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BSG Urteil v. - B 12 R 11/22 R

Versicherungspflicht bzw -freiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung bei Beziehern von Arbeitslosengeld, denen rückwirkend eine vorgezogene Altersvollrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bewilligt wird und die von der Bundesagentur für Arbeit bis zum Beginn der laufenden Rentenzahlung weiter Arbeitslosengeld erhalten

Gesetze: § 156 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB 3, § 335 Abs 2 SGB 3, § 24 SGB 4, § 26 Abs 2 SGB 4, § 3 S 1 Nr 3 Halbs 1 SGB 6, § 5 Abs 4 S 1 Nr 1 SGB 6, § 212a SGB 6

Instanzenzug: Az: S 3 BA 118/20 Urteilvorgehend Bayerisches Landessozialgericht Az: L 14 R 622/21 Urteil

Tatbestand

1Zwischen den Beteiligten ist die Nachforderung von Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) in Höhe von 24 745,63 Euro zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von 2437,50 Euro im Rahmen einer Prüfung nach § 212a SGB VI streitig.

2Die klagende Bundesagentur für Arbeit (BA) leistete Arbeitslosengeld an die zu 1. bis 33. beigeladenen Versicherten (im Folgenden: Beigeladene), die während des Bezugs einen Antrag auf eine vorgezogene Altersrente stellten. Bis zur Bekanntgabe des jeweiligen Bescheids über die rückwirkende Bewilligung vorgezogener Altersrenten an die Klägerin zahlte diese Beiträge zur GRV aus dem Arbeitslosengeld. Ab Bekanntgabe des jeweiligen Rentenbescheids bis zum tatsächlichen Beginn der Rentenzahlung gewährte sie das Arbeitslosengeld weiter. Beiträge zur Rentenversicherung entrichtete sie aber ab diesem Zeitpunkt nicht mehr. Hinsichtlich des bis zum tatsächlichen Beginn der Rentenzahlung geleisteten Arbeitslosengeldes machte sie einen Erstattungsanspruch bei dem beklagten Rentenversicherungsträger geltend. Die bis zur Bekanntgabe des Rentenbescheids zunächst gezahlten Beiträge verrechnete sie mit der Beklagten automatisch über das EDV-System.

3Die Beklagte stellte aufgrund einer vom bis zum durchgeführten Prüfung der Beitragszahlung gegenüber der Klägerin unter anderem fest, dass die Regelungen zur Verrechnung von Beiträgen nicht beachtet worden seien. Sie forderte Beiträge zur GRV in Höhe von 24 745,63 Euro zuzüglich Säumniszuschlägen in Höhe von 2437,50 Euro nach (Bescheid vom ).

4Das SG hat den Bescheid abgeändert. Hinsichtlich der bisher nicht gezahlten Beiträge zur GRV wegen Arbeitslosengeldbezugs sei die Klage (in Höhe von 11 756,64 Euro zuzüglich 1185,50 Euro Säumniszuschlägen) erfolgreich. Da der Anspruch auf Arbeitslosengeld während der Zeiten ruhe, für die eine vorgezogene Altersrente zuerkannt sei, sei der Anspruch auf Zahlung von Arbeitslosengeld und die Beitragspflicht zum Zeitpunkt der Altersrentengewährung entfallen. Im Übrigen (hinsichtlich der bis zur Bekanntgabe der Rentenbescheide gezahlten Beiträge in Höhe von 12 988,99 Euro zuzüglich 1252 Euro Säumniszuschlägen) hat das SG die Klage abgewiesen (Urteil vom ).

