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BVerfG Urteil v. - 2 BvR 508/21

Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen die Nutzung technischer Einrichtungen auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein zur Durchführung bewaffneter Drohneneinsätze im Jemen - zu den Voraussetzungen einer extraterritorialen Schutzpflicht deutscher Hoheitsträger bzgl grundlegender internationaler Menschenrechte und der Kernnormen des humanitären Völkerrechts - Schutzpflicht auch bzgl Gefährdungen durch andere Staaten sowie zugunsten im Ausland lebender Drittstaatsangehöriger - allerdings hinreichender Bezug zu deutscher Staatsgewalt erforderlich

Leitsatz

1. Der Bundesrepublik Deutschland obliegt ein allgemeiner Schutzauftrag dahingehend, dass der Schutz grundlegender Menschenrechte und der Kernnormen des humanitären Völkerrechts auch bei Sachverhalten mit Auslandsberührung gewahrt bleibt.

2. Dieser Schutzauftrag kann sich unter bestimmten Bedingungen je nach Einzelfall zu einer konkreten grundrechtlichen Schutzpflicht verdichten.

a) Eine solche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bezieht sich auf die Einhaltung des anwendbaren Völkerrechts zum Schutz des Lebens. Sie erfasst auch Gefährdungen, die von einem anderen Staat ausgehen.

b) Eine Eingrenzung dieser verfassungsrechtlichen Schutzpflicht auf deutsche Staatsangehörige oder Gebietsansässige sieht die Verfassung nicht vor. Es können auch im Ausland lebende Menschen nicht deutscher Staatsangehörigkeit vor Gefahren, die einen hinreichenden Bezug zur deutschen Staatsgewalt haben, geschützt sein.

c) Die Frage, ob ein hinreichender Bezug gegeben ist, ist anhand einer an den Umständen des Einzelfalls ausgerichteten wertenden Gesamtbetrachtung zu beantworten. Eine auf einen bloß zufälligen Gebietskontakt beschränkte territoriale Verankerung auch nur eines Teils eines Gesamtgeschehens reicht für die Auslösung einer grundrechtlich relevanten Schutzbedürftigkeit im Ausland nicht aus. Es bedarf vielmehr eines spezifischen Beitrags von einem gewissen Gewicht, um einen hinreichenden Bezug zur grundrechtsgebundenen deutschen öffentlichen Gewalt herzustellen.

d) Für eine Verdichtung eines allgemeinen Schutzauftrags zu einer konkreten extraterritorialen Schutzplicht im Hinblick auf das Handeln eines Drittstaats muss außerdem die ernsthafte Gefahr bestehen, dass dem Schutz des Lebens dienende Regeln des humanitären Völkerrechts und/oder der internationalen Menschenrechte systematisch verletzt werden. Erforderlich sind gewichtige Anhaltspunkte, die den Eintritt derartiger Verletzungen nicht bloß möglich erscheinen, sondern ernstlich befürchten lassen.

e) Bei der Prüfung, ob eine solche Gefahr durch das Handeln eines Drittstaats besteht, ist die Rechtsauffassung der für außen- und sicherheitspolitische Fragen zuständigen deutschen Staatsorgane maßgeblich zu berücksichtigen, soweit sich diese als vertretbar erweist.

Gesetze: Art 1 Abs 2 GG, Art 1 Abs 3 GG, Art 2 Abs 2 S 1 GG, Art 19 Abs 4 S 1 GG, Art 25 GG, § 90 BVerfGG, Art 2 Abs 1 BürgPoRPakt, Art 6 BürgPoRPakt, Art 51 Abs 4 GenfRKAbkZProt I, Art 57 GenfRKAbkZProt I, Art 13 Abs 3 GenfRKAbkZProt II, Art 38 Abs 1 Buchst b IGHSta, Art 38 Abs 1 Buchst c IGHSta, Art 38 Abs 1 Buchst d IGHSta

Instanzenzug: Az: 2 BvR 508/21 Beschlussvorgehend Az: 6 C 7/19 Urteilvorgehend Az: 3 K 5625/14 Urteil

Gründe

A.

1Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Durchführung von Einsätzen bewaffneter Drohnen durch die Vereinigten Staaten von Amerika (im Folgenden: USA) in der Republik Jemen unter Nutzung technischer Einrichtungen auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein (Air Base Ramstein) und die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland eine in diesem Zusammenhang gegenüber den jemenitischen Beschwerdeführern etwaig bestehende Schutzpflicht verletzt hat.

2Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Republik Jemen und leben mit ihren Familien in der Ortschaft Khashamer, Distrikt Al-Qutn, Provinz Hadramaut im Jemen. Sie sind Neffen eines muslimischen Geistlichen, der am zusammen mit einem mit ihnen verwandten Polizisten und drei mutmaßlichen Mitgliedern der Organisation Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (Al-Qaida in the Arabian Peninsula <AQAP>) infolge eines Drohneneinsatzes der USA auf dem Platz vor der Moschee in Khashamer getötet wurde.

I.

31. In Reaktion auf die Terroranschläge vom erließ der Kongress der USA eine gemeinsame Resolution ("Joint Resolution", sog. Authorization for Use of Military Force, AUMF 2001, Pub. L. 107-40, 115 Stat. 224). Sie ermächtigt den US-Präsidenten, jede notwendige und angemessene Gewalt gegen jene Nationen, Organisationen oder Personen anzuwenden, die den Terrorangriff vom mutmaßlich geplant, genehmigt, begangen oder dazu Hilfestellung geleistet oder solchen Organisationen oder Personen Unterschlupf gewährt haben, um zukünftige internationale terroristische Handlungen gegen die USA zu verhindern. Diese Resolution ist seitens der US-Regierung als nationale Rechtsgrundlage für das Vorgehen gegen die Taliban und Al-Qaida sowie gegen "assoziierte Kräfte" (associated forces) verwendet worden. Assoziierte Kräfte sind solche organisierten bewaffneten Gruppen, die an der Seite von Al-Qaida oder den Taliban kämpfen und sich als deren Verbündete an Feindseligkeiten gegen die USA oder deren Koalitionspartner beteiligen. Als assoziierte Kräfte in diesem Sinne werden verschiedene, mit den zuvor genannten Akteuren verbundene Gruppen in Afghanistan, AQAP, Al-Shabaab in Somalia, Einzelpersonen, die zu Al-Qaida in Libyen gehören, Al-Qaida in Syrien und der sogenannte Islamische Staat (ISIL/ISIS/IS) angesehen (vgl. White House, Report on the Legal and Policy Frameworks Guiding the United States' Use of Military Force and Related National Security Operations, 2016, S. 5). Die genannte Resolution ist weiterhin in Kraft und dient als Rechtsgrundlage für das Vorgehen der USA gegen die genannten nichtstaatlichen Gruppen und Einzelpersonen im Ausland.

4Die USA begannen in der Folge, zum Zwecke gezielter Tötungen im Jemen und in anderen Staaten bewaffnete Drohnen einzusetzen, die vom Gebiet der USA aus gesteuert werden. Der erste Einsatz im Jemen fand im Jahr 2002 statt. Die Einsätze intensivierten sich ab dem Jahr 2009 (vgl. Report of the Special Rapporteur on the promotion and protection of human rights and fundamental freedoms while countering terrorism, Ben Emmerson, UN Doc. A/68/389, , Rn. 34). Die genauen Zahlen dabei getöteter legitimer militärischer Ziele und geschützter Zivilpersonen sind umstritten. Im Jahr 2016 erklärte die US-Regierung, dass vom bis zum zwischen 64 und 116 Zivilisten in Libyen, Pakistan, Somalia und im Jemen getötet worden seien. Außerdem seien zwischen 2.372 und 2.581 legitime militärische Ziele eliminiert worden. Dabei räumte die US-Regierung ein, dass es hinsichtlich dieser Zahlen Unterschiede in den Einschätzungen der US-amerikanischen Regierung zu denjenigen von Nichtregierungsorganisationen gebe, die für den Zeitraum zwischen dem und dem von mehr als 200 bis zu über 900 möglichen Todesfällen von Zivilisten ausgingen (vgl. US-Director of National Intelligence, Summary of Information Regarding U.S. Counterterrorism Strikes Outside Areas of Active Hostilities, , S. 1 f.; Daugirdas/Mortenson, American Journal of International Law 2016, S. 814 <816 ff.>).

52. Zu den Rechtsgrundlagen für die Einsätze bewaffneter Drohnen veröffentlichten die USA verschiedene Dokumente.

6a) Während der Amtszeit von Präsident Obama wurden die Einsätze der Drohnen öffentlich begründet, insbesondere in einem im Jahr 2016 veröffentlichten Dokument mit dem Titel "Report on the Legal and Policy Frameworks Guiding the United States' Use of Military Force and Related National Security Operations". Hinsichtlich der Völkerrechtskonformität ihres extraterritorialen Vorgehens gegen Terroristen und terroristische Gruppen berufen sich die USA auf ihr Selbstverteidigungsrecht und das humanitäre Völkerrecht (vgl. White House, Report on the Legal and Policy Frameworks Guiding the United States' Use of Military Force and Related National Security Operations, 2016, S. 9 ff.). Im Fall von bewaffneten Konflikten gegen nichtstaatliche Akteure, die ihre Standorte länderübergreifend wechselten, seien die USA in Bezug auf ihre Gewaltanwendung nicht auf die unmittelbaren Gefechtszonen ("hot battlefields") beschränkt (vgl. Department of Defense, Law of War Manual - June 2015 <Updated July 2023>, S. 81 Fn. 58). Für solche Einsätze sei das Recht des bewaffneten Konflikts in nichtinternationalen bewaffneten Konflikten einschlägig. Dieses beinhalte den Gemeinsamen Artikel 3 der vier Genfer Konventionen und andere vertragliche und völkergewohnheitsrechtliche Normen, welche die Teilnahme an Feindseligkeiten im nicht internationalen bewaffneten Konflikt regelten.

7Der Einsatz von neuen Waffentechnologien wie bewaffneten Drohnen sei erlaubt, solange diese nach den Prinzipien und Regeln des Rechts des bewaffneten Konflikts eingesetzt würden. Die Zielauswahl stehe im Einklang mit dem Gebot, zwischen legitimen militärischen Zielen einerseits und Zivilpersonen beziehungsweise zivilen Objekten andererseits zu unterscheiden. Ein Individuum, das formal oder funktional Mitglied einer bewaffneten Gruppe sei, die sich mit den USA in einem bewaffneten Konflikt befinde, sei in der Regel ein legitimes Ziel. Dass jemand in funktionaler Hinsicht Mitglied einer bewaffneten Gruppe sei, könne unter Berücksichtigung verschiedener Aspekte festgestellt werden, etwa anhand des Umfangs, in dem die Person Funktionen zugunsten der Gruppe wahrnehme, die vergleichbar seien mit jenen Funktionen, die Mitglieder staatlicher Streitkräfte ausübten. Die Zielauswahl wahre auch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, welches unter anderem Angriffe verbiete, bei denen zu erwarten sei, dass der mit dem Angriff verbundene Verlust des Lebens von Zivilpersonen, deren Verletzung oder die Beschädigung ziviler Objekte außer Verhältnis zu dem zu erwartenden direkten militärischen Vorteil stünden. Hinzu komme, dass im Vorfeld eines Angriffs Maßnahmen ergriffen werden müssten, um das Risiko ziviler Schäden zu reduzieren. Die Zielauswahl stehe außerdem im Einklang mit dem Prinzip der Notwendigkeit, demzufolge der Einsatz militärischer Gewalt einem legitimen militärischen Zweck dienen müsse. Ferner gebe es einen sorgfältigen Prozess, der dem Einsatz militärischer Gewalt vorausgehe und rigorose Sicherungen zum Schutz des Lebens von Zivilisten vorsehe (vgl. White House, Report on the Legal and Policy Frameworks Guiding the United States' Use of Military Force and Related National Security Operations, 2016, S. 20 f.).

8b) Die Praxis gezielter Tötungen durch bewaffnete Drohnen wird zudem durch wechselnde, von der jeweiligen Administration beschlossene "Policies" und weitere nationale Bestimmungen reguliert.

9Die "Policies" werden von der US-Regierung als politische Leitlinien erstellt, zu deren Aufstellung aus Sicht der jeweiligen US-Administration keine rechtliche Verpflichtung besteht. Die Presidential Policy Guidance (PPG) der Obama-Administration vom , die Principles, Standards, and Procedures (PSP) der ersten Trump-Administration und das Presidential Policy Memorandum (PPM) der Biden-Administration, jeweils unbekannten Datums, haben gemein, dass sogenannte direkte Aktionen, die auch den Einsatz tödlicher Waffengewalt gegen und die Inhaftierung von Individuen umfassen können, in Übereinstimmung mit dem US-amerikanischen Recht und dem Völkerrecht erfolgen müssen. Alle drei Dokumente priorisieren eine Festnahme gegenüber dem Einsatz tödlicher Waffengewalt. Zudem müsse eine direkte Aktion, die zur Tötung eines terroristischen Ziels führen solle, im Vorfeld rechtlich geprüft werden. Die "Policies" sehen einen "near certainty"-Standard vor, wonach nahezu sicher sein solle, dass keine Zivilisten durch einen Einsatz verletzt oder getötet werden. Schließlich betonen alle drei Dokumente in unterschiedlicher Deutlichkeit, dass der US-Präsident durch die "Policies" nicht gebunden werde und von den Regeln abweichen könne. Alle drei Dokumente enthalten geschwärzte Passagen hinsichtlich der Einsatzvorbereitung, -durchführung und -nachbereitung. Die Einhaltung der "Policies" wird bislang gerichtlich nicht überprüft (vgl. United States District Court for the District of Columbia, Ahmad Muaffaq Zaidan et al. v. Donald J. Trump et al., , Civil Action No. 17-581 <RMC>, S. 23).

10Die von Präsident Obama erlassene Executive Order 13732 vom über die Untersuchung ziviler Kollateralschäden und die Auferlegung jährlicher Berichtspflichten zur Anzahl getöteter Zivilisten und legitimer militärischer Ziele wurde durch Präsident Trump mit Executive Order 13862 vom aufgehoben. Allerdings verpflichtete der Kongress das US-amerikanische Verteidigungsministerium bereits ab dem Jahr 2017, Berichte über zivile Opfer, die während des vorangegangenen Jahres durch militärische Operationen der USA verursacht worden waren, zu veröffentlichen (vgl. National Defense Authorization Act for Fiscal Year 2018, Pub. L. 115-91, , 131 Stat. 1283 <1572>, Sec. 1057<a>; National Defense Authorization Act for Fiscal Year 2019, Pub. L. 115-232, , 132 Stat. 1636 <1970 f.>, Sec. 1062; National Defense Authorization Act for Fiscal Year 2020, Pub. L. 116-92, , 133 Stat. 1198 <1797>, Sec. 1703 <a>). Diese jährlichen Berichte zeigen unter anderem die Schwierigkeit auf, zivile Kollateralschäden exakt zu erfassen. So konnte eine genaue Zahl nicht immer angegeben und es mussten mitunter die in vorherigen Berichten genannten Zahlen nachträglich wegen neuer Erkenntnisse korrigiert werden (vgl. etwa Annual Report on Civilian Casualties in Connection with United States Military Operations in 2021, S. 8; Annual Report on Civilian Casualties in Connection with United States Military Operations in 2022, S. 5 ff.).

11Außerdem verpflichtete der Haushaltsgesetzgeber das Ministerium, eine unabhängige Bewertung der Standards, Prozesse, Verfahren und seiner Politik in Bezug auf zivile Opfer vorzunehmen (vgl. National Defense Authorization Act for Fiscal Year 2020, Pub. L. 116-92, , 133 Stat. 1198 <1809 f.>, Sec. 1721). Infolge anhaltender Diskussionen über zivile Opfer gab der Kongress dem Verteidigungsministerium am auf, eine "Civilian Casualty Policy" zu erarbeiten. Dieses veröffentlichte daraufhin im Januar 2022 einen Bericht der von ihm beauftragten RAND Corporation, in dem festgestellt wird, dass das Verteidigungsministerium zwar eine solide Grundlage für die Einhaltung des Kriegsrechts geschaffen habe, aber dessen gegenwärtiger Ansatz, zivile Kollateralschäden zu ermitteln, zu untersuchen und auf diese zu reagieren, erhebliche Schwächen aufweise und in den verschiedenen Einsatzgebieten nicht einheitlich sei (vgl. Secretary of Defense, Memorandum for Secretaries of the Military Departments u.a., ; RAND Corporation, U.S. Department of Defense Civilian Casualty Policies and Procedures - An Independent Assessment, 2022, S. vii f.). Im August 2022 veröffentlichte das Verteidigungsministerium den"Civilian Harm Mitigation and Response Action Plan(CHMR-AP)", der darauf abzielte, die Art und Weise zu verbessern, in der das Ministerium zivile Schäden, die aus militärischen Operationen resultieren, abmildert und auf sie reagiert (vgl. U.S. Department of Defense, Civilian Harm Mitigation and Response Action Plan, ). Der "National Defense Authorization Act (NDAA)" von 2023 sah zudem vor, dass das "Civilian Protection Center of Excellence" des Verteidigungsministeriums einen unabhängigen Bericht bei einer staatlich finanzierten Forschungseinrichtung über die eigene Praxis hinsichtlich der Kriterien in Auftrag geben solle, anhand derer das Verteidigungsministerium zwischen Kombattanten und Zivilisten in Boden- und Luftoperationen seit 2001, einschließlich der Einsätze in Afghanistan, Irak, Syrien, Somalia, Libyen und im Jemen, unterschieden habe (vgl. National Defense Authorization Act for Fiscal Year 2023, Pub. L. 117-263, , 136 Stat. 2395 <2788>, Sec. 1067).

12Am veröffentlichte das US-Verteidigungsministerium eine Aktualisierung des "Law of War Manual", das die Rechtsansichten der US-Regierung zum anwendbaren Recht im bewaffneten Konflikt enthält. Nach dem Unterscheidungsgebot müssten Befehlshaber und andere Entscheidungsträger davon ausgehen, dass Personen vor Angriffen geschützt seien, es sei denn, die zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Informationen deuteten darauf hin, dass die Personen militärische Ziele seien. Eine Person könne auch dann als militärisches Ziel betrachtet werden, wenn Zweifel verblieben, sofern der Befehlshaber und andere Entscheidungsträger ihre Einschätzungen nach Treu und Glauben auf die zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Informationen stützten und im Einklang mit ihren Verpflichtungen handelten, um das Risiko eines zufälligen Schadens für die Zivilbevölkerung zu reduzieren (vgl. Department of Defense, Law of War Manual - June 2015 <Updated July 2023>, S. 201 ff. Rn. 5.4.3.2). Die in den Vorauflagen geäußerte Rechtsansicht, nach geltendem Völkergewohnheitsrecht bestehe keine Vermutung zugunsten des Status einer Person als Zivilist (vgl. Department of Defense, Law of War Manual - June 2015, S. 197 Rn. 5.5.3.2; Law of War Manual - June 2015 <Updated December 2016>, S. 200 f. Rn. 5.4.3.2), wird nicht wiederholt.

13Im Dezember 2023 veröffentlichte das US-Verteidigungsministerium ein Dokument mit dem Titel "Department of Defense Instruction (DoD-I) on Civilian Harm Mitigation and Response" zum Thema ziviler Schäden (vgl. Department of Defense, DoD Instruction 3000.17, Civilian Harm Mitigation and Response, ). Diese Anleitung implementiert den "Civilian Harm Mitigation and Response Action Plan" und konkretisiert dessen Vorgaben. Das Dokument enthält unter anderem Bestimmungen für alle US-amerikanischen Militäroperationen, unabhängig davon, ob die USA allein oder gemeinsam mit Alliierten und Partnern handeln. Es wird darin festgehalten, dass das Verteidigungsministerium Schritte ergreifen werde, um Maßnahmen zur Reduzierung des Risikos und der Schwere ziviler Schäden sowie zur Reaktion auf zivile Schäden in die Planung und die Operationen zu inkorporieren (vgl. Department of Defense, DoD Instruction 3000.17, Civilian Harm Mitigation and Response, , S. 21 f., 27). Das Haushaltsgesetz für das Jahr 2024 statuiert ferner Berichtspflichten in Bezug auf zivile Schäden durch Operationen anderer Staaten, die von den USA mit nachrichtendienstlichen Erkenntnissen unterstützt worden sind (vgl. National Defense Authorization Act for Fiscal Year 2024, Pub. L. 118-31, , 137 Stat. 136 <1044>, Sec. 7326).

143. Der Einsatz bewaffneter Drohnen zum Zwecke gezielter Tötungen und die damit verbundenen Tötungen zahlreicher Zivilpersonen riefen internationale Kritik hervor.

15a) Die Praxis gezielter Tötungen und der Einsatz bewaffneter Drohnen werden in vier Berichten der UN-Sonderberichterstatter Alston (Report of the Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions, Philip Alston, UN Doc. A/HRC/14/24/Add.6, ), Heyns (Report of the Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions, Christof Heyns, UN Doc. A/68/382, ) und Emmerson (Reports of the Special Rapporteur on the promotion and protection of human rights and fundamental freedoms while countering terrorism, Ben Emmerson, UN Doc. A/68/389, und UN Doc. A/HRC/25/59, ) behandelt.

16aa) Speziell zum Jemen stellte der Sonderberichterstatter Emmerson in seinem zweiten Bericht im Jahr 2014 fest, dass die Zahl der US-amerikanischen Einsätze bewaffneter Drohnen im Vergleich zum Vorjahr zugenommen habe und es zu einer signifikanten Anzahl ziviler Kollateralschäden gekommen sei (vgl. UN Doc. A/HRC/25/59, , S. 7 Rn. 27). So sei am eine Polizeistation angegriffen worden, wobei unbestätigten Schätzungen zufolge bis zu 50 Personen - darunter ungefähr 30 Zivilisten - getötet worden sein sollten (vgl. UN Doc. A/HRC/25/59, , S. 14 Rn. 55). Am sei ein Hochzeitskonvoi angegriffen worden; zwölf bis 15 Personen seien dabei getötet, zehn weitere Personen verletzt worden (vgl. UN Doc. A/HRC/25/59, , S. 15 f. Rn. 60). Es gebe Hinweise, dass Mitglieder von AQAP Ziel des Angriffs gewesen seien und sich auch unter den Toten befunden hätten. Berichte legten aber nahe, dass es sich bei der Mehrheit der Opfer um Zivilisten gehandelt habe. Der Einsatz werfe Fragen hinsichtlich der Einhaltung des von der Obama-Administration proklamierten "near certainty"-Standards auf.

17Der Bericht schildert auch Fälle, in denen ausschließlich Zivilisten getötet worden sein sollen, ohne dass hinreichend klar gewesen sei, welchem legitimen militärischen Ziel der Angriff gegolten habe. So seien am sechs bis neun Personen im Rahmen eines Einsatzes bewaffneter Drohnen getötet worden. Untersuchungen legten nahe, dass einige, wenn nicht alle der Getöteten Zivilisten gewesen seien (vgl. UN Doc. A/HRC/25/59, , S. 14 Rn. 56). Die USA hätten später den Tod eines hierbei verstorbenen 16-jährigen US-Amerikaners bestätigt, ohne den Einsatz zu erklären oder ein legitimes militärisches Ziel zu benennen. Am seien Raketen auf einen Bus abgefeuert worden, wobei unklar sei, ob unbemannte oder bemannte US-Luftfahrzeuge zum Einsatz gekommen seien (vgl. UN Doc. A/HRC/25/59, , S. 15 Rn. 59). Elf Zivilisten - darunter auch Kinder und eine schwangere Frau - seien sofort, eine weitere Person an ihren erlittenen Verletzungen gestorben.

18Schließlich wird in dem Bericht der - verfahrensgegenständliche - Vorfall vom geschildert, bei dem eine Gruppe von fünf Personen, die sich auf einem Platz hinter einer Moschee im Dorf Khashamer in der Provinz Hadramaut versammelt hätten, angegriffen worden sei (vgl. UN Doc. A/HRC/25/59, , S. 15 Rn. 58). Drei der getöteten Männer sollten Mitglieder von AQAP gewesen sein, die anderen beiden hingegen Zivilisten. Bei letzteren habe es sich um einen Imam und einen Polizisten gehandelt.

