5) mit dem Ukraine-Krieg sowie der Rolle der USA und der NATO. Allerdings werden diese Äußerungen nicht in ihrem Kontext dargestellt, teilweise nur in Auszügen und durchgehend ohne Datum wiedergegeben, was eine inhaltliche und zeitliche Einordnung gravierend erschwert. Soweit die bei der Auslegung gebotene Berücksichtigung aller Begleitumstände einschließlich des Kontextes und der sprachlichen und gesellschaftlichen Ebene, auf der sich die Bekundung bewegt, daher nur eingeschränkt bis überhaupt nicht möglich ist, dürfen hieraus keine Nachteile für den Soldaten erwachsen (vgl. 2 WD 26.05 - juris Rn. 62).

16In den Beiträgen (1) und (2) kritisiert der Autor aus Sicht eines objektiven Lesers das Vorgehen der NATO und USA bei militärischen Konflikten und bemängelt eine aus seiner Sicht nichtneutrale Berichterstattung der deutschen Medien. Er hält der NATO in den Posts (2) und (4) sinngemäß vor, durch die Unterstützung prowestlicher Kräfte ihren Machtbereich - entgegen früheren Versprechen - nach Osten ausdehnen zu wollen. Demgegenüber wird der russische Präsident Putin in Beitrag (5) positiv dargestellt als demokratisch gewählter Staatsmann und Kämpfer gegen rechts, der lediglich die Ausdehnung der NATO nach Osten verhindern wolle. Dies kommt insbesondere in dem vom Soldaten - wohl unkommentiert - geteilten Beitrag (3) eines weißrussischen Autors auf der Plattform "Russische Nachrichten" zum Ausdruck. Darin bezeichnet der Weißrusse den Krieg gegen die Ukraine als "richtig", weil der Krieg nicht gegen die ukrainische Bevölkerung, sondern gegen das dortige Regime geführt werde. Aus dem Teilen dieses Beitrags lässt sich aus Sicht eines objektiven Empfängers zwar ableiten, dass der Soldat der darin vertretenen Meinung jedenfalls nicht verständnislos gegenübersteht. Die Annahme ist jedoch nicht zwingend, dass der Soldat damit den Angriffskrieg gegen die Ukraine und den damit verbundenen Bruch des völkerrechtlichen Gewaltverbots nach Art. 2 Nr. 4 VN-Charta durch Russland billigt. Mit Blick auf die weiteren Beiträge des Soldaten ist vielmehr auch eine Deutung möglich, dass er den Krieg machtpolitisch für erwartbar und bei einer stärkeren Zurückhaltung des Westens und Deutschlands für vermeidbar hielt. Auch wenn in diesen außenpolitischen Posts eine erhebliche Offenheit für Narrative der Russischen Föderation erkennbar ist, geht es inhaltlich letztlich nur um die Verbreitung einer außenpolitischen Meinung, die mit der Politik der Bundesregierung nicht konformgeht. Gegen die in § 8 SG geforderte Verfassungs- und Staatstreue verstößt dies nicht.

17Der am von dem Soldaten geteilte und kommentierte Beitrag (16) von "Der Infoblog" lässt objektiv ebenfalls eine Offenheit des Soldaten für NATO-kritische Aussagen erkennen. Darin wird unter der Überschrift "Bundespressekonferenz: Wieso gilt noch immer US-Besatzungsrecht in Deutschland?" der Inhalt eines Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags vom Juni 2006 stark verkürzt wiedergegeben. Durch das Zitat, dass Besatzungsrechte der Westalliierten in drei großen Bereichen weiter gültig seien, wird der Eindruck einer nach wie vor fehlenden Souveränität der Bundesrepublik Deutschland erweckt. Denn es wird ausgelassen, dass es bei diesen drei Bereichen lediglich um frühere alliierte Kriegsmaßnahmen, Reparationsforderungen und Besatzungsmaßnahmen (Rechtskraft, Klageausschluss etc.) geht und dass nach dem Gutachten die aktuelle Souveränität Deutschlands dadurch nicht eingeschränkt wird. Der Kommentar des Soldaten, "bekannt" und sein Verweis auf unangemeldete alliierte Truppenbewegungen und Verlegungen, legen die Annahme nahe, dass er aufgrund der in dem Blog-Beitrag enthaltenen Verkürzungen zu Unrecht von einer eingeschränkten Souveränität ausgegangen ist und die Ergebnisse des Gutachtens falsch verstanden hat. Hieraus lässt sich aber für eine fehlende Verfassungs- und Staatstreue nichts herleiten.

