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BGH Urteil v. - X ZR 51/23

Instanzenzug: Az: X ZR 51/23 Zwischenurteilvorgehend Az: 7 Ni 19/20 (EP) Urteil

Tatbestand

1Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 2 185 461 (Streitpatents), das am unter Inanspruchnahme der Priorität einer österreichischen Gebrauchsmusteranmeldung vom angemeldet worden ist und eine Profilform für einen Kranarm betrifft.

2Patentanspruch 1, auf den acht Ansprüche zurückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:

Kranarm für einen Kran (4), mit einer Längsachse und einer in einer Transversalebene in Bezug auf eine Symmetrieachse (s) wenigstens annähernd spiegelsymmetrisch verlaufenden und wenigstens abschnittsweise geradlinig ausgebildeten gedachten Konturlinie, wobei die Konturlinie die Symmetrieachse (s) in einem ersten und einem zweiten Schnittpunkt (S1, S2) schneidet und sich in Richtung des zweiten Schnittpunkts (S2) zumindest vor dem letzten Drittel des Abstands zwischen dem ersten und dem zweiten Schnittpunkt (S1, S2) verjüngt, wobei sich die Verjüngung der Konturlinie bis zum zweiten Schnittpunkt (S2) fortsetzt und in einer Rundung an der Symmetrielinie (s) endet, wobei die Konturlinie zwischen dem ersten Schnittpunkt (S1) und einem äquidistant zum ersten und zweiten Schnittpunkt (S1, S2) angeordneten Mittelpunkt (M) zumindest teilweise einen wenigstens angenähert kreisbogenförmigen Abschnitt (k1) aufweist, der vorzugsweise als Viertelkreisbogen ausgebildet ist und dass der Krümmungsmittelpunkt (K) des kreisbogenförmigen Abschnitts (k1) auf oder in der Nähe der Symmetrieachse (s) und vorzugsweise zwischen dem ersten Schnittpunkt (S1) und dem Mittelpunkt (M) liegt, und wobei die Konturlinie einen geradlinigen Abschnitt (g1) aufweist, dessen gedachte Verlängerung (g1) in Richtung des zweiten Schnittpunkts (S2) die Symmetrieachse (s) unter einem vorzugsweise spitzen Winkel (β) schneidet, dadurch gekennzeichnet, dass sich an den ersten geradlinigen Abschnitt (g1) ein zweiter geradliniger Abschnitt (g2) anschließt, der in der Rundung endet.

3Patentanspruch 10, auf den ein Anspruch zurückbezogen ist, stellt ein Auslegersystem für einen Kran unter Schutz, bei dem zumindest ein Ausleger nach einem der Ansprüche 1 bis 9 ausgebildet ist, Patentanspruch 12 einen Kran mit einem entsprechenden Kranarm und Patentanspruch 13 ein Nutzfahrzeug mit einem solchen Kran.

4Die Klägerin hat das Streitpatent im Umfang der Ansprüche 1 bis 6 und 10 bis 13 angegriffen. Sie hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus und sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent wie erteilt und hilfsweise in einer geänderten Fassung verteidigt.

5Das Patentgericht hat das Streitpatent im angegriffenen Umfang mit der Maßgabe für nichtig erklärt, dass Patentansprüche 10 bis 13 nur insoweit für nichtig erklärt werden, als sie auf die Patentansprüche 1 bis 6 zurückbezogen sind.

6Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die in erster Linie ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiterverfolgt. Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 4 und 12 sowie in zwei geänderten Fassungen. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Gründe

7Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

8I. Das Streitpatent betrifft einen Kranarm.

91. Nach der Beschreibung des Streitpatents sind im Stand der Technik Kranarme mit bestimmten Querschnittsprofilen etwa aus dem europäischen Patent 583 552 (MW5) und aus der deutschen Offenlegungsschrift 2 317 595 (LS5) bekannt. Nachteilig hierbei sei, dass im oberen Bereich des Kranarms eine ungünstige Krafteinleitung erfolge. Zudem sei die Fertigung relativ aufwändig.

