Instanzenzug: OLG Celle Az: 9 U 93/22 Urteilvorgehend Az: 23 O 63/21
Gründe
1Die Voraussetzungen für die Verlegung des Verkündungstermins nach § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegen nicht vor.
21. Ein Termin kann gemäß § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt werden. Dies gilt auch für einen Verkündungstermin (, NZM 2020, 811 Rn. 10). Erheblich sind besonders gewichtige Umstände, die auch und gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erfordern (, NJW-RR 2024, 550 Rn. 14; Beschluss vom - I ZB 63/23, GRUR 2025, 686 Rn. 33; Urteil vom - II ZR 52/24, WM 2025, 620 Rn. 11; BVerfG, NJW 2021, 3384 Rn. 12). Die erheblichen Gründe für eine Terminsverlegung müssen mit dem Verlegungsantrag vorgetragen werden, damit sie in die Ermessensentscheidung des Gerichts einfließen können (, WM 2025, 620 Rn. 16).
32. Die von der Beklagten angeführten Gründe rechtfertigen eine Verlegung des Termins zur Verkündung einer Entscheidung am nicht. Es ist zur Gewährleistung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht geboten, es der Beklagten vor dem Abschluss des Revisionsverfahrens zu ermöglichen, auf einer außerordentlichen Hauptversammlung Beschlüsse über die Bestätigung der im vorliegenden Verfahren angegriffenen Beschlüsse gemäß § 244 Satz 1 AktG zu fassen. Die Beklagte könnte ihr Ziel, die noch zu fassenden Bestätigungsbeschlüsse als neuen Tatsachenvortrag im Revisionsverfahren einzuführen, um das Verfahrensergebnis zu ihren Gunsten zu beeinflussen, mit der Terminsverlegung nicht erreichen. Auch eine Aussicht auf die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 Abs. 1 ZPO nach Beschlüssen über die Bestätigung der hier angefochtenen Hauptversammlungsbeschlüsse rechtfertigt eine Terminsverlegung nicht.
4a) Ein während des Revisionsverfahrens gefasster Beschluss über die Bestätigung eines Hauptversammlungsbeschlusses kann allerdings im Einzelfall im Revisionsverfahren Berücksichtigung finden.
5aa) Die Vorschrift des § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO, nach der nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist, der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt, ist einschränkend dahin auszulegen, dass in bestimmtem Umfang auch Tatsachen, die erst während des Revisionsverfahrens oder nach Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz eingetreten sind, in die Urteilsfindung einfließen können, soweit sie unstreitig sind oder ihr Vorliegen in der Revisionsinstanz ohnehin von Amts wegen zu beachten ist und schützenswerte Belange der Gegenseite nicht entgegenstehen (, BGHZ 104, 215, 220 f.; Urteil vom - I ZR 19/19, VersR 2020, 229 Rn. 28;Beschluss vom - VI ZB 79/23, WM 2025, 863 Rn. 17).