19bb) Die drei Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen kritisierten einen Mangel an Transparenz hinsichtlich der Zahl ziviler Opfer und der Kriterien, die zur Bestimmung einer direkten Teilnahme an Feindseligkeiten und der Auswahl der Ziele herangezogen werden (vgl. Report of the Special Rapporteur on the promotion and protection of human rights and fundamental freedoms while countering terrorism, Ben Emmerson, UN Doc. A/68/389, , S. 21 ff. Rn. 71 ff.). Dies sei gerade vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Rechtsauffassungen zur Abgrenzung geschützter Zivilpersonen von legitimen militärischen Zielen besonders problematisch und mit der Gefahr divergierender Verständnisse der unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten verbunden (vgl. Report of the Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions, Philip Alston, UN Doc. A/HRC/14/24/Add.6, , S. 3 Rn. 3, S. 21 Rn. 68, S. 26 ff. Rn. 87 ff.). Dem Sonderberichterstatter Emmerson zufolge ist auch unklar, ob bewaffnete Drohnen zum Zwecke gezielter Tötungen nur gegen "senior operational leader" eingesetzt würden. Dies stünde wohl im Einklang mit den Anforderungen des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK, im Folgenden auch International Committee of the Red Cross <ICRC>), wonach Personen angegriffen werden könnten, wenn sie eine fortgesetzte Kampffunktion erfüllten und damit fortdauernd an Feindseligkeiten teilnähmen. Allerdings gebe es Anzeichen dafür, dass Einsätze auch gegen "lower level operatives" erfolgten. Es sei daher fraglich, ob nur Personen mit fortgesetzter Kampffunktion direkt angegriffen würden (vgl. Report of the Special Rapporteur on the promotion and protection of human rights and fundamental freedoms while countering terrorism, Ben Emmerson, UN Doc. A/68/389, , S. 22 Rn. 74). Die Sonderberichterstatter empfahlen deshalb, die einzelnen Einsätze öffentlich zu begründen, prozedurale Sicherungen zugunsten der Zivilbevölkerung zu spezifizieren und in einen Konsensfindungsprozess über die Auslegung und Anwendung der Kriterien zur Zielauswahl einzutreten (vgl. Report of the Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions, Philip Alston, UN Doc. A/HRC/14/24/Add.6, , S. 27 ff. Rn. 93; Report of the Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions, Christof Heyns, UN Doc. A/68/382, , S. 24 Rn. 117; Reports of the Special Rapporteur on the promotion and protection of human rights and fundamental freedoms while countering terrorism, Ben Emmerson, UN Doc. A/68/389, , S. 23 f. Rn. 79 f., und UN Doc. A/HRC/25/59, , S. 18 ff. Rn. 71 ff.). Der Sonderberichterstatter Heyns wies zudem auf die Gefahren für die Zivilbevölkerung hin, die mit "signature strikes" verbunden seien, also mit Angriffen, die auf bestimmten Signaturen der Personen wie etwa gewissen Verhaltensmustern oder äußeren Umständen basierten, ohne dass die Identität der Person notwendigerweise bekannt sei. Die Vereinbarkeit derartiger Einsätze mit dem humanitären Völkerrecht hänge von den konkreten Signaturen ab. Sofern die Verwendung dieses Begriffs dazu führe, dass Personen angegriffen würden, die aufgrund ungenügender Informationen nicht als legitime militärische Ziele hätten qualifiziert werden dürfen, wäre dies eindeutig völkerrechtswidrig (vgl. Report of the Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions, Christof Heyns, UN Doc. A/68/382, , S. 15 Rn. 72).

20b) Kritik wurde auch von anderer Seite geübt. Der UN-Menschenrechtsrat drückte in einer Resolution seine tiefe Besorgnis über die zivilen Opfer und die weiteren Auswirkungen der Einsätze bewaffneter Drohnen auf die Zivilbevölkerung aus und rief die Staaten dazu auf, Transparenz in ihren Aufzeichnungen über solche Einsätze zu gewährleisten sowie unverzüglich unabhängige und unparteiische Untersuchungen durchzuführen, wenn es Hinweise auf eine Verletzung des Völkerrechts gebe (vgl. UN-Menschenrechtsrat, Resolution 25/22, , S. 1 f.). Das Europäische Parlament äußerte seine Sorge über Einsätze bewaffneter Drohnen und sprach sich für mehr Transparenz aus (vgl. Entschließung des Europäischen Parlaments, <2014/2567[RSP]>). Die Parlamentarische Versammlung des Europarats zeigte sich in ihrer Resolution vom alarmiert über die hohe Zahl tödlich verlaufender Einsätze bewaffneter Drohnen, die einen beträchtlichen, nicht intendierten Kollateralschaden verursacht hätten. Trotz gewisser Fortschritte blieben die Ergebnisse solcher Einsätze, das Ausmaß etwaiger Kollateralschäden und der Entscheidungsprozess bei der Auswahl von Zielpersonen sowie die Abwägung mit möglichen zivilen Schäden weitgehend geheim. Sie forderte klare Verfahren für die Autorisierung solcher Einsätze und sprach sich gegen eine erweiternde Auslegung des nicht internationalen bewaffneten Konflikts aus (vgl. Parlamentarische Versammlung des Europarats, Drones and targeted killings: the need to uphold human rights and international law, Resolution 2051, ). Das IKRK stellte fest, dass jedenfalls die von der US-amerikanischen Regierung vertretene Annahme eines globalen nicht internationalen bewaffneten Konflikts isoliert geblieben sei (vgl. ICRC, Commentary on the Third Geneva Convention, 2021, S. 190 Rn. 516). Auch der Menschenrechtsausschuss, das Vertragsorgan des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR, BGBl II 1973 S. 1533), thematisierte den Einsatz bewaffneter Drohnen und zeigte sich über die Einhaltung der Vorgaben des humanitären Völkerrechts, die durch Art. 6 IPbpR gefordert werde, besorgt (vgl. IPbpR-Menschenrechtsausschuss, Concluding observations on the fourth periodic report of the United States of America, UN Doc. CCPR/C/USA/CO/4, , S. 4 f. Rn. 9).

II.

211. Im Juni 1953 wurde die Air Base Ramstein eröffnet. Sie wurde auf der Grundlage eines Abkommens zwischen Frankreich und den USA in der damaligen französischen Besatzungszone errichtet. Der Rechtsrahmen bestimmt sich heute nach dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen (NATO-Truppenstatut <NTS>, BGBl II 1961 S. 1183) und dem hierzu am in Kraft getretenen Zusatzabkommen (Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut, im Folgenden: ZA-NTS, BGBl II 1961 S. 1183 <1218>). Art. II, Art. IX Abs. 3 NTS und Art. 53 Abs. 1 Satz 2 ZA-NTS sehen - vorbehaltlich anderer vertraglicher Regelungen - eine Verpflichtung der Entsendestaaten vor, das Recht des Aufnahmestaates zu achten. Das Bundesverfassungsgericht sprach mit Blick auf Art. 53 Abs. 1 Satz 2 ZA-NTS von der Verpflichtung der Streitkräfte, "das jeweilige deutsche Recht der Sicherheit und Ordnung als Mindeststandard zu beachten" (BVerfGE 77, 170 <222>), beziehungsweise davon, dass den Vorschriften des deutschen Rechts "Genüge [getan]" werden müsse (BVerfGE 77, 170 <224>). Die Verpflichtung der stationierten Streitkräfte zur Einhaltung deutschen Rechts geht allerdings nicht mit der Berechtigung der Bundesrepublik Deutschland einher, diesen gegenüber Verwaltungsakte zu erlassen und sie damit in verfahrensrechtlicher Hinsicht der deutschen Hoheitsgewalt zu unterwerfen (vgl. BVerfGE 77, 170 <207 f.>).

222. Das Bundesministerium der Verteidigung wurde von den US-amerikanischen Streitkräften im April 2010 und im November 2011 über den geplanten Bau einer Satelliten-Relaisstation auf dem Gelände der Air Base Ramstein zur Steuerung auch waffenfähiger Drohnen im Ausland informiert. Das Ministerium erklärte am , gegen die Verwirklichung des Vorhabens im Truppenbauverfahren keine Bedenken zu haben. Es bat lediglich um Prüfung, ob für das Projekt eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich sei, und wies im Übrigen allgemein darauf hin, dass bei der Durchführung des Truppenbauverfahrens deutsches Recht zu beachten sei (vgl. BTDrucks 18/12850, S. 1167 ff.).

233. a) Am beschloss der Deutsche Bundestag die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses (vgl. BT-Plenarprotokoll 18/23, S. 1828 <B>; zum Einsetzungsantrag BTDrucks 18/843). Dieser sollte - angestoßen insbesondere durch Presseberichterstattung infolge der Enthüllungen von Edward Snowden über Internet- und Telekommunikationsüberwachung - für den Zeitraum seit Jahresbeginn 2001 unter anderem klären, ob US-amerikanische Stellen auf deutschem Staatsgebiet oder von diesem ausgehend Telekommunikationsüberwachungen, Festnahmen oder gezielte Tötungen durch Kampfdrohneneinsätze durchgeführt oder veranlasst haben, welche Erkenntnisse Stellen des Bundes zu welchem Zeitpunkt hierüber gegebenenfalls vorgelegen haben und ob diese an der Vorbereitung oder Durchführung derartiger Maßnahmen in irgendeiner Form beteiligt gewesen sind.

24b) Im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses vom (BTDrucks 18/12850) wird die Entwicklung des Erkenntnisstands hinsichtlich der Einbeziehung der Air Base Ramstein in US-amerikanische Einsätze bewaffneter Drohnen wie folgt dokumentiert:

25Präsident Obama erklärte im Rahmen eines Deutschlandbesuchs am , dass keine Starts und Steuerungen von deutschem Boden aus erfolgen würden. Bundeskanzlerin Merkel forderte gegenüber dem Präsidenten in einem gemeinsamen Telefonat am "kategorisch die Geltung deutschen Rechts auf deutschem Boden" ein (vgl. BTDrucks 18/12850, S. 1302). Im April 2014 übersandte die Bundesregierung der US-amerikanischen Botschaft Fragen zur Beteiligung des US-Luftstreitkräftekommandos in Ramstein an bewaffneten Einsätzen unbemannter Luftfahrzeuge (vgl. BTDrucks 18/12850, S. 1175 f.). Gespräche zur Beantwortung der Fragen fanden im Januar 2015 und August 2016 statt (vgl. BTDrucks 18/12850, S. 1176 f.).

26Im Oktober 2015 befragte der Untersuchungsausschuss einen Zeugen, der angab, als Angehöriger der US-Luftwaffe im Rahmen zahlreicher Einsätze bewaffneter Drohnen in Pakistan, Afghanistan, Somalia, im Irak und im Jemen beteiligt gewesen zu sein (vgl. BTDrucks 18/12850, S. 1111). Der Zeuge sagte aus, die bewaffneten Drohnen würden nicht auf der Air Base Ramstein, sondern in den USA gesteuert. Allerdings würden alle Signale aus den USA zu den bewaffneten Drohnen über Ramstein geleitet (vgl. Stenografisches Protokoll der 67. Sitzung, Teil 1, , S. 23, 65, 73, 90). Vor jedem Einsatz werde die Air Base Ramstein kontaktiert, um sicherzugehen, dass das Übertragungssignal klar sei. Die Glasfaserkabelverbindung zwischen dem Pentagon und Ramstein sei besonders schnell und nicht wetteranfällig. Zudem sei Ramstein der einzige Ort gewesen, von dem aus große Mengen an Informationen von Satelliten hätten empfangen werden können (Stenografisches Protokoll der 67. Sitzung, Teil 1, , S. 97; vgl.BTDrucks 18/12850,S. 1169 f.). Der Zeuge bestätigte eine graphische Darstellung der Glasfaserkabelverbindung zwischen den USA und Ramstein sowie der Satelliten-Verbindung zwischen Ramstein und den Drohnen. Er bekundete zudem, dass sich in Ramstein eine "Distributed Ground Station" (DGS) befinde, mit deren Hilfe dort tätige "Screener" die Videoübertragung der Drohne auswerteten (Stenografisches Protokoll der 67. Sitzung, Teil 1, , S. 61). In seiner Vernehmung am verlieh der damalige Außenminister Steinmeier seiner Auffassung Ausdruck, dass von der Air Base Ramstein aus keine bewaffneten Drohnen gesteuert würden. Er erklärte zudem:

"Wir sind unablässig dabei, Aufklärung zu erreichen. Wir haben dazu auf verschiedenen Ebenen … mit den amerikanischen Partnern im Gespräch [sic]. Wir haben bisher keine hinreichende Aufklärung darüber, welche technische Rolle Ramstein als Relaisstation für Drohnenangriffe zum Beispiel in Afrika bedeutet. Ob das alternativlos ist, ob das eine Relaisstation ist, die in einer Kette von anderen Relaisstationen steht, das ist bisher nicht ausreichend aufgeklärt." (BTDrucks 18/12850, S. 1175)

27Im August 2016 teilten die USA im Rahmen der fortdauernden Gespräche zu diesem Themenkomplex Vertretern des Auswärtigen Amtes anlässlich einer gemeinsamen Besprechung mit, dass die globalen Kommunikationswege der USA zur Unterstützung unbemannter Luftfahrzeuge Fernmeldepräsenzpunkte auch in Deutschland einschlössen, von denen aus Signale weitergeleitet würden. Unbemannte Luftfahrzeuge würden von verschiedenen Standorten aus und unter Nutzung diverser Fernmelderelaisschaltungen, von denen einige auch in Ramstein liefen, eingesetzt. Außerdem wurde mitgeteilt, dass im Jahr 2015 in Ramstein eine Vorrichtung zur Verbesserung der bereits zuvor vorhandenen Fernmeldeausstattung fertiggestellt worden sei und die Luftwaffenbasis Ramstein eine Reihe weiterer Aufgaben unterstütze, darunter die Planung, Überwachung und Auswertung von zugewiesenen Luftoperationen. Von US-Seite sei erneut versichert worden, dass Drohnen von Ramstein aus weder gestartet noch gesteuert würden (vgl. BTDrucks 18/12850, S. 1177). Diese Auskünfte gab der damalige Staatsminister im Auswärtigen Amt Roth am im Deutschen Bundestag. Er erläuterte weiter, in Reaktion hierauf seien Mitte September 2016 über den Politischen Direktor des Auswärtigen Amtes in Washington hochrangige Gespräche geführt worden und man werde in Kontakt bleiben. Es gelte weiterhin die Zusicherung der USA, dass Aktivitäten in US-Militärliegenschaften in Deutschland im Einklang mit dem geltenden Recht erfolgten (vgl. BT-Plenarprotokoll 18/205, S. 20452 f.).

28c) Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses stellte fest, nach der Beweisaufnahme könne als gesichert gelten, dass die Air Base Ramstein mit der dortigen Relaisstation, die der Weiterleitung von Daten und Steuerungssignalen für bewaffnete Drohnen, aber auch von durch solche Drohnen gewonnenen Daten diene, eine wesentliche Rolle für den Einsatz von Drohnen spiele - unabhängig davon, ob diese bewaffnet oder unbewaffnet, etwa zu Aufklärungszwecken, operierten und ob es bei bewaffneten Drohnen tatsächlich im Einzelfall auch zum Waffeneinsatz komme. Einen Nachweis für völkerrechtswidriges Verhalten der USA, etwaige Verstöße des US-Militärs gegen deutsches Recht, das NATO-Truppenstatut oder das Stationierungsabkommen mit den USA habe die Beweisaufnahme hingegen nicht erbracht. Die Bundesregierung habe wiederholt auf die Pflicht zur Einhaltung deutschen Rechts hingewiesen. Die USA hätten dies zugesichert. Aus der bloßen Tatsache, dass Deutschland den USA im Rahmen ihrer NATO-Bündnisverpflichtungen Liegenschaften für den Betrieb der Luftwaffenbasis Ramstein zur Verfügung stelle, folge keine allgemeine Verantwortung für alle Einsätze unter Einbindung dieses Stützpunkts (vgl. BTDrucks 18/12850, S. 1353 ff.).

294. Die Bundesregierung erklärte auf parlamentarische Anfragen im Januar 2017, mit ihren US-amerikanischen Partnern zu Einsätzen von unbemannten Luftfahrzeugen sowie zur Rolle des Luftwaffenstützpunkts Ramstein im engen Austausch zu bleiben (vgl. BTDrucks 18/11023, S. 5). Auf die Frage, auf welche Erkenntnisse oder Vermutungen sie ihren Glauben an die Zusicherung der USA stütze, dass Aktivitäten in US-Militärliegenschaften in Deutschland im Einklang mit dem geltenden Recht erfolgten, antwortete sie, gemäß Art. II NTS hätten die USA das Recht Deutschlands zu achten. Die USA wiesen als Rechtsstaat eine breit institutionell verankerte Tradition auf, humanitäres Völkerrecht zu respektieren und dessen Einhaltung auch durchzusetzen (vgl. BTDrucks 18/11023, S. 7). Auf die Frage, welche eigenen völkerrechtlichen Prüfungen der Rechtmäßigkeit des Einsatzes bewaffneter Drohnen durch die US-Regierung die Bundesregierung veranlassen werde, erklärte sie, sie befasse sich seit geraumer Zeit mit den diesbezüglichen rechtlichen Fragen. Sie diskutiere diese und andere völkerrechtliche Fragen von gemeinsamem Interesse regelmäßig mit ihren Partnern und werde diesen Dialog in der Zukunft fortsetzen (vgl. BTDrucks 18/11023, S. 7).

30Auch in der 20. Wahlperiode des Deutschen Bundestages gab die Bundesregierung im Oktober 2022 an, dass sie zur Frage des Einsatzes von Drohnen und der Rolle des US-Stützpunktes Ramstein mit ihren US-amerikanischen Partnern in einem vertrauensvollen und kontinuierlichen Dialog stehe, der auch völkerrechtliche Fragen umfasse. Die US-Seite bestätige regelmäßig, dass die US-Streitkräfte gemäß ihren Verpflichtungen aus dem NATO-Truppenstatut in Deutschland geltendes Recht, einschließlich des relevanten Völkerrechts, achteten. Zudem gab die Bundesregierung an, in die Planung und Durchführung von US-Drohneneinsätzen nicht eingebunden zu sein (vgl. BTDrucks 20/4016, S. 2 f.).

III.

311. Die Beschwerdeführer und eine weitere Person erhoben im Oktober 2014 Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem Verwaltungsgericht Köln. Sie beantragten, die Beklagte zu verurteilen, die Nutzung der Air Base Ramstein, insbesondere der Satelliten-Relaisstation, durch die USA für Einsätze von unbemannten Fluggeräten, von denen aus Raketen zur Tötung von Personen abgeschossen werden, auf dem Gebiet der Republik Jemen in der Region Hadramaut, insbesondere im Distrikt Al-Qutn, in der Ortschaft Khashamer und an den Wohnanschriften der Beschwerdeführer, durch geeignete Maßnahmen zu unterbinden. Hilfsweise solle das Verwaltungsgericht feststellen, dass das Unterlassen der mit dem Hauptantrag begehrten geeigneten Maßnahmen rechtswidrig sei. Zur Begründung ihres Antrags machten sie einen Anspruch darauf geltend, von der Bundesrepublik Deutschland in ihrem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG sowie nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 25 GG geschützt zu werden.

322. Mit Urteil vom wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Die hinsichtlich des Hauptantrags zulässige Klage sei unbegründet. Zugunsten der Kläger werde unterstellt, dass im vorliegenden Fall ein ausreichender territorialer Bezug zur Bundesrepublik Deutschland bestehe, der geeignet sei, eine grundrechtliche Schutzpflicht auszulösen. Allerdings bestehe keine Handlungspflicht für die Bundesregierung, denn deren bisheriges Handeln genüge den Mindestanforderungen zur Erfüllung der Schutzpflicht. Die Bundesregierung sei auf der Basis einer zumindest vertretbaren völkerrechtlichen Einschätzung nicht untätig geblieben. Sie habe in Konsultationen mit der US-amerikanischen Regierung und zahlreichen Anfragen an diese darauf gedrungen, dass die USA die Air Base Ramstein nur in einer geltendem deutschen Recht und Völkerrecht entsprechenden Weise nutzten. Dies habe die US-amerikanische Regierung auch zugesagt. Politische Konsultationen seien kein offenkundig untaugliches, sondern vielmehr ein klassisches Mittel der auswärtigen Gewalt, um außenpolitische Interessen durchzusetzen.

333. Auf die gegen diese Entscheidung eingelegte Berufung änderte das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen die erstinstanzliche Entscheidung mit Urteil vom . Es verurteilte die Bundesrepublik Deutschland, sich durch geeignete Maßnahmen zu vergewissern, dass eine Nutzung der Air Base Ramstein durch die USA für Ein- sätze unbemannter Fluggeräte, von denen Raketen zur Tötung von Personen abgeschossen werden, auf dem Gebiet der Republik Jemen, Provinz Hadramaut, insbesondere im Distrikt Al-Qutn, in der Ortschaft Khashamer, an den Wohnanschriften der Beschwerdeführer, nur im Einklang mit dem Völkerrecht nach Maßgabe der Urteilsgründe stattfinde, sowie erforderlichenfalls auf dessen Einhaltung gegenüber den USA hinzuwirken. Im Übrigen wies es die Klage ab.

34a) Das Klagebegehren finde zwar keine Grundlage in einem grundrechtlichen Abwehranspruch der Beschwerdeführer aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, denn mit den Einsätzen bewaffneter Drohnen gingen keine der Bundesrepublik Deutschland zurechenbaren Grundrechtseingriffe zum Nachteil der Beschwerdeführer einher. Die Beschwerdeführer hätten aber einen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Anspruch auf Schutz im tenorierten Umfang.

35Die Bundesrepublik Deutschland sei gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dem Grunde nach verpflichtet, im Ausland lebende Ausländer davor zu schützen, dass ihr Leben oder ihre körperliche Unversehrtheit von deutschem Staatsgebiet aus durch einen anderen Staat in völkerrechtswidriger Weise beeinträchtigt werde. Durch Handlungen eines anderen Staates verursachte, im Ausland eintretende Beeinträchtigungen der Schutzgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG wiesen einen hinreichend engen Bezug zum deutschen Staat auf, wenn der andere Staat sein Handeln in wesentlicher Hinsicht von deutschem Staatsgebiet und mithin aus dem originären Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich der deutschen Staatsgewalt heraus vornehme. In diesem Verantwortungsbereich seien die deutschen Staatsorgane - unabhängig von einer eigenen völkerrechtlichen Verantwortlichkeit Deutschlands nach den völkergewohnheitsrechtlichen Grundsätzen der Staatenverantwortlichkeit - verpflichtet, das Völkerrecht zur Geltung zu bringen, wenn das fragliche Handeln des anderen Staates damit nicht im Einklang stehe. Die Schutzpflicht werde nicht erst dann ausgelöst, wenn eine künftige Beeinträchtigung der Schutzgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG durch das Handeln eines anderen Staates in Deutschland und die Völkerrechtswidrigkeit dieses Handelns gewiss seien, sondern vielmehr bereits dann, wenn derartige Beeinträchtigungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit drohten. Der für das Bestehen eines grundrechtlich erheblichen Risikos maßgebliche Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts richte sich insbesondere nach Art, Nähe und Ausmaß möglicher Gefahren, Art und Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts sowie der Irreversibilität von Verletzungen.

36b) Zur Überzeugung des Gerichts stehe fest, dass die USA Einsätze bewaffneter Drohnen auch im Jemen unter Verwendung technischer Einrichtungen auf der Air Base Ramstein mit dort stationiertem eigenem Personal durchführten. Insbesondere habe das Berufungsgericht die volle Überzeugung gewonnen, dass der Datenstrom zur Fernsteuerung der bewaffneten Drohnen in Echtzeit aus den USA über eine Satelliten-Relaisstation in Ramstein geleitet werde, die insoweit als notwendiges Bindeglied zwischen den Piloten in den USA und den bewaffneten Drohnen im Einsatzgebiet auch im Jemen fungiere. Darüber hinaus bestünden - ohne dass es hierauf noch entscheidend ankomme - gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass sich die Einbindung der Air Base Ramstein in Einsätze bewaffneter Drohnen auch im Jemen nicht auf die reine Weiterleitung von Daten über die Satelliten-Relaisstation beschränke, sondern eine Auswertung von Informationen einschließe.

37c) Es gebe zudem gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass die von den USA unter Einbindung der Air Base Ramstein im Jemen durchgeführten Einsätze bewaffneter Drohnen nicht nur in Einzelfällen mit den völkerrechtlichen Vorgaben unvereinbar gewesen seien und deshalb künftig mit weiteren völkerrechtswidrigen Drohneneinsätzen gerechnet werden müsse.