102. Vor diesem Hintergrund kann das technische Problem darin gesehen werden, einen Kranarm bereitzustellen, der die genannten Nachteile vermeidet (Abs. 5).

113. Zur Lösung dieses Problems schlägt das Streitpatent einen Kranarm vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:

1. Kranarm für einen Kran (4)

2. mit einer Längsachse und einer in einer Transversalebene gedachten Konturlinie.

3. Die Konturlinie

3.1 verläuft in Bezug auf eine Symmetrieachse (s) wenigstens annähernd spiegelsymmetrisch;

3.2 ist wenigstens abschnittsweise geradlinig ausgebildet;

3.3 schneidet die Symmetrieachse (s) in einem ersten und in einem zweiten Schnittpunkt (S1, S2);

3.4 verjüngt sich in Richtung des zweiten Schnittpunkts (S2) zumindest vor dem letzten Drittel des Abstands zwischen dem ersten und dem zweiten Schnittpunkt (S1, S2),

3.4.1 wobei sich die Verjüngung der Konturlinie bis zum zweiten Schnittpunkt (S2) fortsetzt

3.4.2 und in einer Rundung an der Symmetrielinie (s) endet;

3.5 weist zwischen dem ersten Schnittpunkt (S1) und einem äquidistant zum ersten und zweiten Schnittpunkt (S1, S2) angeordneten Mittelpunkt (M) zumindest teilweise einen wenigstens angenähert kreisbogenförmigen Abschnitt (k1) auf, der vorzugsweise als Viertelkreisbogen ausgebildet ist,

3.5.1 wobei der Krümmungsmittelpunkt (K) des kreisbogenförmigen Abschnitts (k1) auf oder in der Nähe der Symmetrieachse (s) und vorzugsweise zwischen dem ersten Schnittpunkt (S1) und dem Mittelpunkt (M) liegt;

3.6 weist einen geradlinigen Abschnitt (g1) auf, dessen gedachte Verlängerung (g1') in Richtung des zweiten Schnittpunkts (S2) die Symmetrieachse (s) unter einem vorzugsweise spitzen Winkel (β) schneidet,

3.6.1 wobei sich an den ersten geradlinigen Abschnitt (g1), ein zweiter geradliniger Abschnitt (g2) anschließt, der in der Rundung endet.

124. Einige Merkmale bedürfen der Erläuterung.

13a) Patentanspruch 1 beschreibt die Gestaltung des Kranarms im Wesentlichen unter Bezug auf eine gedachte Konturlinie, die sich bei einem Schnitt des Kranarms in einer Transversalebene ergibt. Diese gedachte Konturlinie bezieht sich auf die Außenkontur des Kranarms (Abs. 7). Unter einer Transversalebene wird eine Ebene verstanden, die von der Längsachse des Kranarms orthogonal durchstoßen wird (Abs. 14).

14b) Die Konturlinie verläuft nach Merkmal 3.1 in Bezug auf eine Symmetrieachse (s) wenigstens annähernd spiegelsymmetrisch.

15In der nachstehend wiedergegebenen Figur 1a, die ein Ausführungsbeispiel zeigt, verläuft die Symmetrieachse (s) senkrecht.

16c) Die Punkte, an denen die Konturlinie die Symmetrieachse schneidet, sind als erster und zweiter Schnittpunkt (S1, S2) bezeichnet (Merkmal 3.3). Im Ausführungsbeispiel gemäß Figur 1a liegt S1 an der nach unten weisenden Seite des Kranarms und S2 an dessen Oberseite.

17d) Merkmal 3.4 gibt vor, dass sich die Konturlinie in Richtung des zweiten Schnittpunkts zumindest vor dem letzten Drittel des Abstands zwischen beiden Schnittpunkten verjüngt und dass sich diese Verjüngung bis zum zweiten Schnittpunkt fortsetzt (Merkmal 3.4.1).

18Danach sind Gestaltungen, bei denen die Konturlinie im Bereich des Schnittpunkts S2 horizontal und gerade verläuft, nicht anspruchsgemäß.