18Der am von dem Soldaten geteilte Beitrag (17) lässt aus objektiver Sicht ebenfalls eine NATO-kritische und prorussische Haltung erkennen. Darin wird ein Cartoon des Online-Mediums "ANTI-Spiegel" geteilt, in dem Panzer mit verballhornten Namen Deutscher Medien nach Osten rollen. In der Schlagzeile werden einer "Zeit"-Kolumne "Verdrehungen und Lügen" über die russische Bedrohung vorgeworfen. Der Soldat hat als Kommentar einen nachdenklichen Smiley angebracht und damit offengelassen, ob ihn dieser Artikel nur zum Nachdenken gebracht hat oder ob er ihm folgt. Unabhängig davon wäre eine Kritik an der Richtigkeit der in der "Zeit"-Kolumne genannten Zahlen über die Stärke der russischen Armee und deren Aufrüstung nicht geeignet, den Vorwurf fehlender Verfassungs- und Staatstreue zu begründen. Dass das Online-Magazin "ANTI-Spiegel" vom BAMAD als Kreml-treuer Verbreiter von Desinformationen, Verschwörungstheorien und russischer Propaganda gekennzeichnet wird, ändert daran nichts.

19d) In den Beiträgen (7) und (8), deren Datierung und Zusammenhang aus dem Erkenntnisbericht nicht hervorgehen, kritisiert der Verfasser objektiv erkennbar und in zulässiger Weise die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden und die "verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" als neue Beobachtungskategorie. Er kritisiert die Schwammigkeit des Begriffs, die zur Überwachung nicht eindeutig verfassungswidriger, aber unerwünschter Kritiker instrumentalisiert werde. Dabei greift der Soldat zwar Begriffe der bei Impfgegnern verbreiteten Verschwörungstheorie vom Deep State ("Staat im Staat") auf und formuliert "Der Staat im Staat will Allmacht". Über eine insgesamt eher abstrakt-theoretische Politikbetrachtung geht der Beitrag des Soldaten jedoch nicht hinaus. Der Beitrag billigt weder einen "Staat im Staat" noch zweifelt er die demokratische Legitimation der Bundesregierung an oder enthält gar einen Aufruf zum Umsturz. Das bloße Haben der in diesen Beiträgen zum Ausdruck kommenden Überzeugung und die Mitteilung des Soldaten, dass er sie hat, stellt noch keine Verletzung der Verfassungstreuepflicht dar (vgl. - BVerfGE 39, 334 <350 f.> Rn. 45).

20e) Die von Juli 2020 bis November 2021 veröffentlichten Beiträge (9), (18) bis (20), (22) und (24) sind aus Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Dritten als teils kritische, teils polemische Meinungskundgaben zu politischen Entscheidungen im Rahmen der COVID-19-Pandemie zu werten. Sie enthalten aber keine Verletzung der Verfassungstreuepflicht des § 8 SG.

