Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen – Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 – Art. 25 Abs. 1 – Gerichtsstandsvereinbarung – Beurteilung der Gültigkeit der Vereinbarung – Ungenauigkeit und Unausgewogenheit – Anwendbares Recht – Wendung ‚materiell nichtig‘
Leitsatz
Art. 25 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
ist dahin auszulegen, dass
im Rahmen der Beurteilung der Gültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung Rügen, die sich auf die behauptete Ungenauigkeit oder Unausgewogenheit dieser Vereinbarung beziehen, nicht anhand der gemäß dieser Bestimmung im Recht der Mitgliedstaaten definierten Kriterien betreffend die Gründe der „materiellen Nichtigkeit“ dieser Vereinbarung zu prüfen sind, sondern anhand eigenständiger Kriterien, die sich aus diesem Artikel ergeben.
Art. 25 Abs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 1215/2012
ist dahin auszulegen, dass
eine Gerichtsstandsvereinbarung, nach der eine der Parteien nur das in ihr bezeichnete Gericht anrufen kann, während sie es der anderen Partei gestattet, neben diesem Gericht auch jedes andere zuständige Gericht anzurufen, gültig ist, sofern sie erstens die Gerichte eines oder mehrerer Staaten bezeichnet, die entweder Mitglieder der Europäischen Union sind oder Vertragsstaaten des am unterzeichneten Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, dessen Abschluss im Namen der Europäischen Gemeinschaft durch den Beschluss 2009/430/EG des Rates vom genehmigt wurde, zweitens objektive Kriterien nennt, die so genau sind, dass das angerufene Gericht feststellen kann, ob es zuständig ist, und drittens nicht gegen die Art. 15, 19 oder 23 dieser Verordnung verstößt und nicht von einer ausschließlichen Zuständigkeit nach Art. 24 dieser Verordnung abweicht.
Gesetze: VO (EU) Nr. 1215/2012 Art. 25 Abs. 1, VO (EU) Nr. 1215/2012 Art. 25 Abs. 4
Gründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 25 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1, im Folgenden: Brüssel‑Ia-Verordnung).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Società Italiana Lastre SpA (SIL) (im Folgenden: SIL), einer Gesellschaft italienischen Rechts, und der Agora SARL, einer Gesellschaft französischen Rechts, über die Zuständigkeit der französischen Gerichte für die Entscheidung über die Streitverkündung von Agora gegen SIL im Rahmen einer gegen diese beiden Gesellschaften erhobenen Haftungs- und Schadensersatzklage.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom
3 Art. 5 Abs. 1 des am unterzeichneten Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen vom , das im Namen der Europäischen Union durch den Beschluss 2014/887/EU des Rates vom (ABl. 2014, L 353, S. 5) genehmigt wurde, bestimmt:
„Das Gericht oder die Gerichte eines Vertragsstaats, die in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung benannt sind, sind zuständig für die Entscheidung eines Rechtsstreits, für den die Vereinbarung gilt, es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Staates ungültig.“
Lugano‑II-Übereinkommen
4 Art. 1 des am unterzeichneten Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: Lugano‑II-Übereinkommen), dessen Abschluss im Namen der Europäischen Gemeinschaft durch den Beschluss 2009/430/EG des Rates vom (ABl. 2009, L 147, S. 1) genehmigt wurde, sieht vor:
„(1) Dieses Übereinkommen ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Es erfasst insbesondere nicht Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten.
…
(3) In diesem Übereinkommen bezeichnet der Ausdruck ‚durch dieses Übereinkommen gebundener Staat‘ jeden Staat, der Vertragspartei dieses Übereinkommens oder ein Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft ist. Er kann auch die Europäische Gemeinschaft bezeichnen.“
5 Titel II („Zuständigkeit“) des Übereinkommens umfasst u.a. dessen Abschnitte 1 und 2, in denen die allgemeinen bzw. die besonderen Zuständigkeitsvorschriften enthalten sind.
6 Art. 23 Abs. 1 des Übereinkommens bestimmt: „Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines durch dieses Übereinkommen gebundenen Staates hat, vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines durch dieses Übereinkommen gebundenen Staates über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Staates zuständig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Eine solche Gerichtsvereinbarung muss geschlossen werden
schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung,
in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind, oder
im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten.“
Unionsrecht
Brüsseler Übereinkommen
7 Art. 17 des Übereinkommens vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung der aufeinanderfolgenden Übereinkommen über den Beitritt neuer Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen) sah vor:
„Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Vertragsstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Staates ausschließlich zuständig. Eine solche Gerichtsvereinbarung muss geschlossen werden
schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung,
in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind, oder
im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten.
…
Ist eine Gerichtsstandsvereinbarung nur zugunsten einer der Parteien getroffen worden, so behält diese das Recht, jedes andere Gericht anzurufen, das aufgrund dieses Übereinkommens zuständig ist.
