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BGH Beschluss v. - 2 StR 493/24

Instanzenzug: LG Meiningen Az: 2 KLs 416 Js 19981/21 jug

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in kinderpornographischer Absicht in Tateinheit mit Herstellen von kinderpornographischen Inhalten und sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in vier Fällen sowie des Herstellens von kinderpornographischen Inhalten, des Zugänglichmachens von kinderpornographischen Inhalten sowie des Besitzes von kinderpornographischen Inhalten in zwei Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.

2Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

31. Der Schuldspruch bedarf in den Fällen II.1 und II.3 bis 6 der Urteilsgründe der Korrektur.

4a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts lud der Angeklagte am eine Videodatei kinderpornographischen Inhalts aus dem Internet herunter (Fall II.1 der Urteilsgründe). Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen 2016 und 2019 veranlasste der Angeklagte seinen im Jahr 2011 geborenen Sohn, an dessen Glied zu manipulieren (Fall II.3 der Urteilsgründe). Zwischen dem 25. und dem fasste der Angeklagte seinem Sohn an das Gesäß und manipulierte an dessen Penis (Fall II.4 der Urteilsgründe). An einem weiteren Tag nach dem streichelte der nackte Angeklagte seinen nur mit einer Netzstrumpfhose bekleideten Sohn am Oberschenkel und berührte mit seinem erigierten Penis das Gesäß des Kindes (Fall II.5 der Urteilsgründe). Schließlich manipulierte der Angeklagte am am Glied seines Sohnes und wies ihn an, es ihm gleich zu tun (Fall II.6 der Urteilsgründe). Von den Taten fertigte der Angeklagte Bild- (Fälle II.3 und II.5 der Urteilsgründe) und Videoaufnahmen (Fälle II.4 bis II.6 der Urteilsgründe), die er auf seinem Mobiltelefon abspeicherte. Nach den Feststellungen beabsichtigte der Angeklagte hierbei nicht, die Aufnahmen Dritten zugänglich zu machen. Darüber hinaus besaß der Angeklagte in einem weiteren Fall (Fall II.8 der Urteilsgründe) kinderpornographisches Bildmaterial, machte solche Bildaufnahmen einem anderen zugänglich (Fall II.2 der Urteilsgründe) und stellte solche in einem weiteren Fall (Fall II.7 der Urteilsgründe) her.

5b) Diese Taten sind rechtlich wie aus der Beschlussformel ersichtlich zu bewerten.

6aa) In den Fällen II.1 und II.3 der Urteilsgründe bedarf der Schuldspruch der Richtigstellung dahin, dass Gegenstand der Taten kinderpornographische Schriften sind. Dieser Begriff wurde erst durch das Sechzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom (BGBl. I, S. 2600) mit Wirkung ab dem in § 184b StGB durch den Begriff „Inhalte“ ersetzt. Außerdem ist die Tat im Fall II.1 der Urteilsgründe als Sichverschaffen kinderpornographischer Schriften zu kennzeichnen. Das Landgericht hat einen konkreten Verschaffensakt am festgestellt. Die Tatvariante des Besitzes tritt als Auffangtatbestand hinter das Sichverschaffen zurück (vgl. , Rn. 23 ff., und vom – 3 StR 447/24, Rn. 29 ff.).

7bb) Die weitergehende Verurteilung auch wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in kinderpornographischer Absicht gemäß § 176a Abs. 3 StGB in der Fassung vom (Fall II.3 der Urteilsgründe), vom (Fall II.4 der Urteilsgründe) sowie gemäß § 176c Abs. 2 StGB in der geltenden Fassung (Fälle II.5 und II.6 der Urteilsgründe) hat zu entfallen, weil der Angeklagte nicht beabsichtigte, die Aufnahmen der Missbrauchstaten anderen zugänglich zu machen. Die Begehung der Missbrauchstat bloß in der Absicht, eine kinderpornographische Schrift bzw. einen kinderpornographischen Inhalt herzustellen, reicht für die Erfüllung des Qualifikationstatbestands nicht aus. Vielmehr muss der Täter anschließend eine Handlung im Sinne einer der (nunmehr) in § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 StGB strafbewehrten Verbreitungsvarianten intendieren (, NStZ 2025, 100, 103 Rn. 43; aA LK-StGB/Hörnle, 13. Aufl., § 176c Rn. 56; BeckOK-StGB/Ziegler, 65. Ed., § 176c Rn. 16; krit. auch Gräbener, jurisPR-StrafR 21/2024 Anm. 3). Soweit der Senat in der Vergangenheit anderes vertreten hat (vgl. , Rn. 16; Beschluss vom – 2 StR 511/23, Rn. 24), gibt er seine abweichende Auffassung auf.