21Die von dem Soldaten am 20. Januar (vermutlich des Jahres 2021) gepostete Collage (9) stellt ein Foto eines Aufzugs gegen die Corona-Politik der Bundesregierung im Jahr 2020 neben ein Demonstrationsbild der friedlichen Revolution von 1989. Die Kommentierung dieses Bildes durch den Soldaten mit drei sich in ihrem Lachen steigernden Smileys lässt sich ohne weitergehenden Kontext nicht klar einordnen. Die Smileys können sowohl bedeuten, dass der Soldat die Demonstration gegen die Corona-Politik für genauso erfreulich hält wie die Demonstration gegen die ehemalige DDR. Sie können aber auch so verstanden werden, dass er diesen Vergleich lächerlich findet. Beide Deutungen bieten jedenfalls keine Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Gesinnung.

22Soweit der Soldat in dem Beitrag (18) ohne Kommentar ein Video mit dem Titel "Corona 104 - Die Pandemie, die keine war" eingestellt hat, kann offenbleiben, ob der Soldat - wie das BAMAD schreibt - damit öffentlichkeitswirksam die COVID-19-Pandemie geleugnet hat. Denn die Leugnung der Gefährlichkeit des SARS-CoV-2-Virus im Rahmen einer privaten Meinungsäußerung stellt für sich genommen keine Verletzung der Verfassungstreuepflicht dar.

23Auch das Teilen des Beitrags (19) "Dr. C. K. über fatale Corona-Experimente" lässt zwar objektiv auf eine ausgeprägte Skepsis gegenüber den COVID-19-Schutzmaßnahmen schließen. Auch führt der ausdrückliche Hinweis des Soldaten in seinem Post vom auf die letzte Minute des Beitrags, in der ein Bestattungsunternehmer über zu wenig Aufträge klagt, zu der Annahme, dass der Soldat für COVID-19 verharmlosende Darstellungen empfänglich gewesen ist. Hingegen berechtigt der weitere Umstand, dass dieser Beitrag auf "RT Deutsch" verbreitet worden ist und dass es sich hierbei nach den Erkenntnissen des BAMAD um einen russischen Propagandakanal handelt, nicht zu der Annahme, dass der Soldat verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt. Denn in dem Beitrag geht es thematisch nur um COVID-19-Fragen.

24Ein konkreter Verdacht auf fehlende Staats- und Verfassungstreue ergibt sich auch nicht daraus, dass der Soldat am ein YouTube-Interview mit Dr. F. P. (20) geteilt hat. Darin erklärt dieser Mediziner, aufgrund seiner kritischen Haltung zur COVID-19-Politik von seinem Posten als Gesundheitsamtschef abgelöst worden zu sein. Dem hat der Soldat den Kommentar "DDR 2.0" beigefügt. Daraus geht zwar objektiv hervor, dass der Soldat die, wie es in der Überschrift dieses Videos heißt, "Strafversetzung" des Gesundheitsamtschefs für verfehlt hält und mit dem DDR-Vergleich polemisch überspitzt kritisiert. Dass der Soldat damit insgesamt die Politik der Bundesregierung - wie das BAMAD meint - mit der Willkürherrschaft der DDR gleichsetzt, folgt hieraus jedoch nicht.

25Auch das am erfolgte Teilen eines Beitrags des Dresdner AfD-Politikers G. (22) spiegelt objektiv betrachtet nur die ablehnende Haltung des Soldaten gegenüber den Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie wieder. Der Post besteht aus einem Cartoon mit einem Redner, der - ähnlich wie Goebbels im Sportpalast - von einem hohen Podest aus an eine Menschenmenge die Frage stellt, ob sie einen totalen und radikalen Lockdown will, und die Menschenmenge ruft "JAAAAAA!". Dass diese Karikatur eine Parallele zwischen der damaligen Bundesregierung und dem NS-Regime herstellt, ist schon deswegen nicht naheliegend, weil der Redner optisch keinem Mitglied der Bundesregierung ähnelt. Vielmehr kann der Vergleich mit der Sportpalastrede als Kritik an der Bevölkerung verstanden werden, die den Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie - aus Sicht von vielen Skeptikern - in ihrer überwiegenden Mehrheit "blind" folgt. Ein Verständnis des Cartoons, dass das Volk zum Nachdenken über die Folgen eines Lockdowns aufrütteln will, ist jedenfalls nicht auszuschließen und zu Gunsten des Soldaten zugrunde zu legen.