5Klägerin und Beklagte haben Berufung eingelegt. Das LSG hat das Urteil des SG auf die Berufung der Beklagten geändert und die Klage hinsichtlich der Beitragsforderung insgesamt abgewiesen. Im Übrigen hat das LSG die Berufungen der Klägerin und der Beklagten zurückgewiesen. Ein Erstattungsanspruch der Klägerin für Zeiten ab Bekanntgabe der Rentenbescheide bestehe nicht. Die Versicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI unterscheide nicht nach Zeiträumen vor oder nach Bewilligung einer vorgezogenen Altersrente. Zwar sei im Grundsatz ein Nebeneinander von vorgezogener Altersrente und Arbeitslosengeld nicht vorgesehen. Weder aus § 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI noch aus § 5 Abs 4 Nr 1 SGB VI ergebe sich jedoch eine Begrenzung der Versicherungspflicht auf eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit neben einer vorgezogenen Altersrente. Säumniszuschläge seien nur für die Beiträge zu erheben, die auf die Zeit bis zur Bekanntgabe des jeweiligen Rentenbescheids entfielen. Der Klägerin sei bekannt gewesen, dass zum eine Rechtsänderung in § 5 Abs 4 Nr 1 SGB VI eingetreten sei und nun auch Versicherungspflicht für den Bezug von Arbeitslosengeld bei vorgezogenen Altersrenten weiterbestehen könne. Darüber hinaus habe sie wissen müssen, dass eine rückwirkende Änderung der Versicherungspflicht nicht dazu führe, dass es sich dann um zu Unrecht entrichtete Beiträge handele. Daher sei in diesem Fall zumindest von bedingtem Vorsatz auszugehen. Für die Zeit, für die Beiträge nicht gezahlt worden seien, liege hingegen kein Fall der Säumnis vor. Die Klägerin habe aus ihrer Sicht alles dafür getan, um einen Vertrauensschutz der Arbeitslosengeldbezieher auf die Versicherungspflicht nicht eintreten zu lassen. Ihre Unkenntnis von der weiteren Zahlungspflicht sei als unverschuldet anzusehen. Daher könnten die auf diesen Teil entfallenden Säumniszuschläge in Höhe von 1185,50 Euro nicht gefordert werden (Urteil vom ).

6Klägerin und Beklagte haben Revision eingelegt. Die Klägerin rügt eine Verletzung von § 5 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB VI (in der Fassung <idF> ab ), § 156 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB III und § 24 Abs 2 SGB IV. Durch die Änderung des § 5 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB VI ab dem sei die bis zum geltende Versicherungsfreiheit für die Zeit ab Zuerkennung einer vorgezogenen Altersrente nicht entfallen. Der Gesetzgeber habe mit der Änderung flexibles Arbeiten bis zur Regelaltersgrenze fördern wollen. Es sei hingegen nicht bezweckt, den Rentenanspruch durch den Bezug einer Entgeltersatzleistung wie Arbeitslosengeld neben einer vorgezogenen Altersrente zu erhöhen. Dafür spreche auch, dass der Gesetzgeber die Regelung des § 156 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB III über das Ruhen des Arbeitslosengeldes unverändert gelassen habe. Sie sehe sich an die Rechtsprechung des - BSGE 89, 13 = SozR 3-4300 § 142 Nr 1) gebunden und gewähre zur Vermeidung einer Leistungsunterbrechung über den Wortlaut der gesetzlichen Regelung des § 156 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB III hinaus Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom Rentenbeginn bis zum Einsetzen der laufenden Rentenzahlung. Daraus dürfe sich jedoch kein Nachteil für sie ergeben. Säumniszuschläge könnten nur gefordert werden, wenn die Pflicht zur Beitragszahlung abschließend rechtlich geklärt sei.

9Die Beklagte rügt sinngemäß eine Verletzung von § 24 Abs 2 SGB VI und trägt vor, der Klägerin sei auch hinsichtlich der bisher nicht gezahlten Beiträge eine schuldhafte Unkenntnis über die Zahlungspflicht vorzuwerfen. Im Übrigen hält sie das Urteil des LSG für zutreffend.

Gründe

10Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Das LSG hat das Urteil des SG auf die Berufung der Beklagten zu Recht abgeändert und die Klage auch hinsichtlich der Beitragsforderung für bisher nicht gezahlte Beiträge in Höhe von 11 756,64 Euro abgewiesen (hierzu I.). Die Revision der Beklagten ist dagegen begründet. Denn auch hinsichtlich der Säumniszuschläge ist der angefochtene Bescheid vom insgesamt rechtmäßig (hierzu II.).

11I. Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Sie hat aufgrund des Prüfbescheids (hierzu 1.) als Zahlungspflichtige (hierzu 2.) nach dem seit geltenden Recht Rentenversicherungsbeiträge zu tragen, wenn Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines Bewilligungsbescheids bis zum tatsächlichen Zahlungsbeginn einer rückwirkend gewährten vorgezogenen Altersrente geleistet wird (hierzu 3.).

