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BAG Urteil v. - 2 AZR 178/24

Wartezeitkündigung eines schwerbehinderten Menschen - Präventionsverfahren

Leitsatz

Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, vor einer ordentlichen Kündigung während der Wartezeit (§ 1 Abs. 1 KSchG) ein Präventionsverfahren iSd. § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen.

Instanzenzug: ArbG Nordhausen Az: 2 Ca 293/23 Urteilvorgehend Thüringer Landesarbeitsgericht Az: 1 Sa 201/23 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung in der Wartezeit.

2Der schwerbehinderte Kläger arbeitete bei der Beklagten seit dem als Leiter für die Haus- und Betriebstechnik. Die Parteien vereinbarten eine Probezeit von sechs Monaten. Bei der Beklagten besteht weder ein Betriebsrat noch eine Schwerbehindertenvertretung.

3Bei Vertragsabschluss war der Beklagten die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers bekannt. Sie wurde bei der Stellenbesetzung im Hinblick auf das Anforderungsprofil und sein individuelles Leistungsvermögen berücksichtigt.

4Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom , dem Kläger am Folgetag zugegangen, zum .

5Dagegen hat sich der Kläger rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt. Er hat gemeint, die Kündigung sei nach § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG iVm. § 134 BGB nichtig und im Übrigen gemäß § 242 BGB unwirksam. Die Beklagte habe - unstreitig - ein Präventionsverfahren gemäß § 167 Abs. 1 SGB IX als Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht durchgeführt und gegen die Pflicht zum Angebot eines behinderungsgerechten Arbeitsplatzes verstoßen.

6Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt

7Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger habe sich als fachlich ungeeignet erwiesen. Ein anderer freier Arbeitsplatz sei nicht vorhanden gewesen.

8Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt dieser sein Begehren weiter.

Gründe

9Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende erstinstanzliche Urteil zu Recht zurückgewiesen. Die Kündigung der Beklagten innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ist wirksam.

10I. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Kündigung nicht wegen Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot aus § 7 Abs. 1, §§ 13 AGG iVm. § 134 BGB nichtig ist.

111. Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf dessen Arbeitsverhältnis das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert, ist nach § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG nichtig (vgl.  - Rn. 23, BAGE 152, 134; - 2 AZR 237/14 - Rn. 32, BAGE 151, 189).

122. Die Kündigung als solche knüpft als gestaltende Willenserklärung nicht an die Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG an. Erst die dem Kündigungsentschluss zugrunde liegenden Erwägungen können einen Anhaltspunkt für den Zusammenhang zwischen der Kündigungserklärung und einem Merkmal nach § 1 AGG sein. Dieser kann sich aus der Kündigungsbegründung oder anderen Umständen ergeben. Dabei bedarf es keiner subjektiven Komponente im Sinn einer Benachteiligungsabsicht. Es genügt, dass eine Anknüpfung der Kündigung an ein Diskriminierungsmerkmal zumindest in Betracht kommt ( - Rn. 35, BAGE 151, 189).

133. Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, stellt zwar für sich genommen keine Benachteiligung wegen der Behinderung iSv. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG dar (Wietfeld RdA 2025, 49, 52). Er soll jedoch regelmäßig die Vermutung einer - unmittelbaren - Benachteiligung wegen der (Schwer-)Behinderung begründen, weil solche Pflichtverletzungen grundsätzlich geeignet seien, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht interessiert zu sein (st. Rspr., vgl.  - Rn. 22, BAGE 181, 206). Nach Auffassung des Senats ist es allerdings zweifelhaft, ob diese Vermutung unbesehen eingreifen kann, wenn der Arbeitgeber den betreffenden Arbeitnehmer in Kenntnis seiner (Schwer-)Behinderung eingestellt hat und sodann im Lauf des Arbeitsverhältnisses gegen behinderungsspezifische Regelungen verstößt. Das Argument eines „offensichtlichen Desinteresses“ an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen kommt in diesen Fällen zumindest nicht ohne Weiteres zum Tragen.