38Zum einen bestünden erhebliche Zweifel daran, dass die generelle Einsatzpraxis der USA für bewaffnete Drohneneinsätze im Jemen dem Unterscheidungsgebot des humanitären Völkerrechts in der gebotenen Weise Rechnung trage. Aus völkerrechtlicher Sicht verstünden die USA ihren Kampf gegen bestimmte terroristische Gruppen als einen offenbar einheitlichen, potenziell weltweiten bewaffneten Konflikt. Dieses weite Verständnis stehe nicht im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht. Die Annahme eines globalen Krieges gegen Al-Qaida, die Taliban und assoziierte Kräfte berge selbst dort, wo tatsächlich ein nicht internationaler bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts vorliege, ein erhebliches strukturelles Risiko von Verstößen gegen das Unterscheidungsgebot und das grundsätzliche Verbot direkter Angriffe auf Zivilpersonen. Es werde dabei nicht darauf abgestellt, ob die Ziele tatsächlich im Rahmen des jeweiligen bewaffneten Konflikts nach humanitärem Völkerrecht legitim seien, weil es in den US-amerikanischen Verlautbarungen auf die rechtlich entscheidende organisatorische Einbindung der Zielperson in eine bestimmte nichtstaatliche Konfliktpartei nicht erkennbar ankomme. Damit bleibe unklar, ob sich direkte Angriffe auf solche Personen beschränkten, die entweder organisatorisch in die jeweilige an dem konkreten Konflikt beteiligte gegnerische Konfliktpartei - hier AQAP oder der jemenitische Ableger des IS - eingebunden seien und eine fortgesetzte Kampffunktion erfüllten oder sich als Zivilisten unmittelbar an Feindseligkeiten im Rahmen des konkreten Konflikts beteiligten. Die Zweifel würden dadurch verstärkt, dass sich die USA zur völkerrechtlichen Rechtfertigung ihrer bewaffneten Einsätze im Jemen zusätzlich auf ihr individuelles Selbstverteidigungsrecht beriefen, aus dem sie in der Vergangenheit mit Blick auf terroristische Bedrohungen eine - dem geltenden Völkerrecht fremde - Berechtigung zu präventiver Ausübung von Gewalt selbst in Situationen abgeleitet hätten, in denen über Zeit und Ort eines Angriffs noch Ungewissheit herrsche.

39Zum anderen sei auch nicht erkennbar, dass die USA im Zusammenhang mit ihren Einsätzen bewaffneter Drohnen im Jemen ihrer Verpflichtung zu einer wirksamen amtlichen Untersuchung von Todesfällen hinreichend nachgekommen seien. Die vom damaligen Präsidenten Obama erlassene Executive Order 13732 vom rechtfertige keinen anderen Schluss. Dies gelte ungeachtet dessen, dass die Durchführung solcher Untersuchungen seitens der USA offenbar als eine Frage der politischen Zweckmäßigkeit, nicht hingegen als Erfüllung einer entsprechenden völkerrechtlichen Verpflichtung verstanden werde und dass ein unzutreffend weites Verständnis der Voraussetzungen eines bewaffneten Konflikts sowie des Kreises der Personen, die als Mitglieder einer Konfliktpartei gezielt angegriffen werden dürften, zugleich eine dem Völkerrecht widersprechende Engführung des Kreises der besonders geschützten Zivilbevölkerung bedinge. Denn jedenfalls sei nicht erkennbar, dass die für Untersuchungen Verantwortlichen von den an den Einsätzen bewaffneter Drohnen Beteiligten - einschließlich der dafür zuständigen Befehlshaber - unabhängig seien.

40Für die Beschwerdeführer begründe die geschilderte Einsatzpraxis der USA eine grundrechtlich erhebliche Gefahr, durch einen unter Einbindung der Air Base Ramstein durchgeführten völkerrechtswidrigen Drohnenangriff an Leib und Leben zu Schaden zu kommen. Es stehe fest, dass sich Einsätze bewaffneter Drohnen mit zivilen Opfern gerade auch in der Provinz Hadramaut derart häufig ereignet hätten, dass mit Rücksicht auf den hohen Rang der Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und die Unumkehrbarkeit einer Verletzung des Lebensgrundrechts ein verfassungsrechtlich erhebliches Risiko für die Beschwerdeführer bestehe.

41d) Die Bundesrepublik Deutschland sei ihrer hieraus erwachsenden grundrechtlichen Schutzpflicht bislang nur unzureichend nachgekommen. Zwar stehe ihr bei der Erfüllung der Schutzpflicht und des damit korrespondierenden Schutzanspruchs der Beschwerdeführer ein weiter Ermessensspielraum zu. Indes habe sie die Grenzen dieses Spielraums überschritten, weil bislang von ihr ergriffene Maßnahmen auf der jedenfalls in Bezug auf den Jemen unzutreffenden Einschätzung beruhten, es gebe keinen Anlass zu Zweifeln an der Völkerrechtskonformität der US-Drohneneinsätze.

42Der Bundesregierung komme bezogen auf die völkerrechtliche Bewertung eines Sachverhalts kein nicht justiziabler Beurteilungsspielraum zu. Die innerstaatliche Geltung des Völkerrechts, das die Rechtsprechung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG binde, wie auch die Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG stünden der Zubilligung nicht justiziabler Beurteilungsspielräume der Exekutive grundsätzlich entgegen. Die Qualifizierung einer Person oder eines Objekts als legitimes militärisches Ziel im Rahmen eines bewaffneten Konflikts sei keine politische Entscheidung, die einer gerichtlichen Kontrolle von vornherein entzogen wäre, sondern eine Frage des Völkerrechts.

43Die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen erwiesen sich vor diesem Hintergrund als völlig unzulänglich, das verfassungsrechtliche Schutzziel - Bewahrung der Beschwerdeführer vor Schäden an Leib oder Leben - zu erreichen. Der bisher geführte Dialog beziehungsweise Austausch mit den USA reiche zum Schutz der Beschwerdeführer vor Schädigungen durch völkerrechtswidrige Drohneneinsätze nicht aus. Da es Zweifel an der Völkerrechtskonformität der Drohneneinsätze im Jemen gebe, dürfe sich die Bundesregierung nicht mit der allgemeinen Zusicherung der US-Seite begnügen, Aktivitäten in US-Militärliegenschaften in Deutschland stünden mit geltendem Recht im Einklang. Ein an die USA gerichtetes, nur allgemeines, rechtlich nicht näher spezifiziertes Verlangen nach einer ausschließlich rechtmäßigen Nutzung der Liegenschaften ohne erkennbare eigene Prüfung und Verlautbarung dessen, was bezogen auf die hier in Rede stehenden Einsätze konkret rechtens sei, sei weder subjektiv darauf gerichtet noch objektiv geeignet, die den Beschwerdeführern tatsächlich drohende Gefahr für Leib oder Leben auszuschließen oder auch nur zu verringern. Es sei nicht erkennbar, dass die Bundesregierung im Rahmen des mit der US-Seite geführten Dialogs bislang über ein solches nur allgemeines Rechtmäßigkeitsverlangen hinausgegangen wäre. Sie müsse vielmehr den Zweifeln an der Völkerrechtskonformität der Einsätze nachgehen und erforderlichenfalls gegenüber den USA konkret darauf hinwirken, dass deutsche Liegenschaften ausschließlich für völkerrechtsgemäße Einsätze genutzt werden. Dazu gehöre es, die US-Seite mit dem deutschen Verständnis des Völkerrechts und den sich daraus ergebenden Zweifeln an der Völkerrechtskonformität der Drohneneinsätze im Jemen zu konfrontieren. Eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung außen- und verteidigungspolitischer Belange der Bundesrepublik Deutschland sowie der vom Grundgesetz gleichfalls gewollten internationalen Zusammenarbeit stehe nicht zu befürchten. Ein Dringen auf die Einhaltung des humanitären Völkerrechts und die Achtung der Menschenrechte entspreche gemeinsamen Wertevorstellungen.

44Die von den Beschwerdeführern begehrte Unterbindung der Nutzung der Air Base Ramstein für Einsätze bewaffneter Drohnen gebiete die Schutzpflicht hingegen nicht. Diese Einsätze seien nicht per se völkerrechtswidrig; im Übrigen habe die Bundesregierung ein Ermessen hinsichtlich der Art und Weise der Schutzgewährung. Ein weitergehender Anspruch ergebe sich auch nicht aus Art. 25 GG.

454. Mit Urteil vom änderte das Bundesverwaltungsgericht auf die Revision der Bundesrepublik Deutschland das Urteil des Oberverwaltungsgerichts und wies die Berufung der Beschwerdeführer und eines weiteren Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zurück. Soweit das Oberverwaltungsgericht den von den Beschwerdeführern geltend gemachten Anspruch in der Sache bejaht habe, sei es im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG von unzutreffenden rechtlichen Maßstäben für die Entstehung einer grundrechtlichen Schutzpflicht ausgegangen (a). Ob eine grundrechtliche Schutzpflicht der Bundesrepublik Deutschland nach Maßgabe des revisiblen Rechts entstanden sei, könne zwar nicht ohne ergänzende Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts entschieden werden (b). Das Bundesverwaltungsgericht könne jedoch in der Sache selbst entscheiden, weil sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergebe, dass die Bundesrepublik Deutschland ihrer möglicherweise entstandenen Schutzpflicht ausreichend nachgekommen sei (c).

46a) In der Sache habe das Oberverwaltungsgericht unzutreffende rechtliche Maßstäbe für die Entstehung einer grundrechtlichen Schutzpflicht zugrunde gelegt.

47aa) Das Berufungsurteil verstoße bereits mit dem Rechtssatz, ein hinreichend qualifizierter Bezug zum deutschen Staat liege schon dann vor, wenn sich der relevante Beitrag zur Entstehung der Gefahrenquelle für die grundrechtlichen Schutzgüter auf deutschem Staatsgebiet in einem rein technischen Übermittlungsvorgang ohne Entscheidungselemente erschöpfe, gegen revisibles Recht. Dass auf deutschem Staatsgebiet befindliche technische Einrichtungen in einen Gesamtvorgang einbezogen seien, dessen Konzeption und Ausführung ansonsten ausschließlich in den Händen von außerhalb des deutschen Staatsgebiets tätigen Amtsträgern eines anderen Staates lägen, reiche bei wertender Betrachtung nicht aus, um grundrechtliche Schutzpflichten des deutschen Staates zu begründen. Könnten die Handlungen des anderen Staates, die das grundrechtliche Schutzgut beeinträchtigten oder gefährdeten, ohne Nutzung der auf deutschem Staatsgebiet befindlichen Liegenschaften oder Einrichtungen nicht ausgeführt werden, sei damit lediglich eine notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für die Annahme eines qualifizierten Gebietsbezugs erfüllt. Um eine im Verfassungstext nicht angelegte Entgrenzung der Verantwortlichkeit des deutschen Staates bei extraterritorialen Sachverhalten auszuschließen, müsse hinzukommen, dass für die rechtliche Bewertung maßgebliche Teilakte des zur Beeinträchtigung oder Gefährdung von Grundrechten führenden Gesamtgeschehens innerhalb der Grenzen der deutschen Gebietshoheit stattfänden. Nur unter der Bedingung, dass sich die Handlungen oder Vorgänge, die für die rechtliche Bewertung der Beeinträchtigung oder Gefährdung der grundrechtlichen Schutzgüter maßgeblich seien, zumindest teilweise auf deutschem Staatsgebiet vollziehen, könne die Grundrechtsbindung der deutschen Staatsgewalt nicht nur - der Abwehrdimension der Grundrechte entsprechend - das Unterlassen eigener Eingriffshandlungen gebieten, sondern auch - im Sinne der Schutzpflichtdimension - positive Handlungspflichten begründen. Eine grundrechtliche Schutzpflicht könnten dementsprechend nur solche Handlungen oder technischen Abläufe auf deutschem Staatsgebiet auslösen, die einen relevanten Entscheidungscharakter aufwiesen.

48bb) Mit revisiblem Recht unvereinbar sei ferner der Rechtssatz des Berufungsurteils, die Schutzpflicht werde nicht erst dann ausgelöst, wenn eine künftige Beeinträchtigung der Schutzgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG durch das Handeln eines anderen Staates in Deutschland und die Völkerrechtswidrigkeit dieses Handelns gewiss seien; vielmehr könne der jeweilige Grundrechtsträger Schutz auch schon vor einer ihm drohenden Gefahr völkerrechtswidriger Beeinträchtigungen von Leib und Leben beanspruchen. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts könne eine grundrechtliche Schutzpflicht nur dann entstehen, wenn aufgrund der Zahl und der Umstände bereits eingetretener Völkerrechtsverstöße konkret zu erwarten sei, dass es auch in Zukunft zu vergleichbaren völkerrechtswidrigen Handlungen des anderen Staates kommen werde, durch die grundrechtliche Schutzgüter beeinträchtigt oder gefährdet würden. Eine drohende Gefahr völkerrechtswidriger Beeinträchtigungen sei nicht ausreichend und führe zu einer praktisch unbegrenzten Verantwortlichkeit des deutschen Staates für extraterritoriale Sachverhalte. Es müsse eine über isolierte Einzelfälle hinausgehende Praxis völkerrechtswidriger Handlungen des anderen Staates feststellbar sein, gegen deren Fortsetzung der deutsche Staat gegebenenfalls aufgrund der Schutzpflichten einschreiten müsse. Seien beispielsweise im Rahmen eines internationalen oder nicht internationalen Konflikts im Sinne des humanitären Völkerrechts bewaffnete Einsätze grundsätzlich zulässig, lasse sich typischerweise erst aufgrund einer Gesamtwürdigung beurteilen, ob fortgesetzte beziehungsweise regelmäßige Verstöße gegen das für solche Konflikte geltende humanitäre Völkerrecht vorlägen.

49cc) Die vom Oberverwaltungsgericht bei der Prüfung der Entstehung einer grundrechtlichen Schutzpflicht zugrunde gelegten Maßstäbe verletzten schließlich auch deshalb revisibles Recht, weil es nicht anerkannt habe, dass die Bundesregierung in Bezug auf die völkerrechtliche Beurteilung des Handelns anderer Staaten innerhalb der Bandbreite der vertretbaren Rechtsauffassungen über einen Einschätzungsspielraum verfüge. Zwar sei das Bundesverfassungsgericht in einem Kammerbeschluss, auf den das Oberverwaltungsgericht Bezug nehme, davon ausgegangen, dass die innerstaatliche Geltung des Völkerrechts, das die Rechtsprechung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG binde, wie auch die Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG der Zubilligung nicht justiziabler Beurteilungsspielräume der Exekutive in Bezug auf Völkerrechtsverstöße grundsätzlich entgegenstünden (unter Verweis auf BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 2660/06 u.a. -, Rn. 53). Die Erwägungen in dem Kammerbeschluss seien aber nicht entscheidungserheblich gewesen und stünden in einem Spannungsverhältnis zu den Grundsätzen, von denen das Bundesverfassungsgericht in einer früheren Senatsent-scheidung ausgegangen sei, welcher das Bundesverwaltungsgericht folge (unter Verweis auf BVerfGE 55, 349 <367 f.>). Hiernach obliege den Gerichten größte Zurückhaltung, etwaige völkerrechtlich fehlerhafte Rechtsauffassungen der zuständigen Organe als Ermessensfehler zu bewerten. Den vom Bundesverfassungsgericht hervorgehobenen strukturellen Besonderheiten des Völkerrechts müsse bereits auf der Tatbestandsebene, hier also in Bezug auf die Frage, ob eine rechtswidrige Beeinträchtigung oder Gefährdung eines grundrechtlich geschützten Rechtsguts als Entstehungsvoraussetzung einer Schutzpflicht vorliege, Rechnung getragen werden.

50b) Das Bundesverwaltungsgericht könne ohne ergänzende Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht entscheiden, ob nach Maßgabe des revisiblen Rechts eine grundrechtliche Schutzpflicht der Beklagten gegenüber den Beschwerdeführern entstanden sei.

51Für das Vorliegen eines erforderlichen qualifizierten Bezugs zum deutschen Staatsgebiet reiche es nicht aus, dass der Datenstrom für die Steuerung der im Jemen eingesetzten bewaffneten Drohnen über Glasfaserkabel von den USA aus zur Air Base Ramstein übermittelt und von dort aus mittels einer Satelliten-Relaisstation an die Drohnen gefunkt werde. Nur solche Handlungen oder technischen Abläufe, die einen relevanten Entscheidungscharakter aufwiesen, könnten auf deutschem Staatsgebiet eine grundrechtliche Schutzpflicht auslösen. Das könne dann der Fall sein, wenn die Einbindung der Air Base Ramstein in die Drohneneinsätze im Jemen zusätzlich eine Auswertung von Informationen einschließe. Das Oberverwaltungsgericht habe hierfür zwar gewichtige Anhaltspunkte gesehen. Da es aus seiner Sicht hierauf nicht entscheidend angekommen sei, enthalte das Berufungsurteil jedoch keine abschließenden tatsächlichen Feststellungen, auf die der Senat eine eigene rechtliche Beurteilung in diesem Punkt stützen könnte.

52Auch könne auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht beurteilt werden, ob die unter Nutzung der Air Base Ramstein durchgeführten Drohneneinsätze der USA im Jemen regelmäßig gegen Vorgaben des humanitären Völkerrechts, insbesondere die Verbote unterschiedsloser Angriffe auf militärische Ziele und Zivilpersonen oder von Angriffen mit unverhältnismäßigen Kollateralschäden, verstießen. Es fehle an tatrichterlichen Feststellungen dazu, ob sich die Einsätze auf solche Personen beschränkten, die entweder organisatorisch in die AQAP oder den jemenitischen Ableger des IS als gegnerische Konfliktparteien eingebunden seien und eine fortgesetzte Kampffunktion erfüllten oder die sich als Zivilisten unmittelbar an Feindseligkeiten im Rahmen des konkreten Konflikts beteiligten. Entsprechendes gelte, wenn die Abgrenzung zwischen Kämpfern und Zivilpersonen nach anderen Kriterien vorgenommen werde. Grundlage für die Prüfung der Völkerrechtskonformität der Zielauswahl und des Waffeneinsatzes könnten nicht allgemein gehaltene politische Erklärungen, sondern nur die konkreten Umstände der durchgeführten Einsätze sein. Das Oberverwaltungsgericht habe sich diesbezüglich keine eigene Überzeugung gebildet, sondern allgemein darauf verwiesen, es bestünden gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass von den USA unter Einbindung der Air Base Ramstein im Jemen einschließlich der Provinz Hadramaut in der Vergangenheit durchgeführte Einsätze bewaffneter Drohnen nicht nur in Einzelfällen mit den völkerrechtlichen Vorgaben unvereinbar gewesen seien und deshalb künftig mit weiteren völkerrechtswidrigen Einsätzen gerechnet werden müsse. Ein Hinweis auf das Bestehen von Anhaltspunkten für das Vorliegen bestimmter Tatsachen könne die erforderlichen abschließenden tatsächlichen Feststellungen aber nicht ersetzen.

53c) Der Senat sehe dennoch davon ab, den Rechtsstreit an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen. Aus den Feststellungen im Berufungsurteil ergebe sich, dass die Bundesrepublik Deutschland ihrer möglicherweise entstandenen Schutzpflicht jedenfalls ausreichend nachgekommen sei. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts könnten die Maßnahmen der Bundesregierung weder deshalb als unzulänglich qualifiziert werden, weil es an einer eigenen rechtlichen Prüfung fehle (aa), noch deshalb, weil sich die Aktivitäten der Bundesregierung bislang auf die Durchführung von Konsultationen (bb) sowie die Einholung einer rechtlichen Zusicherung der USA (cc) beschränkt hätten. Insbesondere müsse die Bundesrepublik Deutschland die USA weder mit einem bestimmten Rechtsverständnis konfrontieren (dd) noch weitergehende Schritte in Betracht ziehen (ee).

54aa) Die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, die Bundesregierung habe die Frage der Völkerrechtskonformität der unter Nutzung der Air Base Ramstein durchgeführten Drohneneinsätze nicht geprüft, stehe im Widerspruch zu deren in den zitierten Quellen dokumentierten Angaben, sie befasse sich bereits seit geraumer Zeit mit den rechtlichen Fragen, die der Einsatz unbemannter Luftfahrzeuge aufwerfe, und es gebe keinen Anlass zu Zweifeln an der Zusicherung der USA, dass Aktivitäten in US-Militärliegenschaften in Deutschland im Einklang mit dem geltenden Recht erfolgten. Die Bundesregierung sei im Rahmen der Erfüllung einer auslandsbezogenen grundrechtlichen Schutzpflicht auch befugt, sich in ihren öffentlichen Verlautbarungen mit der abschließenden völkerrechtlichen Bewertung des Handelns anderer Staaten zurückzuhalten, wenn Geltung und Inhalt der maßgeblichen Regeln des Völkerrechts umstritten seien oder vor dem Hintergrund neuer Entwicklungen im internationalen Bereich Veränderungen unterlägen.

55So verhalte es sich hier. Die völkerrechtliche Beurteilung der US-Drohneneinsätze im Jemen stoße auf erhebliche Schwierigkeiten in Bezug sowohl auf den Inhalt der anzuwendenden völkerrechtlichen Normen als auch die Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen. Im vorliegenden Fall hänge die rechtliche Bewertung der Einsätze im Kontext einer grundrechtlichen Schutzpflicht davon ab, ob fortgesetzte Verstöße gegen das für solche Konflikte geltende humanitäre Völkerrecht vorlägen. Anders als die völkergewohnheitsrechtliche Geltung der Verbote des gezielten und des unterschiedslosen Angriffs auf Zivilpersonen sowie des Angriffs mit unverhältnismäßigen Kollateralschäden in nicht internationalen bewaffneten Konflikten sei die Frage der Abgrenzung zwischen Kämpfern einer nichtstaatlichen Konfliktpartei und Zivilpersonen schwierig und umstritten. Dass der völkervertraglichen Regel des Art. 13 Abs. 3 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte(Protokoll II) vom (BGBl II 1990 S. 1637; ZP II), wonach Zivilpersonen den durch diesen Teil gewährten Schutz genießen, sofern und solange sie nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen, völkergewohnheitsrechtliche Geltung zukomme, könne nicht ohne Weiteres unterstellt werden, da unter anderem die USA dieses Protokoll nicht unterzeichnet hätten. Jedenfalls bleibe klärungsbedürftig, unter welchen Voraussetzungen eine unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten anzunehmen sei. Probleme bereite die Feststellung einer unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten vor allem in unübersichtlichen Konfliktsituationen, bei denen staatliche Organe über keine genauen Informationen darüber verfügten, wie aufständische Gruppen organisiert seien, welche Personen tatsächlich zu diesen Gruppen gehörten und anhand welcher äußeren Merkmale die betreffenden Personen identifiziert werden könnten. Teilweise werde die Auffassung vertreten, dass auch Kommunikations- und Logistikexperten (De-facto-)Kombattanten seien. Bisher nicht abschließend geklärt sei ferner die Frage, unter welchen Bedingungen ein Kämpfer getötet werden dürfe, der vorübergehend an den Feindseligkeiten teilnehme, um danach wieder in seine Rolle als Zivilist zurückzukehren. Dass gemäß Art. 50 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) vom (BGBl II 1990 S. 1551; ZP I) in Zweifelsfällen der Zivilstatus aufrechterhalten bleibe, führe nicht weiter, weil die völkergewohnheitsrechtliche Geltung dieser Vermutungsregel für nicht internationale Konflikte nicht belegbar sei.

56bb) Aus den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ergebe sich, dass sich die Bundesregierung spätestens im Jahr 2016 entschieden habe, in Konsultationen mit den USA einzutreten, bei denen auch rechtliche Fragen thematisiert würden, die der Einsatz unbemannter Luftfahrzeuge aufwerfe. In der Folgezeit habe sich die Bundesregierung entschieden, diese Konsultationen auf unterschiedlichen diplomatischen und politischen Ebenen fortzusetzen. Die fortlaufende Durchführung solcher Konsultationen könne nicht als völlig unzulängliches Instrument zum Schutz der Beschwerdeführer qualifiziert werden. Es handele sich um ein klassisches Mittel der auswärtigen Gewalt im Verkehr mit anderen Staaten. Die Alternative eines einseitigen Vorgehens der Bundesrepublik Deutschland stehe im Widerspruch zur Entscheidung des Grundgesetzes für deren Einordnung in die internationale Zusammenarbeit. Zudem könnten elementare außen-, bündnis- und verteidigungspolitische Interessen gegen ein einseitiges Vorgehen der Bundesregierung im Verhältnis zu anderen Staaten sprechen.

57cc) Die Bundesregierung habe ferner eine Zusicherung der USA eingeholt, dass unbemannte Luftfahrzeuge für Antiterroreinsätze weder von Ramstein aus gestartet noch gesteuert würden und die USA bei ihren Aktivitäten in Ramstein - wie in Deutschland insgesamt - deutsches Recht achteten. Die Einholung einer solchen allgemeinen Zusicherung sei ebenfalls nicht völlig unzulänglich.

