Instanzenzug: LG Limburg Az: 2 KLs – 4 Js 15249/22
Gründe
1Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II.2 der Urteilsgründe) sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II.3 der Urteilsgründe) zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Der Senat hatte den Schuldspruch durch Beschluss vom (2 StR 121/24) dahin geändert, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Cannabis in Tateinheit mit Erwerb von Cannabis in zwei Fällen schuldig ist, und das Urteil im Strafausspruch aufgehoben. Die Feststellungen hatten Bestand. Die weitergehende Revision hatte er verworfen.
2Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr im zweiten Rechtsgang zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren verurteilt. Seine auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat überwiegend Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.
I.
3Zwischen dem und dem fassten der Angeklagte und sein im ersten Rechtsgang mitangeklagter Bruder gemeinsam den Entschluss, von einem unbekannten Lieferanten Marihuana und Haschisch zu kaufen. Die erworbenen Betäubungsmittel sollten hälftig geteilt und sodann von jedem Angeklagten 40 % der Drogen auf eigene Rechnung weiterverkauft und die verbleibenden 60 % der Menge selbst konsumiert werden. Der gemeinsame Ankauf verfolgte den Zweck, günstigere Einkaufskonditionen zu erhalten. Entsprechend dem Tatplan erwarben die Brüder mindestens 189,47 Gramm Marihuana (Wirkstoffgehalt 21,8 Gramm THC) sowie mindestens 71,99 Gramm Haschisch (Wirkstoffgehalt 20,95 Gramm THC). Der Bruder des Angeklagten holte die Drogen beim Lieferanten ab und lagerte – mit Wissen des Angeklagten – das Marihuana in dem von ihm selbst genutzten Zimmer im elterlichen Haushalt und das Haschisch im Zimmer des Angeklagten. Bevor die beiden Brüder die Drogen aufteilen konnten, wurden diese anlässlich einer Durchsuchung am sichergestellt (Fall II.2 der Urteilsgründe).
4Kurz vor dem erwarb der Angeklagte von einem unbekannten Lieferanten mindestens 51,25 Gramm Haschisch (Wirkstoffgehalt 12,66 Gramm THC). 60 % der Drogen waren zum Eigenkonsum und 40 % der Menge zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt (Fall II.3 der Urteilsgründe).
II.
5Das Rechtsmittel des Angeklagten ist überwiegend begründet.
6Das Landgericht hat für die Rechtsfolgenbestimmung zunächst rechtsfehlerfrei auf den im Zeitpunkt der ersten Tat 20 Jahre und zehn Monate alten Angeklagten Jugendstrafrecht zur Anwendung gebracht (§ 32 JGG). Hingegen weisen die Feststellung schädlicher Neigungen (§ 17 Abs. 2 Alt. 1 JGG) und die Annahme der Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG) Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
71. Bei der Annahme schädlicher Neigungen ist das Landgericht zunächst im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass diese als Voraussetzung für die Verhängung von Jugendstrafe dann vorliegen, wenn bei dem Täter erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel zu beobachten sind, die ohne eine längere Gesamterziehung die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Sie können in der Regel nur angenommen werden, sofern erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat, wenn auch unter Umständen verborgen, angelegt waren. Sie müssen schließlich im Urteilszeitpunkt noch bestehen und weitere Straftaten des Angeklagten befürchten lassen (st. Rspr.; , NStZ 2020, 738 Rn. 12; vom – 2 StR 218/20, StV 2022, 9, 10 Rn. 22, und vom – 3 StR 56/23, NStZ-RR 2023, 293, 294; Beschlüsse vom – 3 StR 581/14, NStZ-RR 2015, 154 f.; vom – 3 StR 473/15, NStZ 2016, 681 f., und vom – 1 StR 30/24, NStZ 2024, 615 Rn. 4).
