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BGH Beschluss v. - 2 StR 214/24

Instanzenzug: Az: 2 StR 214/24 Beschlussvorgehend LG Gera Az: 9 KLs 332 Js 27285/22 jugnachgehend Az: 2 StR 214/24 Beschluss

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten „der gewerbsmäßigen unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben von Betäubungsmitteln und unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln, des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in fünf Fällen und des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln“ schuldig gesprochen und ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug von einem Jahr und acht Monaten Freiheitsstrafe angeordnet. Schließlich hat das Landgericht gegen den Angeklagten als Gesamtschuldner „die Einziehung von 4.200,- Euro“ angeordnet.

2Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

31. Der Verfahrensrüge bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt.

42. Soweit der Angeklagte im Fall III. 34 der Urteilsgründe für den Kauf und die Übernahme von zum Eigenkonsum bestimmten 11,45 Gramm Haschisch mit einem „Mindestwirkstoffgehalt“ von 12 % THC am wegen „unerlaubten“ Erwerbs von Betäubungsmitteln verurteilt wurde, hat diese Verurteilung keinen Bestand, da der Erwerb und der Besitz dieser Menge zum Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 2 Abs. 3 StGB, § 354a StPO) – anders als im Tat- und Urteilszeitpunkt – unter keinen Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestand mehr fallen. Der Angeklagte ist daher insoweit mit entsprechender Kostenfolge freizusprechen (§ 354 Abs. 1 Satz 1 StPO).

53. In den Fällen III. 9 bis III. 13 der Urteilsgründe, in denen der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen mit Haschischmengen zwischen zwei und zehn Gramm handelte, waren die Schuldsprüche im Hinblick auf das am in Kraft getretene Konsumcannabisgesetz (KCanG) anzupassen. Der Schuldspruch lautet in diesen Fällen auf Handeltreiben mit Cannabis in fünf Fällen.

6Die neue Rechtslage erweist sich in diesen Fällen bei dem nach § 2 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 354a StPO gebotenen konkreten Gesamtvergleich als für den Angeklagten günstiger als das Tatzeitrecht. Das Landgericht hat die Regelwirkung der gewerbsmäßigen Tatbestandsverwirklichung gemäß § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG verneint und der Verurteilung jeweils den Strafrahmen aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG zu Grunde gelegt, der Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vorsieht. Seine Strafrahmenwahl hat es unter anderem mit der geständigen Einlassung des Angeklagten, mit seinem straffreien Vorleben und mit dem „moderaten Abhängigkeits- und Schädigungspotenzial“ von Haschisch und Marihuana begründet. Angesichts dieser Begründung kann der Senat ausschließen, dass der Tatrichter bei Anwendung des Konsumcannabisgesetzes wegen der Gewerbsmäßigkeit einen besonders schweren Fall des Handeltreibens mit Cannabis nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KCanG angenommen hätte. Der Strafrahmen des § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG, der Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vorsieht, erweist sich mithin im konkreten Vergleich als milder. Dies hat neben der Schuldspruchänderung entsprechend § 354 Abs. 1 StPO, der § 265 Abs. 1 StPO nicht entgegensteht, die Aufhebung der Einzelstrafaussprüche in diesen Fällen zur Folge.

74. In den Fällen III. 1, III. 2 und III. 5 der Urteilsgründe führt das Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes zur Aufhebung der Schuldsprüche und in der Folge auch der Strafaussprüche. Die Entscheidung darüber, ob das nunmehr geltende Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB milder ist, kann der Senat nicht abschließend treffen.

8a) Im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB milder ist das Gesetz, das anhand des konkreten Falls nach einem Gesamtvergleich des früher und des derzeit geltenden Strafrechts das dem Angeklagten günstigere Ergebnis zulässt (, BGHSt 67, 130, 131 f. Rn. 12; Beschluss vom – 3 StR 154/24, NStZ 2024, 547 f. Rn. 5, jeweils mwN). Hängt die Beurteilung des im Einzelfall milderen Rechts davon ab, ob die Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung genutzt, etwa ein gesetzlich geregelter besonders oder minder schwerer Fall angenommen wird, obliegt die Bewertung grundsätzlich dem Tatgericht, sofern eine abweichende Würdigung nicht sicher auszuschließen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 154/24, aaO; vom – 3 StR 164/24, Rn. 15, und vom – 2 StR 243/24, Rn. 7 mwN).

9b) Nach diesen Grundsätzen kann der Senat in den Fällen III. 1, III. 2 und III. 5 der Urteilsgründe das mildere Gesetz nicht selbst bestimmen.