144. In der Rechtsprechung ist bislang nicht geklärt, ob das Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX eine positive Maßnahme iSv. § 5 AGG sowie Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG ist (dafür Kohte jurisPR-ArbR 2/2025 Anm. 3) und vor allem, ob das Unterlassen einer solchen Maßnahme an sich eine Benachteiligung wegen der (Schwer-)Behinderung iSv. § 3 Abs. 1 AGG sein kann (offengelassen von  - Rn. 27, BAGE 155, 61).

155. Beide Fragen können vorliegend dahinstehen. Die Beklagte hat nicht gegen § 167 Abs. 1 SGB IX verstoßen. Die Vorschrift kommt - wie schon zu der der Sache nach identischen Vorgängerregelung des § 84 Abs. 1 SGB IX in der bis geltenden Fassung entschieden (vgl.  - Rn. 27, BAGE 155, 61; - 6 AZR 96/07 - Rn. 33 f.) - während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG nicht zur Anwendung. Vielmehr ergibt die Auslegung der Bestimmung, dass sie ausschließlich für Kündigungen im zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes gilt (vgl. auch  - Rn. 76, BAGE 153, 138; aA Kohte jurisPR-ArbR 2/2025 Anm. 3: unzulässige teleologische Reduktion). Damit hat die Beklagte weder eine einschlägige Verfahrens- oder Fördervorschrift zugunsten von Arbeitnehmern mit (Schwer-)Behinderung verletzt noch eine zu ergreifende positive Maßnahme zugunsten dieser Menschen unterlassen.

16a) Bereits der Wortlaut von § 167 Abs. 1 SGB IX macht unmissverständlich deutlich, dass die Vorschrift ausschließlich Fälle erfasst, in denen das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist. Eine ausdrückliche zeitliche Begrenzung oder Bezugnahme auf das Kündigungsschutzgesetz enthält die Vorschrift zwar nicht. Das Präventionsverfahren soll aber bei „Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis“ durchgeführt werden. Damit wird erkennbar an die Terminologie des Kündigungsschutzgesetzes, nämlich an die in § 1 Abs. 2 KSchG verwendeten Begriffe „Gründe … in der Person“, „Gründe … in dem Verhalten“ und „dringende betriebliche Erfordernisse“ angeknüpft. Dies zeigt, dass das Präventionsverfahren wegen der aufgetretenen Schwierigkeiten nur zu durchlaufen ist, wenn das Kündigungsschutzgesetz anwendbar ist und ein nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG geeigneter Grund erforderlich ist (vgl.  - Rn. 28, BAGE 155, 61; - 6 AZR 96/07 - Rn. 34). Hätte der Gesetzgeber unabhängig von der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes die Durchführung des Präventionsverfahrens für erforderlich erachtet, hätte er generell „Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis“ als Voraussetzung benennen können. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, sich an die Begrifflichkeiten aus § 1 Abs. 2 KSchG anzulehnen, wenn hierdurch nicht ein Bezug zu dieser Vorschrift hergestellt werden sollte. Soweit § 167 Abs. 1 SGB IX - anders als § 1 Abs. 2 KSchG - nicht das Vorliegen von Kündigungsgründen fordert, sondern Schwierigkeiten und damit Unzuträglichkeiten ausreichen lässt, die noch nicht den Charakter von Kündigungsgründen aufweisen, beruht dies darauf, dass das in § 167 Abs. 1 SGB IX geregelte Verfahren ein präventives ist, das dem Entstehen von Kündigungsgründen iSv. § 1 Abs. 2 KSchG zuvorkommen soll (vgl.  - Rn. 28, BAGE 155, 61; - 2 AZR 182/06 - Rn. 30, BAGE 120, 293). Danach ist, ohne dass es im Streitfall darauf ankäme, eine Anwendung von § 167 Abs. 1 SGB IX nicht allein in der Wartezeit, sondern darüber hinaus - entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts Köln ( - 18 Ca 3954/23 - zu I 2 a aa (1) (b) der Gründe) und vereinzelter Stimmen im Schrifttum (vgl. nur Wietfeld RdA 2025, 49, 50) - auch in einem Kleinbetrieb iSv. § 23 Abs. 1 KSchG ausgeschlossen.