58dd) Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts sei eine Konfrontation der USA mit dem deutschen Völkerrechtsverständnis nicht erforderlich. Abgesehen davon, dass die völkerrechtliche Beurteilung des Handelns anderer Staaten wegen der strukturellen Besonderheiten des Völkerrechts von der Bandbreite der vertretbaren Rechtsauffassungen abhängen könne und insbesondere die hier zentrale Frage der Abgrenzung zwischen Kämpfern einer nichtstaatlichen Konfliktpartei und Zivilpersonen umstritten sei, sei nicht erkennbar, auf welche Art und Weise eine solche Konfrontation außerhalb der bisher schon bestehenden Praxis diplomatischer und politischer Konsultationen vorgenommen werden solle. Aufgrund der Vertraulichkeit diplomatischer Konsultationen könne eine derartige Konfrontation auch nicht dokumentiert werden. Es liege im außenpolitischen Gestaltungsspielraum der Bundesregierung, wie sie auf rechtswidriges oder völkerrechtswidriges Tun anderer Staaten reagieren wolle. Es sei nicht Sache der Gerichte, ihre Einschätzung des Verhältnisses zu anderen Staaten oder möglicher Wirkungen bestimmter Maßnahmen auf internationaler Ebene an die Stelle derjenigen der zuständigen Organe der auswärtigen Gewalt zu setzen.

59ee) Weitergehende Schritte wie die Kündigung der völkervertraglichen Grundlagen für die Nutzung der Air Base Ramstein habe die Bundesregierung zur Erfüllung der gegenüber den Beschwerdeführern möglicherweise entstandenen Schutzpflicht nicht in Betracht ziehen müssen. Bei einer einseitigen Beendigung der völkervertraglichen Grundlagen für die Nutzung der Air Base Ramstein handele es sich-ungeachtet der Frage, ob die rechtlichen Voraussetzungen hierfür gegeben wären - offensichtlich um einen Schritt mit derartig massiven nachteilhaften Auswirkungen für die außen-, bündnis- und verteidigungspolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland sowie die grundrechtlichen Schutzansprüche der in Deutschland lebenden Bevölkerung, dass die Bundesregierung eine solche Maßnahme jedenfalls unter den derzeit gegebenen Umständen nicht in ihre Erwägungen einbeziehen müsse.

IV.

60Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer gegen die Urteile des Verwaltungsgerichts Köln vom und des . Sie rügen eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.

611. Das Bundesverwaltungsgericht verstoße durch das tatbestandliche Erfordernis eines qualifizierten Territorialbezugs einer Gefahrenquelle zur Bundesrepublik Deutschland gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Die Eröffnung faktischer Handlungsspielräume für die US-Streitkräfte reiche aus, um eine grundrechtliche Schutzpflicht auszulösen. Für eine verfassungsrechtliche Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland sei nicht erforderlich, dass Teilakte eines Gesamtgeschehens in Deutschland stattfänden, die für die rechtliche Bewertung maßgeblich seien. Die Ansicht des Revisionsgerichts, dass eine Handlungspflicht nur bei einer Entscheidungskomponente auf deutschem Boden eintreten könne, finde weder im Verfassungstext noch in der verfassungsgerichtlich geprägten Schutzpflichtdogmatik eine Stütze. Die den USA eröffneten Handlungsspielräume stünden in mehrfachem Zusammenhang mit der deutschen öffentlichen Gewalt. Diese habe durch die Einräumung von Nutzungsbefugnissen für das Gelände der Air Base Ramstein, durch Frequenzzuteilungen für die in Rede stehende Satellitenkommunikation und durch die Einwilligung in die Beschränkung hoheitlicher Befugnisse mit Bezug zu dieser Liegenschaft die Schaffung einer Gefährdungslage für Leib und Leben vom Territorium der Bundesrepublik Deutschland aus ermöglicht. Der Bezug einer Gefahrenquelle zum Staatsgebiet sei auch keine völkerrechtliche Entstehungsbedingung einer Schutzpflicht. Vielmehr gebe es eine allgemeine Regel des Völkerrechts, der zufolge jedenfalls im Hinblick auf die Einhaltung von Kernnormen des humanitären Völkerrechts sogar ein Handeln der Mitglieder der Staatengemeinschaft erwartet werde, ohne dass es einer Anknüpfung an jeweils inländische Sachverhalte bedürfe. Nach dem Gemeinsamen Artikel 1 der Genfer Konventionen und gleichgerichtetem Völkergewohnheitsrecht bestehe eine Pflicht dahingehend, Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass andere Vertragsstaaten die Bestimmungen der Genfer Abkommen befolgten. Im Übrigen sei eine fortdauernde politische Entscheidungsverantwortung der Bundesrepublik Deutschland dadurch gegeben, dass in Bezug auf die Nutzung der Air Base Ramstein die Beachtung deutschen Rechts vereinbart worden sei, die völkerrechtlichen Nutzungsvereinbarungen noch gewisse Handlungsmöglichkeiten des Aufnahmestaates vorsähen und das durch die beteiligten Staaten anzuwendende Völkerrecht diese nicht aus der Bindung an die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts entlasse.

62Indem das Bundesverwaltungsgericht eine qualifizierte Gefahrenprognose verlange, das Bestehen einer Schutzpflicht also davon abhängig mache, dass aufgrund von Zahl und Umständen bereits eingetretener Völkerrechtsverstöße weitere vergleichbare Schutzgutsbeeinträchtigungen konkret zu erwarten seien, verkenne es den Schutzgehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Anders als vom Gericht angenommen, handele es sich bei der verfassungsgerichtlichen Formel, wonach die Frage, ob, wann und mit welchem Inhalt Schutzhandlungen verfassungsrechtlich geboten seien, von der Art, der Nähe und dem Ausmaß möglicher Gefahren, der Art und dem Rang des geschützten Rechtsguts sowie dem normativen Umfeld abhänge, nicht um eine auf atom- und umweltrechtliche Gefahren bezogene, gleichsam fachspezifische Rechtsfigur.

63Außerdem werde das Revisionsgericht dem grundrechtlichen Schutzgehalt dadurch nicht gerecht, dass es dem Erfordernis einer qualifizierten Gefahrenprognose auf Tatbestandsebene das Element einer qualifiziert zu bestimmenden Rechtswidrigkeit der abzuwehrenden Gefahren, hier in Gestalt der Völkerrechtswidrigkeit, hinzufüge. Die Rechtswidrigkeit einer abzuwehrenden Gefahr sei grundsätzlich kein tatbestandliches Element der grundrechtlichen Schutzpflicht. Eine solche setze bei der objektiven Gefährdung des Grundrechts an. Das Erfordernis einer Rechtswidrigkeitsfeststellung folge ferner nicht aus dem humanitären Völkerrecht, welches den beteiligten Staaten und ihren Streitkräften auch umfangreiche Vorsorgemaßnahmen aufgebe.

64Des Weiteren verkenne das Bundesverwaltungsgericht durch die Anerkennung eines Einschätzungsspielraums der Exekutive in Bezug auf die rechtliche Bewertung des Handelns einer dritten Macht, von der eine Gefährdung für die Schutzgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ausgehe, den Inhalt des Grundrechts. Indem es insoweit ein exekutives Letztentscheidungsrecht annehme, verletze es zugleich das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG.Das in der Entscheidung des (BVerfGE 55, 349) verwendete Argument fehlender verbindlicher Feststellungsverfahren für das Völkergewohnheitsrecht nehme nach dem gegenwärtigen Stand der Völkerrechtsentwicklung nicht mehr im gleichen Maße ein. Mängel einer internationalen obligatorischen Gerichtsbarkeit stritten jedenfalls gerade für die Entscheidungskompetenz der bestehenden staatlichen und internationalen Gerichte und nicht für ihre Verdrängung aus der staatlichen Entscheidungsfindung. Im Übrigen unterliege die Bundesrepublik Deutschland in der Mitwirkung an der Entwicklung des Völkerrechts verfassungsrechtlichen Grenzen. Die Einnahme einer dem Grundgesetz entsprechenden Rechtsauffassung erscheine im zwischenstaatlichen Verkehr verfassungsrechtlich geboten. Deutschland sei von Verfassungs wegen zur (Mit-)Gestaltung einer verfassungskonformen Völkerrechtsordnung aufgerufen, was jedenfalls dann die Verteidigung des Status quo des Völkerrechts gebiete, wenn die Rechtsentwicklung oder Anwendungspraxis eine verfassungswidrige Richtung einschlage oder den Menschenrechtsschutz verkürze. Es dürfe nicht an der Entstehung verfassungswidrigen Völkerrechts mitwirken.

652. Ferner seien die Konsultationen der Bundesregierung mit Vertretern der USA und die von ihr eingeholten Zusicherungen - gemessen an den verfassungsrechtlichen Maßstäben - offensichtlich gänzlich ungeeignet und völlig unzulänglich, um die Rechtsgutsgefährdung zu beenden. Es sei nicht ersichtlich, weshalb jenseits der vom Bundesverwaltungsgericht anerkannten Konsultationen lediglich ein einseitiges Vorgehen zu Gebote stehe. Vielmehr ergäben sich aus dem anzuwendenden Recht diskursive Möglichkeiten. Insoweit könne der Dialog intensiviert und Rechtsauffassungen könnten konkretisiert werden. Weiterhin könnten die Lage im Jemen und die Situation der Beschwerdeführer Gegenstand der Konsultationen sein.

66Die vom Revisionsurteil in Bezug genommene Zusicherung der USA, das deutsche Recht zu beachten, sei unter den gegebenen Umständen ebenfalls gänzlich ungeeignet, jedenfalls völlig untauglich für einen wirksamen Schutz der Beschwerdeführer. Es sei schon nicht erkennbar, ob es sich um eine förmliche Zusicherung oder um eine rechtlich nicht bindende, politische Bekundung handele. Die Geeignetheit der Zusicherung sei schon deshalb nicht ersichtlich, weil sich diese nur insoweit überhaupt auf relevante Umstände beziehe, als die allgemeine Beachtung des in Deutschland geltenden Rechts durch die US-Streitkräfte zugesagt worden sei. Dass damit tatsächlich die Beachtung humanitären Völkerrechts im globalen Krieg gegen den Terror gemeint sei, erschließe sich nicht. Auch der Umstand, dass zugesichert worden sei, von deutschem Staatsgebiet aus würden keine Drohnen gestartet oder gesteuert, lasse den Schluss zu, dass keine weiterführende Äußerung zu Einsätzen bewaffneter Drohnen getätigt werden sollte. Welchen Inhalt die USA dem auf sie Anwendung findenden deutschen Recht im Hinblick auf einen Waffeneinsatz im Jemen unter Vermittlung der Air Base Ramstein zumessen würden und ob sie überhaupt zu diesen Fragen Stellung hätten nehmen wollen, erschließe sich aus dem Inhalt der Zusicherung erst recht nicht. Die inhaltliche Unschärfe der von der Bundesregierung in Bezug genommenen Zusicherung lasse zudem einen fehlenden Willen zu vorliegend relevanten konkreten Feststellungen erkennen und spreche damit gegen ihre Belastbarkeit.

67Schließlich lasse sich die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, die Abgrenzung von Kämpfern und Zivilpersonen im nicht internationalen bewaffneten Konflikt sei normativ nicht geklärt, in dieser Konsequenz nicht mit der zitierten deutschsprachigen Literatur rechtfertigen. Die Bundesrepublik Deutschland sei nicht gehalten, an dem Versuch einer Dynamisierung des Völkerrechts durch die USA mitzuwirken, zumal wenn sich diese zulasten hochrangiger Rechtsgüter auswirke und auch so gedacht sei. Soweit tatbestandliche Randbereiche und Einzelfragen der Unterscheidung von legitimen militärischen Zielen und Zivilpersonen umstritten sein sollten, könne sich daraus keine generelle Zurückhaltung Deutschlands im Austausch mit einem Bündnispartner ergeben. Die Annahme, die Rücksicht auf vertretbare Völkerrechtsauffassungen der USA stehe vorliegend weiteren Maßnahmen entgegen, lasse vielmehr besorgen, dass Unklarheiten in Einzelkonstellationen dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag in seiner Gesamtheit entgegengehalten würden. Praktischen Schwierigkeiten sei in Anwendung von Art. 58, 59 ZP I und gleichgerichtetem Völkergewohnheitsrecht durch besonders sorgfältige Aufklärung und Vorgehensweise beim Waffeneinsatz zu begegnen. Schon mit einem Hinwirken auf die Einhaltung dieser Sorgfaltspflichten wäre der Schutz der Beschwerdeführer verbessert.

V.

681. Der Bundespräsident, der Deutsche Bundestag, die Bundesregierung und der Bundesrat hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

692. Die Bundesregierung hält die Verfassungsbeschwerde bereits für unzulässig, weil die Gründe, die gegen das Bestehen einer Schutzpflicht sprächen, zugleich zum Entfallen der Beschwerdebefugnis führten. Jedenfalls sei die Verfassungsbeschwerde unbegründet.

70a) Der Annahme extraterritorialer Schutzpflichten stünden gewichtige grundrechtsdogmatische Einwände entgegen, die nur unter engen tatbestandlichen Voraussetzungen überwunden werden könnten. Der verfassungsrechtlich gebotene Anknüpfungspunkt zur Bundesrepublik Deutschland stelle sogar höhere Anforderungen als diejenigen, die das Bundesverwaltungsgericht formuliert habe. Tatbestandliche Voraussetzung einer extraterritorialen Schutzpflicht sei ein besonderer Anknüpfungspunkt in Form einer territorial oder personal begründeten Verantwortlichkeit Deutschlands für das betroffene Schutzgut. Die Schutzpflicht könne zum einen territorial begründet sein, wenn grundrechtsbeeinträchtigende Wirkungen innerhalb des deutschen Staatsgebiets einträten, das betroffene Schutzgut also innerhalb der räumlichen Verantwortlichkeit der deutschen Staatsgewalt belegen sei. Sie könne zum anderen personal begründet sein, wenn es um die Beeinträchtigung grundrechtlicher Schutzgüter deutscher Staatsangehöriger im Ausland gehe. Schutzpflichten bestünden daher nur gegenüber Staats- oder Gebietsangehörigen.

71Zumindest bedürfe es eines qualifizierten Inlandsbezugs in der vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Form, wie er hier nicht vorliege. Eine nur unwesentliche Einbeziehung Deutschlands in einen von Drittstaaten bestimmten Vorgang eröffne keine grundrechtliche Verantwortlichkeit und könne somit als solche auch keine grundrechtliche Schutzpflicht auslösen. Die rein technische Einbeziehung der Air Base Ramstein stelle keinen wesentlichen Inlandsbezug dar. Die Durchleitung des Datenstroms sei als solche normativ neutral. Der Einsatz von bewaffneten Drohnen sei als solcher auch nicht völkerrechtswidrig. Seine Rechtmäßigkeit hänge von den Umständen des Einzelfalls ab. Deshalb bewirkten erst die konkreten Einsatzentscheidungen während der Operation die Einhaltung oder Nichteinhaltung des Völkerrechts, im Kern also die Letztentscheidung über Zielauswahl und Waffeneinsatz. Nur diese normativ ausschlaggebenden Weichenstellungen könnten einen wesentlichen Inlandsbezug herstellen, denn dann lasse sich eine spezifische Verantwortlichkeit Deutschlands für das selbstständige Handeln eines Drittstaats begründen. Im Übrigen sei die Datenübermittlung notwendig, um den Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht bei der Einsatzführung nachkommen zu können. Selbst wenn US-amerikanisches Bodenpersonal in der Air Base Ramstein für die Auswertung der übermittelten Daten, insbesondere der von den Bordkameras aufgenommenen Bilder, eingesetzt werden sollte, wären keinerlei operative Entscheidungen über Zielauswahl und Waffeneinsatz in Deutschland lokalisiert, sondern nur Vorgänge der Informationsauswertung, die für sich genommen normativ neutral seien.

72Zudem setze eine grundrechtliche Schutzpflicht neben dem inländischen Anknüpfungspunkt konkret absehbare Völkerrechtsverstöße durch die USA in der hier vorliegenden Konstellation voraus. Bei der Beurteilung der Völkerrechtswidrigkeit sei die Bandbreite völkerrechtlicher Rechtsauffassungen zu berücksichtigen. Verzichtete man auf das Erfordernis der Völkerrechtswidrigkeit, bedeutete dies, Drittstaaten faktisch an die Maßstäbe des Grundgesetzes zu binden.

73Das Bundesverwaltungsgericht habe das Vorliegen des notwendigen Rechtswidrigkeitselements verfassungsrechtlich unbedenklich verneint. Das Oberverwaltungsgericht begnüge sich mit dem bloßen Verweis auf ein strukturelles Risiko einer rechtswidrigen Zielauswahl, ohne konkrete Sachverhalte und Belege zu benennen oder völkerrechtliche Auslegungsspielräume zu berücksichtigen. Die von ihm betonten vagen, vermutungsartigen Zusammenhänge genügten nicht, um Völkerrechtsverstöße darzulegen, aus denen so weitreichende Folgen wie eine grundrechtliche Schutzpflicht hergeleitet werden sollten. Im Übrigen könne auch die vom Berufungsgericht angenommene Verletzung des Art. 6 IPbpR in Form einer Pflicht der USA zur amtlichen Untersuchung von Todesfällen im Kontext der Einsätze bewaffneter Drohnen die Begründung einer grundrechtlichen Schutzpflicht nicht tragen. Ihre Anwendbarkeit unterstellt, würde ein Verstoß gegen diese Verpflichtung jedenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit des fraglichen Angriffs führen, sondern nur zu einem Verstoß gegen die Folgepflicht, die Umstände der Todesfälle nachträglich zu untersuchen. Hinsichtlich dieser Untersuchungspflicht und ihrer etwaigen Verletzung fehle aber jeglicher Inlandsbezug zur Bundesrepublik Deutschland, der eine grundrechtliche Schutzpflicht auslösen könnte.

74Auch habe das Bundesverwaltungsgericht zu Recht einen Einschätzungsspielraum der Bundesregierung in Bezug auf die völkerrechtliche Beurteilung des Handelns anderer Staaten innerhalb der Bandbreite der vertretbaren Rechtsauffassungen anerkannt. Es bleibe dabei, dass es für beträchtliche Teile des Völkerrechts und viele Streitkonstellationen strukturell an autoritativen Entscheidungsmechanismen ganz oder partiell fehle. Bezogen auf den konkreten Fall bedeute dies, dass es vertretbar sei, das Vorliegen eines nicht internationalen bewaffneten Konflikts zwischen der jemenitischen Regierung und AQAP zu bejahen. Ebenso sei es überzeugend, Mitglieder organisierter bewaffneter Gruppen auch außerhalb ihrer unmittelbaren Teilnahme an Kampfhandlungen nicht als Zivilisten und daher als militärische Ziele anzusehen. Dabei sei die genaue Abgrenzung der Mitglieder umstritten. In diesem Rahmen dürfe die Bundesregierung unter den vorliegenden Bedingungen Angriffe auf Mitglieder des bewaffneten Arms einer Konfliktpartei grundsätzlich als völkerrechtlich vertretbar einordnen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen einer extraterritorialen Schutzpflicht lägen nach alledem nicht vor, weil es an einem hinreichenden normativen Anknüpfungspunkt für die Entstehung dieser Schutzpflicht fehle und die Völkerrechtswidrigkeit weiterer Einsätze bewaffneter Drohnen nicht hinreichend konkret absehbar sei.

75b) Hilfsweise werde zu den Rechtsfolgen einer Schutzpflicht vorgetragen, dass das Bundesverwaltungsgericht die verfassungsrechtlichen Maßstäbe insoweit zutreffend bestimmt und angewendet habe. Die Reaktionen der Bundesregierung seien von ihrem Einschätzungs- und Ermessensspielraum gedeckt. Die Bundesregierung sei aktiv tätig geworden und habe auf diplomatischer Ebene substantiell gehandelt. Das Auswärtige Amt habe die Frage von Einsätzen bewaffneter Drohnen und die Rolle der Air Base Ramstein auf diplomatischen Kanälen thematisiert. Es habe dabei wiederholt die Versicherung eingeholt, dass Einsätze von unbemannten Luftfahrzeugen von Deutschland aus in keiner Weise gestartet, gesteuert oder befehligt und die US-Streitkräfte bei ihren Aktivitäten geltendes Recht einhalten würden. Die Gespräche seien sowohl mit der US-amerikanischen Botschaft als auch auf hochrangiger Ebene in Washington geführt worden. Die Bundesregierung habe bekräftigt, diesen Dialog fortzuführen. Die Staatsminister im Auswärtigen Amt hätten dem Deutschen Bundestag mehrfach darüber berichtet. In der Summe entfalteten diese Aktivitäten ein substantielles Gewicht.

76Ebenso sei es nicht angezeigt, die regelmäßige Zusicherung der USA, bei ihren Aktivitäten geltendes Recht einzuhalten, als unbeachtlich anzusehen. Die Beachtung des humanitären Völkerrechts als solches werde von den USA nicht infrage gestellt, auch wenn sich die Interpretation des Völkerrechts seitens der USA nicht in allen Punkten mit derjenigen der Bundesrepublik Deutschland decke. Mit den genannten Maßnahmen sei ein politischer Prozess verbunden, der den USA die Rechtsauffassung und politischen Erwartungen ihres deutschen Bündnispartners verdeutliche und auf Berücksichtigung dränge. Insoweit seien die Maßnahmen nicht ohne Erfolgsaussichten. Dies sei ausreichend, denn Gegenstand einer Schutzpflicht sei nicht ein konkreter Erfolg, sondern situationsangemessenes Handeln. Zu weitergehenden Maßnahmen sei die Bundesregierung nicht verpflichtet gewesen. Es liege außerdem nahe, dass die geforderte Vorgehensweise die diplomatischen Beziehungen spürbar belasten könne. Die Bundesregierung habe zu der Einschätzung gelangen dürfen, dass der angemessenste Ausdruck einer auch verfassungsrechtlich gebundenen deutschen Außen- und Sicherheitspolitik darin bestehe, unter Abwägung der betroffenen Verfassungsbelange kontinuierlich auf den eingespielten diplomatischen Wegen auf das mittelfristige Ziel einer Konvergenz der strategischen und völkerrechtlichen Anschauungen hinzuwirken, während konfrontative Verschärfungen keinen größeren Erfolg versprächen, aber erheblichen bündnispolitischen Schaden verursachen würden.

VI.

77Mit Beschluss vom hat der Senat festgestellt, dass der Richter Wöckel im vorliegenden Verfahren von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen ist, weil er in derselben Sache vor seiner Ernennung zum Richter des Bundesverfassungsgerichts von Amts wegen tätig gewesen ist (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG). Er hat an dem im fachgerichtlichen Verfahren ergangenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom mitgewirkt.

VII.

78Der Senat hat am eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in der die Beschwerdeführer ihr bisheriges Vorbringen ergänzt und vertieft haben. Auch die Bundesregierung hat von der Gelegenheit zur Äußerung Gebrauch gemacht. Als sachkundige Dritte im Sinne des § 27a BVerfGG haben Prof. Dr. Heike Krieger (Freie Universität Berlin) und Prof. Dr. Stefan Oeter (Universität Hamburg) Stellung genommen.

VIII.

79Im Nachgang zur mündlichen Verhandlung haben die Beschwerdeführer und die Bundesregierung ihr bisheriges Vorbringen noch einmal vertieft.

B.

80Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere sind die Beschwerdeführer beschwerdebefugt. Es ist nicht von vornherein auszuschließen, dass der deutsche Staat grundrechtlich verpflichtet ist, sie vor einem völkerrechtswidrigen Einsatz bewaffneter Drohnen durch die USA im Jemen zu schützen, soweit ein solcher Einsatz mithilfe der Satelliten-Relaisstation in Ramstein durchgeführt wird. Ob derartige Schutzpflichten bestehen, ist eine Frage der Begründetheit (vgl. auch BVerfGE 157, 30 <87 Rn. 90> - Klimaschutz).

C.

81Die Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer nicht in ihren Grundrechten. Zwar folgt aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 GG und dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes unter bestimmten Voraussetzungen eine grundrechtliche Schutzpflicht, die darauf gerichtet ist, gegenüber einem Drittstaat auf die Einhaltung des dem Schutz des Lebens dienenden humanitären Völkerrechts und der einschlägigen Menschenrechte hinzuwirken. Eine solche Schutzpflicht kann es auch gegenüber im Ausland lebenden Ausländern geben (I.). Allerdings besteht im hier zu entscheidenden Fall keine solche Schutzpflicht, weil jedenfalls die ernsthafte Gefahr einer systematischen Verletzung des anwendbaren Völkerrechts nicht vorliegt (II.). Auch ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG scheidet damit aus (III.).