6bb) Für einen während des Revisionsverfahrens gefassten Bestätigungsbeschluss gemäß § 244 Satz 1 AktG wird im Schrifttum überwiegend angenommen, dieser könne unter den genannten Voraussetzungen (BeckOGK AktG/Drescher, Stand , § 244 Rn. 54) oder gar unabhängig von diesen berücksichtigt werden, wenn die materiellen Wirkungen des Bestätigungsbeschlusses anderenfalls nicht mehr zur Geltung gebracht werden könnten und das Unterlassen einer früheren Bestätigung des Beschlusses für die Gesellschaft unvermeidbar gewesen sei, etwa weil kein Anlass zu einer vorsorglichen Beschlussbestätigung bestanden habe (Zöllner in Festschrift Beusch, 1993, S. 973, 981; Hüffer, ZGR 2012, 730, 748; Kocher, NZG 2006, 1, 6; KK-AktG/Noack/Zetzsche, 3. Aufl., § 244 Rn. 103; Koch, AktG, 19. Aufl., § 244 Rn. 10; MünchKommAktG/Schäfer/Diregger, 6. Aufl., § 244 Rn. 24; Schwab in K. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl., § 244 Rn. 20; Mimberg in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, 6. Aufl., Rn. 42.68). Dem wird entgegengehalten, es bedürfe keiner Korrektur etablierter Verfahrensgrundsätze, weil die Gesellschaft genügend Zeit habe, den von ihr selbst herbeigeführten Fehler vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren zu korrigieren. Im Übrigen bestünden schützenswerte Belange des Anfechtungsklägers, weil die Rechtmäßigkeit des Handelns der Gesellschaft nur durch das Urteil über den rechtswidrigen Ausgangsbeschluss hergestellt werden könne (Heidel/Heidel, AktG, 6. Aufl., § 244 Rn. 9; ebenso wohl Grigoleit/Ehmann, AktG, 2. Aufl. § 244 Rn. 10). Der erkennende Senat hat ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren gemäß § 148 ZPO wegen Vorgreiflichkeit der Entscheidung in einem Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit eines nach der letzten mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren gefassten Bestätigungsbeschlusses ausgesetzt (, nv; vgl. auch , ZIP 2006, 227 Rn. 4; Beschluss vom - II ZR 189/02, juris Rn. 1; zur Vorgreiflichkeit eines Bestätigungsbeschlusses vgl. auch , juris Rn. 1). An der darin zum Ausdruck kommenden Auffassung, dass der nach Abschluss der letzten Tatsacheninstanz gefasste Bestätigungsbeschluss im Einzelfall berücksichtigt werden kann, hält der Senat fest.
7b) Im vorliegenden Fall stünde der Berücksichtigung von (noch zu fassenden) Beschlüssen über die Bestätigung der hier angefochtenen Beschlüsse der Schluss der mündlichen Verhandlung im Revisionsverfahren entgegen.
8aa) Nach Schluss der mündlichen Verhandlung, Unter den Begriff der Angriffs- und Verteidigungsmittel fallen neue Tatsachenbehauptungen (Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 296a Rn. 9), mithin auch die Behauptung, ein Bestätigungsbeschluss habe dazu geführt, dass die Anfechtung gemäß § 244 Satz 1 AktG nicht mehr geltend gemacht werden könne (Zöllner in Festschrift Beusch, 1993, S. 973, 975; Schwab in K. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl., § 244 Rn. 17).
9bb) Etwas anderes folgt hier nicht aus § 296a Satz 2 i.V.m. § 156 ZPO. Die Voraussetzungen für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf den angekündigten Sachvortrag zu Beschlüssen über die Bestätigung der hier angefochtenen Beschlüsse lägen nicht vor.
10(1) Eine Pflicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ergäbe sich nicht aus § 156 Abs. 2 ZPO.
11(a) Ein entscheidungserheblicher und rügbarer Verfahrensfehler (§ 555 Abs. 1, § 295 ZPO), insbesondere eine Verletzung der Hinweis- und Aufklärungspflicht (§ 139 ZPO) oder eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) der Beklagten, werden nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.
12(aa) Nach allgemeinen Grundsätzen kann die in Vorinstanz siegreiche Partei darauf vertrauen, dass das Rechtsmittelgericht sie rechtzeitig gemäß § 139 Abs. 2 ZPO darauf hinweist, wenn es der Beurteilung der Vorinstanz nicht folgen will und auf Grund seiner abweichenden Ansicht eine Ergänzung des entscheidungserheblichen Vorbringens möglich erscheint (BGH, Beschluss vom19. September 2023 - XI ZR 58/23, NJW-RR 2023, 1614 Rn. 13; BVerfG, NJW 2015, 1746 Rn. 17). Trotz ihr günstiger vorinstanzlicher Entscheidung bedarf es allerdings keines gerichtlichen Hinweises an eine Partei, wenn zwischen den Parteien über einen Streitpunkt eine zentrale Auseinandersetzung geführt wird. Die in erster Instanz siegreiche Partei muss in diesem Fall damit rechnen, dass sich das Gericht der Ansicht des Prozessgegners anschließt (, NJW 2012, 3035 Rn. 7; Beschluss vom - VI ZR 377/14, NJW-RR 2017, 535).