8Das Landgericht hat auch zutreffend gesehen, dass sich aus den Vorbelastungen des Angeklagten und den zur Aburteilung stehenden Taten erhebliche Persönlichkeitsmängel ableiten lassen. Deren Fortbestand im Urteilszeitpunkt hat es jedoch maßgeblich damit begründet, dass „[s]eine Persönlichkeitsmängel […] bereits durch seinen fehlenden Schulabschluss und seine fehlende Berufsausbildung indiziert“ würden. Indes weisen weder ein fehlender Schulabschluss noch eine fehlende Berufsausbildung indiziell auf Persönlichkeitsmängel hin, die ohne eine längere Gesamterziehung die Gefahr weiterer Straftaten begründen. Ein Fortbestand der im Zeitpunkt der zweiten Tat bestehenden Persönlichkeitsmängel folgt auch nicht zwingend aus der Gesamtheit der Urteilsgründe, da zwischen dieser Tat und dem angegriffenen Urteil ein Zeitraum von 22 Monaten lag, aus dem keine weitere Delinquenz des Angeklagten bekannt geworden ist.
92. Die Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG) hat das Landgericht ebenfalls nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.
10a) Bei der Prüfung der Schuldschwere im Sinne des § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG kommt dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat und ihrer Einstufung im Strafgesetzbuch keine selbständige Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr, wieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Jugendlichen oder Heranwachsenden in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Der äußere Unrechtsgehalt der Tat ist nur insofern von Belang, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Höhe der Schuld gezogen werden können (vgl. , NStZ 2010, 281 mwN). Diese bemisst sich aus dem Gewicht der Tat und der persönlichkeitsbegründenden Beziehung des Täters zu dieser (vgl. , NStZ-RR 2018, 358 f.; Beschluss vom – 3 StR 353/11, BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 4 Rn. 3).
11b) Diesen Maßstäben, die das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend gesehen hat, genügen die Urteilsgründe nicht. Denn das Landgericht hat die jugendspezifische Vorwerfbarkeit abstrakt an dem verwirklichten Tatbestand gemessen (vgl. hierzu , NStZ 2009, 450), indem es ausgeführt hat, im Hinblick auf erzieherische Gesichtspunkte vermöge „die Strafrahmenänderung im Erwachsenenstrafrecht für den Konsumcannabis keine Änderung […] am Charakter der Erheblichkeit der einschlägigen Delikte zu begründen“. Auch im Weiteren verhalten sich die Urteilsgründe zu der aus Sicht des Landgerichts gegebenen Gefährlichkeit von Cannabis als Suchtmittel. Hingegen ist die gebotene individuelle Prüfung unterblieben, inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit sowie die Tatmotivation des Angeklagten in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben.
123. Die ergänzenden Feststellungen sind vom aufgezeigten Wertungsfehler nicht betroffen und haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO). Der Senat macht von der Möglichkeit nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht Wiesbaden. Wenngleich die bisherigen – bindenden – Feststellungen keinen Anlass bieten, eine Einschränkung der Schuldfähigkeit des Angeklagten anzunehmen, wird das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht sehen, dass bei einem rechtskräftigen Schuldspruch und einer Aufhebung des Strafausspruchs auch bei Aufrechterhaltung der Feststellungen entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht „rechtskräftig“ darüber entschieden ist, dass der Angeklagte „bei Begehung der Taten im Zustand uneingeschränkter Schuldfähigkeit“ handelte. Die Frage einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit gehört nicht zum Schuldspruch, sondern allein zum Strafausspruch (vgl. , Rn. 3; vgl. auch van Gemmeren, in: Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 7. Aufl., Rn. 1347, 1347a; Schmitt, in: Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl., § 353 Rn. 21). Das neue Tatgericht wird auch Gelegenheit haben, genauer als bisher in den Blick zu nehmen, dass die in den gesetzlichen Regelungen des allgemeinen Strafrechts zum Ausdruck gelangende Bewertung des Ausmaßes des in einer Straftat hervorgetretenen Unrechts grundsätzlich auch bei der Bestimmung der Höhe der Jugendstrafe zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 269/20; vom – 3 StR 98/24, Rn. 14; vom – 3 StR 362/24, Rn. 4, und vom – 4 StR 523/24, Rn. 11), so dass hier auch der mögliche Entfall der Regelwirkung nach § 34 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. a), Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG jedenfalls bei der letzten Tat – der allein das Regelbeispiel erfüllende Erwerb von Konsumcannabis betraf die 1,68-fache nicht geringe Menge – zu erwägen sein wird.
Menges Meyberg Grube
Schmidt Zimmermann
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:210525B2STR181.25.0
Fundstelle(n):
BAAAJ-95332