19e) Nach Merkmal 3.4.2 endet die Verjüngung an der Symmetrielinie in einer Rundung.

20Nach der Beschreibung (Abs. 25 f.) kann diese Rundung auch in der Form einer Kantung vorliegen, wie sie in dem Ausführungsbeispiel der nachstehend wiedergegebenen Figur 1e mit dem Bezugszeichen 7 versehen ist.

21f) Nach Merkmal 3.6 weist die Konturlinie einen ersten geradlinigen Abschnitt g1 auf, dessen gedachte Verlängerung in Richtung des zweiten Schnittpunkts die Symmetrieachse (s) schneidet.

22Danach verläuft dieser geradlinige Abschnitt nicht parallel zur Symmetrieachse, sondern in Richtung des zweiten Schnittpunkts, also nach oben hin, auf diese zu.

23g) Merkmal 3.6.1 sieht vor, dass sich an den ersten geradlinigen Abschnitt g1 in Richtung von S2 ein zweiter geradliniger Abschnitt g2 anschließt.

24Wie die Beschreibung erläutert, kann sich der zweite geradlinige Abschnitt unmittelbar an den ersten geradlinigen Abschnitt anschließen. Der Anspruch umfasst jedoch auch eine Gestaltung, bei welcher der zweite geradlinige Abschnitt über einen vorzugsweise gekrümmt ausgebildeten weiteren Abschnitt mit dem ersten geradlinigen Abschnitt verbunden ist (Abs. 23).

25Dieser zweite geradlinige Abschnitt g2 endet nach Merkmal 3.6.1 in der in Merkmal 3.4.2 angesprochenen Rundung an der Symmetrieachse (s), in der die Verjüngung der Konturlinie im zweiten Schnittpunkt endet.

26Daraus und aus dem Zusammenhang mit Merkmal 3.4.1, wonach sich die Verjüngung der Konturlinie bis zum zweiten Schnittpunkt S2 fortsetzt, ergibt sich, dass auch der zweite geradlinige Abschnitt nicht parallel zur Symmetrieachse verläuft, sondern nach oben hin auf diese zuläuft.

27h) In dem Bereich zwischen S1 und dem Punkt M, der auf halber Strecke zwischen den beiden Schnittpunkten liegt, weist die Konturlinie zumindest teilweise einen wenigstens angenähert kreisbogenförmigen Abschnitt (k1) auf (Merkmal 3.5).

28Für diesen kreisbogenförmigen Abschnitt (k1) gibt Merkmal 3.5.1 vor, dass sein Krümmungsmittelpunkt (K) auf oder in der Nähe der Symmetrieachse (s) liegt.

29Wie die Beschreibung erläutert, genügt es anspruchsgemäß, wenn eine Annäherung an die Kreisbogenform durch ein Polygon (Abs. 16) oder durch einen oder mehrere Ellipsenabschnitte mit entsprechend geringerer Exzentrizität (Abs. 17) gebildet wird.

30Beispiele für eine solche Gestaltung zeigen die nachstehend wiedergegebenen Figuren 1b und 1c:

31i) Die mit den Patentansprüchen 10, 12 und 13 geschützten Gegenstände werden durch den Rückbezug auf Anspruch 1 geprägt und unterliegen deshalb keiner abweichenden Beurteilung.

32II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

33Der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei zwar neu, jedoch durch den Stand der Technik nahegelegt.

34Das europäische Patent 583 552 (MW5) beschreibe einen Kranarm, der sich von dem Gegenstand von Patentanspruch 1 nur insoweit unterscheide, als die Verjüngung der Konturlinie am zweiten Schnittpunkt nicht in einer Rundung ende und der zweite geradlinige Abschnitt nicht in einer Rundung ende.

35MW5 enthalte Hinweise darauf, dass auch im oberen Teil des Kranarmprofils nicht nur eine Belastung auf Zug, sondern je nach Anwendungsfall auch eine Belastung auf Druck auftreten könne.