I.

82Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährt nicht nur ein subjektives Abwehrrecht, sondern kann auch staatliche Schutzpflichten begründen (1.). Aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes folgt in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 GG ein Schutzauftrag zugunsten des humanitären Völkerrechts und der einschlägigen Menschenrechte (2.). Unter bestimmten Voraussetzungen kann sich dieser allgemeine Schutzauftrag zu einer konkreten grundrechtlichen Schutzpflicht auch gegenüber im Ausland lebenden Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit verdichten; diese kann darauf gerichtet sein, auf die Einhaltung des dem Schutz des Lebens dienenden humanitären Völkerrechts und des völkerrechtlich anerkannten Rechts auf Leben durch einen Drittstaat hinzuwirken (3.).

831. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährt nicht nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in diese Rechtsgüter. Es stellt zugleich eine objektive Wertentscheidung der Verfassung dar, die staatliche Schutzpflichten begründet. Danach hat der Staat die Pflicht, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit zu stellen und sie vor (rechtswidrigen) Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren (vgl. BVerfGE 39, 1 <42>; 46, 160 <164>; 77, 170 <214>; 79, 174 <201 f.>; 115, 320 <346>; 121, 317 <356>; 142, 313 <337 Rn. 69 f.>; 149, 293 <322 Rn. 74>; 157, 30 <111 Rn. 145>). Die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG greift nicht erst dann ein, wenn Verletzungen bereits eingetreten sind, sondern ist auch in die Zukunft gerichtet (vgl. BVerfGE 49, 89 <140 ff.>; 53, 30 <57>; 56, 54 <78>; 121, 317 <356>; 157, 30 <111 Rn. 146>). Der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schließt den Schutz vor Beeinträchtigungen und insbesondere vor Schädigungen grundrechtlicher Schutzgüter ein, gleich von wem und durch welche Umstände sie drohen (vgl. für Umweltbelastungen BVerfGE 49, 89 <140 ff.>; 157, 30 <112 Rn. 147>).

842. a) Die sich aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes ergebende Pflicht, das Völkerrecht zu respektieren, besitzt drei Dimensionen: Erstens sind die deutschen Staatsorgane verpflichtet, die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen zu unterlassen. Zweitens hat der Gesetzgeber für die deutsche Rechtsordnung zu gewährleisten, dass durch eigene Staatsorgane begangene Völkerrechtsverstöße korrigiert werden können. Drittens können die deutschen Staatsorgane unter bestimmten Voraussetzungen auch verpflichtet sein, das Völkerrecht im eigenen Verantwortungsbereich zur Geltung zu bringen, wenn andere Staaten es verletzen (vgl. BVerfGE 112, 1 <26>; 141, 1 <29 Rn. 70>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1371/13 -, Rn. 34).

85b) Das Grundgesetz weist über Art. 1 Abs. 2 GG dem Kernbestand an internationalen Menschenrechten einen besonderen Schutz zu (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>), der sich von dem verfassungsrechtlichen Schutz sonstiger völkerrechtlicher Verpflichtungen unterscheiden kann (vgl. für eine verfassungsrechtliche Differenzierung zwischen menschenrechtlichen und anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen BVerfGE 141, 1 <32 Rn. 76>). Die Grundrechte des Grundgesetzes sind nach Art. 1 Abs. 2 GG und vor dem Hintergrund der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes im Einklang mit den internationalen und europäischen Menschenrechten auszulegen (BVerfGE 83, 119 <128>; 111, 307 <329>; 142, 313 <345 ff. Rn. 87 ff., 348 f. Rn. 92 ff.>; 149, 293 <328 Rn. 86>; 151, 1 <26 f. Rn. 61 f., 29 ff. Rn. 66 ff.> - Wahlrechtsausschluss Bundestagswahl; 160, 79 <111 Rn. 88> - Benachteiligungsrisiken von Menschen mit Behinderung in der Triage). Das Grundgesetz rezipiert auch die graduelle Anerkennung der Existenz zwingender, also der Disposition der Staaten im Einzelfall entzogener Normen (ius cogens). Dabei handelt es sich um die in der Rechtsüberzeugung der Staatengemeinschaft fest verwurzelten Rechtssätze, die für den Bestand des Völkerrechts unerlässlich sind und deren Beachtung alle Mitglieder der Staatengemeinschaft verlangen können. Dazu gehören etwa Normen über die internationale Friedenssicherung, das Selbstbestimmungsrecht der Völker, grundlegende Menschenrechte sowie Kernnormen zum Schutz der Umwelt und des humanitären Völkerrechts (vgl. BVerfGE 18, 441 <448 f.>; 112, 1 <27 f., 30 f.>). Demzufolge obliegt den Staatsorganen der Bundesrepublik Deutschland ein allgemeiner Schutzauftrag dahingehend, dass der Schutz der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts auch bei Sachverhalten mit Auslandsberührung gewahrt bleibt. So hat der Gesetzgeber etwa dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz der Europäischen Menschenrechtskonvention und der anderen internationalen Menschenrechtsverträge durch eine Übermittlung der von deutschen Behörden erhobenen Daten ins Ausland und an internationale Organisationen nicht ausgehöhlt wird, und sicherzustellen, dass Informationen nicht dazu genutzt werden, um Menschen menschenrechtswidrig oder unter Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht zu töten, zu foltern oder sie ohne rechtsstaatliche Verfahren in Haft zu nehmen (vgl. BVerfGE 141, 220 <342 Rn. 328, 345 Rn. 336>; 154, 152 <275 Rn. 237> - BND - Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung). Keinesfalls darf der deutsche Staat seine Hand zu Verletzungen der Menschenwürde reichen (vgl. BVerfGE 54, 341 <357>; 63, 332 <337>; 76, 143 <157 f.>; 80, 315 <333>; 113, 154 <162>; 140, 317 <347 Rn. 62>; 141, 220 <342 Rn. 328>; 154, 152 <275 Rn. 237>).

863. Dieser allgemeine Schutzauftrag zugunsten der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts kann sich unter bestimmten Bedingungen je nach Einzelfall zu einer konkreten grundrechtlichen Schutzpflicht verdichten (vgl. BVerfGE 142, 313 <338 Rn. 71>; 158, 170 <186 Rn. 34 f.> - IT-Sicherheitslücken; 160, 79 <114 Rn. 97>). Geht die Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit von dem Handeln eines Drittstaats aus, so kommt die Verdichtung zu einer konkreten Schutzpflicht nur in Betracht, wenn die ernsthafte Gefahr besteht, dass durch dessen Handeln das humanitäre Völkerrecht und/oder die internationalen Menschenrechte, insbesondere das Recht auf Leben, systematisch verletzt werden. Eine solche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bezieht sich auf die Einhaltung des anwendbaren Völkerrechts zum Schutz des Lebens (a). Sie kann mit Blick auf von Drittstaaten verursachte Gefährdungslagen (b) gegenüber jenen Menschen bestehen, deren Leben durch das humanitäre Völkerrecht und die internationalen Menschenrechte geschützt werden soll. Eine Eingrenzung dieser verfassungsrechtlichen Schutzpflicht auf deutsche Staatsangehörige oder Gebietsansässige sieht die Verfassung nicht vor (c). Allerdings müssen für das Entstehen einer solchen Schutzpflicht zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Erforderlich sind erstens ein hinreichender Bezug zur Staatsgewalt der Bundesrepublik Deutschland, der den notwendigen Verantwortungszusammenhang begründet (d), und zweitens das Vorliegen einer ernsthaften Gefahr der systematischen Verletzung des anwendbaren Völkerrechts (e). Bei der Beurteilung, ob eine solche Gefahr systematischer Völkerrechtsverletzungen besteht und wie ihr konkret zu begegnen ist, ist die Rechtsauffassung der für außen- und sicherheitspolitische Fragen zuständigen deutschen Staatsorgane maßgeblich zu berücksichtigen, soweit sich diese als vertretbar erweist (f). Diese Maßstäbe tragen den von der Bundesrepublik Deutschland zu beachtenden völkerrechtlichen Verpflichtungen Rechnung (g).

87a) Art. 1 Abs. 3 GG begründet eine umfassende Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte des Grundgesetzes, die sich nicht allein auf das deutsche Staatsgebiet beschränkt (aa). Die Auslegung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG als Grundlage von Schutzpflichten, die sich auf Handlungen von Drittstaaten beziehen, ist mit dem Völkerrecht abzustimmen, insbesondere mit den international anerkannten Menschenrechten und dem humanitären Völkerrecht (bb).

88aa) Aus Art. 1 Abs. 3 GG folgt eine umfassende Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte des Grundgesetzes, die nicht auf das deutsche Staatsgebiet beschränkt ist (vgl. BVerfGE 31, 58 <72 f.>; 100, 313 <362>; 154, 152 <215 Rn. 88>; 157, 30 <125 Rn. 175>). Art. 1 Abs. 2 GG enthält ein Bekenntnis zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Die Grundrechte des Grundgesetzes werden so in den Zusammenhang internationaler Menschenrechtsgewährleistungen gestellt, die über die Staatsgrenzen hinweg auf einen Schutz abzielen, der dem Menschen als Menschen gilt. Entsprechend schließen Art. 1 Abs. 2 und Art. 1 Abs. 3 GG an die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG an (vgl. BVerfGE 154, 152 <218 f. Rn. 94>).

89Die umfassende Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte lässt unberührt, dass sich die aus den Grundrechten konkret folgenden Schutzwirkungen danach unterscheiden können, unter welchen Umständen sie zur Anwendung kommen. Das gilt - wie schon für die verschiedenen Wirkungsdimensionen der Grundrechte im Inland (vgl. etwa für die Differenzierung zwischen Abwehrrechten und staatlichen Schutzpflichten BVerfGE 96, 56 <64>; 133, 59 <76 Rn. 45>; 157, 30 <114 Rn. 152>) - auch für die Reichweite ihrer Schutzwirkung im Ausland. So kann auch in dieser Konstellation zwischen verschiedenen Grundrechtsdimensionen, etwa der Wirkung der Grundrechte als Abwehrrechte, als Leistungsrechte, als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen oder als Grundlage von Schutzpflichten zu unterscheiden sein (vgl. BVerfGE 154, 152 <224 Rn. 104>).

90bb) Das Verfassungsrecht ist bei Sachverhalten mit Auslandsbezügen mit dem Völkerrecht abzustimmen (vgl. BVerfGE 100, 313 <362 f.>). Die Reichweite der Grundrechte ist unter Berücksichtigung von Art. 25 GG und dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit aus dem Grundgesetz selbst zu ermitteln. Dabei können je nach den einschlägigen Verfassungsnormen Modifikationen und Differenzierungen zulässig oder geboten sein (vgl. BVerfGE 31, 58 <72 ff.>; 92, 26 <41 f.>; 100, 313 <362 f.>). Für die Auslegung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG als Grundlage von Schutzpflichten, die sich auf das Leben gefährdende militärische Handlungen von Drittstaaten beziehen, sind daher jene völkerrechtlichen Regeln heranzuziehen, die dem Schutz des Lebens in bewaffneten Konflikten dienen. Hierunter fallen das humanitäre Völkerrecht und die international anerkannten Menschenrechte. Das humanitäre Völkerrecht zielt nicht nur darauf, die Mittel der Kampfführung zu begrenzen, sondern auch, die Zivilbevölkerung zu schützen (vgl. BVerfGE 149, 160 <210 Rn. 135>). Diese Regeln werden mitunter als zwingendes Völkerrecht angesehen; in der Folge sind alle Staaten verpflichtet, dahingehend zu kooperieren, dass eine Verletzung beendet wird (vgl. IGH, Gutachten, - Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons -, ICJ Reports 1996, S. 226 <257 Rn. 79>; Gutachten, - Legal Consequences arising from the Policies and Practices of Israel in the Occupied Palestinian Territory, including East Jerusalem -, abrufbar unter https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/186/186-20240719-adv-01-00-en.pdf <S. 74 Rn. 274, S. 76 Rn. 279>; vgl. auch Art. 41 der Artikel über die Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen, vorgelegt von der Völkerrechtskommission, Anlage zur Resolution 56/83 der Generalversammlung der Vereinten Nationen, ).

91Zwar ginge es zu weit, die Einhaltung sämtlicher völkerrechtlichen Verpflichtungen zum Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht zu machen. Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts können indes schwere Beeinträchtigungen zur Folge haben. Sie können daher als Anknüpfungspunkt für eine extraterritoriale grundrechtliche Schutzverpflichtung dienen (vgl. BVerfGE 157, 30 <125 f. Rn. 175>). Dies berücksichtigt den besonderen Schutz, der den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten unter dem Grundgesetz (Art. 1 Abs. 2 GG) im Verhältnis zu anderen völkerrechtlichen Verpflichtungen zukommt (vgl. BVerfGE 141, 1 <32 Rn. 76>). Das gilt auch für das humanitäre Völkerrecht, das den Schutz der Menschenrechte der Zivilbevölkerung, insbesondere des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit, im bewaffneten Konflikt sicherstellen soll.

92b) Soweit diese Schutzpflicht auf die Einhaltung der völkerrechtlichen Regeln zum Schutz des Lebens gerichtet ist, erfasst sie auch Gefährdungen, die von Akteuren ausgehen, welche nicht der Grundrechtsbindung des Grundgesetzes unterliegen. Dies schließt grundsätzlich Gefährdungen durch einen anderen Staat ein (vgl. BVerfGE 112, 1 <25 f.>). Dass sich eine Schutzpflicht auch auf Gefährdungen durch einen nicht an die Grundrechte des Grundgesetzes gebundenen Hoheitsträger beziehen kann, ist in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung mit Blick auf den Schutz deutscher Staatsangehöriger und ihrer Interessen gegenüber fremden Staaten anerkannt (vgl. BVerfGE 55, 349 <364 f.>; 66, 39 <60 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1720/03 -, Rn. 34, 36; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1371/13 -, Rn. 31 ff., 45 f.; Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 92 <Jan. 2021>; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HStR IX, 3. Aufl. 2011, § 191 Rn. 208 f.; Möstl, in: Stern/Sodan/Möstl, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland im europäischen Staatenverbund, 2. Aufl. 2022, § 68 Rn. 17). So obliegt den Organen der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere der Bundesregierung, von Verfassungs wegen die Pflicht zum Schutz deutscher Staatsangehöriger und ihrer Interessen gegenüber fremden Staaten (vgl. BVerfGE 6, 290 <299>; 40, 141 <177 ff.>; 41, 126 <182>; 55, 349 <364>; hierzu auch E. Klein, DÖV 1977, S. 704 <705 ff.>; Hanschel, ZaöRV 2006, S. 789 <804 f.>; Kolb/Neumann/Salomon, ZaöRV 2011, S. 191 <236 ff.>; Ruffert, in: Isensee/Kirchhof, HStR X, 3. Aufl. 2012, § 206 Rn. 34; B. Walter, DÖV 2022, S. 357 <357 f.>).

93Hierbei besteht keine Gefahr, dass es für andere Staaten zu einem Oktroi deutscher Grundrechte kommt. Wie der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Blick auf eine abwehrrechtliche Konstellation zutreffend festgestellt hat, begründet die Bindung an die deutschen Grundrechte nur eine Verantwortlichkeit und Verantwortung deutscher Staatsorgane. In der Grundrechtsbindung liegt weder ein Verstoß gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot, noch beschränkt sie die Handlungs- oder Rechtsetzungsmacht anderer Staaten (vgl. BVerfGE 154, 152 <222 Rn. 101>). Diese Erwägungen treffen in gleicher Weise zu, soweit die Schutzpflicht auf die Einhaltung völkerrechtlicher Regeln gerichtet ist, denen auch der Drittstaat unterworfen ist.

94c) Die Schutzpflichten aus Grundrechten des Grundgesetzes sind nicht auf deutsche Staatsangehörige oder Menschen im deutschen Staatsgebiet beschränkt (vgl. BVerfGE 157, 30 <125 f. Rn. 175>; für die abwehrrechtliche Konstellation BVerfGE 154, 152 <215 f. Rn. 88 f.>). Es können auch im Ausland lebende Menschen nicht deutscher Staatsangehörigkeit vor Gefahren, die einen hinreichenden Bezug zur deutschen Staatsgewalt (vgl. Rn. 98 ff.) aufweisen, geschützt sein.

95Art. 1 Abs. 3 GG zielte bei Entstehung des Grundgesetzes insbesondere in Reaktion auf die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft auf eine umfassende, in der Menschenwürde wurzelnde Grundrechtsbindung und war bereits im Jahr 1949 von der Überzeugung getragen, dass die Bundesrepublik Deutschland in der internationalen Staatengemeinschaft ihren Platz als rechtsstaatlicher Partner finden müsse (vgl. BVerfGE 154, 152 <216 Rn. 89> m.w.N.). Dies kommt schon in der Präambel sowie insbesondere in Art. 1 Abs. 2, Art. 24 und Art. 25 GG zum Ausdruck. Aus der Entstehungsgeschichte lässt sich nicht ableiten, dass der Schutz der Grundrechte von vornherein an der Staatsgrenze enden sollte. Der Anspruch eines umfassenden, den Menschen in den Mittelpunkt stellenden Grundrechtsschutzes spricht vielmehr dafür, dass die Grundrechte immer dann schützen sollen, wenn der deutsche Staat handelt und damit potentiell Schutzbedarf auslösen kann - unabhängig davon, an welchem Ort und gegenüber wem (vgl. BVerfGE 154, 152 <216 Rn. 89>). Demzufolge sollen die Grundrechte auch davor schützen, dass der deutsche Staat von Dritten ausgehende Gefährdungen, die potentiell einen Schutzbedarf auslösen, zulässt, sofern es einen hinreichenden Verantwortungszusammenhang zwischen diesen Gefährdungen und der deutschen öffentlichen Gewalt gibt (vgl. Rn. 101 f.).

96Dass dem Grundgesetz der grundrechtswidrige Zugriff auf Rechtsgüter im Ausland lebender Menschen nicht gleichgültig ist, zeigen ferner auch die Art. 16 Abs. 2 a.F., Art. 16a, Art. 26 GG sowie die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten verfassungsrechtlichen Abschiebungs- und Auslieferungsverbote (vgl. BVerfGE 54, 341 <357>; 59, 280 <282 f.>; 60, 348 <355 ff.>; 63, 332 <337 f.>; 75, 1 <19>; 76, 143 <157 f.>; 80, 315 <333>; 108, 129 <136 f.>; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2. Aufl. 2005, S. 120 ff.; Kunig/Kotzur, in: von Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 1 Rn. 77).

97Eine prinzipielle Begrenzung des grundrechtlichen Anwendungsbereichs auf Staatsangehörige und Gebietsansässige oder das Erfordernis eines vorgrundrechtlichen Statusverhältnisses als grundrechtliche Anwendungsvoraussetzung, wie sie in Teilen des Schrifttums vertreten werden (vgl. Heintzen, Auswärtige Beziehungen privater Verbände, 1988, S. 96 ff.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, 2. Aufl. 2000, § 115 Rn. 84), kennt das Grundgesetz nicht. Vielmehr sprechen der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit als Verfassungsentscheidung für eine auf Achtung und Stärkung des Völkerrechts aufbauende zwischenstaatliche Zusammenarbeit (vgl. BVerfGE 111, 307 <317 f.>; 112, 1 <25>; 141, 1 <27 Rn. 65>) sowie der Anspruch eines umfassenden, den Menschen in den Mittelpunkt stellenden Grundrechtsschutzes (vgl. BVerfGE 154, 152 <216 Rn. 89>) dafür, dass sich die staatliche Schutzpflicht auch auf im Inland (mit)verursachte Gefährdungslagen bezieht, deren Risiko sich erst im Ausland und gegenüber dort aufhältigen Ausländern realisieren kann (vgl. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2. Aufl. 2005, S. 121 f.; kritisch zum Erfordernis eines vorgrundrechtlichen Statusverhältnisses u.a. Yousif, Die extraterritoriale Geltung der Grundrechte bei der Ausübung deutscher Staatsgewalt im Ausland, 2007, S. 36 ff.; Nolte, VVDStRL 67 <2008>, S. 129 <143>; Schwander, Extraterritoriale Wirkungen von Grundrechten im Mehrebenensystem, 2018, S. 69 ff.; Wolff, Der Einzelne in der offenen Staatlichkeit, 2020, S. 129 ff.).

98d) Eine extraterritoriale Schutzpflicht besteht indes nur unter besonderen Voraussetzungen. Zwar binden die Grundrechte die staatliche Gewalt umfassend und insgesamt (aa). Eine grundrechtliche Verantwortung kann auch in Bezug auf die Ermöglichung oder Zulassung von Grundrechtsgefährdungen durch Akteure, die selbst nicht der Grundrechtsbindung unterliegen, entstehen. Erforderlich ist insoweit aber ein hinreichender Bezug der die Schutzbedürftigkeit auslösenden Gefahrenlage zur Staatsgewalt der Bundesrepublik Deutschland (bb). Ob ein solcher Bezug vorliegt und damit einen Verantwortungszusammenhang begründet, ist im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung im Einzelfall zu beurteilen (cc).

99aa) Die Grundrechte binden die öffentliche Gewalt umfassend und insgesamt, unabhängig von bestimmten Funktionen, Handlungsformen oder Gegenständen staatlicher Aufgabenwahrnehmung. Das Verständnis der öffentlichen Gewalt ist dabei weit zu fassen und erstreckt sich nicht nur auf imperative Maßnahmen oder solche, die durch Hoheitsbefugnisse unterlegt sind. Alle Entscheidungen, die auf den jeweiligen staatlichen Entscheidungsebenen den Anspruch erheben können, autorisiert im Namen aller Bürgerinnen und Bürger getroffen zu werden, sind von der Grundrechtsbindung erfasst (vgl. BVerfGE 154, 152 <217 f. Rn. 91>). Eingeschlossen sind hiervon Maßnahmen, Äußerungen und Handlungen hoheitlicher wie nicht hoheitlicher Art. Grundrechtsgebundene staatliche Gewalt im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG ist danach jedes Handeln staatlicher Organe oder Organisationen, weil es in Wahrnehmung ihres dem Gemeinwohl verpflichteten Auftrags erfolgt (vgl.BVerfGE 154, 152 <218 Rn. 91> mit Verweis auf BVerfGE 128, 226 <244>). Die Bindung an die Grundrechte und die politische Entscheidungsverantwortung sind unhintergehbar miteinander verknüpft (vgl. BVerfGE 154, 152 <218 Rn. 91>). Sie ist ein Korollar der politischen Entscheidungsverantwortung, entspricht also der jeweiligen legislativen und exekutiven Verantwortung (vgl. BVerfGE 152, 152 <169 Rn. 42>).

100bb) Nach der Ratio dieser in einer abwehrrechtlichen Konstellation entwickelten Erwägungen gibt es kein staatliches Handeln, das nicht grundrechtsgebunden ist. Eine grundrechtliche Verantwortung kann es aber auch für ein staatliches Unterlassen geben, wenn die Bundesrepublik Deutschland ein Handeln Dritter zulässt oder ermöglicht, welches die Grundrechte im Ausland lebender Menschen gefährdet. Wenn ein hinreichender Bezug einer grundrechtlichen Gefahrenlage oder einer hiervon betroffenen Person zur deutschen Staatsgewalt vorliegt, besteht für den Staat des Grundgesetzes zugleich eine Handlungs- und Einflussmöglichkeit, die den Raum für ein Tätigwerden eröffnet. Im Rahmen dieser Handlungs- und Einflussmöglichkeit kann sich die Schutzwirkung der Grundrechte entfalten. Ein hinreichender Bezug setzt nicht voraus, dass die deutsche öffentliche Gewalt für die Schaffung einer Gefahrenlage allein verantwortlich ist (vgl. BVerfGE 157, 30 <125 f. Rn. 175>). Allerdings bleibt der Umfang der Verantwortlichkeit und Verantwortung deutscher Staatsorgane bei der Reichweite grundrechtlicher Bindungen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 66, 39 <57 ff.>; 92, 26 <47>; 100, 313 <362 f.>).

101cc) Die Frage, ob ein hinreichender Bezug gegeben ist, der einen Verantwortungszusammenhang begründet, ist nicht anhand eines abschließenden Kriterienkatalogs, sondern einer an den Umständen des Einzelfalls ausgerichteten wertenden Gesamtbetrachtung zu beantworten. Für die Begründung eines Verantwortungszusammenhangs dürfte dabei nicht zwingend erforderlich sein, dass die eine Schutzpflicht auslösende Gefahrenlage auf eine auf deutschem Staatsgebiet vorgenommene Maßnahme mit Entscheidungscharakter zurückgeht. So wie in der abwehrrechtlichen Konstellation hoheitliche wie nicht hoheitliche Maßnahmen von der Grundrechtsbindung erfasst sind (vgl. BVerfGE 154, 152 <217 f. Rn. 91>), kann auch die Ermöglichung einer Grundrechtsgefährdung vonseiten eines Drittstaats durch ein Handeln, Dulden oder Unterlassen deutscher Staatsorgane grundrechtsrelevant sein.