…“
Brüssel‑I-Verordnung
8 Art. 23 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1, im Folgenden: Brüssel‑I-Verordnung) bestimmte:
„Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Eine solche Gerichtsvereinbarung muss geschlossen werden
schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung,
in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind, oder
im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten.“
Brüssel‑Ia-Verordnung
9 In den Erwägungsgründen 4, 6, 15, 16 und 18 bis 20 der Brüssel‑Ia-Verordnung heißt es:
… Es ist daher unerlässlich, Bestimmungen zu erlassen, um die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen und eine rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zu gewährleisten, die in einem Mitgliedstaat ergangen sind.
Um den angestrebten freien Verkehr der Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zu verwirklichen, ist es erforderlich und angemessen, dass die Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Wege eines Unionsrechtsakts festgelegt werden, der verbindlich und unmittelbar anwendbar ist.
Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.
Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte. …
Bei Versicherungs‑, Verbraucher- und Arbeitsverträgen sollte die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung.
Vorbehaltlich der in dieser Verordnung festgelegten ausschließlichen Zuständigkeiten sollte die Vertragsfreiheit der Parteien hinsichtlich der Wahl des Gerichtsstands, außer bei Versicherungs‑, Verbraucher- und Arbeitsverträgen, wo nur eine begrenztere Vertragsfreiheit zulässig ist, gewahrt werden.
Stellt sich die Frage, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats materiell nichtig ist, so sollte sie nach dem Recht einschließlich des Kollisionsrechts des Mitgliedstaats des Gerichts oder der Gerichte entschieden werden, die in der Vereinbarung bezeichnet sind.“
10 Art. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung bestimmt:
„(1) Diese Verordnung ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Sie gilt insbesondere nicht für Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten oder die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (acta iure imperii).
(2) Sie ist nicht anzuwenden auf:
den Personenstand, die Rechts- und Handlungsfähigkeit sowie die gesetzliche Vertretung von natürlichen Personen, die ehelichen Güterstände oder Güterstände aufgrund von Verhältnissen, die nach dem auf diese Verhältnisse anzuwendenden Recht mit der Ehe vergleichbare Wirkungen entfalten,
Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren,
die soziale Sicherheit,
die Schiedsgerichtsbarkeit,
Unterhaltspflichten, die auf einem Familien‑, Verwandtschafts- oder eherechtlichen Verhältnis oder auf Schwägerschaft beruhen,
das Gebiet des Testaments- und Erbrechts, einschließlich Unterhaltspflichten, die mit dem Tod entstehen.“
11 Kapitel II („Zuständigkeit“) der Brüssel‑Ia-Verordnung umfasst u.a. die Abschnitte 1 bis 5 und 7 mit den Überschriften „Allgemeine Bestimmungen“, „Besondere Zuständigkeiten“, „Zuständigkeit für Versicherungssachen“, „Zuständigkeit bei Verbrauchersachen“, „Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge“ bzw. „Vereinbarung über die Zuständigkeit“.
12 Art. 15 der Brüssel‑Ia-Verordnung in deren Kapitel II Abschnitt 3 sieht vor:
„Von den Vorschriften dieses Abschnitts kann im Wege der Vereinbarung nur abgewichen werden,
…
wenn sie dem Versicherungsnehmer, Versicherten oder Begünstigten die Befugnis einräumt, andere als die in diesem Abschnitt angeführten Gerichte anzurufen,
…“
13 Art. 19 der Brüssel‑Ia-Verordnung, der in deren Kapitel II Abschnitt 4 enthalten ist, bestimmt:
„Von den Vorschriften dieses Abschnitts kann im Wege der Vereinbarung nur abgewichen werden,
…
wenn sie dem Verbraucher die Befugnis einräumt, andere als die in diesem Abschnitt angeführten Gerichte anzurufen, …
…“
14 Art. 23 der Brüssel‑Ia-Verordnung in deren Kapitel II Abschnitt 5 sieht vor:
„Von den Vorschriften dieses Abschnitts kann im Wege der Vereinbarung nur abgewichen werden,
…
wenn sie dem Arbeitnehmer die Befugnis einräumt, andere als die in diesem Abschnitt angeführten Gerichte anzurufen.“
15 Art. 25 der Brüssel‑Ia-Verordnung in deren Kapitel II Abschnitt 7 bestimmt:
„(1) Haben die Parteien unabhängig von ihrem Wohnsitz vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig, es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell nichtig. Dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats sind ausschließlich zuständig, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Die Gerichtsstandsvereinbarung muss geschlossen werden:
schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung,
in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind, oder
im internationalen Handel in einer Form, die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten oder kennen mussten und den Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen und regelmäßig beachten.