36Mit einer Druckbelastung im oberen Teil eines Kranarms befasse sich die japanische Patentanmeldung 2005-112514 (MW6, deutsche Übersetzung als LS4). Dort sei eine Erhöhung der Beulfestigkeit auch im oberen Bereich des Kranarms durch Kantungen beschrieben.

37Angesichts dessen liege es nahe, die Ausgestaltung im oberen Bereich des Profils, die Figur 1 der MW6 zeige, auf das in Figur 13 der MW5 gezeigte Profil zu übertragen.

38Die Verteidigung des Streitpatents in der Fassung von Hilfsantrag 1 sei unzulässig, weil danach der Gegenstand von Patentanspruch 1 um die Merkmale des nicht angegriffenen Anspruchs 7 ergänzt werde.

39Danach sei die Nichtigkeitsklage nur insoweit abzuweisen, als sie sich gegen Patentansprüche 10 bis 13 auch in ihrem Rückbezug auf die nicht angegriffenen Ansprüche 7 bis 9 richte.

40III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsrechtszug stand.

411. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 wird durch das europäische Patent 499 208 (MW4) nicht vollständig vorweggenommen.

42a) MW4 betrifft einen Teleskopausleger für Fahrzeugkrane.

43Die Beschreibung führt aus, ein solcher Teleskopausleger und seine einzelnen Schüsse seien nicht nur Biegekräften ausgesetzt, sondern würden auch auf Torsion belastet. Bislang bekannte Ausleger seien zum Teil nicht hinreichend stabil und zudem in der Herstellung aufwändig. Daher stelle sich die Aufgabe, einen Teleskopausleger bereitzustellen, der bei großer Biegesteifigkeit und Beulunempfindlichkeit einfach und wirtschaftlich herzustellen sei.

44Zur Abhilfe schlägt MW4 Schüsse mit einem Profil vor, wie es beispielhaft aus der nachstehend wiedergegebenen Figur 2 ersichtlich ist.

45Danach hat der Kranarm einen unteren Profilteil (40), der etwa die Form einer halben Ellipse aufweist, und einen oberen Profilteil (41), dessen gerade Schenkel (44, 45) an die Schenkel des unteren, runden Profilteils anschließen. Das obere Profilteil (41) weist einen geraden Stegteil (46) auf, der rechtwinklig zu den Schenkeln (44, 45) verläuft.

46b) Ein Kranarm mit einem entsprechenden Profil nimmt, wie die Beklagte nicht in Abrede stellt, die Merkmale 1, 2, 3.1, 3.2 und 3.3 vorweg.

47c) Auch Merkmalsgruppe 3.5 ist offenbart.

48Wie aus Figur 2 ersichtlich ist, weist das Profil in dem Bereich zwischen dem unteren (ersten) Schnittpunkt und dem durch die Kreuzung der X-Achse und der Y-Achse gebildeten Mittelpunkt einen angenähert kreisbogenförmigen Abschnitt mit dem Radius Rmi auf. Der zugehörige Krümmungsmittelpunkt liegt nicht auf der Y-Achse, die der Symmetrieachse entspricht, aber in deren Nähe.

49Dem steht, anders als die Berufung im Zusammenhang mit der Entgegenhaltung MW5 meint, nicht entgegen, dass die Gestaltung des unteren Profilteils als halbelliptisch (Abs. 8, 17, Anspruch 1) beschrieben wird.

50Zutreffend hat das Patentgericht darauf hingewiesen, dass es nach Merkmalsgruppe 3.5 genügt, wenn die Konturlinie in dem Bereich zwischen dem ersten Schnittpunkt und dem Mittelpunkt zumindest teilweise einen angenähert kreisbogenförmigen Abschnitt aufweist, und wenn der Krümmungsmittelpunkt dieses Abschnitts in der Nähe der Symmetrieachse liegt. Diesen Anforderungen genügt der Bereich des unteren Profilteils, der auf einer Kreislinie mit dem Radius Rmi verläuft.

51d) Nicht offenbart sind dagegen die Merkmalsgruppen 3.4 und 3.6.