26Der am von dem Soldaten geteilte Beitrag der Partei "Die Basis" (24) lässt ebenfalls kein mangelndes Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung erkennen. Es handelt sich auch hier wieder um einen Cartoon, mit zwei Menschen, die durch eine große Spritze und eine angedeutete Mauer getrennt sind. Der Kommentar des Soldaten "Was sagt der Prof. da? Unglaublich. Bestimmt ein Verschwörer, Querdenker und Schwurbler!!!" lässt sich objektiv nur als ironische Replik zu der allgemeinen Kritik an Corona-Leugnern verstehen. Auch wenn es in der Partei "Die Basis", wie das BAMAD vorträgt, Parteifunktionäre mit rechtsextremistischer Tendenz gibt, ist das Teilen des vorliegenden Beitrags nicht als Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen zu werten und vermittelt auch nicht den Eindruck einer hohen Identifikation mit derartigem Gedankengut. Vielmehr bringt der Kommentar des Soldaten objektiv lediglich seine Kritik daran zum Ausdruck, dass Personen, die den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie skeptisch gegenüberstehen, vorschnell dem Spektrum der Verschwörer und Querdenker zugeordnet würden.

27f) Eine verfassungswidrige Haltung ist auch den eher allgemeinpolitischen und gesellschaftskritischen Beiträgen nicht eindeutig zu entnehmen.

28In Beitrag (6) wendet sich der Autor gegen die pauschale Verurteilung von Personengruppen (Juden, Russen, Grüne, etc.) in den Medien. Dies kommt in der überspitzten Bemerkung zum Ausdruck, dass sie schon zu "Menschenfressern mutierten". Der Post endet mit der Frage, warum Engländer und Franzosen nicht ebenfalls verurteilt werden, obwohl sie Hitler 1939 den Krieg erklärt hätten. Wäre die Frage ernst gemeint, könnte man sie als Leugnung der Kriegsschuld Deutschlands auffassen. Aufgrund des Kontextes liegt aber die Annahme näher, dass die eher verblüffende Frage nicht ernst, sondern ironisch gemeint ist. Die pauschale Verurteilung von Großbritannien und Frankreich wäre angesichts der Kriegsschuld Deutschlands offensichtlich haltlos. Der Zweck der Frage besteht vermutlich darin, die pauschale Verurteilung der anderen Gruppen (Juden, Russen etc.) als ebenso haltlos und unsinnig darzustellen. Da zu dem Post (6) keine weiteren Begleitumstände bekannt sind, kann jedenfalls die dem Soldaten nachteilige Auslegung im Sinne einer Kriegsschuldleugnung der disziplinarischen Würdigung nicht zugrunde gelegt werden.

29Im Beitrag (10) vom formuliert der Soldat: "Rote Linien - auch das gab es schon einmal: 'Wollt ihr den totalen ...'." Welchen Sinn die Anspielung auf die von Goebbels 1943 gestellte Frage nach dem totalen Krieg hat, erschließt sich allerdings nicht. In dem Erkenntnisbericht fehlt es zu diesem Beitrag an jeglichem Sachzusammenhang. Denkbar ist, dass der Soldat das Aufstellen roter Linien für vergleichbar unsinnig hält wie den Aufruf zum totalen Krieg. Jedenfalls kann aus dem Post kein Schluss auf eine Verletzung des § 8 SG gezogen werden.

