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BGH Beschluss v. - 6 StR 607/24

Instanzenzug: LG Nürnberg-Fürth Az: 16 KLs 835 Js 38029/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Hausfriedensbruchs, wegen Beleidigung, wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

I.

2Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

31. Der Angeklagte begab sich am in einen Supermarkt, obwohl ihm das Betreten der Räumlichkeiten durch Hausverbot untersagt war. Nach einem Hinweis des Sicherheitsmitarbeiters auf das bestehende Hausverbot bezeichnete der angetrunkene und psychomotorisch unruhige Angeklagte diesen als „Arschloch“, „Schlampensohn“ und „Wichser“. Als er von zwei Sicherheitsmitarbeitern aus dem Laden gebracht werden sollte, ergriff er eine 1,5 kg schwere Brotschaufel und holte mit dieser zum Schlag in Richtung des einen Mitarbeiters aus, wurde jedoch von dem anderen Mitarbeiter daran gehindert. Während des nachfolgenden Gerangels zog der Angeklagte an den Händen eines Mitarbeiters, was diesem Schmerzen bereitete.

42. Der Angeklagte konsumierte am 12. September und am alkoholische Getränke, obwohl ihm ‒ wie er wusste ‒ mit Beschluss des Landgerichts Bayreuth vom „strafbewehrt jeglicher Konsum alkoholischer Getränke untersagt“ worden war.

53. Die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war bei den Taten aufgrund einer krankhaften seelischen Störung in Gestalt einer paranoiden Schizophrenie (ICD 10 F 20.0) „zumindest erheblich eingeschränkt“.

II.

61. Der Schuldspruch wegen der am 12. September und am begangenen Taten (Fall B. 2. der Urteilsgründe) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

7a) Eine Verurteilung nach § 145a StGB setzt voraus, dass die Weisung, gegen die der Täter verstoßen hat, hinreichend bestimmt ist. In Anbetracht des Gebots aus Art. 103 Abs. 2 GG und des Umstands, dass § 68b Abs. 2 StGB auch nicht strafbewehrte Weisungen zulässt, muss sich aus dem Führungsaufsichtsbeschluss selbst ergeben, dass es sich bei der Weisung, auf deren Verletzung die Verurteilung gestützt werden soll, um eine solche gemäß § 68b Abs. 1 StGB handelt, die nach § 145a Satz 1 StGB strafbewehrt ist.

8Gemessen an diesen Maßstäben sind die Urteilsfeststellungen lückenhaft. Der Führungsaufsichtsbeschluss vom wird in den Urteilsgründen nur auszugsweise mitgeteilt. Deshalb kann nicht abschließend geprüft werden, ob darin unmissverständlich klargestellt ist, dass die vom Angeklagten verletzte Weisung strafbewehrt ist. Ein solcher eindeutiger Hinweis ist jedoch erforderlich, damit der Führungsaufsichtsbeschluss in Ausfüllung des Blankettstraftatbestandes des § 145a Satz 1 StGB die Strafbarkeit eines Weisungsverstoßes begründen kann (st. Rspr.; vgl. , NStZ-RR 2023, 369; Urteil vom – 4 StR 312/22, StV 2023, 529, Rn. 17; Beschluss vom – 5 StR 106/21). Die eigene Bewertung der Strafkammer, dass dem Angeklagten „strafbewehrt“ jeglicher Konsum alkoholischer Getränke untersagt worden sei, kann die notwendige Feststellung nicht ersetzen.

9b) Zudem bestehen Zweifel an der Verhältnismäßigkeit und damit der Rechtmäßigkeit der Abstinenzweisung, weil die Urteilsfeststellungen nahelegen, dass der Angeklagte alkoholkrank ist. Die Rechtmäßigkeit einer strafbewehrten Weisung nach § 68b Abs. 1 StGB ist Voraussetzung für eine Strafbarkeit; sie muss sich daher aus den Urteilsgründen in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise erkennen lassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 250/24; vom – 4 StR 590/19, NStZ 2020, 480, Rn. 4; vom – 2 StR 512/15, BGHR StGB § 145a Bestimmtheit 2 Rn. 8). Zwar ist eine Abstinenzweisung gemäß § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB gegenüber Alkoholabhängigen nicht ausnahmslos unzulässig; vielfach aber stellt sie unzumutbare Anforderungen an den Betroffenen, sofern dieser aufgrund einer Suchterkrankung seinem Konsumverlangen nicht widerstehen kann. In einer solchen Konstellation ist eine Weisung während der Führungsaufsicht, keinen Alkohol zu konsumieren, wenn auch nicht stets, so aber doch in der Regel unverhältnismäßig (vgl. , NJW 2016, 2170, Rn. 25 f.; BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 250/24; vom – 3 StR 151/23, NStZ-RR 2023, 369).