13Ein frühzeitiger Hinweis gemäß § 139 Abs. 2 ZPO vor der mündlichen Verhandlung darauf, dass der Senat der Beurteilung der Vorinstanzen zur Verletzung von Informationspflichten nicht folgen wird, war nach diesen Grundsätzen nicht geboten. Die Revision hat gegen das Berufungsurteil in der Revisionsbegründung vom unter anderem eingewandt, die Angaben in der Einberufung zum Tagesordnungspunkt 11 entsprächen ungeachtet der Bezugnahme auf den weiteren Inhalt der Bekanntmachung nicht den Anforderungen aus § 121 Abs. 3 Satz 2 AktG, weil Gegenstand der Zustimmung unter Abweichung vom angekündigten Beschlussgegenstand der Verzicht auf Ansprüche gegen eine große Anzahl amtierender und ehemaliger Organmitglieder der Beklagten sei. Ebenfalls hat die Revision geltend gemacht, dass eine Informationspflichtverletzung im Hinblick darauf vorliege, dass unzureichende Informationen zu den Vermögensverhältnissen der ehemaligen Vorstände der Beklagten erteilt worden seien. Im Hinblick auf diese Revisionsrügen, die bereits im Berufungsverfahren gegen die der Beklagten günstige Würdigung des Landgerichts vorgebracht wurden, musste die Beklagte damit rechnen, dass diese zentralen Streitpunkte vom Revisionsgericht anders als von den Vorinstanzen zu Gunsten der Kläger beantwortet werden könnten.
14(bb) Unter Berücksichtigung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sind zur Wahrung der Möglichkeit, gemäß § 244 Satz 1 AktG Beschlüsse über die Bestätigung der hier angefochtenen Beschlüsse zu fassen, keine hiervon abweichenden Maßstäbe anzulegen. Im aktienrechtlichen Schrifttum wird allerdings geltend gemacht, es sei für die Gesellschaft im Einzelfall schwierig, das Vorliegen eines Beschlussmangels zu erkennen und im Hinblick darauf, dass die Gesellschaft nicht schon die Rüge des Beschlussmangels zum Anlass einer Nachbesserung nehme, ein Bedürfnis anzuerkennen, einen Bestätigungsbeschluss auch noch nach einer der Gesellschaft ungünstigen Entscheidung im Berufungsverfahren zu fassen (Zöllner in Festschrift Beusch, 1993, S. 973, 974). Im Hinblick darauf wird, auch unter Hinweis auf Art. 103 Abs. 1 GG, vertreten, das Verfahren müsse so gestaltet werden, dass ein Bestätigungsbeschluss noch zu materieller Erheblichkeit gebracht werden könne (Zöllner in Festschrift Beusch, 1993, S. 973, 981; Schwab in K. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl., § 244 Rn. 17).
15Diese Gründe rechtfertigen weder weitergehende Hinweispflichten noch einen Anspruch, das Revisionsverfahren so zu gestalten, dass für die Gesellschaft Gelegenheit besteht, einen Beschluss gemäß § 244 Satz 1 AktG erst noch zu fassen, bevor das Verfahren über den Anfechtungsanspruch rechtskräftig abgeschlossen ist. Die Gesellschaft soll mit einer Beschlussfassung nach § 244 Satz 1 AktG die durch die Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses hervorgerufene Ungewissheit über dessen Gültigkeit beseitigen und wirtschaftliche Nachteile abwenden können, wenn, etwa im Fall einer Kapitalerhöhung, ein Interesse besteht, den Mangel des ursprünglichen Beschlusses zu beseitigen, indem ihr ein an § 144 BGB angelehntes Instrument zur Verfügung gestellt wird (RegE eines Aktiengesetzes, BT-Drucks. IV/171, S. 201 f.). Dies zu Grunde gelegt besteht für die Gesellschaft mit der Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses Anlass, eigenverantwortlich zu prüfen, ob die durch die Anfechtung hervorgerufene Schwebelage, soweit möglich, durch einen Bestätigungsbeschluss beendet wird. § 244 Satz 1 AktG eröffnet damit zwar die Möglichkeit, durch den Beschluss auf den über den Ausgangsbeschluss anhängigen Anfechtungsrechtsstreit Einfluss zu nehmen, begründet aber keinen prozessualen Anspruch, die Entscheidung in diesem Rechtsstreit hinauszuschieben, bis die Hauptversammlung den angefochtenen Beschluss bestätigt hat.
