Nichtannahmebeschluss: Unzulässige Verfassungsbeschwerde in einer Asylsache - unzureichende Darlegungen zur Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes
Gesetze: § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 1 Abs 4 S 1 Nr 2 AsylbLG, § 1 Abs 4 S 2 AsylbLG, Art 29 Abs 2 S 2 EUV 604/2013
Instanzenzug: Thüringer Landessozialgericht Az: L 8 AY 222/25 B ER Beschlussvorgehend Az: S 5 AY 108/25 ER Beschluss
Gründe
I.
1 1. Der Beschwerdeführer begehrt im Ausgangsverfahren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs, den er gegen einen auf § 1 Abs. 4 Satz 2 AsylbLG gestützten Aufhebungsbescheid erhoben hat.
2 Der im Jahr 2005 in der Arabischen Republik (…) geborene Beschwerdeführer verließ sein Heimatland im Jahr 2021 und lebte zunächst in (…). Im November 2023 reiste er nach (…) ein, wo er am einen Asylantrag stellte. Am reiste er nach Deutschland ein und stellte dort abermals einen Asylantrag. Dort wurde er dem (…)-Kreis zugewiesen.
3 Am richtete die Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage der Dublin III-Verordnung ein Übernahmeersuchen an (…). Mit Schreiben vom erklärten die (…) Behörden gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dass sie ihre örtliche Zuständigkeit für gegeben hielten. Mit Bescheid vom lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag daraufhin als unzulässig ab, ordnete die Abschiebung des Beschwerdeführers nach (…) an und stellte fest, dass Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG nicht vorlägen.
4 Ein für den um 5:00 Uhr morgens geplanter Überstellungsversuch scheiterte, weil der Beschwerdeführer sich zum Zeitpunkt des Zugriffs nicht in der Unterkunft aufhielt. Am fertigte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Aktenvermerk, wonach sich die Frist für die Überstellung nach (…) vom auf den verlängere, weil der Beschwerdeführer flüchtig beziehungsweise unbekannten Aufenthaltes sei.
5 Gestützt auf § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG hob der (…)-Kreis in der Folge durch Bescheid vom die Leistungsbewilligung mit Wirkung zum auf und bewilligte dem Beschwerdeführer für die Zeit vom bis zum Überbrückungsleistungen nach § 1 Abs. 4 Satz 2 AsylbLG in Höhe von 94,39 Euro. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies das Land (…) mit Widerspruchsbescheid vom zurück. Die unter dem Datum des erhobene Klage ist noch anhängig.
6 Den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines gegen den Aufhebungsbescheid erhobenen Widerspruchs hat das Sozialgericht mit Beschluss vom - S 5 AY 108/25 ER - abgelehnt. Die hiergegen zum Landessozialgericht erhobene Beschwerde hat das Landessozialgericht mit Beschluss vom - L 8 AY 222/25 B ER - zurückgewiesen.
7 2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG sowie von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Die Gerichte hätten die Erfolgsaussichten intensiver prüfen müssen. Die Notwendigkeit dazu folge einerseits aus der drohenden Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, andererseits aus der unklaren Vereinbarkeit von § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG mit Art. 17 Abs. 2 der Aufnahme-Richtlinie 2013/33/EU. Zu dem gescheiterten Überstellungsversuch am trägt der Beschwerdeführer vor, er habe Zeit bei Freunden verbracht, und sei nicht verpflichtet, sich ständig in der Aufnahmeeinrichtung aufzuhalten und ständig kurzfristig binnen weniger Stunden erreichbar zu sein.
8 3. Ebenfalls hat der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.
II.
9 Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie unzulässig ist.
10 1. Es kann offenbleiben, ob das Landessozialgericht seine Auffassung, die gegen die Aufhebung der Leistungsbewilligung gerichtete Klage werde voraussichtlich keinen Erfolg haben, mit Blick darauf im Einklang mit den sich aus Art. 19 Abs. 4 GG entsprechenden Anforderungen begründet hat, dass der Beschwerdeführer eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung existenzsichernder Leistungen aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG geltend macht (vgl. BVerfGK 5, 237 <242 f.>) und eine vom Europäischen Gerichtshof noch nicht geklärte unionsrechtliche Frage aufwirft (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1872/17 -, Rn. 20). Auch kommt es nicht darauf an, ob das Landessozialgericht die Anforderungen an die von dem Beschwerdeführer zu verlangenden Darlegungen im Widerspruch zu Art. 19 Abs. 4 GG überspannt hat, soweit es sich auch darauf stützt, es sei nicht ausreichend dargelegt, dass der Beschwerdeführer nicht zwischenzeitlich im Sinne von § 1 Abs. 3 Satz 1 Var. 1 AsylbLG aus Deutschland ausgereist sei. Denn der Beschwerdeführer hat nicht ausreichend dazu vorgetragen, dass die Anforderungen des Subsidiaritätsgrundsatzes gewahrt sind.