10Das Landgericht hat auf der Grundlage des Betäubungsmittelgesetzes in den Fällen III. 1 und III. 2 der Urteilsgründe jeweils einen minder schweren Fall der gewerbsmäßigen Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige gemäß § 30 Abs. 2 BtMG abgelehnt und die Strafe dem Strafrahmen des § 30 Abs. 1 Nr. 2, § 29a Abs. 1 Nr. 1 und 2 BtMG entnommen, der wie § 34 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Buchst. a) und Nr. 4 KCanG eine Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren vorsieht. Der Strafrahmen des Konsumcannabisgesetzes erweist sich damit nicht als milder als der Strafrahmen des zur Tatzeit geltenden § 30 Abs. 1 BtMG. Allerdings sieht § 34 Abs. 4 KCanG einen Strafrahmen von Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren für minder schwere Fälle vor, der wegen der Sperrwirkung der Strafuntergrenze des tateinheitlich verwirklichten § 29a Abs. 1 Nr. 1 und 2 BtMG milder ist als der des § 30 Abs. 2 BtMG, sofern das Tatgericht nicht zugleich einen minder schweren Fall des § 29a Abs. 2 BtMG bejaht (vgl. auch , Rn. 11). Ob das Konsumcannabisgesetz das mildere Recht ist, hängt mithin davon ab, ob – auch mit Blick auf die geringe Überschreitung des Grenzwertes zur nicht geringen Menge (vgl. dazu , NStZ 2017, 658, 659 f.) – ein minder schwerer Fall nach § 34 Abs. 4 KCanG, nicht aber nach § 29a Abs. 2 BtMG angenommen wird (vgl. , Rn. 7). Dieser Strafzumessungsakt obliegt indes allein dem Tatgericht (vgl. , NStZ-RR 2024, 381). Die Ungewissheit über das nach § 2 Abs. 1 und 3 StGB anwendbare Recht zieht die Aufhebung der tateinheitlichen Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach sich.

11Im Fall III. 5 der Urteilsgründe hat das Landgericht zwar einen minder schweren Fall nach § 30 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BtMG bejaht, der wie der minder schwere Fall des § 34 Abs. 4 Nr. 1 KCanG eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht. Ob das Landgericht aber hier von einer Sperrwirkung der Strafuntergrenze des tateinheitlich verwirklichten § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG von einem Jahr Freiheitsstrafe ausgegangen ist und sich mit der verhängten Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten an dem unteren Bereich des Strafrahmens orientiert hat, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Der Senat kann deshalb auch hier nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer Strafzumessung nach dem minder schweren Fall des § 34 Abs. 4 Nr. 1 KCanG eine niedrigere Strafe verhängt hätte.

125. In den Fällen III. 7. und III. 8. der Urteilsgründe ist der Schuldspruch nicht zu beanstanden. Das Landgericht ist zur Annahme eines minder schweren Falles gemäß § 30 Abs. 2 BtMG gelangt und hat darüber hinaus eine weitere Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorgenommen. Bei entsprechender Anwendung des Konsumcannabisgesetzes einschließlich der Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ist das neue Recht aufgrund des identischen Strafrahmens nicht milder, sodass gemäß § 2 Abs. 1 StGB das Tatzeitrecht weiter maßgeblich ist. Um dem neuen Tatgericht eine in sich stimmige Strafzumessung zu ermöglichen, hebt der Senat jedoch auch die für diese Fälle verhängten Einzelgeldstrafen auf.

136. In den Fällen III. 3, III. 4 und III. 6 der Urteilsgründe weist der Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Der Senat hebt jedoch auch in diesen Fällen die Einzelfreiheitsstrafen auf, um dem neuen Tatgericht eine umfassende und widerspruchsfreie Strafzumessungsentscheidung zu ermöglichen.

147. Die Aufhebung aller Einzelstrafen entzieht der Gesamtstrafe und der Berechnung des Vorwegvollzugs die Grundlage. Die Maßregelanordnung kann dagegen bestehen bleiben. Der Teilfreispruch im Fall III. 34 der Urteilsgründe und die Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen III. 1, III. 2 und III. 5 der Urteilsgründe ändern daran angesichts weiterer zehn Fälle, in denen die Schuldsprüche aufrechterhalten bzw. an die Rechtslage des Konsumcannabisgesetzes angepasst werden, nichts.

15Der Einziehungsentscheidung fehlt in Höhe eines Teilbetrags von 2.340 Euro infolge der Aufhebung der Fälle III. 1, III. 2 und III. 5 der Urteilsgründe die Grundlage. Im Übrigen weist die Einziehungsentscheidung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

168. Die Feststellungen sind von den Aufhebungen nicht betroffen. Sie können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO) und durch das neue Tatgericht durch solche ergänzt werden, die zu den getroffenen nicht in Widerspruch stehen.

Menges                         Zeng                         Grube

                Schmidt                      Lutz

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:260225B2STR214.24.2

Fundstelle(n):
OAAAJ-95867