17b) Das eindeutige Ergebnis der Wortlautauslegung wird durch gesetzessystematische Erwägungen bestätigt. Die Durchführung des Präventionsverfahrens nach § 167 Abs. 1 SGB IX ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer Kündigung (vgl.  - Rn. 76, BAGE 153, 138; - 6 AZR 96/07 - Rn. 33; - 2 AZR 182/06 - Rn. 25, BAGE 120, 293). Die Vorschrift enthält - anders als beispielsweise § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX bei unterlassener Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung - nicht die Anordnung einer Unwirksamkeitsfolge. Die Regelung des § 167 Abs. 1 SGB IX ist vielmehr - ebenso wie § 167 Abs. 2 SGB IX - als eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes anzusehen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz findet außerhalb des zeitlichen (§ 1 Abs. 1 KSchG) und betrieblichen (§ 23 Abs. 1 KSchG) Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes jedoch keine Anwendung (vgl.  - Rn. 33; - 2 AZR 426/02 - zu B II 5 b ee der Gründe). Der Arbeitgeber kann in diesen Fällen aus Motiven kündigen, die weder auf personen-, verhaltens- noch betriebsbedingten Erwägungen beruhen, solange die Kündigung nicht aus anderen Gründen (zB §§ 138, 242, 612a BGB) unwirksam ist. Es bedarf noch nicht einmal irgendwie gearteter „Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis“ iSv. § 167 Abs. 1 SGB IX ( - Rn. 29, BAGE 155, 61).

18c) Die historische Auslegung belegt ebenfalls, dass § 167 Abs. 1 SGB IX lediglich im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes Anwendung finden soll. Der Gesetzgeber hat mit dem Bundesteilhabegesetz vom (BGBl. I S. 3234) und dem Teilhabestärkungsgesetz vom (BGBl. I S. 1387) Novellierungen im Bereich der Regelungen für Menschen mit Behinderungen vorgenommen, ohne die Formulierung des § 167 Abs. 1 SGB IX zu ändern. Dies spricht - entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts Köln ( - 6 SLa 76/24 - zu II 5 e der Gründe) - dafür, dass er die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in seinen Willen aufgenommen hat. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu beachten, dass der Gesetzgeber gerade mit dem Bundesteilhabegesetz in § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX für den Fall der unterlassenen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung die Unwirksamkeit der Kündigung neu angeordnet hat. Mit dem Teilhabestärkungsgesetz hat er § 167 Abs. 2 SGB IX geändert, indem er den Beschäftigten die Möglichkeit einräumt, beim betrieblichen Eingliederungsmanagement eine Vertrauensperson hinzuziehen. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die seit der Entscheidung vom (- 2 AZR 182/06 - BAGE 120, 293) gefestigte Rechtsprechung mehrerer Senate des Bundesarbeitsgerichts zum Präventionsverfahren zur Kenntnis genommen hat. Wenn er gleichwohl - auch vor dem Hintergrund des am in Deutschland in Kraft getretenen Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention, nachfolgend UN-BRK) keine Änderung der Norm vorgenommen hat, zeigt dies, dass er hierfür keine Veranlassung gesehen hat.

19d) Mit einem anderen Verständnis von § 167 Abs. 1 SGB IX wären zudem die Grenzen einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts überschritten; es handelte sich um eine solche contra legem (vgl.  - [Luso Temp] Rn. 57;  - Rn. 20, BAGE 178, 66). Außerdem ist eine unionsrechtskonforme Auslegung auch nicht geboten. Denn dem Arbeitnehmer wird in der Wartezeit oder im Kleinbetrieb mit dem Präventionsverfahren keine angemessene Vorkehrung iSv. Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG sowie von Art. 27 Abs. 1 Satz 2 iVm. Art. 2 Unterabs. 3 und 4 UN-BRK vorenthalten. Das Verfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX ist selbst keine angemessene Vorkehrung iSd. Bestimmungen, sondern stellt „lediglich“ einen Suchprozess dar, mit dem angemessene Vorkehrungen ermittelt werden können (vgl.  - Rn. 21 ff., BAGE 155, 61; Kohte jurisPR-ArbR 2/2025 Anm. 3).

