Instanzenzug: LG Augsburg Az: 10 KLs 301 Js 126763/24 (2)
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 20 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 8.000 € angeordnet. Zudem hat es für die Anrechnung in Österreich erlittener Auslieferungshaft einen Maßstab von 1 zu 1 bestimmt. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit welcher er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit der Verfahrensrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
2Die Verfahrensrüge hat die rechtsfehlerhafte Behandlung eines Beweisantrags kurz vor Schluss der Beweisaufnahme zum Gegenstand, den das Landgericht mittels Wahrunterstellung (§ 244 Abs. 6 Satz 1, Abs. 3 Satz 3 Nr. 6 StPO) erledigt hat.
3a) Zum Beweis der Tatsachen, dass der Bauunternehmer J. den Angeklagten mit dem Erbringen von Handwerkerleistungen, insbesondere mit dem Verlegen von Fliesen, auf Baustellen in A. im Tatzeitraum (Sommer 2022 sowie Dezember 2022 und Januar 2023) beauftragte und ihm ein Zimmer in der Pension vermittelte, auf deren Dach zum Abverkauf bestimmte 503,71 Gramm Heroin bis zur Durchsuchung am nach Festnahme des anderweitig verurteilten „Läufers“ M. gelagert waren, beantragte der Verteidiger, J. als Zeugen zu vernehmen. Damit wollte die Verteidigung ersichtlich einen unverfänglichen Beweggrund des Angeklagten, der zum Tatvorwurf schwieg und bereits am nach T. zurückgeflogen war, für dessen Aufenthalt in A. während des 20maligen Abverkaufs von jeweils zehn Gramm Heroin bzw. dessen zeitnahen Aufenthalt am Tatort nachweisen. Auch sollte das gemeinsame Nutzen des Doppelzimmers in der Pension mit dem gesondert Verfolgten S. , der die Verkaufsgeschäfte unter dem Decknamen „Al. “ einfädelte, als zufällig erscheinen. Diesen Beweisantrag lehnte das Landgericht mit der Begründung ab, die unter Beweis gestellten Tatsachen würden als wahr behandelt. In den Urteilsgründen führte es aus, „die Möglichkeit, dass der Angeklagte zufällig mit dem anderweitig Verfolgten S. in die Pension ‚B. ‘ ein- und ausgecheckt, ein Doppelzimmer bewohnt und gemeinschaftlich bezahlt, aber nichts von etwaigen Betäubungsmittelgeschäften mitbekommen bzw. nicht in diese involviert gewesen sein soll, hält die Kammer für lebensfremd“ (UA S. 20; ebenso UA S. 29 f.).
4b) Diese Vorgehensweise verstößt gegen § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 6, Abs. 6 Satz 1 StPO, weil das Landgericht bei der Urteilsfindung seine Zusage, bestimmte Behauptungen zugunsten des Angeklagten als wahr zu behandeln, nicht eingehalten hat.
5aa) Jenseits der Frage, die auch hier nicht entschieden werden muss, ob das Tatgericht vor Urteilsverkündung (wenigstens) darauf hinweisen muss, wenn es aus den als wahr unterstellten Tatsachen nunmehr keine dem Angeklagten günstigen Schlüsse ziehen, diese mithin als aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos behandelt wissen will, worauf die Verteidigung reagieren kann (vgl. § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2, Abs. 6 Satz 1 StPO: „formalisierter Dialog“; vgl. dazu Rn. 10 mwN), dürfen die Urteilsgründe jedenfalls einer Wahrunterstellung nicht widersprechen. Denn der Angeklagte kann grundsätzlich auf die Einhaltung einer solchen Zusage vertrauen und danach seine Verteidigung ausrichten. In diesem berechtigten Vertrauen wird er enttäuscht, wenn das Gericht von der Wahrunterstellung abrückt. Die als wahr unterstellte Beweistatsache ist in ihrer Bedeutung, wie sie sich nach dem Sinn und Zweck des Beweisantrags ergibt, ohne Verkürzung, Umdeutung oder sonstige inhaltliche Änderung als wahr – das heißt als erwiesen – zu unterstellen und dem Urteil zugrunde zu legen (st. Rspr.; Rn. 9 mwN).
6bb) Das Landgericht ist in seiner Beweiswürdigung vom Gegenteil dessen ausgegangen, was der Angeklagte mit seinem Beweisantrag nachweisen wollte. Denn er wollte das Landgericht davon überzeugen, dass er tatsächlich nur „zufällig“ mit S. das Pensionszimmer teilte bzw. dieselbe Pension wie M. aufsuchte. Das Landgericht hat damit den erkennbaren Sinngehalt des Beweisantrags im Urteil missachtet, zumal nach seinen weiteren Feststellungen (UA S. 8) Bauarbeiter und Monteure die Pension regelmäßig nutzten, der intendierte Aufenthaltsgrund also plausibel war.
7cc) Das Urteil beruht auf dem aufgezeigten Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Das Landgericht hat u.a. für „besonders entscheidend“ gehalten, „dass sich der Angeklagte jeweils gemeinschaftlich mit dem anderweitig Verfolgten S. und teilweise auch gleichzeitig dem anderweitig Verurteilten M. in die gemeinsame Unterkunft in der Straße eingemietet hat“ (UA S. 7; ebenso UA S. 29). Es ist daher nicht auszuschließen, dass es in seiner Gesamtwürdigung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn es das Indiz der gemeinsamen Zimmer- und Pensionsnutzung mit potentiellen Mittätern nicht herangezogen hätte.
Jäger Fischer Wimmer
Leplow Welnhofer-Zeitler
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:100625B1STR219.25.0
Fundstelle(n):
SAAAJ-96038