121. Rechtsgrundlage für die Feststellung der Beitragsnachforderung durch Verwaltungsakt ist § 212a Abs 1 SGB VI (idF des Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetzes vom , BGBl I 2458). Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Stellen, die die Pflichtbeiträge für sonstige Versicherte (vgl § 3 SGB VI) sowie für nachversicherte Personen zu zahlen haben (Zahlungspflichtige), ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch im Zusammenhang mit der Zahlung von Pflichtbeiträgen ordnungsgemäß erfüllen (Satz 1); sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (Satz 2). Die Beklagte war danach berechtigt, gegenüber der Klägerin durch Verwaltungsakt die Unrichtigkeit der Beitragszahlungen festzustellen und eine hieraus resultierende Beitragsnachforderung geltend zu machen. Aus § 212a Abs 1 Satz 1 und 2 SGB VI folgt auch ohne ausdrückliche Regelung (vgl zB § 28p Abs 1 Satz 5 SGB IV) die Ermächtigung zum Erlass eines Verwaltungsakts über die Festsetzung der nachzufordernden Beiträge gegenüber der Klägerin, obschon diese, wie auch die Beklagte selbst, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist (§ 367 Abs 1 SGB III idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom , BGBl I 2954). Körperschaften des öffentlichen Rechts sind zwar grundsätzlich gleichgeordnet; aus der Eigenart des Prüfverhältnisses folgt jedoch ein Über-/Unterordnungsverhältnis, sodass die Beklagte hier hoheitlich tätig werden durfte. Ihr allein kommt die Regelungsmacht zu, über die Rentenversicherungspflicht von sonstigen Versicherten iS von § 3 SGB VI verbindlich zu entscheiden und die Beitragszahlung der Leistungsträger zu überwachen (§ 212 SGB VI; vgl - BSGE 132, 86 = SozR 4-2600 § 212a Nr 1, RdNr 14 ff).

132. Die Klägerin ist Zahlungspflichtige iS des § 212a SGB VI. Zahlungspflichtige sind nach der Legaldefinition des § 212a Abs 1 Satz 1 SGB VI Stellen, die ua die Pflichtbeiträge für sonstige Versicherte zu zahlen haben. Die Beiträge für Personen, die Arbeitslosengeld beziehen, werden nach § 170 Abs 1 Nr 2 Buchst b SGB VI (idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom , BGBl I 2848) von der Klägerin als für die Arbeitslosenversicherung zuständige Leistungsträgerin getragen und sind nach § 173 SGB VI (idF des Haushaltsbegleitgesetzes 2011 vom , BGBl I 1885) von ihr als Beitragsschuldnerin unmittelbar an die Träger der Rentenversicherung zu zahlen.

143. Die Beklagte hat gegenüber der Klägerin als Zahlungspflichtige zutreffend die Unrichtigkeit der Beitragszahlung festgestellt. Auf das den Beigeladenen gewährte Arbeitslosengeld fielen jeweils Beiträge zur GRV an (hierzu a). Der Klägerin steht wegen der bis zum Erlass der Rentenbescheide gezahlten Beiträge auch kein Erstattungsanspruch zu (hierzu b). Sie war nicht berechtigt, für die Zeit danach bis zum tatsächlichen Beginn der Rentenzahlungen die Zahlung der GRV-Beiträge zu verweigern (hierzu c).