30Der am vom Soldaten geteilte Beitrag von R. A. D. alias "Der ...philosoph" (11) kann objektiv auch nicht als Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen angesehen werden. Dass darin von dem Verfasser diagnostizierte Erwachen des Vierten Reichs (womit wohl ein Wiederaufleben des Dritten Reichs gemeint ist) wird im Text erkennbar nicht befürwortet. Es wird bedauert, dass trotz der Ähnlichkeit der historischen Prozesse dies nicht angesprochen werden könne und dass ein "Wehret den Anfängen" nicht mehr so gut funktioniere. Es bleibt aber in diesem eher resignativ wirkenden Text unausgesprochen, worin die Anzeichen für das Erwachen des "Vierten Reichs" gesehen werden und ob damit überhaupt eine Gegenwartsanalyse ausgedrückt oder nur eine Zukunftsangst formuliert wird. Da außer einem Foto des Soldaten mit einer wolkenverhangenen Sonnenuntergangszene keine weiteren Begleitumstände zur Erläuterung des Posts zur Verfügung stehen, bleibt der Sinngehalt der Reflexion vage. Dass der Post am , dem Tag der Bekanntgabe der Impfpflicht für Soldatinnen und Soldaten veröffentlicht worden ist, lässt auch keine eindeutigen Rückschlüsse zu, da dieses Thema im Text nicht angesprochen wird.

31Gleiches gilt für den Beitrag (13) vom , der vom BAMAD nur sehr gekürzt wiedergegeben ist und sich darum nicht klar in einen Zusammenhang einordnen lässt. Darin teilt der Soldat ein Bild mit einem Stern, Hammer und Sichel sowie den Anfang eines Artikels aus "RUBIKON.NEWS", der sich mit einem denkbaren großen Krieg und der Rolle ausländischer Militärba(sen?) befasst. Der Soldat kommentiert, dass das Risiko dieser "mörderischen Installationen" nicht angemessen thematisiert werde und dass es relativ einfach aus der Welt zu schaffen sei, wenn etwa die neue Sammlungsbewegung "#aufstehen" den erforderlichen politischen Druck entfalten würde. Mit dieser Bewegung wollte die Politikerin Sahra Wagenknecht nach eigener Aussage parteiübergreifend für "eine friedliche Außenpolitik und mehr soziale Gerechtigkeit" werben. Dabei sprach sie sich für einen Frieden durch Abrüstung aus, was vom Soldaten anscheinend in seinem Kommentar - wohl auch mit der Folge des Abbaus ausländischer Militärbasen - begrüßt wird. Der Kommentar geht damit über eine zulässige Meinungsäußerung nicht hinaus. Daran ändert es nichts, dass RUBIKON nach Bewertung des BAMAD ein Online Magazin ist, das Desinformationen über den COVID-19-Virus und Verschwörungstheorien über den "Tiefen Staat" verbreitet hat. Denn es ist aus dem Beitrag des Soldaten nicht ersichtlich, dass er der Bundesregierung die demokratische Legitimation abspricht und damit gegen seine Pflicht aus § 8 SG verstößt.

32Ebenso enthält auch der Kommentar des Soldaten (21) vom zur Rede von Angela Merkel auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos keine Delegitimierung der Bundesregierung. Bei diesem Gipfel in Davos im Januar 2021 hatte die damalige Bundeskanzlerin angekündigt, dass sich mit Blick auf Klimaschutz und Digitalisierung die gesamte Art des Wirtschaftens und des Lebens, wie wir es gewöhnt sind, in den nächsten 30 Jahren grundlegend ändern werde. Der Kommentar des Soldaten "The Great Reset ... Dazu noch das gleichnamige Buch von Herren Schwab lesen ... Und dann mal kurz darüber Nachdenken was das zukünftig für uns heißen könnte", gibt dem keine eindeutig andere Wendung. Soweit das BAMAD darauf verweist, dass die auf dem Weltwirtschaftsforum verbreitete Idee vom großen Aufbruch von Verschwörungstheoretikern als Beleg für angebliche Weltherrschaftspläne einer mächtigen finanziellen und politischen Elite ausgewertet und in Neu-Rechten-Kreisen mit der Erzählung des Großen Austauschs verknüpft worden sei, kommt dies in der Bemerkung des Soldaten nicht zum Ausdruck. Denn er empfiehlt die Lektüre des vom Gründer des Weltwirtschaftsforums Klaus Schwab geschriebenen Buchs "The Great Reset" zum Darüber-Nachdenken und nimmt nicht erkennbar Stellung für Verschwörungstheorien oder völkische Denkmuster.