102Wenn von deutschem Staatsgebiet Auswirkungen ausgehen, die im Ausland eine Gefahrenlage schaffen oder hierzu beitragen, kann dies einen hinreichenden Bezug herstellen, der Voraussetzung für eine grundrechtliche Schutzpflicht ist (vgl. BVerfGE 157, 30 <125 f. Rn. 175>, der das Bestehen einer Schutzpflicht offen gelassen hat; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 212 ff.; Quaritsch, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, 2. Aufl. 2000, § 120 Rn. 86; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2. Aufl. 2005, S. 120 ff.; Badura, in: Merten/Papier, HGRe, Bd. II, 2006, § 47 Rn. 4, 15; Yousif, Die extraterritoriale Geltung der Grundrechte bei der Ausübung deutscher Staatsgewalt im Ausland, 2007, S. 158 ff.; Becker, in: Isensee/Kirchhof, HStR IX, 3. Aufl. 2011, § 240 Rn. 110; Sauer, in: Dreier, GG, Bd. 1, 4. Aufl. 2023, Art. 1 Abs. 3 Rn. 56; ablehnend hingegen Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, 2. Aufl. 2000, § 115 Rn. 89; Dippel, Extraterritorialer Grundrechtsschutz gemäß Art. 16a GG, 2020, S. 116). Eine auf einen bloß zufälligen Gebietskontakt beschränkte territoriale Verankerung auch nur eines Teils eines Gesamtgeschehens reicht für die Auslösung einer grundrechtlich relevanten Schutzbedürftigkeit im Ausland dabei allerdings nicht aus. Vielmehr bedarf es eines - bezogen auf die gefährdende Handlung des Drittstaats und jenseits reiner Kausalität - spezifischen Beitrags von einem gewissen Gewicht, um einen hinreichenden Bezug zur grundrechtsgebundenen deutschen öffentlichen Gewalt herzustellen. Ob ein solcher Bezug besteht, ist im Rahmen einer Betrachtung der Gesamtumstände des Einzelfalls festzustellen, bei der gegebenenfalls auch die Schwere des in Rede stehenden Völkerrechtsverstoßes Berücksichtigung finden kann.

103e) Für eine Verdichtung eines allgemeinen Schutzauftrags zu einer konkreten extraterritorialen Schutzpflicht im Hinblick auf das Handeln eines Drittstaats muss - anders als die Beschwerdeführer meinen - als weitere Voraussetzung die ernsthafte Gefahr bestehen, dass dem Schutz des Lebens dienende Regeln des humanitären Völkerrechts und der internationalen Menschenrechte systematisch verletzt werden. Dies setzt zwar nicht voraus, dass bereits systematische Völkerrechtsverletzungen erfolgt sind. Erforderlich sind allerdings gewichtige Anhaltspunkte, die den Eintritt derartiger Verletzungen nicht bloß möglich erscheinen, sondern ernstlich befürchten lassen.

104Die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG greift nicht erst dann ein, wenn Verletzungen bereits eingetreten sind, sondern ist auch in die Zukunft gerichtet (vgl. BVerfGE 49, 89 <140 ff.>; 53, 30 <57>; 56, 54 <78>; 121, 317 <356>; 157, 30 <111 Rn. 146>). Aus dem präventiven Charakter von Schutzpflichten folgt, dass schon dann, wenn ernstzunehmende Anhaltspunkte für die Gefährdung eines Schutzgutes bestehen, Schritte ergriffen werden müssen, um die Realisierung dieser Gefahr zukünftig zu verhindern (vgl. BVerfGE 157, 30 <111 Rn. 146> m.w.N.). Ob und wann ein staatliches Handeln von Verfassungs wegen geboten ist, hängt von der Art, der Nähe und dem Ausmaß möglicher Gefahren, der Art und dem Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts sowie den schon vorhandenen Regelungen ab (vgl. BVerfGE 49, 89 <141 f.>; 56, 54 <78>).

105Geht es - wie hier - um ein möglicherweise völkerrechtswidriges Handeln eines Drittstaats, ist zugleich zu berücksichtigen, dass das Grundgesetz die Bundesrepublik Deutschland mit der Präambel, Art. 1 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2, Art. 23 bis Art. 26 und Art. 59 Abs. 2 GG in die internationale Gemeinschaft eingebunden und die deutsche öffentliche Gewalt programmatisch auf internationale Zusammenarbeit ausgerichtet hat (vgl. BVerfGE 63, 343 <370>; 75, 1 <17>; 108, 129 <137>; 111, 307 <319>; 112, 1 <25>; 123, 267 <345 f.>; 141, 220 <341 Rn. 325>; 162, 207 <242 Rn. 105> - Äußerungsbefugnisse der Bundeskanzlerin). Um dies zu erreichen, ist der deutsche Staat unter anderem darauf angewiesen, in der internationalen Gemeinschaft als angesehener, berechenbarer und verlässlicher Partner wahrgenommen zu werden. Dementsprechend ist die Sicherstellung der außenpolitischen Handlungs- und Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Teilhabe an der internationalen Zusammenarbeit (vgl. hierzu BVerfGE 100, 313 <371, 382>; 108, 129 <137>; 141, 220 <341 f. Rn. 325>; 154, 152 <225 Rn. 106 f., 233 f. Rn. 128, 240 Rn. 144, 248 Rn. 162>; 162, 207 <242 Rn. 105>) dem Grundgesetz als Ziel immanent. Mit dieser Zielsetzung wäre eine dauernde und umfassende Überwachungspflicht etwa hinsichtlich des Handelns in Deutschland stationierter Truppen verbündeter Staaten nicht vereinbar. Bei der Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland handelt es sich um ein Verfassungsgut, das bei der Konkretisierung extraterritorialer Schutzpflichten zu berücksichtigen ist (vgl. zur Abwägung der außenpolitischen Handlungs- und Bündnisfähigkeit mit dem Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien BVerfGE 162, 207 <242 Rn. 105>).

106Daher müssen gewichtige Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Gefahr bestehen, dass der Bündnispartner nicht lediglich in Einzelfällen, sondern systematisch gegen das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte verstößt. Im Rahmen der vorzunehmenden Prognose können bereits begangene Völkerrechtsverstöße ein Indiz für das Vorliegen einer Gefahr zukünftiger Verstöße sein; sie sind aber nicht konstitutive Voraussetzung für eine Aktivierung der Schutzpflicht (vgl. für einen ähnlichen Ansatz Gerechtshof Den Haag, , 200.336.130/01 <ECLI:NL:GHDHA:2024:191>, Rn. 5.16). Gewichtige Anhaltspunkte für das Vorliegen einer solchen Gefahr können sich unter anderem aus Entscheidungen internationaler Gerichte - namentlich des Internationalen Gerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte -, und nationaler Gerichte, aus Entscheidungen, Berichten und anderen Schriftstücken von Organen des Europarats oder aus dem System der Vereinten Nationen (vgl. EuGH, Aranyosi/Căldăraru, , C-404/15 und C-659/15 PPU, EU:C:2016:198, Rn. 89; Petruhhin, , C-182/15, EU:C:2016:630, Rn. 59) sowie von Ausschüssen zu Menschenrechtsverträgen oder dem IKRK ergeben.

107Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung entfalten Gutachten und Urteile des Internationalen Gerichtshofs eine faktische Orientierungswirkung über den konkret entschiedenen Einzelfall hinaus, dienen als völkerrechtliche Rechtserkenntnisquelle nach Art. 38 Abs. 1 Buchstabe d IGH-Statut und sind unter dem Gesichtspunkt der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes von deutschen Gerichten zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 63, 343 <361>; 77, 137 <163>; 94, 315 <329 f.>; 104, 151 <200>; 112, 1 <28>; 118, 124 <138>; 123, 267 <351 f.>; 142, 313 <346 f. Rn. 90>; 152, 8 <31 Rn. 51> - Anti-IS-Einsatz). Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist bei der Grundrechtsauslegung heranzuziehen (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 83, 119 <128>; 111, 307 <322 f.>; 120, 180 <200 f.>; 128, 326 <369 f.>; 148, 296 <351 Rn. 128>; 158, 1 <36 f. Rn. 69 ff.> - Ökotox-Daten; 163, 363 <451 Rn. 166> - EPA). Den Äußerungen der Menschenrechtsausschüsse kommt für die Auslegung der jeweiligen Menschenrechtsabkommen ebenfalls erhebliches Gewicht zu; sie sind aber für internationale und nationale Gerichte nicht völkerrechtlich verbindlich. Bei der Vertragsauslegung sollte sich ein nationales Gericht mit den Auffassungen des zuständigen internationalen Vertragsorgans argumentativ auseinandersetzen, es muss sie aber nicht übernehmen (vgl. BVerfGE 142, 313 <346 f. Rn. 90>; 149, 293 <330 f. Rn. 91>; 151, 1 <29 Rn. 65>). Dies gilt in gleicher Weise für das IKRK. Es ist zwar weder Organ einer internationalen Organisation noch Vertragsausschuss. Seine besondere Rolle wird aber in den vier Genfer Konventionen anerkannt (vgl. den Gemeinsamen Art. 3 Abs. 2 sowie die gemeinsamen Art. 9/9/9/10 der vier Genfer Konventionen). Das IKRK akkumuliert Expertise im humanitären Völkerrecht und verfügt über Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Regierungen in der ganzen Welt. Es tritt ein für die Entwicklung und Förderung humanitärvölkerrechtlicher Standards (vgl. zum IKRK Khan, Das Rote Kreuz - Geschichte einer humanitären Weltbewegung, 2013, S. 96 ff.; Gasser, International Committee of the Red Cross <ICRC>, Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Rn. 23 ff., 46 ff. <Juni 2016>; Sivakumaran, in: Sivakumaran/Burne, Making and Shaping the Law of Armed Conflict, 2024, S. 125 <125 ff., 147 f.>). Hinzu kommt, dass es unparteiisch handelt und unterschiedliche Rechtsansichten zu einzelnen Fragen auch dann offenlegt, wenn diese konträr zur eigenen Rechtsansicht verlaufen. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zieht die Arbeiten des IKRK bei der Auslegung und Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention heran (vgl. EGMR <GK>, Hanan v. Germany, , 4871/16, §§ 68, 80, 84 f., 137; Ukraine and The Netherlands v. Russia, , 8019/16, 43800/14, 28525/20, §§ 405, 623 f., 634).

108Für das Vorliegen einer Gefahr systematischer, über Einzelfälle hinausgehender Völkerrechtsverletzungen kann zwischen rechtlichen und tatsächlichen Anhaltspunkten unterschieden werden, je nachdem, ob sie sich auf die völkerrechtliche Grundlage eines Vorgehens oder auf dessen tatsächliche Auswirkungen beziehen. Sie sind jeweils für sich genommen und zudem im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung daraufhin zu beurteilen, ob sie eine ernsthafte Gefahr systematischer Völkerrechtsverstöße begründen.

109f) Bei der Prüfung, ob eine solche Gefahr durch das Handeln eines Drittstaats besteht, ist die Rechtsauffassung der für außen- und sicherheitspolitische Fragen zuständigen deutschen Staatsorgane, denen das Grundgesetz für die Regelung der auswärtigen Beziehungen einen grundsätzlich weit bemessenen Spielraum einräumt, maßgeblich zu berücksichtigen, soweit sich diese als vertretbar erweist (anders noch BVerfGE 55, 349 <368>, wo lediglich auf Willkür abgestellt wird; vgl. allgemein zur Vertretbarkeitskontrolle BVerfGE 118, 244 <268 f.>; 121, 135 <158>; 152, 8 <29 Rn. 46>).

110Auch hinsichtlich des Inhalts einer Schutzpflicht ist zu beachten, dass es grundsätzlich Sache der für die Außen- und Sicherheitspolitik zuständigen Stellen des Bundes ist, darüber zu entscheiden, in welcher Weise der Schutzpflicht des Staates gegenüber fremden Staaten oder anderen ausländischen Akteuren genügt wird (vgl. BVerfGE 66, 39 <60 f.>; 143, 101 <153 Rn. 170>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1371/13 -, Rn. 46). Eine Schutzpflicht gegenüber im Ausland lebenden Menschen muss nicht den gleichen Inhalt haben wie gegenüber Menschen im Inland (vgl. BVerfGE 157, 30 <126 Rn. 176>). Ihr Inhalt bedarf unter Umständen der Modifikation und Differenzierung (vgl. BVerfGE 100, 313 <363>; 154, 152, 1. Leitsatz; 157, 30 <126 Rn. 176>). Dem Staat stehen in Ansehung der völkerrechtlichen Grenzen deutscher Hoheitsgewalt gegenüber im Ausland lebenden Menschen grundsätzlich nicht die gleichen Schutzmöglichkeiten zur Verfügung wie in Bezug auf rein innerstaatliche Sachverhalte (vgl. BVerfGE 157, 30 <127 Rn. 178>). In Konstellationen, in denen die Bundesrepublik Deutschland über einen Sachverhalt keine ausschließliche Kontrolle hat, kann die Schutzpflicht zu einem international ausgerichteten Handeln verpflichten (vgl. BVerfGE 157, 30 <113 Rn. 149, 139 ff. Rn. 199 ff.>; 161, 63 <112 Rn. 105> - Windenergie-Beteiligungsgesellschaften).

111g) Die vorstehenden Maßstäbe tragen auch den von der Bundesrepublik Deutschland zu beachtenden völkerrechtlichen Verpflichtungen Rechnung.

112Nach der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs folgt aus dem Gemeinsamen Art. 1 der Genfer Konventionen, dass jeder Vertragsstaat dieser Übereinkommen, unabhängig davon, ob er an einem bestimmten Konflikt beteiligt ist oder nicht, verpflichtet ist, dafür zu sorgen, dass die Anforderungen der betreffenden Verträge erfüllt werden. Eine solche Verpflichtung ergebe sich nicht nur aus den Übereinkommen selbst, sondern aus den allgemeinen Grundsätzen des humanitären Völkerrechts, die in den Übereinkommen lediglich konkretisiert würden (vgl. IGH, Entscheidung, - Alleged Breaches of Certain International Obligations in respect of the Occupied Palestinian Territory, Nicaragua v. Germany -, abrufbar unterhttps://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/193/193-20240430-ord-01-00-en.pdf<S. 8 Rn. 23>, mit Verweis auf IGH, Urteil, - Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua, Nicaragua v. United States of America -, ICJ Reports 1986, S. 14 <114 Rn. 220>; Gutachten, - Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory -, ICJ Reports 2004, S. 136 <199 f. Rn. 158>). Eine verfassungsrechtliche Schutzpflicht, bei Vorliegen der aufgeführten Voraussetzungen auf die Einhaltung des humanitären Völkerrechts gegenüber Drittstaaten hinzuwirken, trägt zur Erfüllung dieser Verpflichtung bei.

II.

113Hieran gemessen kann eine Verletzung der Beschwerdeführer in ihren Grundrechten durch die angegriffenen Entscheidungen im Ergebnis nicht festgestellt werden. Zwar dürfte das Bundesverwaltungsgericht den Anforderungen des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG insofern nicht gerecht geworden sein, als es das Vorliegen eines hinreichenden Bezugs der Gefahrenquelle zur deutschen Staatsgewalt wegen des Fehlens von Handlungen mit Entscheidungscharakter von vornherein verneint hat (1.). Ob hier ein hinreichender Bezug der Grundrechtsgefährdung zur deutschen öffentlichen Gewalt vorliegt, bedarf allerdings keiner Entscheidung, weil jedenfalls keine ernsthafte Gefahr einer systematischen Verletzung des anwendbaren Völkerrechts bestand und sich somit der allgemeine Schutzauftrag des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zu einer konkreten Schutzpflicht verdichtet hat (2.).

1141. Es lassen sich Gesichtspunkte dafür anführen, dass die Einbindung der Air Base Ramstein in die Durchführung der US-amerikanischen Einsätze bewaffneter Drohnen im Jemen, wie sie sich aus den fachgerichtlichen Feststellungen ergibt (a), einen hinreichenden Bezug der Gefahrenquelle zur deutschen Staatsgewalt herstellt, der eine Voraussetzung für das Entstehen einer Schutzpflicht gegenüber den Beschwerdeführern ist (b).

115a) Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts spielt die Air Base Ramstein mit der dortigen Satelliten-Relaisstation, die der Weiterleitung von Daten und Steuerungssignalen für Drohnen sowie von durch Drohnen gewonnenen Daten dient, eine zentrale Rolle für die Durchführung bewaffneter Drohneneinsätze auch im Jemen. Das Gericht stützt sich dabei insbesondere auf den Abschlussbericht des NSA-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages und auf in diesem Verfahren gewonnene Erkenntnisse, etwa die Aussage eines als Zeugen vernommenen ehemaligen US-Luftwaffenangehörigen. Diesem Zeugen zufolge liefen alle Daten und Informationen, die zwischen dem Fluggerät und der Flugmannschaft übertragen worden seien, über Ramstein. Ohne die dortige Relaisstation könne das Satellitensignal nicht von der Drohne in einem Land (im Nahen Osten) zurück in die USA übertragen werden. Zudem gebe es eine direkte Glasfaserkabelverbindung zum US-amerikanischen Verteidigungsministerium. Die besondere Bedeutung der Air Base Ramstein war auch Gegenstand von Gesprächen zwischen den USA und der Bundesrepublik Deutschland. So erklärte der damalige Staatsminister im Auswärtigen Amt Roth im Deutschen Bundestag, die USA hätten in einem Gespräch am mitgeteilt, dass die globalen Kommunikationswege der USA zur Unterstützung unbemannter Luftfahrzeuge Fernmeldepräsenzpunkte auch in Deutschland einschlössen, von denen aus die Signale weitergeleitet würden.

116b) Diese Feststellungen legen das Bestehen eines hinreichenden Bezugs der Gefahrenquelle zur deutschen Staatsgewalt in der hier zur Entscheidung stehenden Konstellation nahe.

117Hierfür spricht, dass es nicht lediglich einen mit einer Datenweiterleitung verbundenen zufälligen Kontakt zum deutschen Staatsgebiet gibt. Vielmehr wurde mit der Errichtung der Satelliten-Relaisstation in Ramstein eine Infrastruktur geschaffen, die speziell der Durchführung von Einsätzen bewaffneter Drohnen dient. Hiervon hatte die Bundesregierung auch Kenntnis, denn über den geplanten Bau einer Satelliten-Relaisstation zur Steuerung auch waffenfähiger Drohnen im Ausland wurde sie ausweislich der fachgerichtlichen Feststellungen bereits im April 2010 und nochmals im November 2011 informiert. Zudem hängt die Durchführung der Einsätze bewaffneter Drohnen im Jemen von der Air Base Ramstein ab.

118Diese Umstände erscheinen geeignet, eine besondere Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland - auch in Abgrenzung zu anderen Staaten - für die Gefährdungslage im Jemen zu begründen (vgl. im Ergebnis ebenso Marauhn, VVDStRL 74 <2015>, S. 373 <391 f.>; Beinlich, German Yearbook of International Law 2019, S. 557 <574 f.>; Friedrich, Die extraterritoriale Geltung von Grund- und europäischen Menschenrechten, 2020, S. 258; Marauhn/Mengeler/Strobel, Archiv des Völkerrechts 2021, S. 328 <338 f., 345 f.>; Monnheimer/Schäferling, Archiv des Völkerrechts 2021, S. 352 <373>; Payandeh/Sauer, NJW 2021, S. 1570 <1571 ff.>; Erdmann, DÖV 2022, S. 325 <331 f.>; Giegerich, EuGRZ 2023, S. 17 <37>; Sauer, in: Dreier, GG, 4. Aufl. 2023, Art. 1 Abs. 3 Rn. 56; Mruk, Rüstungsexporte in der Verantwortung, 2024, S. 67; a.A. Dreist, NZWehrR 2019, S. 208 <216>; Meiertöns, GSZ 2021, S. 135 <137>; Jacob, JM 2021, S. 205 <208>; Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 92 <Jan. 2021>). Es besteht eine Handlungs- und Einflussmöglichkeit auf die Gefährdungen, soweit sich mit der Relaisstation eine hierfür notwendige Vorrichtung auf deutschem Staatsgebiet und damit im Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich der deutschen öffentlichen Gewalt befindet. In diesem Verantwortungsbereich sind die deutschen Staatsorgane von Verfassungs wegen verpflichtet, das Völkerrecht zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 112, 1 <24>). Der völkerrechtliche Rechtsrahmen der Truppenstationierung steht dem nicht nur nicht entgegen, sondern ermöglicht auch die Geltendmachung des Völkerrechts aufgrund verfassungsrechtlicher Verpflichtungen. Es sieht zuvörderst eine Pflicht zur Beachtung deutschen Rechts vor (vgl. Art. II, Art. IX Abs. 3 NTS und Art. 53 Abs. 1 ZA-NTS; vgl. auch BVerfGE 77, 170 <222, 224>). Diese Pflicht erfordert zumindest, dass den Vorschriften des deutschen Rechts Genüge getan werden muss (vgl. BVerfGE 77, 170 <224>). Hiervon umfasst sind auch jene völkerrechtlichen Normen, die Teil der deutschen Rechtsordnung sind (vgl. BVerwGE 154, 328 <335>) und die die USA auf der Ebene des Völkerrechts ohnehin binden. Dies betrifft jedenfalls die allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG, also das Völkergewohnheitsrecht und die allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze (Art. 38 Abs. 1 Buchstaben b und c IGH-Statut). Darüber hinaus sieht der Rechtsrahmen der Truppenstationierung vor, dass die deutschen Behörden und die Behörden der Truppe des Bündnispartners einander konsultieren und zusammenarbeiten, um auftretende Meinungsverschiedenheiten beizulegen (vgl. Art. 53 Abs. 1 Satz 3 ZA-NTS; vgl. zum Konsultations- und Kooperationsprinzip BTDrucks 12/6477, S. 67; Lazareff, Status of Military Forces Under Current International Law, 1971, S. 102; Lepsius, Deutsches Recht auf NATO-Truppenübungsplätzen, 1995, S. 57). Damit wird die Möglichkeit eröffnet, auf die potenzielle Gefährdung auf diesem Weg Einfluss zu nehmen.

119Gegen einen hinreichenden Bezug zur deutschen Staatsgewalt als Voraussetzung für die Begründung einer grundrechtlichen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland könnte demgegenüber sprechen, dass es sich bei dem von deutschem Staatsgebiet - der Air Base Ramstein - ausgehenden Beitrag nur um die bloße technische Herstellung einer Daten- und Kommunikationsverbindung zwischen der Drohne und den Führungseinrichtungen in den USA ohne Entscheidungselemente handelt und die technische Weiterleitung von Daten an sich "normativ neutral" (vgl. in diesem Sinne Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 92 <Jan. 2021>; Meiertöns, GSZ 2021, S. 135 <137>) und in der Gesamtschau auch nur von untergeordnetem Gewicht ist.

1202. Ob sich nach alledem im Rahmen der gebotenen wertenden Gesamtbetrachtung eine grundrechtliche Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die hier streitgegenständlichen Drohneneinsätze der USA im Jemen ergibt, kann letztlich offenbleiben. Denn aufgrund der fachgerichtlichen Feststellungen ist das Vorliegen einer ernsthaften Gefahr einer systematischen Verletzung des anwendbaren Völkerrechts (a) als Voraussetzung einer Verdichtung des allgemeinen Schutzauftrags zu einer konkreten Schutzpflicht gegenüber den Beschwerdeführern zu verneinen (b). Daher bedarf es auch keiner Entscheidung, ob die Bundesregierung einer ihr etwaig obliegenden Schutzpflicht zugunsten der Beschwerdeführer gerecht geworden wäre (c).

121a) Eine aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende extraterritoriale Schutzpflicht bezieht sich auf die Einhaltung der völkerrechtlichen Regeln zum Schutz des Lebens. Dies sind in der vorliegenden Konstellation das humanitäre Völkerrecht (aa) und das international anerkannte Menschenrecht auf Leben (bb).

122aa) Das humanitäre Völkerrecht findet nicht nur in einem internationalen bewaffneten Konflikt zwischen Staaten, sondern auch in einem nicht internationalen bewaffneten Konflikt zwischen einer staatlichen und einer nichtstaatlichen Konfliktpartei oder zwischen nichtstaatlichen Konfliktparteien Anwendung (1). Zu seinen grundlegenden Regeln gehören das Unterscheidungsgebot, das Verbot exzessiver Kollateralschäden und Aufklärungspflichten in Bezug auf mögliche Kriegsverbrechen (2).