52Die Konturlinie verjüngt sich nicht in Richtung des zweiten Schnittpunkts, sondern verläuft parallel zur Symmetrieachse, bevor sie in eine horizontal verlaufende Gerade (46) übergeht. Damit endet die Konturlinie auch nicht in einer Rundung an der Symmetrieachse.

53Die Konturlinie weist ferner keinen geradlinigen Abschnitt auf, dessen gedachte Verlängerung in Richtung des zweiten Schnittpunkts die Symmetrieachse schneidet. Zudem fehlt es an einem zweiten geradlinigen Abschnitt, der in einer Rundung an der Symmetrieachse endet.

542. Auch das europäische Patent 583 552 (MW5), das von der gleichen Anmelderin stammt wie das in MW4 offenbarte Patent und etwa ein Jahr später als dieses angemeldet wurde, nimmt nicht sämtliche Merkmale von Patentanspruch 1 vorweg.

55a) Wie MW4 führt die Beschreibung der MW5 aus, dass Teleskopausleger eines Kranarms nicht nur auf Biegung, sondern auch auf Torsion belastet werden können und beschreibt die Aufgabe dahin, einen Teleskopausleger bereitzustellen, der bei großer Biegesteifigkeit und Beulunempfindlichkeit einfach und wirtschaftlich herzustellen sei.

56MW5 schlägt hierzu einen Kranarm vor, der aus Profilen besteht, die Schalen bilden. Der Kranarm weist einen unteren angenähert runden Teil auf, der aus relativ zueinander abgekanteten Streifen besteht, wobei aufeinanderfolgende Streifen jeweils stumpfe Winkel miteinander einschließen. Ferner weist er einen oberen, halbkastenförmigen Teil auf. Die gegeneinander gerichteten Schenkel des oberen und unteren Teils sind miteinander verschweißt (Spalte 2 Z. 23 ff.).

57Ein Ausführungsbeispiel zeigt die nachstehend wiedergegebene Figur 12, die der Figur 2 aus MW4 entspricht.

58MW5 zeigt jedoch auch ein Ausführungsbeispiel gemäß der nachstehend wiedergegebenen Figur 13, bei dem die Schenkel des oberen Profilteils nicht senkrecht, sondern zur Symmetrieachse (Y-Achse) hin geneigt sind.

59b) Damit sind, wie bereits durch MW4, die Merkmale 1 bis 3.3 vorweggenommen.

60c) Auch Merkmal 3.5 ist, wie bereits zu MW4 ausgeführt wurde, offenbart.

61d) Das Ausführungsbeispiel nach Figur 13 nimmt zudem die Merkmale 3.4 und 3.6 vorweg.

62Die Konturlinie verjüngt sich etwa ab der Mitte der gesamten Höhe des Profils und damit vor dem letzten Drittel des Abstands zwischen den beiden Schnittpunkten in Richtung des zweiten Schnittpunkts.

63Zugleich weist die Konturlinie einen geradlinigen Abschnitt auf, dessen gedachte Verlängerung in Richtung des zweiten Schnittpunkts die Symmetrieachse schneidet.

64e) Nicht offenbart sind dagegen die Merkmale 3.4.1 und 3.4.2.

65Die Verjüngung der Konturlinie setzt sich nicht bis zum zweiten Schnittpunkt fort und endet auch nicht in einer Rundung an der Symmetrielinie, sondern geht in eine Gerade (46') über, die die Symmetrielinie im Winkel von 90° schneidet.

66f) Auch Merkmal 3.6.1 ist nicht vorweggenommen.

67An die geradlinigen Abschnitte (44, 45) schließt sich kein zweiter geradliniger Abschnitt an, der in einer Rundung endet, sondern eine horizontal verlaufende Gerade (46').

683. Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 ausgehend von MW5 durch die japanische Patentanmeldung 2005-112514 (MW6) nahegelegt ist.

69a) MW6 befasst sich mit dem Profil eines Teleskopauslegers. Wie die Beschreibung ausführt, tritt dabei regelmäßig an der Unterseite eine Druckspannung und an der Oberseite eine Zugspannung auf (Abs. 3, diese und die nachfolgenden Fundstellen aus der Beschreibung beziehen sich auf die als LS4 vorgelegte deutsche Übersetzung).