8(1) Aus Wortlaut und Systematik der nur betreffend die Bezeichnung „Schrift“ und „Inhalt“ voneinander abweichenden Fassungen des § 176a Abs. 3 StGB vom und vom und des im maßgeblichen Teil mit diesen Fassungen übereinstimmenden § 176c Abs. 3 StGB in der geltenden Fassung folgt, dass die Strafbarkeit nach diesen Vorschriften eine doppelte Absicht voraussetzt (vgl. , NStZ 2025, 100, 103 Rn. 43). Der Täter muss die Absicht haben, die Missbrauchstat zum Gegenstand einer kinderpornographischen Schrift bzw. eines kinderpornographischen Inhalts zu machen. Außerdem muss er beabsichtigen, die Schrift bzw. den Inhalt anschließend zu verbreiten. Das Erfordernis einer doppelten Absicht kommt durch das Hintereinandersetzen der beiden letzten Halbsätze in allen drei Fassungen zum Ausdruck („… in der Absicht handelt, die Tat zum Gegenstand … zu machen, die [bzw. der] … verbreitet werden soll“). Denn hätte es der Gesetzgeber für ausreichend erachtet, dass der Täter (nur) in der Absicht handelte, die Tat zum Gegenstand einer pornographischen Schrift bzw. eines pornographischen Inhalts zu machen, hätte er auf die Hinzufügung des letzten Halbsatzes verzichtet.

9Die Anfügung des letzten Halbsatzes ist nicht damit erklärlich, der Gesetzgeber habe mittels des Verweises auf § 184b Abs. 1 und 2 StGB den Tatgegenstand des vorletzten Halbsatzes auf reproduzierbare Dateninhalte einschränken wollen (so aber Gräbener, jurisPR-StrafR 21/2024 Anm. 3). Eine Erweiterung des Tatgegenstands auf „unabhängig von einer Speicherung mittels Informations- oder Kommunikationstechnik“ übertragbare Inhalte lag erst § 176a Abs. 3 StGB in der Fassung vom wegen der erweiterten Definition des „Inhalts“ in § 11 Abs. 3 StGB in der Fassung vom zugrunde. Die bis zur heutigen Fassung des § 176c Abs. 2 StGB erhaltene Regelungstechnik des Hintereinandersetzens zweier unterschiedlich umschriebener Absichten lag aber bereits § 176a Abs. 3 StGB in der Fassung vom zugrunde, der als Tatgegenstand eine reproduzierbare „Schrift“ zum Gegenstand hatte.

10(2) Das aus Wortlaut und Systematik ableitbare Normverständnis findet Bestätigung in der Gesetzeshistorie.

11(a) Die Qualifikation des Missbrauchs in kinderpornographischer Absicht wurde durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts vom (BGBl. I, S. 164) in § 176a Abs. 2 StGB aufgenommen. Der Gesetzgeber wollte hiermit das gesteigerte Unrecht der „auf Vermarktung abzielenden Kinderschändung“ erfassen (BT-Drucks. 13/8587, S. 32). Dementsprechend verwies § 176a Abs. 2 StGB in der Fassung vom lediglich auf die Fälle des § 184 Abs. 3 StGB in der Fassung vom (und dessen Qualifikation in Absatz 4), welche das Verbreiten (im engeren Sinne, Nummer 1) und das öffentliche Zugänglichmachen (Nummer 2) mit Strafe bedrohten. Soweit Nummer 3 darüber hinaus weitere Tathandlungen (u.a. das Herstellen) umfasste, genügten diese nur, wenn sie mit der Intention der Verwendung im Sinne der Nummern 1 oder 2 vorgenommen wurden. Das in § 184 Abs. 5 StGB in der Fassung vom mit Strafe bedrohte Unternehmen, sich oder einem Dritten den Besitz an einem solchen Inhalt zu verschaffen, sowie der Besitz selbst waren dagegen von der Verweisung des § 176a Abs. 2 StGB in der Fassung vom nicht erfasst.

12(b) Durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom (BGBl. I, S. 3007) fasste der Gesetzgeber die Vorschriften über Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften in § 184b StGB in der Fassung vom zusammen. Die bis dahin in § 184 Abs. 3 StGB geregelten Fälle wurden in § 184b Abs. 1 StGB in der Fassung vom überführt. Daneben wurde das zuvor in § 184 Abs. 5 StGB in der Fassung vom geregelte Unternehmen, einem anderen den Besitz an einer kinderpornographischen Schrift zu verschaffen, aus seinem bisherigen Regelungszusammenhang herausgelöst, in § 184b Abs. 2 StGB der neuen Fassung normiert und das Strafmaß auf dasjenige des Absatzes 1 angehoben. Das Sichverschaffen und der Besitz wurden demgegenüber im nachfolgenden § 184b Abs. 4 StGB geregelt. Mit der Neuregelung der Drittbesitzverschaffung reagierte der Gesetzgeber (vgl. BT-Drucks. 15/350, S. 20 f.) auf die Entwicklung des Internets, in dem kinderpornographische Schriften zunehmend innerhalb geschlossener Benutzergruppen mit überschaubarem Personenkreis weitergegeben werden konnten. Die mit der Änderung bewirkte Gleichstellung des Verbreitens bzw. öffentlichen Zugänglichmachens (Absatz 1) mit der Besitzverschaffung an auch nur einen anderen (Absatz 2) in § 184b StGB in der Fassung vom vollzog der Gesetzgeber auch in § 176a Abs. 2 StGB in der Fassung vom mit, indem er als „Folgeänderung“ (vgl. BT-Drucks. 15/350, S. 18) den Verweis auf den neuen § 184b Abs. 1 bis 3 StGB erstreckte und damit den Begriff des „Verbreitens“ in § 176a Abs. 3 StGB erweiterte.