15a) Die Beigeladenen waren in der Zeit des Arbeitslosengeldbezugs nach § 3 Satz 1 Nr 3 Halbsatz 1 SGB VI (idF des Gesetzes zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf vom , BGBl I 2462) rentenversicherungspflichtig. Danach sind Personen in der Zeit in der GRV versicherungspflichtig, für die sie - wie im Fall der Beigeladenen - von einem Leistungsträger ua Arbeitslosengeld beziehen, wenn sie im letzten Jahr vor Beginn der Leistung zuletzt versicherungspflichtig waren. Maßgeblich ist grundsätzlich der tatsächliche Leistungsbezug und nicht dessen Rechtmäßigkeit. Versicherungsrechtlich wäre daher eine - hier nach den Feststellungen des LSG allerdings nicht durchgeführte - spätere rückwirkende Aufhebung der Leistungsbewilligung unbeachtlich. Sie könnte die an den tatsächlichen Bezug der Leistung geknüpfte Versicherungspflicht nicht nachträglich wieder beseitigen (vgl 8a RK 20/79 - BSGE 51, 100 = SozR 2200 § 381 Nr 43, juris RdNr 20; Nusser in BeckOGK SGB VI, Stand: , § 3 RdNr 25 mwN; Kallert in BeckOGK SGB III, Stand: , § 335 RdNr 4). Die Beigeladenen waren auch im letzten Jahr vor Beginn des Leistungsbezugs versicherungspflichtig. Für die Vorversicherungspflicht genügt es, wenn im letzten Jahr vor Beginn der Entgeltersatzleistung zu irgendeinem Zeitpunkt Versicherungspflicht in der GRV bestanden hat und dies der zeitlich letzte versicherungsrechtliche Status des Leistungsbeziehers vor Beginn der Entgeltersatzleistung war (ausführlich hierzu - BSGE 132, 189 = SozR 4-2600 § 3 Nr 8, RdNr 17 ff; vgl auch Fichte in Hauck/Noftz SGB VI, Stand Juni 2023, § 3 RdNr 79; Knorr in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl 2021 Stand: , § 3 RdNr 219). Gegen die Erfüllung der Vorversicherungspflicht der Beigeladenen hat die Klägerin im Übrigen keine Einwände erhoben.

16Als Bezieher vorgezogener Altersrenten waren die Beigeladenen nicht versicherungsfrei nach § 5 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB VI (idF des Flexirentengesetzes vom , BGBl I 2838). Danach sind seit (nur die) Personen versicherungsfrei, die nach Ablauf des Monats, in dem die Regelaltersgrenze erreicht wurde, eine Vollrente wegen Alters beziehen. Aus dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG ergibt sich, dass die Beigeladenen im hier streitigen Zeitraum die Regelaltersgrenze nicht erreicht hatten.

17Entgegen der Auffassung der Klägerin kann § 5 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB IV nicht dahingehend ausgelegt werden, dass der Bezug von Arbeitslosengeld auch über den hinaus weiterhin versicherungsfrei in der GRV bleibt. Bis zum regelte § 5 Abs 4 Satz 1 Nr 1 SGB VI (idF des Rentenreformgesetzes 1992 vom , BGBl I 2261), dass schon allein der Altersvollrentenbezug zur Versicherungsfreiheit führte. Dies galt unabhängig davon, ob die Regelaltersgrenze bereits erreicht worden war. Auch bei vorgezogenen, vor Erreichen der Regelaltersgrenze bezogenen Altersvollrenten trat also Versicherungsfreiheit ein. Der Wortlaut der Neuregelung ab stellt hingegen klar auf das Erreichen der Regelaltersgrenze als zusätzliche Voraussetzung für das Eintreten von Versicherungsfreiheit neben dem Rentenbezug ab. Auch systematisch ergibt sich dabei keine Begrenzung der Versicherungspflicht auf eine neben dem Rentenbezug ausgeübte Beschäftigung. Zum wurde durch das Flexirentengesetz vom (BGBl I 2838) § 66 Abs 3a SGB VI neu eingefügt. Danach werden Zuschläge an Entgeltpunkten aus Beiträgen nach Beginn einer Rente wegen Alters (vgl § 76d SGB VI idF des Gesetzes zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung vom , BGBl I 2474) mit Ablauf des Kalendermonats des Erreichens der Regelaltersgrenze und anschließend jährlich zum 1.7. berücksichtigt. In diesem Zusammenhang stellt das Gesetz lediglich darauf ab, dass Beiträge nach Beginn einer - auch vorgezogenen - Rente wegen Alters vorliegen, ohne danach zu differenzieren, aus welchem Tatbestand sich die Versicherungspflicht ergibt. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich zwar, dass mit den Gesetzesänderungen durch das Flexirentengesetz (aaO) nach der Vorstellung des Gesetzgebers ein flexiblerer Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand erreicht werden sollte (BT-Drucks 18/9797 S 1 f). Es sollte unter anderem die Möglichkeit geschaffen werden, beim Bezug einer vorgezogenen Vollrente wegen Alters den Rentenanspruch durch eine daneben ausgeübte Beschäftigung zu erhöhen. Dem ist allerdings im Umkehrschluss nicht zwingend zu entnehmen, dass Personen wegen eines anderen, eine Versicherungspflicht nach §§ 1 bis 4 SGB VI begründenden Sachverhalts außerhalb einer Beschäftigung weiterhin versicherungsfrei bleiben sollten.

18Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruhte allerdings während der Zeiten, für die den Beigeladenen ein Anspruch auf eine Altersrente aus der GRV zuerkannt worden war (§ 156 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB III idF des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom , BGBl I 2854). Eine Rente ist in diesem Sinne "zuerkannt", wenn der Leistungsträger infolge der Zuerkennung Leistungen an den Berechtigten zu erbringen hat (vgl - BSGE 89, 13 = SozR 3-4300 § 142 Nr 1 = juris RdNr 22 mwN). Dies war hier mit Erlass der jeweiligen Rentenbescheide der Fall. Das Ruhen wirkte auf den Zeitpunkt des jeweils in den Rentenbescheiden verfügten Rentenbeginns zurück; auf den Zeitpunkt der Aufnahme der regelmäßigen Zahlungen oder den Zeitpunkt einer Nachzahlung kommt es nicht an (vgl - SozR 1300 § 48 Nr 22, juris RdNr 15; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, Stand November 2020, § 156 RdNr 77).

19Der Eintritt des Ruhens lässt die Beitragspflicht jedoch nicht entfallen. Die Zuerkennung einer Altersrente berechtigt die Klägerin grundsätzlich dazu, ihre Bewilligung von Arbeitslosengeld gegebenenfalls rückwirkend aufzuheben (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X; dazu - juris RdNr 21 ff; Scholz in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Aufl 2021, § 156 RdNr 20; Siefert in Eicher/Schlegel, SGB III, Stand April 2023, § 156 RdNr 23; Düe in Brand, SGB III, 9. Aufl 2021, § 156 RdNr 13 f). Eine eventuelle Aufhebungsbefugnis ist aber für die Beitragstragungs- und -zahlungspflicht irrelevant, weil diese an den tatsächlichen und nicht an den rechtmäßigen Bezug des Arbeitslosengelds anknüpft. Soweit die Erfüllungsfiktion nach § 107 SGB X reicht (vgl dazu sogleich), schließt sie ohnehin eine Aufhebung oder Rücknahme der Leistungsbewilligung durch den Leistungsträger (§§ 44 ff SGB X) wegen dessen Erstattungsanspruchs grundsätzlich aus (vgl - juris RdNr 25; - juris RdNr 9; AS 10/21 R - juris RdNr 25; Burkiczak in jurisPK-SGB X, 3. Aufl 2023 Stand ?, § 107 RdNr 36 f; vgl auch Becker in Hauck/Noftz, SGB X, Stand August 2022, vor §§ 102 ff RdNr 107b). Die Ruhensregelung verfolgt insoweit auch den Zweck, nahtlose Leistungen verschiedener Sozialleistungsträger zu gewährleisten ( - BSGE 89, 13 = SozR 3-4300 § 142 Nr 1, juris RdNr 22).

20b) Der Klägerin steht wegen der bis zum Erlass der Rentenbescheide gezahlten GRV-Beiträge auch kein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zu. Ein solcher ergibt sich weder aus § 335 Abs 2 SGB III (hierzu aa) noch aus § 26 Abs 2 SGB IV (hierzu bb).