206. Es ist - über das zu Recht unterbliebene Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX hinaus - nichts dafür festgestellt, dass der Kläger durch die streitbefangene Kündigung unmittelbar (§ 3 Abs. 1 AGG) oder doch mittelbar (§ 3 Abs. 2 AGG) wegen seiner (Schwer-)Behinderung diskriminiert worden wäre. Vielmehr erfolgte die Kündigung nach den den Senat bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ausschließlich wegen seiner mangelnden fachlichen Eignung. Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass dieser Eignungsmangel untrennbar auf seiner Behinderung beruht. Er hat auch selbst nicht behauptet, dass ein entsprechender Eignungsmangel bei Arbeitnehmern mit Behinderung weitaus öfter vorliegt.

217. Da die Kündigung in keinem Zusammenhang mit der Schwerbehinderung des Klägers steht, bedarf es keiner Entscheidung, ob eine Auslegung oder Rechtsfortbildung der Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes dahin möglich ist, dass allein das Unterlassen einer angemessenen Vorkehrung iSv. Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK bzw. Art. 5 Satz 1 der Richtlinie 2000/78/EG eine Benachteiligung gemäß § 7 Abs. 1, §§ 13 AGG darstellt. Hierfür spricht freilich nichts (aA  - Rn. 19 f., BAGE 155, 61).

22a) Nach der Definition in Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK sind „angemessene Vorkehrungen“ notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können. Die Vertragsstaaten haben sicherzustellen, dass am Arbeitsplatz angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen getroffen werden, Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i UN-BRK. Nach Art. 5 Satz 1 der Richtlinie 2000/78/EG haben die Mitgliedstaaten angemessene Vorkehrungen zu treffen, um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten, was nach Art. 5 Satz 2 der Richtlinie 2000/78/EG bedeutet, dass der Arbeitgeber die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen hat, um Menschen mit Behinderung ua. die Ausübung eines Berufs zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden den Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten.

23b) Eine Auslegung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, wonach allein das Unterlassen einer angemessenen Vorkehrung eine Benachteiligung gemäß § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG darstellt, wäre zur Beseitigung der Barrieren, die die volle und wirksame Teilhabe der Menschen mit Behinderung am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, behindern, in Fällen wie dem vorliegenden schon nicht erforderlich. Ist es dem Arbeitnehmer nicht gelungen darzulegen, dass die Kündigung unmittelbar oder mittelbar auf seiner Behinderung beruht, oder ist solches unstreitig nicht der Fall, besteht keine Veranlassung, gleichwohl über die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes die Unwirksamkeit der Kündigung anzunehmen (insoweit ähnlich Wietfeld RdA 2025, 49, 53). Die angemessenen Vorkehrungen sollen allein dazu dienen, behinderungsspezifische Nachteile auszugleichen und so Arbeitnehmern mit Behinderung eine gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen. Beruht die Kündigung jedoch weder unmittelbar noch mittelbar auf der Behinderung, ist kein behinderungsspezifischer Nachteil auszugleichen. Dies steht im Einklang mit Erwägungsgrund 17 zur Richtlinie 2000/78/EG, wonach „Mit dieser Richtlinie ... nicht die ... Weiterbeschäftigung ... einer Person vorgeschrieben [wird], wenn diese Person für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes ... nicht kompetent, fähig oder verfügbar ist“.