11 a) Der in § 90 Abs. 2 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität verlangt, dass alle nach Lage der Dinge zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen sind, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung schon im fachgerichtlichen Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 107, 395 <414>; 134, 106 <115 Rn. 27>; 158, 170 <199 Rn. 68 f.>; stRspr). Das gilt auch, wenn zweifelhaft ist, ob ein entsprechender Rechtsbehelf statthaft ist und im konkreten Fall in zulässiger Weise eingelegt werden kann (BVerfGE 169, 130 <156 Rn. 40>; 169, 332 <359 f. Rn. 62>; stRspr). Die Beachtung der aus dem Grundsatz der Subsidiarität folgenden Anforderungen muss die Verfassungsbeschwerde, wenn sie nicht offensichtlich gewahrt sind, gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG substantiiert darlegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1491/23 -, Rn. 37 m.w.N.).
12 b) Daran fehlt es. Der Beschwerdeführer hat sich nicht mit der Möglichkeit auseinandergesetzt, vor dem zuständigen Verwaltungsgericht vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 123 VwGO gegen eine (zukünftige) Überstellung nach (…) zu erwirken und auf der Grundlage eines stattgebenden Beschlusses wiederum einen Änderungsantrag nach § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG zu stellen. Die Stellung eines solchen Änderungsantrags hat Vorrang vor der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde (vgl. zu § 80 Abs. 7 VwGO BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 487/25 -, Rn. 2 ff.).
13 Nach dem Vortrag des Beschwerdeführers in der Verfassungsbeschwerde ist der Überstellungsversuch am deshalb gescheitert, weil er sich an diesem Tag bei Freunden aufgehalten habe, ohne die Residenzpflicht nach § 47 Abs. 1 AsylG verletzt zu haben. Ausgehend davon erscheint es zumindest möglich, dass der Beschwerdeführer nicht "flüchtig" i.S.v. Art. 29 Abs. 2 Satz 2 der Dublin III-Verordnung war, als er bei dem Überstellungsversuch am Morgen des nicht angetroffen werden konnte, und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge deshalb möglicherweise zu Unrecht davon ausging, die Überstellungsfrist bis zum verlängern zu können. Flüchtigkeit setzt voraus, dass der Betroffene sich dem behördlichen Zugriff gezielt entzieht; dies kann angenommen werden, wenn die Überstellung nicht durchgeführt werden kann, weil der Antragsteller die ihm zugewiesene Wohnung verlassen hat, ohne die zuständigen nationalen Behörden über seine Abwesenheit zu informieren, sofern er über die ihm insoweit obliegenden Pflichten unterrichtet wurde, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat (vgl. EuGH, Jawo, , C-163/17, EU:C:2019:218, Rn. 56; 1 C 42.20 -, juris, Rn. 25; Urteil vom - 1 C 26.20 -, juris, Rn. 20 f.). Ein einmaliges Nichtantreffen in der Wohnung oder Unterkunft reicht nicht für die Annahme aus, ein Asylsuchender sei flüchtig (vgl. 1 C 26.20 -, juris, Rn. 23). Anhaltspunkte für eine Flüchtigkeit in diesem Sinne enthält der Vortrag in der Verfassungsbeschwerde nicht.
14 Zur Wahrung der Subsidiaritätsanforderungen hätte der Beschwerdeführer daher dazu vortragen müssen, inwiefern es ihm nicht möglich gewesen wäre, das Verstreichen der Überstellungsfrist und einen Zuständigkeitsübergang auf die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 29 Abs. 1 UAbs. 1, Abs. 2 Satz 1 der Dublin III-Verordnung im Wege eines Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO vor dem zuständigen Verwaltungsgericht mit der Folge einstweiliger Untersagung einer (zukünftigen) Überstellung nach (...) geltend zu machen (vgl. aus jüngerer Zeit M 10 S 23.51083 -, juris; vgl. auch Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom - 19 CE 23.608 -, juris, Rn. 6). Weiter hätte es näherer Darlegungen bedurft, ob der Beschwerdeführer im Falle einer stattgebenden verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht mit Erfolg einen Änderungsantrag nach § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG hätte stellen können (vgl. dazu -, juris, Rn. 24 ff.). Dazu verhält sich der Beschwerdeführer nicht.
15 3. Von einer weiteren Begründung der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
16 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20250630.1bvr120025
Fundstelle(n):
TAAAJ-94983