Instanzenzug: Az: 3 KLs 2030 Js 21987/24
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Urkundenunterdrückung (Fall II. 2. der Urteilsgründe) sowie wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel und Sachbeschädigung (Fall II. 3. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision bleibt erfolglos. Sie ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, zieht allerdings eine Änderung des Schuldspruchs nach sich, die der Senat gemäß § 354 Abs. 1 StPO analog selbst vornimmt.
I.
21. Nach den Feststellungen zu Tat II. 3. der Urteilsgründe kam der vor einer Festnahme durch die Polizei mit seinem Pkw fliehende Angeklagte in einem von dieser veranlassten künstlichen Stau auf der rechten Fahrspur hinter einem Lkw zum Stehen. Hinter dem Fahrzeug des Angeklagten befand sich ein weiterer Lkw, in der Fahrspur links neben ihm standen zwei Streifenwagen der Polizei. Vier Polizeibeamte traten auf der Fahrerseite, ein weiterer auf der Beifahrerseite an den Pkw des Angeklagten heran, versuchten, mit ihm zu sprechen und forderten ihn mit vorgehaltener Dienstwaffe vergeblich auf, die Tür zu öffnen und auszusteigen. Einer der Polizeibeamten auf der Fahrerseite versuchte, die Scheibe der Fahrertür mit seinem Schlagstock einzuschlagen, was jedoch nicht gelang. Der Angeklagte, der sich der Festnahme durch die Polizeibeamten entziehen und fliehen wollte, entschloss sich daraufhin, mit seinem Pkw den Weg „frei zu rammen“. Er legte den Vorwärtsgang ein und fuhr mit seinem Pkw zunächst gegen den vor ihm stehenden Lkw, sodann gegen einen der links neben ihm stehenden Streifenwagen. Aufgrund des plötzlichen Vorwärtsfahrens mussten die umstehenden Polizeibeamten sich durch einen Sprung nach hinten – teilweise über die Mittelleitplanke auf die zu diesem Zeitpunkt unbefahrene Gegenfahrbahn – in Sicherheit bringen. Anschließend fuhr der Angeklagte ungebremst rückwärts gegen den dortigen Lkw und einen Streifenwagen. Eine Polizeibeamtin, die hinter einem abgestellten Streifenwagen stand, musste sich daher ebenfalls durch einen Sprung über die Mittelleitplanke auf die Gegenfahrbahn in Sicherheit bringen. Der Angeklagte versuchte weiter, sich durch mehrfaches Vor- und Zurückfahren gegen die abgestellten Streifenwagen und Lkw der Festnahme zu entziehen und zu fliehen, wobei er eines der Polizeifahrzeuge bis auf die Mittelleitplanke schob. Infolgedessen musste ein Polizeibeamter zur Seite springen, um nicht von dem Polizeifahrzeug getroffen zu werden. Dabei kam es dem Angeklagten darauf an, seine Fahrt mit seiner auf der Rückbank in einem Kindersitz angeschnallten Tochter fortzusetzen; letztlich gelang es ihm aber nicht, die Blockade zu durchbrechen. Durch die mehrfachen heftigen Zusammenstöße erlitt das Kind ein leichtes Hämatom an der rechten Wange; an den Streifenwagen entstand ein Sachschaden von wenigstens 24.202,72 €, an den Lkw ein solcher in Höhe von wenigstens 5.473,05 €. Der Pkw des Angeklagten war nicht mehr fahrbereit.