21aa) Gemäß § 335 Abs 2 Satz 1 SGB III (idF des Arbeitslosenversicherungsschutz- und Weiterbildungsstärkungsgesetzes vom , BGBl I 1710) sind Beiträge für wegen Bezugs von Arbeitslosengeld Versicherungspflichtige nach § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V, denen - wie hier - eine Rente aus der GRV gewährt worden ist, der BA vom Träger der Rentenversicherung zu ersetzen, wenn und soweit wegen der Gewährung von Arbeitslosengeld ein Erstattungsanspruch der BA gegen den Träger der Rentenversicherung besteht. Schon das Bestehen eines Erstattungsanspruchs nach § 103 Abs 1 SGB X, nicht erst dessen Realisierung, führt dabei zur fiktiven Erfüllung des Anspruchs des Berechtigten gegenüber dem verpflichteten Leistungsträger (§ 107 Abs 1 SGB X). § 335 Abs 2 SGB III ist ein Annex zu einem nach §§ 102 ff SGB X bestehenden Erstattungsanspruch (vgl - SozR 4-1300 § 104 Nr 5 RdNr 49; Kallert in BeckOGK SGB III, Stand: , § 335, RdNr 27). Der Erstattungsanspruch nach §§ 102 ff SGB X hinsichtlich der Hauptleistung umfasst Beitragsaufwendungen nicht. Daher sieht § 335 Abs 2 SGB III einen öffentlich-rechtlichen Ersatzanspruch der Klägerin gegen Träger der GRV vor, wenn diese rückwirkend Rente und damit im Verhältnis zum Arbeitslosengeld vorrangige Leistungen bewilligen (vgl BT-Drucks 13/8994 S 65 unter Bezugnahme auf - juris RdNr 26).

22Der Erstattungsanspruch umfasst indes nur Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung, aber nicht auch Beiträge zur GRV (Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB III, Stand November 2023, § 335 RdNr 210), wie sie vorliegend im Streit stehen. Dies deckt sich auch mit den zu §§ 102 ff SGB X anerkannten Grundsätzen. Danach wird das Erstattungsrecht hinsichtlich des Erstattungsumfangs von zwei "Eckpfeilern" bestimmt: Zum einen soll der erstattungsberechtigte Leistungsträger im Wege des Erstattungsanspruchs nicht mehr erhalten können, als er selbst dem Sozialleistungsempfänger an Leistungen erbracht hat. Zum anderen soll aber - abgesehen von der Sonderregelung in § 102 Abs 2 SGB X - der erstattungspflichtige Leistungsträger nicht mehr erstatten müssen, als er nach dem für ihn maßgebenden Recht zu leisten gehabt hätte (vgl §§ 103 Abs 2, 104 Abs 3, 105 Abs 2 und vor allem § 106 Abs 3 SGB X). Die Höhe des Erstattungsanspruchs ist also begrenzt durch das, was der erstattungspflichtige Träger jeweils selbst hätte erbringen müssen. Er hat grundsätzlich nicht mehr zu erstatten, als er unmittelbar dem Berechtigten gegenüber zu leisten gehabt hätte ( - SozR 4-3100 § 18c Nr 2 RdNr 45). Nach diesen Maßstäben scheidet eine Erstattung der GRV-Beiträge durch die Beklagte aus, weil diese auf die Altersrenten der Beigeladenen ihrerseits keine solchen Beiträge zu entrichten hatte.

23bb) Beiträge zur GRV könnte die BA allenfalls nach § 26 Abs 2 SGB IV (idF der Bekanntmachung der Neufassung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch vom , BGBl I 3710) als "zu Unrecht" erstattet verlangen (vgl Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB III, Stand November 2023, § 335 RdNr 210; vgl auch Kallert in BeckOGK SGB III, Stand: , § 335, RdNr 34; wohl auch B 7a AL 70/05 R - SozR 4-4100 § 106 Nr 1 RdNr 21: "nach Aufhebung der Bewilligungsbescheide"). Dessen Voraussetzungen liegen indes - ungeachtet des Umstands, dass auch eine spätere Aufhebung der Arbeitslosengeldbewilligung grundsätzlich nichts am Bestehen der Versicherungspflicht ändert und eine Aufhebung im Anwendungsbereich des § 107 SGB X ohnehin gesperrt ist - schon deshalb nicht vor, weil die Klägerin ihre Bescheide über die Bewilligung von Arbeitslosengeld vorliegend nach den Feststellungen des LSG nicht aufgehoben hat (vgl § 39 Abs 2 SGB X).

24Es kann insoweit dahinstehen, ob der Klägerin aufgrund der von der Aufhebung der Leistungsbewilligung abhängigen Rechtsposition eines Erstattungsanspruchs der RV-Beiträge eine Aufhebungsbefugnis gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X zukommt. Die Regelung zur Erstattung von Beiträgen zur GKV und sozialen Pflegeversicherung in § 335 Abs 2 SGB III wurde geschaffen, um solche nur wegen der Nebenleistung erforderlichen Aufhebungsbescheide, die keinen Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X wegen der Hauptleistung auslösen, zu vermeiden (vgl BT-Drucks 13/8994 S 65 unter Bezugnahme auf ).