33Auch in dem vom Soldaten am geteilten Beitrag von B. R. "Antidiegrünen ist ProDeutschland" (23) lässt sich entgegen der Bewertung des BAMAD für einen objektiven Dritten keine Gleichsetzung der gegenwärtigen Regierungsform mit einem totalitären Regime erkennen. In dem Post führt der Journalist R. aus, dass totalitäre Regime Menschen mit anderer Meinung als Gefahr darstellen, um sie mundtot zu machen. Der Soldat kommentiert dies mit den Worten, dass dies auch die Taktik der "#Grünen" sei. Da sie über keine folgerichtige Argumentationskette verfügten, bliebe ihnen nur die Diffamierung. Aus Sicht eines objektiven Lesers liegt es nahe, das Teilen dieser Aussage und den Kommentar schlicht als Kritik an der Partei Bündnis 90/Die Grünen zu begreifen, die zu dieser Zeit - - noch nicht Teil der Bundesregierung war. Es herrschte vielmehr bereits Wahlkampf zu der Bundestagswahl vom . Auch wenn man den Kommentar als polemisch ansehen kann, berührt die Kritik an einer bestimmten politischen Partei die Pflicht des Soldaten zur Verfassungs- und Staatstreue nicht.

34g) Schließlich lassen sich auch den vom Soldaten veröffentlichten Beiträgen zu tagesaktuellen Themen keine konkreten Anhaltspunkte für die Verletzung der Verfassungstreuepflicht aus § 8 SG entnehmen.

35Der vom Soldaten am geteilte Beitrag von "HeimatLiebe" (12) nimmt Bezug auf die Berichte über Ausschreitungen rechter Gruppen in Chemnitz. In der Nacht nach dem Chemnitzer Stadtfest entstand am ein Streit mehrerer Personen, bei dem ein deutscher Staatsangehöriger von einem syrischen Asylbewerber erstochen wurde. An den beiden Folgetagen kam es zu Protesten rechtsextremer Gruppen sowie zu ausländerfeindlichen und antisemitischen Ausschreitungen, die in den Medien aufgrund von Smartphone-Videos teilweise als Hetzjagden charakterisiert wurden. In dem vom Soldaten geteilten Video des in rechten Kreisen bekannten Youtuber K. wird dies mit den Worten bestritten: "So sieht eine Treibjagd in Chemnitz aus ... Während ein Dunkelhäutiger ein Interview an die Presse gibt, laufen an ihm die bösen Nazis vorbei". Der weitergeleitete Beitrag enthält keinen ablehnenden Kommentar des Soldaten. Daraus lässt sich für einen unbefangenen Leser entnehmen, dass der Soldat nicht daran glaubte, dass die in Bezug genommene Hetzjagd von Neonazis auf Migranten in Chemnitz stattgefunden hat - eine Haltung, die insbesondere im rechten Spektrum verbreitet war.