32. Das Landgericht hat dieses Geschehen als gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte gemäß § 114 Abs. 1 StGB, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs. 1 StGB‚ Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel gemäß § 305a Abs. 1 Nr. 3 StGB und Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 1 StGB gewertet. Indem der Angeklagte durch mehrfaches Vorwärts- und Rückwärtsfahren gegen die um ihn herum abgestellten Streifenwagen und Lkw gerammt sei, habe er einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff im Sinne des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB vorgenommen und die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt, wodurch er Leib und Leben der umstehenden Polizeibeamten gefährdet und fremde Sachen von bedeutendem Wert beschädigt habe. Dadurch, dass er mit seinem Fahrzeug in Richtung der Polizeibeamten mehrfach vor- und zurückgefahren sei und dabei die Streifenwagen verschoben habe, so dass einige Polizeibeamte zur Seite hätten springen müssen, habe er zudem Amtsträger bei einer Diensthandlung im Sinne des § 114 Abs. 1 StGB tätlich angegriffen, wobei er bei der Tat ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, § 114 Abs. 2 StGB bei sich geführt habe. Aufgrund seiner objektiven Beschaffenheit und seiner konkreten Verwendungsweise durch den Angeklagten sei dessen Pkw als gefährliches Werkzeug zu qualifizieren. Durch die gleiche Handlung habe er ferner einem Amtsträger bei der Vornahme einer Diensthandlung mit Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB Widerstand geleistet und sich durch Beschädigung der Streifenwagen gemäß § 305a Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbar gemacht, mit Beschädigung der Lkw gemäß § 303 Abs. 1 StGB.
II.
4Diese Erwägungen sind nicht frei von Rechtsfehlern, ziehen jedoch allein eine Ergänzung des Schuldspruchs nach sich.
51. Rechtsfehlerhaft ist zunächst die Annahme eines besonders schweren Falles des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte bzw. des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte.
6a) Ein besonders schwerer Fall des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB – in entsprechender Anwendung gemäß § 114 Abs. 2 StGB ebenso ein besonders schwerer Fall des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte – liegt in der Regel vor, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt. Das Beisichführen eines Kraftfahrzeugs erfüllt diese Regelbeispiele nicht.
7aa) Ein Kraftfahrzeug kann nicht als Waffe im Sinne von § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Alt. 1 StGB angesehen werden, da es weder von der Zweckbestimmung noch von einem typischen Gebrauch her zur Bekämpfung anderer oder zur Zerstörung von Sachen eingesetzt wird. Den Begriff der Waffe in § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB in einem „nichttechnischen“ – gefährliche Werkzeuge und insbesondere bei entsprechender Verwendung auch Kraftfahrzeuge – umfassenden Sinne zu verstehen, lässt sich mit dem im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willen ohne Verletzung des strafrechtlichen Analogieverbots (Art. 103 Abs. 2 GG) nicht in Einklang bringen (vgl. , BVerfGK 14, 177, 184).
8bb) Ein Kraftfahrzeug erfüllt auch nicht die Voraussetzungen eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne von § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Alt. 2 StGB. Denn trotz der von ihm ausgehenden erheblichen Bewegungsenergie ist ein Kraftfahrzeug bei objektiver Betrachtung kein Gegenstand, der dazu bestimmt ist, eine Kraft gegen ein anderes Objekt zu entfalten oder zu verstärken. Er unterscheidet sich dadurch von alltäglichen Werkzeugen wie etwa einem Hammer oder einem Schraubendreher, die schon bei bestimmungsgemäßer Verwendung diesen Zweck haben und sich ohne weitreichende Veränderung der vorgesehenen Einsatzform (Schlagen, auf einen Punkt konzentrierte Druckausübung etc.) verbotenen Waffen ähnlich gegen Menschen einsetzen lassen. Dass sich unter krasser Pervertierung seines Zwecks als Fortbewegungsmittel auch ein Kraftfahrzeug dazu missbrauchen lässt, Sachen zu zerstören oder Menschen zu verletzen, ändert daran nichts (vgl. Rn. 20 [zu § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) Alt. 2 StGB]).
9b) Soweit es naheliegt, die durch den Angeklagten erfolgte Verwendung seines Kraftfahrzeugs rechtlich als unbenannten besonders schweren Fall im Sinne von § 113 Abs. 2 Satz 1 StGB bzw. § 114 Abs. 2, § 113 Abs. 2 Satz 1 StGB zu würdigen, hat die Strafkammer dies nicht getan. Das Revisionsgericht kann eine solche Wertung nicht selbst vornehmen. Die hierfür gebotene Gesamtbetrachtung und die Würdigung der einzelnen Umstände ist – ebenso wie die Strafzumessung im engeren Sinne – in erster Linie Aufgabe des Tatrichters (vgl. Rn. 24; vom – 1 StR 212/03, juris Rn. 18; vom – 4 StR 194/92, juris Rn. 28).
102. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt jedoch nicht dazu, dass die in dem Fall II. 3. der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe aufzuheben wäre, da der Angeklagte hierdurch nicht beschwert wird.
11a) Zwar ist der aus (§ 114 Abs. 2 StGB in Verbindung mit) § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB zur Anwendung gebrachte Strafrahmen (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren) für den Angeklagten ungünstiger als der aus der Vorschrift des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB folgende Strafrahmen (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe), deren Voraussetzungen die Strafkammer – für sich genommen rechtsfehlerfrei – als erfüllt betrachtet hat. An dem Strafrahmen des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB ist die Beschwer des Angeklagten aber nicht zu messen, da sich der Angeklagte auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht nur eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB schuldig gemacht hat, sondern eines schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 1 a) StGB.
12aa) Durch die absichtlich herbeigeführten Kollisionen hat der Angeklagte unter Anwendung der Eigendynamik seines Fahrzeugs fremde Sachen von bedeutendem Wert nicht nur gefährdet, sondern beschädigt. Die erforderliche Pervertierungsabsicht und der zumindest bedingte Schädigungsvorsatz (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 21, mwN) liegen auf der Hand. Rechtsfehlerfrei belegt ist mit diesen Feststellungen zugleich aber auch, dass der Angeklagte in der Absicht handelte, einen Unglücksfall herbeizuführen, sodass auch ein schwerer gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr gegeben ist. Dieser Qualifikationstatbestand setzt voraus, dass es dem Täter darauf ankommt, einen Unglücksfall dadurch herbeizuführen, dass sich die durch seine Tathandlung im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB verursachte konkrete verkehrsspezifische Gefahr verwirklicht. Hingegen muss seine Absicht nicht auf die Herbeiführung eines Personenschadens gerichtet sein, vielmehr reicht auch die Absicht aus, einen Sachschaden zu verursachen (vgl. Rn. 16). Dies ist hier der Fall, denn nach den Feststellungen beinhaltete das durch den Angeklagten beabsichtigte „Freirammen“ notwendig das Beschädigen der zu diesem Zweck jeweils von ihm angesteuerten Fahrzeuge. Dass er hierbei mit seiner Flucht ein weiter gehendes Ziel verfolgte, ist ohne Bedeutung (vgl. , juris Rn. 6).
13bb) Der Senat holt den versehentlich unterbliebenen Ausspruch nach, indem er den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO wie aus der Beschlussformel ersichtlich ergänzt. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der – überwiegend geständige – Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können. Auch das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO hindert die Ergänzung des Schuldspruchs nicht, da es nur davor schützt, das Urteil im Strafausspruch – also in Art und Höhe der Strafe – zum Nachteil des Angeklagten zu verändern (st. Rspr.; vgl. Rn. 2 mwN).
14b) War der Strafrahmen bei unterbleibender Anwendung von (§ 114 Abs. 2 StGB in Verbindung mit) § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB demnach nicht der Vorschrift des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB zu entnehmen, sondern der Vorschrift des § 315b Abs. 3 StGB, erweist sich die rechtsfehlerhafte Anwendung des Strafrahmens aus (§ 114 Abs. 2 StGB in Verbindung mit) § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren) für den Angeklagten gegenüber dem nicht angewendeten Strafrahmen aus § 315b Abs. 3 Halbsatz 1 StGB (Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren) als günstiger bzw. allenfalls – bei Annahme eines minder schweren Falles nach § 315b Abs. 3 Halbsatz 2 StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren) – als gleichwertig. Der Senat schließt daher aus, dass die Strafkammer bei unterbleibender Anwendung von (§ 114 Abs. 2 StGB in Verbindung mit) § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB eine dem Angeklagten günstigere Einzelfreiheitsstrafe verhängt hätte.
153. Im Übrigen hat die rechtliche Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Quentin Scheuß Momsen-Pflanz
Tschakert Gödicke
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:220525B4STR74.25.0
Fundstelle(n):
XAAAJ-95718