123(1) Nach einer weithin anerkannten Definition des UN-Tribunals für das ehemalige Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia-ICTY) liegt ein bewaffneter Konflikt bei "bewaffneter Gewalt zwischen Staaten sowie bei lang anhaltender bewaffneter Gewalt zwischen Regierungsstellen und bewaffneten Organisationen oder zwischen solchen Organisationen innerhalb eines Staates" vor (vgl. ICTY, Prosecutor v. Tadić, , Nr. IT-94-1, § 70; Prosecutor v. Haradinaj, , Nr. IT-04-84-T, § 49; IStGH, The Prosecutor v. Bosco Ntaganda, , Nr. ICC-01/04-02/06-2359, § 703; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl. 2020, S. 554 f.). Die Existenz eines nicht internationalen bewaffneten Konflikts ist nach der vorherrschenden Meinung anhand zweier kumulativer Kriterien zu bestimmen: dem Organisationsgrad der Konfliktparteien und der Intensität des Konflikts (vgl. Sivakumaran, The Law of Non-International Armed Conflict, 2012, S. 164 ff.; Moir, in: Clapham/Gaeta/Sassòli, The 1949 Geneva Conventions, 2015, S. 391 <404 ff.>; ICRC, Commentary on the Third Geneva Convention, 2021, S. 169 Rn. 455; Ambos, in: Münchener Kommentar zum StGB, Bd. 9, 4. Aufl. 2022, Vorbemerkungen zu § 8 VStGB Rn. 22 f.; ders., Treatise on International Criminal Law, Bd. 2, 2. Aufl. 2022, S. 145 ff.; Geiß/Zimmermann, in: Münchener Kommentar zum StGB, Bd. 9, 4. Aufl. 2022, § 8 VStGB Rn. 111; Heintschel von Heinegg, in: Epping/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, 8. Aufl. 2024, S. 1324 <1347 f.>). Ein nicht internationaler Konflikt verliert seinen Charakter nicht dadurch, dass ein anderer Staat mit Zustimmung der Regierung des betroffenen Staates allein oder zusammen mit dessen nationalen Streitkräften eine nichtstaatliche Konfliktpartei bekämpft (vgl. IStGH, The Prosecutor v. Germain Katanga, , Nr. ICC-01/04-01/07-3436-tENG, § 1184; Akande, in: Wilmshurst, International Law and the Classification of Conflicts, 2012, S. 32 <62>; Geiß/Zimmermann, in: Münchener Kommentar zum StGB, Bd. 9, 4. Aufl. 2022, § 8 VStGB Rn. 116a).

124(2) Zu den grundlegenden Ge- und Verboten des humanitären Völkerrechts, die sowohl im internationalen als auch im nicht internationalen bewaffneten Konflikt Geltung beanspruchen, gehören das Unterscheidungsgebot zwischen militärischen Zielen und Zivilpersonen sowie das Verbot exzessiver Kollateralschäden. Zudem sieht das humanitäre Völkerrecht Aufklärungspflichten in Bezug auf möglicherweise begangene Kriegsverbrechen vor.

125Das Unterscheidungsgebot, auch als Verbot unterschiedsloser Angriffe bezeichnet, ist sowohl völkervertraglich (vgl. Art. 51 Abs. 4 ZP I) als auch völkergewohnheitsrechtlich verankert (vgl. EGMR <GK>, Hanan v. Germany, , 4871/16, § 81; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, 2005, S. 37 ff.). Es verlangt, dass ein Angriff nur gegen legitime militärische Ziele gerichtet werden darf (vgl. IGH, Gutachten, - Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons -, ICJ Reports 1996, S. 226 <257 Rn. 78>; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, 2005, S. 3). Legitime Ziele sind in einem internationalen bewaffneten Konflikt die Angehörigen der Streitkräfte als Kombattanten (vgl. Art. 43 Abs. 2 ZP I; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, 2005, S. 11). Einen formalen Kombattantenstatus gibt es im nicht internationalen bewaffneten Konflikt nicht (vgl. Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, 2005, S. 12 f.; Hobe, in: Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Bd. 44, 2010, S. 41 <57>). Zivilisten, die sich nicht an Feindseligkeiten beteiligen, sind keine legitimen militärischen Ziele, sondern vielmehr geschützte Personen. Dies folgt unmittelbar aus dem Gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen, der seinem Wortlaut nach "Personen, die nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen", schützt (vgl. ICRC, Commentary on the Third Geneva Convention, 2021, S. 200 f. Rn. 555). Diese Formulierung wird in Art. 51 ZP I zum internationalen bewaffneten Konflikt und in Art. 13 ZP II zum nicht internationalen bewaffneten Konflikt aufgegriffen. Danach genießen Zivilisten den durch das jeweilige Zusatzprotokoll gewährten Schutz, sofern und solange sie nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen. Dieses Prinzip ist auch im Völkergewohnheitsrecht verankert (vgl. EGMR <GK>, Hanan v. Germany, , 4871/16, § 80; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, 2005, S. 19 ff.). Die Anwendung des Konzepts der direkten Teilnahme an Feindseligkeiten ist insbesondere im nicht internationalen bewaffneten Konflikt umstritten.

126Das Verbot exzessiver Kollateralschäden verbietet die Durchführung von Angriffen, die aus einer ex-ante-Sicht im Verhältnis zum konkreten und direkten antizipierten militärischen Vorteil exzessive zivile Schäden hervorrufen (vgl. EGMR <GK>, Hanan v. Germany, , 4871/16, § 81; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, 2005, S. 46). Die Konfliktparteien sind kraft Völkergewohnheitsrechts und - soweit anwendbar - Völkervertragsrechts (vgl. Art. 57 ZP I) verpflichtet, bei der Bestimmung der Angriffsziele, der Wahl der Angriffsmittel und -methoden sowie der Durchführung von Angriffen alle praktisch möglichen Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, um Angriffe auf zivile Ziele zu vermeiden sowie Verluste unter der Zivilbevölkerung, die Verletzung von Zivilpersonen und die Beschädigung ziviler Objekte als Nebenfolgen von Angriffen auf militärische Ziele auf ein Mindestmaß zu beschränken (vgl. EGMR <GK>, Hanan v. Germany, , 4871/16, § 81; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, 2005, S. 51). Staaten sind zudem verpflichtet, mögliche Kriegsverbrechen aufgrund der vorsätzlichen Verletzung des humanitären Völkerrechts zu untersuchen und gegebenenfalls Ermittlungen einzuleiten (vgl. EGMR <GK>, Hanan v. Germany, , 4871/16, § 83; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, 2005, S. 607; Heyns/Akande/Hill-Cawthorne/Chengeta, ICLQ 2016, S. 791 <817 f.>).

127bb) Neben dem humanitären Völkerrecht können auch die internationalen Menschenrechte, insbesondere das Recht auf Leben, Anwendung finden. Art. 2 Abs. 1 IPbpR bestimmt, dass jeder Vertragsstaat verpflichtet ist, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen zu gewährleisten. Nach der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs und der Spruchpraxis des Menschenrechtsausschusses schließt diese Formulierung, soweit sie auf das Gebiet des jeweiligen Vertragsstaats abstellt, die extraterritoriale Anwendung des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte während eines bewaffneten Konflikts nicht aus (vgl. IGH, Gutachten, - Legal Consequences arising from the Policies and Practices of Israel in the Occupied Palestinian Territory, including East Jerusalem -, abrufbar unter https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/186/186-20240719-adv-01-00-en.pdf <S. 32 Rn. 99 f. m.w.N.>; IPbpR-Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 36, Article 6: right to life, UN Doc. CCPR/C/GC/36, , S. 5 Rn. 22, S. 13 f. Rn. 63 f.).

128Die Auslegung des Art. 6 IPbpR erfolgt unter Berücksichtigung des anwendbaren humanitären Völkerrechts. Ein Einsatz tödlicher Gewalt, der im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht und sonstigen anwendbaren Normen des Völkerrechts steht, ist in der Regel keine willkürliche Tötung, die von Art. 6 IPbpR verboten ist. Praktiken, die nicht dem humanitären Völkerrecht entsprechen, sind auch mit Art. 6 IPbpR nicht vereinbar (vgl. IGH, Gutachten, - Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons -, ICJ Reports 1996, S. 226 <240 Rn. 25>; IPbpR-Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 36, Article 6: right to life, UN Doc. CCPR/C/GC/36, , S. 13 f. Rn. 64). Nach Ansicht des Menschenrechtsausschusses sind die Vertragsparteien gehalten, die Kriterien zu veröffentlichen, die Grundlage von Entscheidungen über zielgerichtete Tötungen sind. Sie müssen zudem mögliche Verletzungen von Art. 6 IPbpR in Situationen bewaffneter Konflikte im Einklang mit den im General Comment No. 36 angeführten Standards untersuchen (vgl. IPbpR-Menschenrechtsausschuss, General Comment No. 36 - Article 6: right to life, UN Doc. CCPR/C/GC/36, , S. 14 Rn. 64).

129b) Ausgehend von diesen völkerrechtlichen Regeln hat sich der allgemeine Schutzauftrag im verfahrensgegenständlichen Sachverhalt nicht zu einer konkreten Schutzpflicht verdichtet. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht seiner Prüfung insoweit einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt (aa). Dies wirkt sich aber nicht auf das Ergebnis der Prüfung aus. Denn eine ernsthafte Gefahr, dass durch den Einsatz bewaffneter Drohnen im Jemen systematisch das humanitäre Völkerrecht und das Recht auf Leben gemäß Art. 6 IPbpR verletzt werden, ergibt sich aus den fachgerichtlichen Feststellungen nicht (bb).

130aa) Soweit das Bundesverwaltungsgericht ausführt, eine Schutzpflicht könne nur dann entstehen, wenn aufgrund der Zahl und der Umstände bereits eingetretener Völkerrechtsverstöße konkret zu erwarten sei, dass es auch in Zukunft zu vergleichbaren völkerrechtswidrigen Handlungen des anderen Staates kommen werde, durch die grundrechtliche Schutzgüter beeinträchtigt oder gefährdet würden, geht es von einem verfassungsrechtlich nicht tragfähigen Maßstab aus. Aus dem präventiven Charakter der Schutzpflichten folgt, dass bereits eingetretene Völkerrechtsverstöße keine konstitutive Voraussetzung für das Bestehen einer Schutzpflicht sind (vgl. Rn. 103 ff.). Insoweit erweist es sich auch als unzutreffend, dass eine über isolierte Einzelfälle hinausgehende Praxis völkerrechtswidriger Handlungen des anderen Staates feststellbar sein müsse, gegen deren Fortsetzung der deutsche Staat gegebenenfalls aufgrund der Schutzpflichten einschreiten müsse (vgl. ebenso Payandeh/Sauer, NJW 2021, S. 1570 <1572>; Gött, DÖV 2022, S. 616 <620 f., 625>;Erdmann, DÖV 2022, S. 325 <332>; Fontana/Lang, ZaöRV 2024, S. 331 <346>; Mruk, Rüstungsexporte in der Verantwortung, 2024, S. 88).

131bb) Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass sich der allgemeine Schutzauftrag zu einer konkreten grundrechtlichen Schutzpflicht verdichtet hat, ergeben sich aus den fachgerichtlichen Feststellungen gleichwohl nicht. Weder die - teilweise umstrittenen - Rechtsansichten US-amerikanischer Regierungen (1) und kritische internationale Stellungnahmen zur Einsatzpraxis (2) noch eine Gesamtbetrachtung (3) genügen, um hier eine ernsthafte Gefahr künftiger systematischer Verletzungen des anwendbaren Völkerrechts anzunehmen.

132(1) Die Rechtsauffassung der USA, die den Einsätzen bewaffneter Drohnen im Jemen zugrunde liegt, ist für sich genommen nicht geeignet, gewichtige Anhaltspunkte für eine ernsthafte Gefahr systematischer Verletzungen des humanitären Völkerrechts zu begründen. Es ist nicht feststellbar, dass die USA in dem nicht internationalen bewaffneten Konflikt im Jemen unvertretbare Kriterien zur Abgrenzung legitimer militärischer Ziele von geschützten Zivilpersonen anwenden (a). Auch soweit die USA der Ansicht sind, dass sie der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte außerhalb ihres Staatsgebiets nicht binde, lassen sich hieraus keine Rückschlüsse auf eine systematische völkerrechtswidrige Praxis ziehen (b). Vor diesem Hintergrund erweist sich die Einschätzung der Bundesregierung zur Vertretbarkeit der US-amerikanischen Rechtsauffassung ihrerseits als vertretbar (c).

133(a) Die Abgrenzung von Kämpfern und Zivilisten im nicht internationalen bewaffneten Konflikt wird kontrovers diskutiert (aa). Die US-amerikanische Rechtsauffassung hierzu hält sich im Rahmen des völkerrechtlich Vertretbaren (bb).

134(aa) Sofern und solange Zivilisten nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen, sind sie geschützte Personen und keine legitimen militärischen Ziele. Dieses in dem Gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen sowie Art. 51 Abs. 3 ZP I und Art. 13 Abs. 3 ZP II enthaltene Prinzip ist zugleich als Völkergewohnheitsrecht anerkannt (vgl. Supreme Court of Israel, Public Committee against Torture in Israel et al. v. Government of Israel et al., , HCJ 769/02, Rn. 30 f.; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, 2005, S. 19 ff. m.w.N.). Die Ausgestaltung des Konzepts der unmittelbaren Teilnahme an Feindseligkeiten ist jedoch Gegenstand eines Meinungsstreits. Im Ausgangspunkt besteht zwar Einigkeit darüber, dass Zivilisten, die unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen, für die Dauer ihrer Teilnahme den Schutz vor direkten Angriffen verlieren. Nach einer verbreiteten, wenn auch nicht gänzlich unumstrittenen Auffassung wird aber zunehmend anerkannt, dass Personen, die für eine organisierte bewaffnete Gruppe kämpfen, nicht nur während der Dauer ihrer konkreten unmittelbaren Teilnahme, sondern auch darüber hinaus legitime militärische Ziele darstellen können (vgl. Rn. 137 ff.).

135Hinsichtlich der Frage, anhand welcher Kriterien dieser Personenkreis zu bestimmen ist, werden verschiedene Ansätze vertreten.Die USA sind der Auffassung, Personen, die nach einer formalen oder funktionalen Betrachtung zu einer nichtstaatlichen bewaffneten Gruppe gehören, seien legitime militärische Ziele, weil sie die feindliche Absicht der Gruppe teilten (vgl. Department of Defense, Law of War Manual- June 2015, S. 218 Rn. 5.8.3; Law of War Manual - June 2015 <Updated December 2016>, S. 222 Rn. 5.7.3; Law of War Manual - June 2015 <Updated July 2023>, S. 230 Rn. 5.7.3). Anzeichen für eine formale Mitgliedschaft könnten die Leistung eines Eids gegenüber dem Anführer der Gruppe, das Tragen einer entsprechenden Uniform oder das Mitführen entsprechender Dokumente sein, aber auch, wenn die Person auf Weisung des Anführers handele, wenn sie Funktionen ausübe, die normalerweise von einem Angehörigen der staatlichen Streitkräfte ausgeübt würden, wenn sie an Feindseligkeiten teilnehme, wenn sie Einrichtungen wie Trainingscamps oder andere Häuser betrete, die von der Gruppe genutzt würden und zu denen Außenstehende keinen Zugang hätten, wenn sie auf geheimen Routen, die von der Gruppe benutzt würden, oder wenn sie mit anderen Mitgliedern der Gruppe reise (vgl. Department of Defense, Law of War Manual - June 2015, S. 218 f. Rn. 5.8.3.1; Law of War Manual - June 2015 <Updated December 2016>, S. 222 f. Rn. 5.7.3.1; Law of War Manual - June 2015 <Updated July 2023>, S. 230 f. Rn. 5.7.3.1). Bei einer Gruppe, die nicht auf der Grundlage einer formalen Befehls- und Kommandostruktur organisiert sei, könne eine Person bei funktionaler Betrachtung als Mitglied angesehen werden, wenn sie sich in diese integriere und deren Absicht teile, feindliche Operationen durchzuführen. Dies unterscheide die Person von bloßen Sympathisanten (vgl. Department of Defense, Law of War Manual - June 2015, S. 219 f. Rn. 5.8.3.2; Law of War Manual - June 2015 <Updated December 2016>, S. 223 f. Rn. 5.7.3.2; Law of War Manual - June 2015 <Updated July 2023>, S. 231 f. Rn. 5.7.3.2). Eine Person dürfe aufgrund ihrer Mitgliedschaft in einer bewaffneten Gruppe angegriffen werden, solange sie sich nicht eindeutig von dieser Gruppe losgesagt habe (vgl. Department of Defense, Law of War Manual - June 2015, S. 220 f. Rn. 5.8.3.3; Law of War Manual - June 2015 <Updated December 2016>, S. 224 f. Rn. 5.7.3.3; Law of War Manual - June 2015 <Updated July 2023>, S. 232 f. Rn. 5.7.3.3).

136Das IKRK definiert in seiner auf Grundlage eines Expertenprozesses erarbeiteten Studie "Direct Participation in Hostilities" die Mitglieder einer organisierten bewaffneten Gruppe funktional als diejenigen, die eine fortgesetzte Funktion ausübten, welche darin bestehe, unmittelbar an Feindseligkeiten teilzunehmen (sog. fortgesetzte Kampffunktion, continuous combat function, vgl. ICRC, Interpretive Guidance on the Notion of Direct Participation in Hostilities under International Humanitarian Law, 2009, S. 27). Die Rechtsfigur der fortgesetzten Kampffunktion diene dazu, Mitglieder einer bewaffneten kämpfenden Gruppe einer nichtstaatlichen Konfliktpartei von Zivilpersonen zu unterscheiden, die lediglich spontan beziehungsweise sporadisch unmittelbar an Feindseligkeiten teilnähmen. Sie erfordere eine dauerhafte Integration in eine solche Gruppe. Personen, die eine organisierte bewaffnete Gruppe begleiteten oder unterstützten, ohne direkt an Feindseligkeiten teilzunehmen, seien allerdings keine Mitglieder dieser Gruppe, sondern blieben Zivilisten. Dies gelte für Rekrutierer, Trainer, finanzielle Unterstützer und Propagandisten sowie für Personen, die außerhalb spezifischer militärischer Operationen mit Waffen handelten oder solche verbreiteten (vgl. ICRC, Interpretive Guidance on the Notion of Direct Participation in Hostilities under International Humanitarian Law, 2009, S. 33 ff.). Damit eine Handlung eine unmittelbare Beteiligung an Feindseligkeiten darstelle, müsse sie sich negativ auf die militärischen Operationen oder die militärische Leistungsfähigkeit einer anderen Partei des bewaffneten Konflikts auswirken oder alternativ den Tod oder die Verletzung von geschützten Personen oder die Zerstörung von geschützten Objekten zur Folge haben. Es müsse eine direkte kausale Verknüpfung zwischen der Handlung und dem zu erwartenden Schaden bestehen und die Handlung müsse zur Herbeiführung des Schadens zur Unterstützung oder zur Schwächung einer Konfliktpartei bestimmt sein (vgl. ICRC, Interpretive Guidance on the Notion of Direct Participation in Hostilities under International Humanitarian Law, 2009, S. 46).

137(bb) Soweit das vom IKRK aufgestellte Erfordernis einer fortgesetzten Kampffunktion enger erscheint als die von den USA vertretene Bestimmung des Kreises legitimer militärischer Ziele, folgt hieraus nicht zwingend, dass die Auffassung der USA als unvertretbar weit zu beurteilen wäre. Die IKRK-Studie bindet die Vertragsstaaten der Genfer Konventionen nicht. Sie dient vielmehr als Rechtserkenntnisquelle im Sinne des Art. 38 Abs. 1 Buchstabe d IGH-Statut. Vor dem Hintergrund der bisherigen Staatenpraxis kann nicht festgestellt werden, dass der Inhalt der Studie in Gänze bereits als Völkergewohnheitsrecht anerkannt ist und insoweit weitergehende Ansätze wie denjenigen der USA ausschließt. Zugleich erweist sich letzterer nicht als unvertretbar weit.

138(α) Das Völkergewohnheitsrecht zählt zusammen mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Völkerrechts zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG (vgl. BVerfGE 15, 25 <32 ff.>; 16, 27 <33>; 23, 288 <317>; 94, 315 <328>; 96, 68 <86>; 118, 124 <134>; 141, 1 <17 f. Rn. 42>). Ob eine Regel eine solche des Völkergewohnheitsrechts ist oder ob es sich um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz handelt, ergibt sich aus dem Völkerrecht selbst, welches die Kriterien für die Völkerrechtsquellen vorgibt. An die Feststellung einer allgemeinen Regel des Völkerrechts sind wegen der darin zum Ausdruck kommenden grundsätzlichen Verpflichtung aller Staaten hohe Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfGE 118, 124 <134 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 824/15, 2 BvR 825/15 -, Rn. 31). Die Identifikation von Völkergewohnheitsrecht erfordert die Prüfung, ob es eine allgemeine, als Recht anerkannte Praxis gibt; hierbei muss es sich um eine andauernde und möglichst einheitliche Praxis unter weit gestreuter und repräsentativer Beteiligung von Staaten und anderen rechtssetzungsbefugten Völkerrechtsubjekten handeln, die von der notwendigen Rechtsüberzeugung (opinio iuris sive necessitatis) getragen ist (vgl. IGH, Urteil, - Fisheries Case, United Kingdom v. Norway -, ICJ Reports 1951, S. 116 <131>; Urteil, - North Sea Continental Shelf Cases, Federal Republic of Germany/Denmark; Federal Republic of Germany/Netherlands -, ICJ Reports 1969, S. 3 <43 f. Rn. 74, 77>; stRspr; vgl. auch die Schlussfolgerungen 2, 8 und 9 über die Feststellung von Völkergewohnheitsrecht, vorgelegt von der Völkerrechtskommission, Anlage zur Resolution 73/203 der Generalversammlung der Vereinten Nationen, ; vgl. auch BVerfGE 66, 39 <64 f.>; 94, 315 <332>; 96, 68 <86 f.>; 109, 38 <53 f.>).

139(β) Danach ist nicht davon auszugehen, dass der Inhalt der Studie des IKRK vollumfänglich und abschließend das Völkergewohnheitsrecht wiedergibt. Es besteht kein Konsens dahingehend, dass die Studie zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung eine Kodifikation des geltenden Rechts darstellte oder dass sie anschließend in Gänze allgemeine Zustimmung gefunden hätte.

140Der Expertenprozess, der von 2003 bis 2008 unter Beteiligung von 50 Experten aus Kreisen der Wissenschaft, des Militärs, der Regierungen und Nichtregierungsorganisationen stattgefunden hatte, führte im Mai 2009 zu der Verabschiedung der Interpretive Guidance. Hierbei handelt es sich nicht um ein Dokument, das auf dem Konsens aller Experten beruht; es gibt vielmehr die Position des IKRK wieder (vgl. Melzer, New York University Journal of International Law and Politics 2010, S. 831<834 ff.>; Akande, ICLQ 2010, S. 180 <182>; Schmitt, Duke Journal of Comparative & International Law 2020, S. 309 <310 f.>). Mit der Veröffentlichung der Leitlinien war die internationale Debatte daher nicht beendet (so Dörmann, in: Münchener Kommentar zum StGB, Bd. 9, 4. Aufl. 2020, § 11 VStGB Rn. 39; vgl. auch Goodman/Jinks, New York University Journal of International Law and Politics 2010, S. 637 <638>; Schmitt, New York University Journal of International Law and Politics 2010, S. 697 <698>).