70Nach der Beschreibung der MW6 sind in den letzten Jahren Arbeitsfahrzeuge in Gebrauch gekommen, bei denen das auf den Teleskopausleger während des Hebevorgangs wirkende Biegemoment reduziert wird, indem zur Erhöhung der Hubkapazität Drähte vorgesehen werden, die die Spitze des Teleskopauslegers über einen auf dem Basisausleger errichteten Mast mit der Basis des Auslegers verbinden. Auf diese Weise werde dem Biegemoment entgegengewirkt.

71Bei einer solchen Anordnung könne es dazu kommen, dass im oberen Teil des Auslegers keine Zugspannung, sondern eine Druckspannung auftrete, während im unteren Teil des Auslegers keine Druckspannung, sondern eine Zugspannung auftrete (Abs. 12 bis 14).

72Vor diesem Hintergrund ist es das Anliegen der MW6, einen Ausleger bereitzustellen, der auch im oberen Teil des Querschnitts ausreichend knickfest ist (Abs. 16).

73Nach den Erläuterungen in MW6 weist bei den im Stand der Technik bekannten Auslegern zwar der untere Teil des Profils eine hinreichende Knickfestigkeit auf (Abs. 10 f.). Dagegen biete der obere Teil des Profils keine ausreichende Knickfestigkeit gegen das Auftreten von Druckspannungen, weil er einen geraden Abschnitt mit einer Länge aufweise, die fast der Querschnittsbreite entspreche (Abs. 15). MW6 nimmt insoweit Bezug auf das in MW4 gezeigte Profil und gibt in Figur 10 die Figur wieder, die der Figur 2 aus MW4 und damit auch der Figur 12 aus MW5 entspricht.

74Um eine verbesserte Knickfestigkeit auch des oberen Teils des Kranarmprofils zu erzielen, schlägt MW6 zwei unterschiedliche Gestaltungen vor, wie sie aus der Gegenüberstellung der Ausführungsbeispiele gemäß Figuren 4 und 8 der MW6 ersichtlich sind.

75Nach dem Ausführungsbeispiel gemäß Figur 4 wird der obere Teil des Profils durch einen Abschnitt gebildet, der durch drei Biegevorgänge entsteht, nach dem Ausführungsbeispiel gemäß Figur 8 durch einen Abschnitt, der durch vier Biegevorgänge entsteht. Dadurch soll eine ausreichende Knickfestigkeit des oberen Teils des Profils erreicht werden (Anspruch 1, Abs. 25 f., Abs. 31).

76b) MW6 ist mithin der Vorschlag zu entnehmen, das in Figur 2 der MW4 gezeigte Kranarmprofil im unteren Bereich zu belassen, im oberen Bereich jedoch das halbkastenförmige Profil aus MW4 mit einer horizontal verlaufenden Geraden (46) durch den oberen Schnittpunkt durch eine Gestaltung wie aus der oben wiedergegebenen Figur 4 der MW6 zu ersetzen.

77aa) Eine solche Kombination offenbart neben den Merkmalen 1 bis 3.3 und der Merkmalsgruppe 3.5 auch die Merkmale 3.4.1 und 3.4.2.

78Der obere Teil des Profils zeigt eine Verjüngung der Konturlinie, die sich bis zum zweiten Schnittpunkt fortsetzt und in einer Rundung an der Symmetrielinie endet.

79bb) Merkmalsgruppe 3.6 ist nur teilweise offenbart.

80Die Konturlinie weist zwei aneinander anschließende geradlinige Abschnitte auf, die in einer Rundung an der Symmetrielinie enden.

81Der erste geradlinige Abschnitt schneidet die Symmetrieachse jedoch nicht, sondern verläuft parallel dazu.

82cc) Nicht offenbart ist Merkmal 3.4.