24c) Sähe man das Unterlassen angemessener Vorkehrungen bei Arbeitnehmern mit Behinderung als einen Fall der Benachteiligung iSd. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes an, würde man sich ferner über die vom Gesetzgeber bezweckte Beschränkung des Schutzes des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vor ungünstigeren Behandlungen hinwegsetzen und so die Grenzen einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts überschreiten (vgl.  - [Luso Temp] Rn. 57;  - Rn. 20, BAGE 178, 66). Durch das Nichtergreifen angemessener Vorkehrungen werden Arbeitnehmer mit Behinderung nicht - wie indes von § 3 Abs. 1 und 2 AGG vorausgesetzt - gegenüber solchen ohne Behinderung benachteiligt. Denn bei Arbeitnehmern ohne Behinderung besteht keine Obliegenheit des Arbeitgebers, angemessene Vorkehrungen zu treffen. In § 3 Abs. 3 bis 5 AGG werden der Benachteiligung die Belästigung, die sexuelle Belästigung und die Anweisung zur Benachteiligung „gleichgestellt“. Eine entsprechende Regelung findet sich für das Unterlassen angemessener Vorkehrungen nicht. Der Gesetzgeber hat an seiner Entscheidung, das Unterlassen angemessener Vorkehrungen nicht als Benachteiligung iSd. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes anzusehen, auch später ausdrücklich festgehalten. Ein Antrag mehrerer Abgeordneter der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom auf eine entsprechende Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (BT-Drs. 18/9055 S. 2) wurde auf Empfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz vom (BT-Drs. 18/11639) abgelehnt (vgl. BT-Plenarprotokoll 18/240 S. 24536 D).

258. Ein Arbeitnehmer kann sich, was die Obliegenheit zum Ergreifen angemessener Vorkehrungen anbelangt, gegenüber seinem privatrechtlichen Arbeitgeber nicht unmittelbar auf die Regelungen der UN-BRK oder der Richtlinie 2000/78/EG berufen. Der Gerichtshof der Europäischen Union weist in seiner Rechtsprechung darauf hin, dass die Bestimmungen der UN-BRK nach deren Genehmigung durch die Union (Beschluss 2010/48/EG des Rates vom ) integrierender Bestandteil der Unionsrechtsordnung seien. Daraus folge, dass die Richtlinie 2000/78/EG nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit der UN-BRK auszulegen sei (vgl.  ua. - [HK Danmark] Rn. 28 ff.). Eine unmittelbare Anwendung der UN-BRK hat der Gerichtshof der Europäischen Union aufgrund des Erfordernisses von Umsetzungsmaßnahmen in den Vertragsstaaten sowie des programmatischen Charakters nicht angenommen (vgl.  - Rn. 86 ff.). Einer unionsrechtlichen Richtlinie - hier: der Richtlinie 2000/78/EG - kommt gegenüber Privaten keine unmittelbare Wirkung zu.

26II. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass die Kündigung nicht wegen Unterlassens angemessener Vorkehrungen nach § 242 BGB unwirksam ist. Der Senat lässt es angesichts der fehlenden Entscheidungserheblichkeit ausdrücklich offen, welche Rechtsfolgen das Nichtergreifen angemessener Vorkehrungen durch einen Arbeitgeber vor der Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers mit Behinderung im Einzelfall haben kann.

271. Arbeitnehmer sind durch die zivilrechtlichen Generalklauseln (§ 138 Abs. 1, § 242 BGB) vor einer sitten- oder treuwidrigen Kündigung des Arbeitgebers geschützt, wobei der objektive Gehalt der Grundrechte zu beachten ist (st. Rspr., vgl.  - Rn. 18, BAGE 180, 331). Da die UN-BRK auch Bestandteil des - ggf. unionsrechtskonform auszulegenden - deutschen Rechts ist ( - Rn. 41, BAGE 169, 267; - 8 AZR 402/14 - Rn. 20, BAGE 155, 61), sind die Regelungen der UN-BRK sowie der in ihrem Licht auszulegenden Richtlinie 2000/78/EG bei der Anwendung der Generalklauseln, vor allem bei der Prüfung des § 242 BGB zu berücksichtigen.

282. Eine Kündigung verstößt in der Regel gegen § 242 BGB, wenn sie auf willkürlichen, sachfremden oder diskriminierenden Motiven beruht (vgl.  - Rn. 33, BAGE 171, 44). Die primäre Darlegungs- und Beweislast liegt in diesen Fällen beim Arbeitnehmer, der Tatsachen vortragen muss, aus denen sich die Treuwidrigkeit ergibt (vgl.  - Rn. 26).