25c) Aus den vorgenannten systematischen Gründen war die Klägerin de lege lata auch nicht berechtigt, die Weiterzahlung der GRV-Beiträge ab Erlass der Rentenbescheide zu verweigern. Denn die Beitragspflicht knüpft - wie ausgeführt - allein an den tatsächlichen Bezug des Arbeitslosengelds an, das die Klägerin hier zur Gewährleistung einer nahtlosen Leistungsgewährung verschiedener Sozialleistungsträger im Sinne der Rechtsprechung des 11. Senats ( - BSGE 89, 13 = SozR 3-4300 § 142 Nr 1, juris RdNr 22) bis zum tatsächlichen Beginn der Rentenzahlungen weitergewährt hat.

26Der Sinn und Zweck der maßgebenden gesetzlichen Regelungen steht dem nicht entgegen. Zwar bringt die Ruhensregelung des § 156 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB III die typisierende Wertung zum Ausdruck, dass derjenige, der eine vorgezogene Rente wegen Alters bezieht, regelmäßig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden und durch entsprechende Versicherungsleistungen versorgt ist und der Arbeitsvermittlung nicht mehr zur Verfügung steht (BT-Drucks V/2291 S 57; - BSGE 81, 134 = SozR 3-4100 § 142 Nr 2, juris RdNr 22). Allerdings hat der Gesetzgeber hier durch das Flexirentengesetz gerade insoweit umgesteuert, als unter anderem das flexible Arbeiten bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze erleichtert und gefördert werden soll (BT-Drucks 18/9787 S 1 f).

27II. Zu Recht hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid auch Säumniszuschläge in Höhe von 2437,50 Euro festgesetzt. Die zulässige Revision der Beklagten hinsichtlich der auf die Zeit nach Einstellung der Beitragszahlung entfallenden Säumniszuschläge in Höhe von 1185,50 Euro hat daher Erfolg.

28Gemäß § 24 SGB IV (idF der Bekanntmachung der Neufassung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch vom , BGBl I 3710) ist für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstags gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des rückständigen, auf 50 Euro nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen (Abs 1 Satz 1). Dies gilt auch dann, wenn rückständige Beiträge von Sozialversicherungsträgern gefordert werden ( - BSGE 132, 189 = SozR 4-2600 § 3 Nr 8, RdNr 30). Säumniszuschläge sind (nur dann) nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte (Abs 2). Die fehlende Kenntnis von der Zahlungspflicht ist dann unverschuldet, wenn dem Beitragsschuldner nicht zumindest bedingter Vorsatz vorzuwerfen ist. Er darf seine Zahlungspflicht nicht für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben ( - BSGE 127, 125 = SozR 4-2400 § 24 Nr 8, RdNr 13 ff).

29Ausgehend von den Feststellungen des LSG kann die Klägerin sich danach nicht exkulpieren. Der Klägerin war nach den Feststellungen des LSG die zum eingetretene Rechtsänderung bewusst und ihr war bekannt, dass nun auch Versicherungspflicht für den Bezug von Arbeitslosengeld bei vorgezogenen Altersrenten weiterbestehen kann. Dass sie trotz der Anknüpfung der Versicherungsfreiheit an das Erreichen der Regelaltersgrenze rechtsirrig von einer Versicherungsfreiheit über den hinaus ausgegangen ist, vermag die unverschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht nicht zu begründen. Dahinstehen kann daher, ob sich ein an Gesetz und Recht gebundener zuständiger Träger öffentlicher Gewalt (Art 20 Abs 3 GG) zur Exkulpation überhaupt auf einen Rechtsirrtum stützen kann (vgl bereits - BSGE 136, 26 = SozR 4-2400 § 23 Nr 1, RdNr 28).

30III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1, Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 1, § 162 Abs 3 VwGO.

31IV. Der Streitwert war nach § 197a Abs 1 Satz 1, Teilsatz 1 SGG iVm § 52 Abs 1 und Abs 3 Satz 1, § 47 Abs 1 Satz 1 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 GKG in Höhe der streitigen Forderung festzusetzen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2024:121224UB12R1122R0

Fundstelle(n):
IAAAJ-94978