83Die Verjüngung der Konturlinie beginnt nicht schon vor dem letzten Drittel des Abstands zwischen dem ersten und dem zweiten Schnittpunkt, sondern erst weiter oben.

84c) Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass es im Prioritätszeitpunkt ausgehend von MW5 nahelag, zur weiteren Verbesserung der Knickfestigkeit des oberen Teils des Profils auch die aus der dortigen Figur 13 ersichtliche Gestaltung dahin abzuwandeln, dass der halbkastenförmige obere Teil des Profils durch ein Profil ersetzt wird, bei welchem die Seitenwände knickfrei an die leicht nach innen weisenden Seitenwände des unteren Teils des Profils gemäß Figur 13 anschließen und die horizontal verlaufende Gerade 46' durch einen geknickten Verlauf ersetzt wird, wie er in der oben wiedergegebenen Figur 4 der MW6 gezeigt ist. Dies führt zu einem Kranarm, der auch die Merkmale 3.6 und 3.4 aufweist.

85aa) Bei den in Figuren 12 und 13 gezeigten Gestaltungen handelt es sich um grundsätzlich gleichwertige Alternativen, zwischen denen der Fachmann je nach Bedarf eine Auswahl trifft.

86Entgegen der Ansicht der Berufung sieht MW5 das Ausführungsbeispiel gemäß Figur 12 nicht als technisch vorzugswürdig gegenüber demjenigen nach Figur 13 an.

87Das Profil nach Figur 13 unterscheidet sich nach der Beschreibung der MW5 von demjenigen nach Figur 12 lediglich dadurch, dass die obere Profilschale bei Figur 13 Profilschenkel aufweist, die mit dem Stegteil 46' stumpfe Winkel einschließen (Sp. 8 Z. 31-35). Ferner wird darauf hingewiesen, dass ein Profil gemäß Figur 12 einfacher herzustellen ist als ein Profil gemäß Figur 13 (Sp. 9 Z. 32-37). In Bezug auf die gewünschte Stabilität wird das Profil gemäß Figur 13 dagegen ausdrücklich als nicht nachteilig beschrieben (Sp. 9 Z. 38-45).

88bb) MW5 zeigt in dem Ausführungsbeispiel gemäß der bereits oben wiedergegebenen Figur 13 ein Profil, bei dem sich an das untere Profilteil ein halbkastenförmiges Profil anschließt, dessen Schenkel (44', 45') leicht auf die Symmetrieachse zulaufen und mit dem horizontal verlaufenden Stegteil (46') stumpfe Winkel einschließen.

89Durch den Hinweis, dass das obere Profilteil keine ausreichende Knickfestigkeit besitze, wenn es einen geraden Abschnitt aufweise, dessen Länge fast der Querschnittsbreite entspreche (Abs. 15), sowie den weiteren Hinweis, dass eine ausreichende Knickfestigkeit durch weitere Biegevorgänge herbeigeführt werden könne (Abs. 25), ergab sich aus MW6 die Anregung, das halbkastenförmige obere Profilteil auch bei diesem Ausführungsbeispiel dahin abzuwandeln, dass es an seiner Oberseite keine horizontal verlaufende Gerade aufweist, sondern im zweiten Schnittpunkt eine weitere Biegung vorsieht.

90Dies führt naheliegend zu einer Gestaltung, bei der sich die Konturlinie schon vor dem letzten Drittel des Abschnitts in Richtung des zweiten Schnittpunkts verjüngt, dort in einer Rundung endet und einen ersten geradlinigen Abschnitt aufweist, dessen gedachte Verlängerung die Symmetrieachse schneidet.

91cc) Ohne Erfolg macht die Berufung geltend, eine Kombination des unteren Teils des Kranarmprofils gemäß Figur 13 der MW5 mit dem in MW6 gezeigten oberen Profilteil sei nicht nahegelegt, weil MW6 das meist als zweiter Abschnitt bezeichnete obere Profilteil durchweg dahin beschreibe, dass beide Seiten parallel zueinander angeordnet seien.