10Ob ein solcher Fall hier vorliegt, lässt sich anhand der auch insoweit lückenhaften Urteilsgründe nicht überprüfen. Diese erschöpfen sich in dem Hinweis, dass der Angeklagte seit seiner Ankunft in Deutschland in schädlicher Menge Alkohol trinkt und deswegen auch schon im Bezirkskrankenhaus Erlangen behandelt werden musste.

11c) Ferner ist beweiswürdigend nicht belegt, dass der Angeklagte am 12. September und am noch unter Führungsaufsicht stand. Zwar weist die Strafkammer darauf hin, dass die Führungsaufsicht nach vollständiger Verbüßung der Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Fürth vom nach § 68f StGB mit der Entlassung am begonnen habe und am ende. Worauf diese Feststellungen beruhen, teilt das Landgericht jedoch nicht mit. Gerade angesichts des Umstandes, dass der Angeklagte etwaige Verstöße erst nach Ablauf der regulären Höchstfrist von fünf Jahren (§ 68c Abs. 1 Satz 1 StGB) beging, wäre eine eingehende Erörterung erforderlich gewesen.

12d) Schließlich sind die Ausführungen des Landgerichts zu den Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB unklar. Einerseits weist die Strafkammer im Rahmen der Beweiswürdigung und der rechtlichen Bewertung darauf hin, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei den Anlasstaten „erheblich eingeschränkt“ gewesen sei und das Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 StGB „ausgeschlossen“ werden könne. Hingegen stellt es im Zusammenhang mit den einzelnen Taten fest, dass die Steuerungsfähigkeit auf Grund einer krankhaften seelischen Störung in Gestalt einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10 F 20.0) „zumindest“ erheblich eingeschränkt gewesen sei und der Angeklagte die Taten vom „mit natürlichem Vorsatz“ begangen habe, was auf Schuldunfähigkeit hindeuten könnte (vgl. zu diesem Terminus: , BGHSt 3, 287; MüKo-StGB/Streng, 5. Aufl., § 20 Rn. 138; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 7. Aufl., Rn. 405).

132. Angesichts der unklaren Ausführungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten hat auch die Verurteilung wegen der am begangenen Taten (Fall B. 1. der Urteilsgründe) keinen Bestand.

143. Um der zur neuen Entscheidung berufenen Strafkammer insgesamt widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen, hebt der Senat sämtliche Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO). Damit ist auch der Maßregelanordnung nach § 63 StGB die Grundlage entzogen.

154. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass die Maßregelanordnung nach § 63 StGB auch für sich genommen revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht standgehalten hätte, weil die Strafkammer den erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen der Erkrankung des Angeklagten und der Anlasstat nicht ausreichend dargelegt hat.

16Bei der Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB ist im Einzelnen zu prüfen und darzustellen, wie sich eine festgestellte, einem Merkmal der §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 58/22, NStZ-RR 2023, 306; vom – 2 StR 57/17, StV 2019, 235; vom – 4 StR 11/17). Insoweit ist insbesondere zu erörtern, ob in der Person des Beschuldigten oder in seinen Taten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 58/22, aaO; vom – 3 StR 95/20, NStZ-RR 2020, 337).

17Allein die allgemeine Diagnose einer paranoiden Schizophrenie kann die erforderlichen Feststellungen nicht ersetzen. Die weiteren im aufgehobenen Urteil genannten Umstände sind nur von begrenzter Aussagekraft und nicht eindeutig. Dies gilt namentlich für die auf den Angaben der Sicherheitsmitarbeiter beruhende Beschreibung, der Angeklagte habe sich „in einem Zustand hoher psychomotorischer Unruhe befunden“ und sei „gleichzeitig nicht ansprachefähig“ gewesen. Dabei wird nicht erkennbar erwogen, dass das unruhige Verhalten möglicherweise auch Folge des Konfliktes mit den Sicherheitsmitarbeitern war und die fehlende Absprachefähigkeit gegebenenfalls auf seinen unzureichenden Deutschkenntnissen beruhte. Soweit die Strafkammer im Anschluss an den Sachverständigen zu dem Ergebnis gelangte, dass die Wahnvorstellungen des Angeklagten für die Anlasstat „handlungsbestimmend“ gewesen seien, fehlt es zudem schon an der konkreten Darstellung einzelner Wahnideen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:220125B6STR607.24.0

Fundstelle(n):
ZAAAJ-95431