13(c) Dagegen war eine weitere Ausdehnung der Strafbarkeit nach § 176a Abs. 3 StGB in der Fassung vom mit der Aufnahme des Herstellens kinderpornographischer Schriften in § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB in der Fassung vom durch das Neunundvierzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom (BGBl. I, S. 10) nicht beabsichtigt.

14Die Einführung dieses Tatbestands sollte die nach Art. 5 Abs. 6 der Richtlinie 2011/93/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates und Art. 20 Abs. 1 Buchst. a) des Übereinkommens des Europarats zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch („Lanzarote-Konvention“) vorzusehende Pönalisierung der Herstellung kinderpornographischer Inhalte mit realem Geschehen sicherstellen. Diese sah der Gesetzgeber „in aller Regel“ bereits durch §§ 176, 176a StGB in der Fassung vom – gegebenenfalls i.V.m. §§ 26, 27 StGB – gewährleistet und nahm § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB in der Fassung vom lediglich „zur Klarstellung“ als neuen Tatbestand auf (vgl. BT-Drucks. 18/2601, S.30). Damit brachte er zum Ausdruck, dass er das strafwürdige Unrecht auch in Fällen, in denen die Missbrauchstat aufgezeichnet wird, in erster Linie weiterhin in dem Missbrauch selbst erkannte. Dass der (beabsichtigten) Aufzeichnung der Tat bereits als solcher – d.h. ohne sie mindestens einem anderen zugänglich machen zu wollen – ein darüber hinausgehender eigenständiger Unwertgehalt zugemessen werden sollte, der die Qualifikation nach § 176a Abs. 3 StGB in der Fassung vom auslösen sollte, ist mit Blick auf den bloß klarstellenden Charakter der Einfügung des § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB mit Geltung ab dem auszuschließen.

15Hierfür bietet die Gesetzesbegründung auch im Übrigen keine Anhaltspunkte; ein Hinweis darauf, dass durch die Änderung der Anwendungsbereich des § 176a Abs. 3 StGB in der Fassung vom ausgeweitet werden sollte, findet sich an keiner Stelle. Ein solcher wäre jedoch zu erwarten gewesen, wenn nunmehr das Herstellen in § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB in der Fassung vom den weiteren Tatvarianten der Verbreitung an viele (Nummer 1) und des Zugänglichmachens an einzelne (Nummer 2) innerhalb des § 176a Abs. 3 StGB in der Fassung vom hätte gleichgestellt werden sollen. Denn damit hätte sich der Gesetzgeber, wofür nichts ersichtlich ist, von der bisherigen Strafgrunderwägung („auf Vermarktung abzielende Kinderschändung“) gelöst. Dafür, dass nunmehr die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Verletzten gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in Gestalt des Rechts am eigenen Bild zum Anknüpfungspunkt der Strafschärfung gemacht werden sollte, geben die Gesetzesmaterialien nichts her. Die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/19859, S. 61) zum Sechzigsten Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom (BGBl. I, S. 2600), die den gesteigerten Unwert des §  176a Abs. 3 StGB in der Fassung vom weiterhin allein in der auf „Vermarktung abzielenden Kinderschändung“ sah, der nicht davon abhänge, „ob die Verbreitung durch einen Livestream oder zum Beispiel durch die Weitergabe einer Videoaufzeichnung erfolgt“, bringt das Gegenteil zum Ausdruck. Sie zeigt, dass der Gesetzgeber auf das Erfordernis einer Verbreitung (im weiteren Sinn) nicht verzichten wollte.

16c) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab. § 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

172. Die Schuldspruchänderung in den Fällen II.3 bis II.6 der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der insoweit verhängten Einzelstrafen sowie der Gesamtstrafe nach sich. Die Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können um solche ergänzt werden, die den bisher getroffenen nicht widersprechen.

Menges                        Meyberg                        Grube

                 Schmidt                     Zimmermann

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:210525B2STR493.24.0

Fundstelle(n):
QAAAJ-96176