92Aus MW6 ergeben sich keine Hinweise, dass die parallele Anordnung der Profilteile als solche besonders vorteilhaft ist. Sie beruht, worauf die Berufungserwiderung zutreffend hinweist, vielmehr darauf, dass MW6 durchweg untere Profilteile beschreibt, die seitlich parallel verlaufende Seiten aufweisen. Entsprechendes gilt für den in MW6 konkret in Bezug genommenen Stand der Technik gemäß Figuren 9 und 10. Nach dem Vortrag der Klägerin, dem die Beklagte nicht erheblich entgegengetreten ist, entspricht es allgemeinem Fachwissen, dass ein Knick an der Schweißnaht zwischen dem unteren und dem oberen Profilteil nachteilig ist. Um dies zu vermeiden, müssen die Seitenwände der oberen Schale deshalb parallel angeordnet sein, wenn die Seitenwände der unteren Schale ihrerseits parallel zueinander verlaufen. Entsprechend stand die parallele Anordnung (auch) der Seiten der jeweiligen oberen Profilteile der Einbeziehung der MW6 in weitere fachmännische Überlegungen zur Verbesserung der Knickfestigkeit im oberen Bereich ausgehend von MW5 nicht entgegen.

93Der Hinweis der Berufung auf Absatz 19 der Streitpatentschrift rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.

94Dort wird die in der oben wiedergegebenen Figur 1 gezeigte Ausführungsform als besonders bevorzugt beschrieben. Bei dieser Ausführungsform schließt sich an den kreisbogenförmigen Abschnitt k1 in Richtung des ersten Schnittpunkts S1 tangential ein dritter geradliniger Abschnitt g3 an, der mit der Symmetrieachse einen Winkel von weniger als 90° einschließt. Daraus ergebe sich, so Absatz 19 weiter, eine gute Schweißbarkeit des Kranarms, eine bessere Spannbarkeit zum Schweißen durch die schräg aufeinandertreffenden Abschnitte sowie die Möglichkeit der Ausführung einer Längsschweißnaht ohne zusätzliche Kantenvorbereitung.

95Die Beschreibung der in Figur 1 gezeigten Ausführungsform als besonders bevorzugt bezieht sich auf die unmittelbar zuvor in Absatz 18 beschriebene Ausführungsvariante und grenzt sich von dieser ab. Bei der in Absatz 18 beschriebenen Variante ist die gesamte Konturlinie im Bereich des Schnittpunkts S1 als kreisbogenförmiger Abschnitt k1 ausgebildet. Entsprechend sind hier zwei gekrümmte Abschnitte miteinander zu verschweißen. Gegenüber dieser Variante beschreibt Absatz 19 es als vorteilhaft, stattdessen miteinander einen Winkel bildende, also geknickte Stellen miteinander zu verschweißen.

96Absatz 19 ist dagegen nicht zu entnehmen, dass ein Verschweißen von Profilteilen an geknickten Stellen gegenüber einem Verschweißen von in gerader Linie aufeinandertreffenden Profilenden vorteilhaft ist.

974. Die hilfsweise Verteidigung der Patentansprüche 4 und 12 sowie in der Fassung der Hilfsanträge 1 und 2 ist gemäß § 116 Abs. 2 PatG unzulässig.

98Das Patentgericht hat bereits in seinem Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG ausgeführt, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1, der angegriffenen Unteransprüche 2 bis 6 und der nebengeordneten Ansprüche 10, 12 und 13 durch eine Kombination von MW5 und MW6 nahegelegt sein dürfte.

99Danach bestand für die Beklage schon in erster Instanz Anlass, das Streitpatent hilfsweise in einer Fassung zu verteidigen, wie sie nunmehr in den Hilfsanträgen zur Entscheidung gestellt wird. Die Zulassung dieser zudem erst wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung im Berufungsrechtszug angekündigten Anträge kann daher nicht als sachdienlich im Sinne von § 116 Abs. 2 Nr. 1 PatG angesehen werden (, GRUR 2016, 365 Rn. 26 - Telekommunikationsverbindung).

100IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:260625UXZR51.23.0

Fundstelle(n):
OAAAJ-96690