141Auch wenn sich einige Staaten an dem Ansatz des IKRK orientieren beziehungsweise ebenfalls auf die Wahrnehmung einer fortgesetzten Kampffunktion abstellen (vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Law of Armed Conflict - Manual -, Joint Service Regulation <ZDv> 15/2 - May 2013, S. 20 Rn. 131; Zentrale Dienstvorschrift A-2141/1, Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten, S. 159 Rn. 1309; siehe auch Danish Ministry of Defense, Military Manual on international law relevant to Danish armed forces in international operations, 2020, S. 172, 181 ff.; New Zealand Defence Force, Manual of Armed Forces Law, Law of Armed Conflict, DM 69 (2 ed) Volume 4, 2017, Rn. f.), ist noch keine hinreichend allgemeine Praxis feststellbar, die den Schluss erlaubte, von der vom IKRK vertretenen Auffassung abweichende Ansätze seien ausgeschlossen. Nach Ansicht der sachkundigen Dritten Professorin Krieger kann die Annahme, dass die Mitgliedschaft in einer organisierten bewaffneten Gruppe zum Verlust des Schutzstatus als Zivilist führe, völkergewohnheitsrechtliche Geltung beanspruchen. Darüber hinaus könne man allenfalls davon ausgehen, dass die Auffassung des IKRK, eine fortgesetzte Kampffunktion der betreffenden Person zu fordern, zwar im Begriff sei, zu Völkergewohnheitsrecht zu kristallisieren, die Schwelle aber noch nicht erreicht sei. Die diesbezügliche Praxis sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt in der Staatenwelt nicht hinreichend weit verbreitet. Es fänden sich neben einer Reihe von Staaten, die sich der Auslegung des IKRK explizit oder implizit angeschlossen hätten, ebenso Staaten, die allein auf die Mitgliedschaft in einer organisierten bewaffneten Gruppe abstellten. Neben den USA sei etwa Australien zu nennen, wo der Gesetzgeber im Jahr 2016 bewusst davon abgesehen habe, die Auslegung des IKRK zu kodifizieren (vgl. Parliament of Australia, Advisory Report on the Criminal Code Amendment <War Crimes> Bill 2016, Rn. 2.28 f.). Der sachkundige Dritte Professor Oeter kam zu der Einschätzung, dass das Erfordernis einer fortgesetzten Kampffunktion als Minimalkonsens inzwischen von allen relevanten Militärmächten akzeptiert sei. Streit herrsche aber darüber, ob dieser Konsens abschließend beziehungsweise ob der erweiterte Mitgliedschaftsansatz, wie er von Staaten wie den USA und Israel vertreten werde, ausgeschlossen sei. Es gebe eine Gruppe von Staaten, die über den Ansatz des IKRK hinausgingen.

142Die unterschiedliche Bewertung der uneindeutigen Staatenpraxis spiegelt sich auch im Schrifttum wider. So wird einerseits betont, dass die IKRK-Studie einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts leiste (vgl. Kretzmer, in: Salinas de Frías/Samuel/White, Counter-Terrorism - International Law and Practice, 2012, S. 618 <633>; Cryer, in: Geiß/Zimmermann/Haumer, Humanizing the Laws of War - The Red Cross and the Development of International Humanitarian Law, 2017, S. 113 <136>) und sich ihre Kategorien etablieren würden (vgl. Geiß/Zimmermann, in: Münchener Kommentar zum StGB, Bd. 9, 4. Aufl. 2022, § 8 VStGB Rn. 94). Die Ausübung einer fortgesetzten Kampffunktion sei eine Mindestvoraussetzung dafür, dass eine Person als legitimes militärisches Ziel eingeordnet werde (vgl. Ambos/Alkatout, JZ 2011, S. 758 <762>). Insoweit wird kritisiert, dass Personen außerhalb konkreter Kampfhandlungen als legitime Ziele angesehen werden, weil damit ein Status eingeführt werde, der dem Recht des nicht internationalen bewaffneten Konflikts, das keinen formalen Kombattantenstatus kenne, fremd sei (vgl. Report of the Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions, Philip Alston, UN Doc. A/HRC/14/24/Add.6, , S. 20 f. Rn. 65 f.; Lubell, Extraterritorial Use of Force against Non-State Actors, 2010, S. 148 ff.). Andererseits finden sich Stimmen, die den völkergewohnheitsrechtlichen Charakter der Auslegung des IKRK verneinen, Kritik an ihr üben und feststellen, dass es noch keinen Konsens hinsichtlich des Konzepts der fortgesetzten Kampffunktion gebe (vgl. Boothby/Heintschel von Heinegg, The Law of War - A Detailed Assessment of the US Department of Defense Law of War Manual, 2018, S. 127 f.; Dinstein, Non-International Armed Conflicts in International Law, 2021, S. 77 f.; Solis, The Law of Armed Conflict - International Humanitarian Law in War, 3. Aufl. 2022, S. 439 f.; Bellal/Casey-Maslen, The Additional Protocols to the Geneva Conventions in Context, 2022, S. 137 ff.). Das Erfordernis einer fortgesetzten Kampffunktion wird als zu eng angesehen. Angehörige der staatlichen Streitkräfte und Mitglieder organisierter bewaffneter Gruppen würden ungleich behandelt, weil die Auffassung des IKRK einen Angriff auf Letztere bei Fehlen einer fortgesetzten Kampffunktion auch dann ausschließe, wenn keinerlei Zweifel an deren Mitgliedschaft bestehe, wohingegen die Zugehörigkeit zum Militär einer staatlichen Konfliktpartei bereits ausreiche, um diese Person zu einem legitimen Ziel zu machen (vgl. Schmitt, Harvard National Security Journal 2010, S. 5 <23>; Watkin, New York University Journal of International Law and Politics 2010, S. 641 <694>; Boothby, The Law of Targeting, 2012, S. 150 ff.; Heintschel von Heinegg, in: Epping/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht, 8. Aufl. 2024, S. 1324 <1376>).

143(γ) Die unterschiedlichen, teils konträren Ansichten im Schrifttum und die Ausführungen der sachkundigen Dritten lassen nicht den Schluss zu, dass die US-amerikanische Rechtsauffassung zur Bestimmung legitimer militärischer Ziele im nicht internationalen bewaffneten Konflikt, soweit sie sich von der Auffassung des IKRK unterscheidet, als außerhalb des völkerrechtlich Vertretbaren liegend anzusehen ist.

144Nach der Einschätzung von Professorin Krieger zeigt das US-amerikanische Militärhandbuch Kriterien dafür auf, wann eine Mitgliedschaft aus formalen oder funktionalen Gründen angenommen werden könne, die in den meisten Fällen vertretbar erschienen. Diese Einschätzung korrespondiert mit einer im Schrifttum vertretenen Auffassung, bei der zugleich darauf hingewiesen wird, dass gewisse Mitglieder nichtstaatlicher bewaffneter Gruppen lediglich diplomatische Funktionen ausübten, die keine Teilnahmehandlungen im Rahmen eines bewaffneten Konflikts darstellten, sodass es vertretbar sei, jene Personen nicht als legitime militärische Ziele anzusehen (vgl. Boothby/Heintschel von Heinegg, The Law of War - A Detailed Assessment of the US Department of Defense Law of War Manual, 2018, S. 124 ff.). Aus dem Umstand, dass demgegenüber auch deutliche Kritik an der US-amerikanischen Rechtsauffassung geübt wird (vgl. Haque, in: Newton, The United States Department of Defense Law of War Manual, 2019, S. 225 <226 ff.>; Blank, in: Newton, The United States Department of Defense Law of War Manual, 2019, S. 261 <269 ff.>), folgt indes nicht, dass die Rechtsauffassung der USA als unvertretbar weit bewertet werden müsste.

145Der Senat übersieht nicht die verbreitete Kritik an der Auffassung der USA, das Vorgehen gegen terroristische Gruppen sei Teil eines globalen Kriegs gegen den Terrorismus ("global war on terror", vgl. The National Security Strategy of the United States of America - September 2002, Vorwort, S. 5; The National Security Strategy of the United States of America - March 2006, S. 8 f., 12) beziehungsweise einer globalen Kampagne gegen Al-Qaida und terroristische Affiliierte (vgl. National Security Strategy - May 2010, S. 19). Den Kritikern zufolge überschreite die Strategie des globalen Kriegs gegen den Terrorismus im Hinblick auf die räumliche und zeitliche Ausdehnung nicht internationaler bewaffneter Konflikte die Grenze des völkerrechtlich Vertretbaren (vgl. etwa ICRC, Commentary on the Third Geneva Convention, 2021, S. 190 Rn. 516; für ein engeres Verständnis vgl. GBA, Verfügung vom - 3 BJs 7/12-4 -, NStZ 2013, S. 644 <645 f. Rn. 6>; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 5. Aufl. 2020, S. 560; Geiß/Zimmermann, in: Münchener Kommentar zum StGB, Bd. 9, 4. Aufl. 2022, § 8 VStGB Rn. 114; Ambos, Treatise on International Criminal Law, Bd. 2, 2. Aufl. 2022, S. 161). Diese Bedenken spielen in der vorliegenden Konstellation allerdings keine Rolle, weil es hier unstreitig um Einsätze bewaffneter Drohnen durch die USA auf Einladung der jemenitischen Regierung im Rahmen eines nicht internationalen bewaffneten Konflikts im Jemen geht.

146(b) Die ernsthafte Gefahr eines systematischen Verstoßes gegen das Recht auf Leben gemäß Art. 6 IPbpR folgt auch nicht daraus, dass die USA unter Hinweis auf den Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 IPbpR, der von jedem Vertragsstaat die Gewährleistung der in diesem Pakt anerkannten Rechte ausdrücklich lediglich für alle in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen verlangt, die extraterritoriale Anwendung dieses Pakts nicht anerkennen. Sie vertreten damit zwar eine Rechtsansicht, die nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs und der Spruchpraxis des Menschenrechtsausschusses steht (vgl. Rn.127). Allerdings ist nicht ersichtlich, dass sich diese Rechtsansicht auf die Einsatzpraxis im vorliegenden Fall ausgewirkt hat. Stehen die Einsätze bewaffneter Drohnen im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht, das bei der Auslegung des Art. 6 IPbpR zu berücksichtigen ist, werden sie in der Regel auch den menschenrechtlichen Anforderungen genügen (vgl. Rn. 128).

147Soweit das Oberverwaltungsgericht zu der Einschätzung gelangt ist, es sei nicht erkennbar, dass die USA unabhängige Untersuchungen zu tödlichen Drohneneinsätzen durchgeführt hätten, lässt sich auch damit die ernsthafte Gefahr systematischer Menschenrechtsverletzungen nicht begründen. Zwar verlangt der Menschenrechtsausschuss entsprechende Veröffentlichungen und Untersuchungen (vgl. Rn. 128). Jedoch hat sich der Umgang der US-amerikanischen Behörden mit zivilen Opfern und Schäden bewaffneter Drohneneinsätze im Laufe der Zeit verändert. Seit 2017 muss das US-Verteidigungsministerium jährlich Berichte über zivile Opfer veröffentlichen (vgl. Rn. 10). Außerdem wurden seither Kriterien für die Vermeidung ziviler Schäden und eine verbesserte Antwort hierauf festgelegt, die in die Planung und Durchführung der Operationen einbezogen werden sollen (vgl. Rn. 11, 13).

148(c) Vor diesem Hintergrund erweist sich die Auffassung der Bundesregierung, dass die US-amerikanische Auslegung des einschlägigen Völkerrechts - auch wenn sie sich nicht in allen Punkten mit derjenigen der Bundesrepublik Deutschland decke - grundsätzlich als völkerrechtlich vertretbar einzuordnen sei und folglich die Beachtung des humanitären Völkerrechts als solches durch die USA nicht in Frage stelle, ihrerseits als völkerrechtlich vertretbar. Sie bewegt sich daher innerhalb des ihr eingeräumten weiten Einschätzungsspielraums in der Außen- und Sicherheitspolitik.

149(2) Dass systematische Verletzungen des humanitären Völkerrechts und Rechts auf Leben ernstlich zu befürchten sind, ergibt sich ferner nicht hinreichend deutlich aus kritischen Berichten über die US-amerikanische Einsatzpraxis bewaffneter Drohnen oder den Stellungnahmen internationaler Organe, auch nicht aus den von den Beschwerdeführern herangezogenen Berichten der UN-Sonderberichterstatter (vgl. Rn. 15 ff.) und den Resolutionen des Menschenrechtsrats, des Europäischen Parlaments und der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (vgl. Rn. 20).

150Die (hohe) Zahl ziviler Opfer kann für sich genommen - ohne Hinzutreten weiterer Elemente - die ernsthafte Gefahr systematischer Verstöße gegen das hier einschlägige Völkerrecht nicht begründen. Dass geschützte Zivilpersonen bei Einsätzen bewaffneter Drohnen in einem nicht internationalen Konflikt getötet werden, ist noch kein hinreichendes Indiz für die Völkerrechtswidrigkeit dieser Einsätze, solange greifbare Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Unterscheidungsgrundsatz, das Vorsorgeprinzip und das Exzessverbot nicht ersichtlich sind. Die Zahl getöteter Zivilpersonen kann ohne weitere Informationen nicht in ein Verhältnis zu der ex ante beabsichtigten Bekämpfung legitimer militärischer Ziele gesetzt werden, sodass die Beurteilung, ob etwa ein Verstoß gegen das Exzessverbot vorliegt, nicht möglich ist. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass im Jemen systematisch gegen das Exzessverbot verstoßen worden ist, sind den angeführten Berichten und Resolutionen nicht zu entnehmen.

151Insgesamt kommt in diesen Berichten zwar die Besorgnis über die Einhaltung der Vorgaben des humanitären Völkerrechts zum Ausdruck. Sie stützen sich hierfür allerdings maßgeblich auf eine Diskrepanz zwischen dem IKRK und den USA hinsichtlich der Kriterien zur Abgrenzung legitimer militärischer Ziele von geschützten Zivilisten und eine fehlende Transparenz hinsichtlich jener Kriterien und kritisieren dies. Aus den unterschiedlichen, aber jeweils völkerrechtlich vertretbaren Auffassungen folgt jedoch noch nicht mit hinreichender Sicherheit, dass systematische Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht nicht nur möglich, sondern ernstlich zu befürchten sind.

152(3) Die ernsthafte Gefahr einer systematischen Verletzung des humanitären Völkerrechts und des Rechts auf Leben ergibt sich auch nicht auf Grundlage einer wertenden Gesamtbetrachtung. Zwar wird der Einsatz bewaffneter Drohnen zum Zwecke gezielter Tötungen international kritisch bewertet (a). Auch vor dem Hintergrund der insoweit angeführten Argumente kann von einer solchen Gefahr und damit einer Verdichtung des allgemeinen Schutzauftrags des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu einer konkreten Schutzpflicht gegenüber den Beschwerdeführern jedoch nicht ausgegangen werden (b).

153(a) Der Einsatz bewaffneter Drohnen zum Zwecke sogenannter gezielter Tötungen ist Gegenstand zahlreicher international wie auch in den USA kontrovers geführter Diskussionen (vgl. Rn. 14 ff.; zur US-amerikanischen Diskussion über den Schutz der Zivilbevölkerung Katz Cogan, American Journal of International Law 2023, S. 352 <353 ff.>). Dabei richtet sich die Kritik zum einen gegen die weite Auslegung des humanitären Völkerrechts wie auch des Rechts auf Selbstverteidigung durch die USA (vgl. Mégret, Loyola University Chicago International Law Review 2011, S. 131 <151 f.>; Gray, Current Legal Problems 2013, S. 75 <83 ff.>; Zimmermann, MenschenRechtsMagazin 2013, S. 96 <102>). Diese weite Auslegung bezieht sich etwa auf die räumliche Ausdehnung des bewaffneten Konflikts und folglich des Anwendungsbereichs des humanitären Völkerrechts, auf die Bestimmung des Kreises legitimer militärischer Ziele und auf den Einsatz von Drohnen auch außerhalb konkreter Gefechtssituationen. Eine solchermaßen extensive Auslegung kann dazu führen, dass sich die Anzahl legitimer militärischer Ziele und damit die Gefahr für Zivilpersonen in den betroffenen Gebieten erhöht, im Rahmen eines Einsatzes bewaffneter Drohnen als sogenannter ziviler Kollateralschaden verletzt oder getötet zu werden. Zum anderen sind insbesondere sogenannte "signature strikes" in die Kritik geraten (vgl. Heller, Journal of International Criminal Justice 2013, S. 89 <92 ff.>; Kolb, Advanced Introduction to International Humanitarian Law, 2014, S. 150 f.; Solis, The Law of Armed Conflict - International Humanitarian Law in War, 3. Aufl. 2022, S. 489). Zwar gibt es kein Gebot, die Identität eines legitimen militärischen Ziels zu kennen. Die Rechtmäßigkeit derartiger Einsätze hängt vielmehr von den konkreten Signaturen ab. Professor Oeter hat in der mündlichen Verhandlung allerdings auf das Risiko kognitiver Verzerrungen und kultureller Missverständnisse in Bezug auf die Einordnung der Verdachtsmuster hingewiesen.

154Hinsichtlich des Einsatzes bewaffneter Drohnen durch die USA wurde insbesondere in den ersten Jahren außerdem die fehlende Transparenz in Bezug auf die konkreten Einsatzregelungen und die Frage des Personenkreises, der als legitime militärische Ziele angegriffen wird, kritisiert (vgl. Rn. 19). In der Zwischenzeit haben die USA rechtliche Erklärungen und Einsatzregelungen - wenn auch stellenweise geschwärzt - veröffentlicht (vgl. Rn. 9). Manche Einsätze in der Vergangenheit mögen die Frage aufgeworfen haben, ob und inwiefern die USA den von ihnen selbst - nach eigenem Verständnis nicht als Folge einer Rechtspflicht - proklamierten Standards, keine Angriffe durchzuführen, wenn nicht nahezu sicher sei, dass keine Zivilisten zu Schaden kommen würden, gerecht geworden sind. Zudem gibt es zwischen US-amerikanischen Behörden und Nichtregierungsorganisationen nicht unerhebliche Diskrepanzen bezüglich der Opferzahlen (vgl. Rn. 4). Ferner wird nicht verkannt, dass die Beschwerdeführer vor den US-amerikanischen Gerichten aufgrund der "political question"-Doktrin keinen Rechtsschutz erlangen konnten (vgl. United States District Court for the District of Columbia, Ahmed Salem Bin Ali Jaber et al. v. The United States of America et al., , No. 15-0840 <ESH>, S. 15; United States Court of Appeals for the District of Columbia Circuit, Ahmed Salem Bin Ali Jaber et al. v. United States of America et al., , No. 16-5093, S. 16; US Supreme Court, Certiorari - Denied, , No. 17-472, S. 3). Die internationale Kritik an den bewaffneten Drohneneinsätzen der USA hat schließlich dazu geführt, dass die Bundesrepublik Deutschland von dem Menschenrechtsausschuss aufgefordert wurde, die Einbindung der US-Militärbasis Ramstein zu untersuchen und auf die Einhaltung des humanitären Völkerrechts hinzuwirken (vgl. IPbpR-Menschenrechtsausschuss, Concluding observations on the seventh periodic report of Germany, UN Doc. CCPR/C/DEU/CO/7, , S. 6 Rn. 22).

155(b) Diese Kritikpunkte reichen jedoch auch in einer Zusammenschau nicht aus, um die ernsthafte Gefahr einer systematischen Verletzung des humanitären Völkerrechts und des Rechts auf Leben der Beschwerdeführer im Jemen annehmen zu können. Eine Verdichtung des allgemeinen Schutzauftrags zu einer konkreten grundrechtlichen Schutzpflicht gegenüber den Beschwerdeführern kommt damit nicht in Betracht.

156Selbst wenn die zuvor aufgeführten Kritikpunkte das Risiko des Auftretens von Verletzungen der völkerrechtlichen Regeln zum Schutz des Lebens erhöhen sollten, rechtfertigt dies nicht die Prognose, dass derartige Verletzungen systematisch vorgenommen werden. Zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA mag es im Einzelnen unterschiedliche Verständnisse hinsichtlich der Reichweite der gemeinsamen völkerrechtlichen Verpflichtungen geben. Dadurch wird das grundsätzlich zwischen Bündnispartnern herrschende Vertrauen in die Rechtmäßigkeit des Handelns des anderen aber jedenfalls so lange nicht infrage gestellt, wie sich die von der Bundesrepublik Deutschland abweichende Rechtsauffassung der USA im Rahmen des völkerrechtlich Vertretbaren hält. Dies ist hier der Fall (vgl. Rn. 143 ff.).

157Eine ernsthafte Gefahr systematischer Verletzungen des humanitären Völkerrechts lässt sich auch nicht damit begründen, dass die USA davon ausgegangen sind, die widerlegbare Vermutungsregel des Art. 50 ZP I, wonach eine Person zunächst als Zivilist gilt, sei nicht als Völkergewohnheitsrecht belegbar (vgl. Department of Defense, Law of War Manual - June 2015, S. 197 Rn. 5.5.3.2; Law of War Manual - June 2015 <Updated December 2016>, S. 200 f. Rn. 5.4.3.2; a.A.ICTY <Appeals Chamber>, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, , IT-95-14-A, §§ 110 f.; Henckaerts/Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, Bd. 1, 2005, S. 23 f.; dies., Customary International Humanitarian Law, Bd. 2, 2005, S. 130 ff. m.w.N.; ICRC, Interpretive Guidance on the Notion of Direct Participation in Hostilities under International Humanitarian Law, 2009, S. 74 ff.; Margulies, in: Newton, The United States Department of Defense Law of War Manual, 2019, S. 201 <216>; Schmitt, in: Saul/Akande, The Oxford Guide to International Humanitarian Law, 2020, S. 147 <166>). Denn die Annahme einer mangelnden Rechtsbindung lässt nicht ohne Weiteres den Schluss zu, dass die USA die Vermutungsregel in der Praxis nicht dennoch zugrunde gelegt hätten. Hierfür sprechen die konkreten Einsatzregeln (vgl. FM 6-27 MCTP 11-10C, The Commander's Handbook on the Law of Land Warfare - August 2019, Rn. 2-54; Daugirdas/Mortenson, American Journal of International Law 2016, S. 814 <815>; Haque, in: Newton, The United States Department of Defense Law of War Manual, 2019, S. 225 <247 ff.>; Schmitt, in: Saul/Akande, The Oxford Guide to International Humanitarian Law, 2020, S. 147 <166>). Zudem wiederholt die aktuelle Auflage des US-Militärhandbuchs die zuvor geäußerte Rechtsansicht nicht mehr und geht vielmehr davon aus, dass Personen im Ausgangspunkt als Zivilisten anzusehen seien (vgl. Department of Defense, Law of War Manual - June 2015 <Updated July 2023>, S. 201 ff. Rn. 5.4.3.2, S. 205 f. Rn. 5.4.3.4).

158Schließlich ist zu berücksichtigen, dass sich die USA trotz ihres weitergehenden Rechtsverständnisses der eigenen Handlungsbefugnisse in der Einsatzpraxis - zumindest aus Gründen politischer Opportunität - zusätzliche Beschränkungen auferlegt haben. So nahm mit der Dauer des Einsatzes bewaffneter Drohnen das Bemühen der USA zu, zivile Schäden zu vermeiden, den Schutz der Zivilbevölkerung zu verbessern und die Transparenz der Operationen zu erhöhen (vgl. Rn. 8 ff.). Im Ergebnis lässt sich auch in einer Gesamtschau der von den Beschwerdeführern vorgebrachten Kritikpunkte an den bewaffneten Drohneneinsätzen der USA im Jemen (und anderswo) die ernsthafte Gefahr systematischer Verletzungen des humanitären Völkerrechts und des Rechts auf Leben der Beschwerdeführer nicht begründen.

159c) Da bereits die Tatbestandsvoraussetzungen für das Bestehen einer extraterritorialen Schutzpflicht nicht erfüllt sind, bedarf es keiner Entscheidung, ob die Bundesregierung einer ihr etwaig obliegenden Schutzpflicht gegenüber den Beschwerdeführern durch die Einholung einer Zusicherung der USA, dass Aktivitäten in US-Militärliegenschaften in Deutschland im Einklang mit dem geltenden Recht erfolgen, sowie durch den Austausch mit US-amerikanischen Stellen auf diplomatischer Ebene gerecht geworden wäre.

III.

160Aus den Gründen, denen zufolge eine extraterritoriale Schutzpflicht zu verneinen ist, scheidet auch eine Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG aus. Soweit sie eine solche Verletzung damit begründet haben, das Bundesverwaltungsgericht habe der Bundesregierung einen zu weiten Einschätzungsspielraum bezüglich der Beurteilung der völkerrechtlichen Rechtslage zugebilligt, verfängt dies nicht. Denn die Rechtsauffassung der Bundesregierung hierzu hat sich als vertretbar erwiesen, weil diese im Ergebnis davon ausgehen durfte, dass sich das Handeln der USA seinerseits im Rahmen des völkerrechtlich Vertretbaren bewegt (vgl. Rn. 148).

D.

161Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG. Obwohl die Verfassungsbeschwerde zurückzuweisen ist, hat die Entscheidung hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen extraterritorialer Schutzpflichten

162im Falle des Handelns eines Drittstaats zu einer Klärung geführt (vgl. BVerfGE 84, 90 <132>; 109, 190 <243 f.>; 141, 56 <81 Rn. 65>; 149, 50 <85 Rn. 96>). Unter den vorliegenden Umständen entspricht es billigem Ermessen, die hälftige Erstattung der Auslagen anzuordnen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rs20250715.2bvr050821

Fundstelle(n):
SAAAJ-95348