Suchen Barrierefrei
BGH Urteil v. - VIa ZR 467/21

Instanzenzug: Az: 22 U 53/21vorgehend Az: 18 O 272/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im September 2015 einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz E 220 BlueTec, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.

2Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarb von der Beklagten im Jahr 2015 einen gebrauchten Mercedes-Benz GLK 350 CDI 4M, der mit einem Motor der Baureihe OM 642 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Mit ihrer ursprünglich auch ein weiteres Fahrzeug betreffenden Klage, die in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben ist, verlangt sie im Wesentlichen so gestellt zu werden, als hätte sie das Fahrzeug nicht erworben. Die Klägerin hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des noch streitgegenständlichen Fahrzeugs (Berufungsantrag zu I), die Feststellung des Annahmeverzugs mit dieser Gegenleistung (Berufungsantrag zu II), die Zahlung von Schadensersatz bezüglich des weiteren Fahrzeugs (Berufungsantrag zu III) sowie die Zahlung außergerichtlicher Kosten (Berufungsantrag zu IV) begehrt. Mit ihrer vom Senat im tenorierten Umfang zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre zuletzt gestellten Berufungsanträge insoweit weiter.

Gründe

3Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Ein Anspruch nach §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Es fehle an einem objektiv sittenwidrigen Verhalten. Dabei könne unterstellt werden, dass es sich beim Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Die Klägerin habe keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Beklagte in dem Bewusstsein gehandelt habe, gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen, und den Verstoß billigend in Kauf genommen hätte. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV liege gleichfalls nicht vor, weil die Regelungen der EG-FGV nicht vor der Eingehung ungewollter Verbindlichkeiten schützten.

II.

6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

71. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.

82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

9Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

.

10Das angefochtene Urteil ist im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

11Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

12C. Fischer                        Brenneisen                        F. Schmidt

13                    Ostwaldt                              Tausch

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:290725UVIAZR467.21.0

Fundstelle(n):
BAAAJ-96826