36Dass der Soldat etwa derartige Treibjagden auf Migranten befürwortet, lässt sich hieraus nicht folgern. § 8 SG wird zwar bereits verletzt, wenn ein Soldat sich nicht eindeutig von Bestrebungen distanziert, die diesen Staat und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren (vgl. 2 WD 7.20 - NVwZ-RR 2021, 770 Rn. 28). Ein Soldat darf daher auch nicht entgegen seiner inneren verfassungstreuen Gesinnung aus Solidarität zu Freunden, aus Übermut, aus Provokationsabsicht oder aus anderen Gründen nach außen hin verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützen und sich objektiv betrachtet illoyal verhalten (vgl. 2 WDB 5.23 - juris Rn. 48 m. w. N.). Im vorliegenden Fall hat der Soldat durch das Teilen des Beitrags aber lediglich zum Ausdruck gebracht, dass die ausländerfeindlichen Vorfälle bestritten werden und er sie für unwahrscheinlich hält. Soweit das BAMAD anmerkt, dass das Video aus einer Facebook-Gruppe des "neu Rechten"-Spektrums stamme, ändert dies nichts. Denn der Beitrag enthält kein fremdenfeindliches, rassistisches oder in anderer Weise verfassungsfeindliches Gedankengut. Mit dem Teilen eines Beitrages macht sich der Ersteller nicht per se das im Übrigen vorhandene Gedankengut der Person oder Gruppe zu eigen, die den Beitrag ursprünglich gepostet hat.

37Dem unkommentiert am vom Soldaten geteilten Beitrag (14) von "PI-NEWS.NET" lässt sich ebenfalls kein zureichender Verdacht eines Verstoßes gegen die Pflicht zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung entnehmen. In diesem Beitrag äußert sich die damalige Bundestagsabgeordnete V. H. (AfD) empört über eine Berliner Broschüre für Kita-Erzieher, in dem sie zu Nachforschungen und Interventionen bei Kindern aus rechten Elternhäusern aufgefordert werden. Soweit in der Nachrichtenüberschrift polemisch überspitzt von "Giffeys Schnüffel-Kita" die Rede ist, ändert dies nichts daran, dass die in dem Artikel geäußerte Kritik einen sachlichen Kern hat und dass es inhaltlich lediglich um eine umstrittene Empfehlung der Berliner Familiensenatorin geht. Dass die PI-NEWS nach Bewertung des BAMAD ein rechtsextremer Blog ist, der sich der Selbstbeschreibung nach gegen eine vermeintliche "Islamisierung Europas" richtet und vom Bundesverfassungsschutz 2021 als "erwiesen extremistisch" bewertet wird, ändert daran nichts. Denn der Soldat hat sich mit dem Teilen des Kita-Artikels objektiv betrachtet keine verfassungsfeindlichen Inhalte zu eigen gemacht.

38Im Beitrag (15) vom teilt der Soldat einen Text des ehemaligen Journalisten K. J. (...de) mit dem Titel "Tagesdosis - Die Unerträglichkeit des Andersdenkenden". Im Kommentar hebt der Soldat eine Aussage des Bremer AfD-Politikers F. M. für alle, denen der Text zu lang ist, einleitend hervor. Darin verwahrt sich M., der im Januar 2019 Opfer eines tätlichen Angriffs wurde, gegen Rassismusvorwürfe, weil seine Ehefrau türkischer und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter deutsch-kubanischer Abstammung sei. Bei ihm schlössen sich Weltoffenheit, Heimatliebe und Patriotismus nicht aus. Aus dem Zusammenhang mit dem vollständigen Artikel lässt sich schließen, dass der Soldat die dort vertretene Ansicht teilt, dass übertrieben gegen rechts gehetzt werde und Personen zu schnell als Nazis verurteilt würden. Soweit das BAMAD den Journalisten K. J. mit der Verbreitung von antisemitischen Narrativen und Verschwörungstheorien in Verbindung bringt, hat dies jedenfalls nichts mit dem konkret geteilten Beitrag zu tun und kann dem Soldaten darum nicht zugerechnet werden.

393. Aufgrund der im Durchsuchungsantrag mitgeteilten Tatsachen bzw. des Inhalts des Erkenntnisberichts, bestanden zwar zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die Pflicht zur Zurückhaltung bei Äußerungen nach § 10 Abs. 6 SG.