16(b) Ein (noch zu fassender) Bestätigungsbeschluss wäre auch keine Tatsache, die einen Wiederaufnahmegrund nach § 580 Nr. 6, 7 ZPO bilden könnte (Zöllner in Festschrift Beusch, 1993, S. 973, 976; vgl. auch , ZIP 2013, 1691 Rn. 9).
17bb) Eine Wiedereröffnung käme im Falle einer Beschlussfassung auch nicht in Ausübung des gerichtlichen Ermessens gemäß § 156 Abs. 1 ZPO in Betracht.
18(1) Dabei ist anhand des konkreten Falls nach pflichtgemäßem Ermessen abzuwägen, welche Gründe für eine weitere Sachverhaltsaufklärung und welche Gründe für den sofortigen Abschluss des Rechtsstreits sprechen (, MDR 2016, 1111 Rn. 12). Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist nicht geboten, wenn diese ohne Verfahrensfehler geschlossen wurde und eine Partei entgegen § 296a ZPO neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel unzulässig nachreicht (BGH, Urteil vom7. Oktober 1992 - VIII ZR 199/91, NJW 1993, 134). Die Erheblichkeit des Vorbringens allein rechtfertigt die Wiedereröffnung nicht (, NJW 2006, 1589 Rn. 26). Dies gilt umso mehr, wenn eine Partei die Rechtslage innerhalb der Spruchfrist, zumal im Revisionsverfahren, zu ihren Gunsten ändert, weil hierdurch eine nicht vertretbare, mit dem Zweck des Verhandlungsschlusses nicht zu vereinbarende Rechtsunsicherheit darüber einträte, wie es mit dem Verfahren weitergeht (vgl. Stein/Roth, ZPO, 24. Aufl. § 156 Rn. 14; Dörr in Prütting/Gehrlein, ZPO, 16. Aufl., § 156 Rn. 2).
19Unter Berücksichtigung der von der Beklagten geltend gemachten Umstände lägen die Voraussetzungen für die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung danach nicht vor. Die von der Beklagten hervorgehobenen wirtschaftlichen Nachteile, die im Fall einer Nichtigerklärung der angefochtenen Beschlüsse drohen, genügen hierfür nicht. Dass die Beklagte unter Berücksichtigung der geltend gemachten Beschlussmängel nicht in der Lage oder ihr es nicht zumutbar gewesen wäre, bereits früher, und sei es auch nur vorsorglich, Beschlüsse über die Bestätigung der angefochtenen Hauptversammlungsbeschlüsse zu fassen, wird von der Beklagten nicht geltend gemacht und ist nach den Umständen auch nicht ersichtlich.
20c) Schließlich rechtfertigt auch die Möglichkeit einer Aussetzung des Verfahrens nach § 148 Abs. 1 ZPO die Verlegung des Verkündungstermins nicht. Ob die Aussetzung des Verfahrens noch eröffnet ist, nachdem die mündliche Verhandlung geschlossen wurde (bejahend für eine Aussetzung nach § 613 Abs. 2 ZPO aF , BGHZ 225, 51 Rn. 19; vgl. BeckOK ZPO/Bacher, Stand , § 296a Rn. 14), bedarf keiner Entscheidung. Die Aussetzung gemäß § 148 Abs. 1 ZPO wäre hier abzulehnen, weil die Bestätigungsbeschlüsse, wie oben dargelegt, aus prozessualen Gründen keine Bedeutung mehr erlangen könnten.
Born Bernau Grüneberg
Sander von Selle
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:280725BIIZR154.23.0
Fundstelle(n):
JAAAJ-97039