293. Der Arbeitnehmer müsste deshalb, wenn er sich auf die Unwirksamkeit einer Kündigung wegen Unterlassens angemessener Vorkehrungen durch den Arbeitgeber beruft, zunächst darlegen, dass die Kündigung im Zusammenhang mit der Behinderung steht.

30a) Insofern könnte es genügen, dass die Kündigung einen Bezug zur Behinderung des Arbeitnehmers aufweist, ohne dass eine auch bloß mittelbare Benachteiligung iSv. § 3 AGG vorliegt. Denn die Regelungen der UN-BRK und des Unionsrechts erfordern die Beseitigung der verschiedenen Barrieren, die die volle und wirksame Teilhabe der Menschen mit Behinderung am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, behindern (vgl.  - [HR Rail] Rn. 44). Deshalb könnten den Arbeitgeber - auch schon in der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG und im Kleinbetrieb iSv. § 23 Abs. 1 KSchG - gegenüber Arbeitnehmern mit Behinderung erhöhte Fürsorgepflichten bis hin zu angemessenen Vorkehrungen iSd. UN-BRK und Art. 5 Satz 2 der Richtlinie 2000/78/EG treffen.

31b) Das ergibt sich für schwerbehinderte Menschen und ihnen Gleichgestellte auch aus der nationalen Regelung des § 164 SGB IX. Nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf eine Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Daraus kann sich ein Anspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers auf anderweitige - auch vertragsfremde - Beschäftigung ergeben, wenn er seine vertraglich geschuldete Tätigkeit wegen seiner Behinderung nicht mehr ausüben kann, es sei denn, die anderweitige Beschäftigung ist dem Arbeitgeber unzumutbar oder für ihn mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden. Insbesondere muss der Arbeitgeber keinen zusätzlichen, bisher nicht vorhandenen und nicht benötigten Arbeitsplatz dauerhaft einrichten (st. Rspr., vgl.  - Rn. 24, BAGE 169, 26; - 6 AZR 329/18 - Rn. 35, BAGE 166, 363; - 2 AZR 664/13 - Rn. 25). Aus § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 und 5 SGB IX kann sich ferner ein Anspruch des schwerbehinderten Arbeitnehmers auf behinderungsgerechte Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfelds, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit sowie auf Ausstattung des Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen ergeben. Die Rechte aus § 164 Abs. 4 SGB IX bestehen bereits in der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG und auch in einem Kleinbetrieb iSv. § 23 Abs. 1 KSchG.

324. Der Arbeitnehmer hätte allerdings darzulegen, welche Vorkehrungen der Arbeitgeber im Hinblick auf die konkrete Behinderung und die sich daraus ergebenden Einschränkungen treffen kann, um die Weiterbeschäftigung zu ermöglichen. Ist ihm aufgrund seiner Behinderung die bisherige Beschäftigung nicht möglich, muss er Beschäftigungsmöglichkeiten aufzeigen, die seinem infolge der Behinderung eingeschränkten Leistungsvermögen und seinen Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechen (vgl. zu § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX  - Rn. 35). Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach als angemessene Vorkehrung eine Weiterbeschäftigung nur bei freien Arbeitsplätzen in Betracht kommt, für die der Arbeitnehmer die notwendige Kompetenz, Fähigkeit und Verfügbarkeit aufweist (vgl.  - [Ca Na Negreta] Rn. 45 f.; - C-485/20 - [HR Rail] Rn. 43, 45, 48).

335. Ist der Arbeitnehmer seiner primären Darlegungslast nachgekommen, müsste der Arbeitgeber sich nach § 138 Abs. 2 ZPO qualifiziert auf das Vorbringen des Arbeitnehmers einlassen, um es zu entkräften. Er kann insbesondere darlegen, dass ihn die angemessenen Vorkehrungen im konkreten Einzelfall unverhältnismäßig belasten (vgl.  - [Nobel Plastiques Ibérica] Rn. 65), oder sie nicht geeignet sind, das Kündigungsmotiv auszuräumen.

346. Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Auffassung (Wietfeld RdA 2025, 49, 52) ist es nicht widersprüchlich, einem schwerbehinderten Arbeitnehmer außerhalb des - zeitlichen und/oder betrieblichen - Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes ggf. die erforderlichen Maßnahmen nach § 164 SGB IX zur Vermeidung einer Kündigung zuzugestehen, ihm aber das der Suche nach solchen Maßnahmen dienende Präventionsverfahren vorzuenthalten. Hierdurch würden zwar die Darlegungslasten in der zuvor dargestellten Weise auf den Arbeitnehmer verschoben. Das mag die Rechtsstellung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers in einem vermindert bestandsgeschützten Arbeitsverhältnis gegenüber einem solchen im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes schwächen. Widersprüchlich ist dies aber nicht. Vielmehr entspricht es der ständigen Rechtsprechung zur ausnahmsweisen Unwirksamkeit einer Kündigung nach den zivilrechtlichen Generalklauseln. Zudem genießen schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Arbeitnehmer insoweit einen stärkeren Schutz als Arbeitnehmer ohne Behinderung, selbst wenn Erstere gegenüber Letzteren nicht einmal mittelbar benachteiligt werden.

357. Es bedarf im Streitfall keiner abschließenden Entscheidung über die Folgen des Unterlassens angemessener Vorkehrungen. Die fachliche Nichteignung des Klägers für die Tätigkeit als Leiter für die Haus- und Betriebstechnik stand nach den den Senat bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts in keinerlei Zusammenhang mit der Schwerbehinderung des Klägers. Sie hätte durch angemessene, behinderungsspezifische Vorkehrungen nicht beseitigt werden können. Der Kläger hat auch keine freien Arbeitsplätze bei der Beklagten konkret benannt, für die er die notwendige Kompetenz, Fähigkeit und Verfügbarkeit aufgewiesen habe.

36III. Eine Unwirksamkeit der Kündigung wegen Unterlassens angemessener Vorkehrungen folgt vorliegend nicht aus § 612a BGB.

371. Nach § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht deshalb bei einer Maßnahme benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Das Benachteiligungsverbot soll den Arbeitnehmer in seiner Willensfreiheit bei der Entscheidung darüber schützen, ob ein Recht ausgeübt wird oder nicht. Die Norm erfasst einen Sonderfall der Sittenwidrigkeit. Ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB liegt vor, wenn die zulässige Rechtsausübung des Arbeitnehmers der tragende Beweggrund, dh. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme ist. Es reicht nicht aus, dass die Rechtsausübung nur den äußeren Anlass für die Maßnahme bietet. Handelt der Arbeitgeber aufgrund eines Motivbündels, so ist auf das wesentliche Motiv abzustellen. Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses kann eine Maßnahme iSv. § 612a BGB sein ( - Rn. 10, BAGE 180, 331).

382. Eine Kündigung, die erfolgt, nachdem der Arbeitnehmer Rechte aus § 164 Abs. 4 SGB IX in zulässiger Weise geltend gemacht hat, kann zwar einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB begründen. Das Landesarbeitsgericht hat aber nicht festgestellt, dass der Kläger vor Zugang der streitbefangenen Kündigung Ansprüche aus § 164 Abs. 4 SGB IX - zumal berechtigterweise - geltend gemacht hätte.

39IV. Ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht veranlasst. Die vorliegend maßgeblichen sekundärrechtlichen Fragen sind durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt (vgl.  - [Ca Na Negreta] Rn. 45 f.; - C-485/20 - [HR Rail] Rn. 43, 45, 48; - C-397/18 - [Nobel Plastiques Ibérica] Rn. 64 f.; - C-335/11 ua. - [HK Danmark] Rn. 28 ff.).

40V. Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Er ist auf eine Beschäftigung bis zum Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens gerichtet. Dieses ist mit der Entscheidung des Senats rechtskräftig beendet (vgl.  - Rn. 27).

41VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2025:030425.U.2AZR178.24.0

Fundstelle(n):
ZAAAJ-96228