40a) § 10 Abs. 6 SG regelt eine besondere Pflicht der Vorgesetzten, die das Vertrauen der Soldaten benötigen, die sie führen. Um sich dieses Vertrauen zu erhalten, verlangt § 10 Abs. 6 SG von jedem Offizier und Unteroffizier innerhalb und außerhalb des Dienstes Zurückhaltung bei Meinungsäußerungen. Besonnenheit, Unvoreingenommenheit und ein sachliches, abgewogenes Urteil sind für einen Vorgesetzten unerlässlich, um seinen Untergebenen Vorbild sein zu können ( 2 WDB 24.77 - BVerwGE 63, 37 <38 f.>). Der Sinn der Vorschrift ist es regelmäßig nicht, bestimmte Meinungsäußerungen wegen ihres Inhalts zu verbieten. Den Vorgesetzten bleibt es unbenommen, ihre Meinung frei zu äußern. Sie müssen ihren Standpunkt aber zum Erhalt ihrer Autorität als Vorgesetzte besonnen, tolerant und sachlich vertreten ( - BVerfGE 28, 36 <47>; 2 WD 15.19 - BVerwGE 169, 66 Rn. 14).

41b) Nach diesen Maßstäben spricht nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen Überwiegendes dafür, dass der Soldat die Mäßigungspflicht des § 10 Abs. 6 SG durch mehrere unsachliche und zum Teil herabsetzende Äußerungen in seinem Facebook-Auftritt verletzt hat. Dies gilt für die Äußerungen in den Beiträgen (1), (4) und (8) des Erkenntnisberichts. Es verlässt die Ebene sachlicher Kritik und begibt sich auf die Ebene einer überzogenen Darstellung, wenn der Soldat in seinem Beitrag (1) ausführt, die NATO dürfe überfallen "wen und wann sie will" und US-Drohnen würden "weltweit tausende Unschuldige brutal ermorden". Ebenso verhält es sich mit der im Beitrag (4) der NATO unterstellten Denkweise "wir sind die Herrenmenschen, die sind nur Russen, [...] So dachte Hitler auch schon.". Dasselbe gilt für seine Ausführungen zur "verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates" (8), wenn er die Begründung des Verfassungsschutzes für diesen Beobachtungstatbestand mit den Worten kritisiert: "Ich kann das mal kurz anders formulieren: die tun eigentlich nichts schlimmes, stören aber die Politikschranzen. Wäre das so korrekt allgemeinverständlich übersetzt? Man könnte auch sagen: die sind unschuldig, man möchte sie aber trotzdem irgendwie verfolgen." Damit unterstellt der Soldat den Verfassungsschutzbehörden pauschal eine Verfolgung Unschuldiger und wertet Politiker unsachlich als überflüssige Wichtigtuer ab. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung dafür, dass der Soldat als Staatsdiener bei seiner öffentlichen Kritik an anderen Amtsträgern die nötige Besonnenheit vermissen ließ, ist bei summarischer Prüfung nicht erkennbar.

42c) Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss jedoch gerade die Zwangsmaßnahme der Durchsuchung zur Ermittlung und Verfolgung des Dienstvergehens erforderlich sein. Dies ist hier nicht der Fall, weil der Soldat die Äußerungen auf seinem Facebook-Account öffentlich gepostet hat und die Durchsuchung auch nicht zum Nachweis dieser Veröffentlichungen, sondern zur Ermittlung weiterer nicht greifbarer Verstöße gegen § 8 SG beantragt worden ist, für die kein ausreichender Auffindeverdacht besteht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 2 WDB 12.21 - BVerwGE 175, 1 Rn. 55, vom - 2 WDB 11.21 - NVwZ-RR 2022, 995 Rn. 38 und vom - 2 WDB 8.22 - juris Rn. 28).

434. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 2, § 140 Abs. 3 Satz 1 WDO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:050325B2WDB1.24.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-97049