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BGH Beschluss v. - StB 29/25

Gründe

I.

1Das Oberlandesgericht Stuttgart hat den Beschwerdeführer am wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland – der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) – in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Beihilfe zum Mord, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig seit dem .

2Derzeit wird die Strafe vollstreckt. Das Strafende ist auf den notiert. Der Verurteilte verfügt außerdem über 26 Freistellungstage (§ 49 Abs. 9 JVollzGB III BW).

3Bereits zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt, dem , hatte sein damaliger Pflichtverteidiger für den Verurteilten eine Entlassung beantragt. Mit Beschluss vom selben Tag hatte das Oberlandesgericht die bedingte Strafaussetzung in Ermangelung einer positiven Sozialprognose versagt. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hatte der Verurteilte zurückgenommen.

4Am hat er erneut beantragt, die Reststrafe gemäß § 57 Abs. 1 StGB zum nächstmöglichen Zeitpunkt zur Bewährung auszusetzen. Dem ist der Generalbundesanwalt entgegengetreten. Das Oberlandesgericht hat eine Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt eingeholt und ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben (§ 454 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO).

5Mit Schriftsatz vom hat der neue Verteidiger des Verurteilten beantragt, zum Pflichtverteidiger bestellt zu werden. Auch diesem Begehr ist der Generalbundesanwalt entgegengetreten. Mit Entscheidung vom hat die Vorsitzende des Strafsenats des Oberlandesgerichts den Antrag abgelehnt. Der Beschluss ist dem Verurteilten am zugestellt worden.

6Gegen diesen Beschluss hat er am beim Oberlandesgericht „Rechtsmittel“ eingelegt. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, es als unbegründet zu verwerfen.

II.

71. Das Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1, § 311 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO eröffnet die sofortige Beschwerde nach seinem Wortlaut („Entscheidungen über die Bestellung“) und dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 19/13829 S. 50) ebenfalls gegen Entscheidungen, mit denen die Bestellung eines Verteidigers abgelehnt wird (BGH, Beschlüsse vom – StB 5/22, juris Rn. 7; vom – StB 71/24, juris Rn. 5).

82. Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet.

9a) Die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Vollstreckungsverfahren, namentlich im Verfahren über eine Reststrafenaussetzung zur Bewährung, kommt in entsprechender Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO nur ausnahmsweise in Betracht, wenn besondere Schwierigkeiten der Sach- oder Rechtslage im Vollstreckungsverfahren oder die Schwere des Vollstreckungsfalls für den Verurteilten dies gebieten oder der Verurteilte unfähig ist, seine Rechte sachgerecht selbst wahrzunehmen (BGH, Beschlüsse vom – StB 26/22, BGHR StPO § 140 Abs. 2 Vollstreckungsverfahren 1 Rn. 9 mwN; vom – StB 71/24, juris Rn. 8). Insofern ist eine zurückhaltende Handhabung angezeigt. Denn beim Beschluss über die Strafrestaussetzung zur Bewährung geht es um eine Tatsachenentscheidung in Form einer Prognose gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB, die namentlich auf die dem Verurteilten bekannten Urteile, auf sein Verhalten im Strafvollzug und auf seine dortige Persönlichkeitsentwicklung gestützt wird. Ein Verteidigerbeistand ist hier nicht in gleichem Maße erforderlich wie in der Hauptverhandlung des Erkenntnisverfahrens (, NJW 2002, 2773, 2774).

10b) Hieran gemessen hat die gemäß § 142 Abs. 3 Nr. 3, § 462a Abs. 5 Satz 1 StPO für die Entscheidung zuständige Vorsitzende des 7. Strafsenats des Oberlandesgerichts zu Recht die Bestellung eines Pflichtverteidigers abgelehnt.

11Unbedeutend hierfür ist, dass dem Verurteilten im Zuge der Entscheidung über die Aussetzung des Strafrests zur Bewährung zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt im Jahr 2023 ein – derzeit nicht mehr aktiver – Pflichtverteidiger bestellt worden war. Denn die damalige Beiordnung wirkt nicht fort. Im Vollstreckungsverfahren gilt die Bestellung eines Pflichtverteidigers vielmehr nur für den jeweiligen Verfahrensabschnitt, also hier das konkrete Überprüfungsverfahren der Voraussetzungen für die bedingte Strafaussetzung, und nicht für die gesamte Straf- oder Maßregelvollstreckung bis zur Entlassung des Verurteilten (, NStZ-RR 2002, 63, 64; Hanseatisches , StraFo 2020, 198, 199 mwN; Schmitt/Köhler/Schmitt, StPO, 68. Aufl., § 140 Rn. 33). Maßgebend ist somit, ob das durch den aktuellen Antrag auf vorzeitige Entlassung in Gang gesetzte Prüfverfahren die Voraussetzungen von § 140 Abs. 2 StPO erfüllt. Dies ist zu verneinen.

12Die Sach- und Rechtslage weist keine besonderen Schwierigkeiten auf. Es handelt sich nicht nur um einen typischen Fall der Prüfung der Voraussetzungen für eine Reststrafenaussetzung zur Bewährung nach Verbüßung von über zwei Dritteln der verhängten Strafe, sondern es liegt auch die Besonderheit vor, dass über die Frage bereits einmal entschieden worden ist. Entgegen den Ausführungen des Verteidigers in der Rechtsmittelbegründungsschrift ist dieser Umstand eher geeignet, das Verfahren zu vereinfachen.

13Die Dauer der bislang vollstreckten Strafe und der noch zu vollstreckende Strafrest lassen den Fall ebenfalls nicht als so schwerwiegend erscheinen, dass eine Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO notwendig wäre.

14Zudem sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Verurteilte seine Rechte im Vollstreckungsverfahren nicht sachgerecht selbst wahrnehmen kann. Er ist bereits 2012 nach Deutschland eingereist und verfügt ausweislich der Beschlussgründe vom über hinreichende Kenntnisse der deutschen Sprache. Außerdem sind ihm die Verfahrensabläufe bekannt.

15Der Umstand allein, dass der Staatsschutzsenat gemäß § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO ein kriminalprognostisches Gutachten in Auftrag gegeben hat, gebietet eine Pflichtverteidigerbestellung ebenso wenig. Zwar kann die Erörterung eines solchen Gutachtens im Einzelfall eine Beiordnung erfordern, wenn es hierfür besonderer Kenntnisse oder Fähigkeiten bedarf, über die der Verurteilte nicht verfügt (vgl. , NStZ-RR 2022, 357, 358). Derartige Umstände sind hier aber nicht ersichtlich.

16Schließlich ergibt sich die Notwendigkeit einer Pflichtverteidigerbestellung für die anstehende Vollstreckungsentscheidung nicht daraus, dass hier statt einer Strafvollstreckungskammer gemäß § 462a Abs. 5 Satz 1 StPO das Oberlandesgericht zu entscheiden hat (s. hierzu näher , BGHR StPO § 140 Abs. 2 Vollstreckungsverfahren 1 Rn. 13).

Berg                            Anstötz                            Erbguth

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:250625BSTB29.25.0

Fundstelle(n):
EAAAJ-95062