…
(4) Gerichtsstandsvereinbarungen und entsprechende Bestimmungen in Trust-Bedingungen haben keine rechtliche Wirkung, wenn sie den Vorschriften der Artikel 15, 19 oder 23 zuwiderlaufen oder wenn die Gerichte, deren Zuständigkeit abbedungen wird, aufgrund des Artikels 24 ausschließlich zuständig sind.
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
16 Für die Erbringung einer von zwei natürlichen Personen als Bauherren in Auftrag gegebenen Werkleistung schloss Agora mit SIL einen Vertrag über die Lieferung von Verkleidungspaneelen.
17 Dieser Liefervertrag enthielt eine Gerichtsstandsvereinbarung (im Folgenden: in Rede stehende Gerichtsstandsvereinbarung), die vorsah: „Das Gericht Brescia [(Italien)] ist für jeden Rechtsstreit zuständig, der aus oder in Zusammenhang mit dem vorliegenden Vertrag entsteht. [SIL] behält sich die Möglichkeit vor, gegen den Käufer vor einem anderen zuständigen Gericht in Italien oder im Ausland vorzugehen.“
18 Nachdem die Bauherren Unregelmäßigkeiten bei der Ausführung der in Rede stehenden Werkleistung festgestellt hatten, verklagten sie im November 2019 und im Januar 2020 u.a. Agora und SIL vor dem Tribunal de grande instance de Rennes (Großinstanzgericht Rennes, Frankreich) auf Haftung und Schadensersatz.
19 Agora verkündete SIL den Streit. Auf der Grundlage der in Rede stehenden Gerichtsstandsvereinbarung trat SIL dieser Streitverkündung mit der Einrede der internationalen Unzuständigkeit des französischen Gerichts entgegen.
20 Mit Beschluss vom wies das Tribunal de grande instance de Rennes (Großinstanzgericht Rennes) diese Unzuständigkeitseinrede zurück. SIL legte gegen diese Entscheidung Berufung ein.
21 Mit Urteil vom bestätigte die Cour d’appel de Rennes (Berufungsgericht Rennes, Frankreich), ohne die Gültigkeit der fraglichen Gerichtsstandsklausel nach italienischem Recht zu prüfen, diese Entscheidung mit der Begründung, dass die in Rede stehende Gerichtsstandsvereinbarung rechtswidrig sei, da sie SIL eine größere Wahl von Gerichten gebe als Agora, ohne die objektiven Kriterien anzugeben, auf die sich die Parteien geeinigt hätten, um das Gericht zu bestimmen, das angerufen werden könne, so dass sie SIL ein Auswahlermessen gebe, das mit dem von Gerichtsstandsklauseln zu erfüllenden Ziel der Vorhersehbarkeit unvereinbar sei.
22 SIL legte gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde bei der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich), dem vorlegenden Gericht, ein. SIL machte geltend, die Cour d’appel de Rennes (Berufungsgericht Rennes) habe gegen Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung verstoßen, da die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Recht des Mitgliedstaats zu beurteilen sei, dessen Gerichte nach dieser Vereinbarung bestimmt würden, und somit im vorliegenden Fall nach italienischem und nicht nach französischem Recht.
23 Insoweit fragt sich das vorlegende Gericht nach der genauen Tragweite von Art. 25 Abs. 1 Satz 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung, soweit diese Bestimmung im Wesentlichen vorsieht, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung grundsätzlich ihre Wirkungen entfalten muss, es sei denn, sie ist „nach dem Recht [des Mitgliedstaats, dessen Gerichte in dieser Vereinbarung bestimmt sind,] materiell nichtig“.
24 Im vorliegenden Fall stelle sich zunächst die Frage, ob die Gültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung, die wegen ihrer behaupteten Ungenauigkeit oder Unausgewogenheit in Zweifel gezogen werde, anhand eigenständiger, Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung zu entnehmender Kriterien sowie der mit dieser Verordnung verfolgten Ziele der Vorhersehbarkeit und der Rechtssicherheit zu prüfen sei oder ob diese Prüfung anhand der Kriterien betreffend die Gründe der „materiellen Nichtigkeit“ einer solchen Vereinbarung vorzunehmen sei, mit der Folge, dass diese Gültigkeit nach Art. 25 Abs. 1 Satz 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung nach dem Recht des Mitgliedstaats des in der betreffenden Vereinbarung bezeichneten Gerichts zu beurteilen sei. In diesem Zusammenhang möchte das vorlegende Gericht insbesondere wissen, ob die Wendung „materiell nichtig“ restriktiv auszulegen ist, so dass sich die Gründe für eine solche Nichtigkeit auf Betrug, Irrtum, arglistiges Verhalten, Nötigung und Geschäftsunfähigkeit beschränken.
25 Sodann möchte das vorlegende Gericht für den Fall, dass die Gültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung, die wegen ihrer behaupteten Ungenauigkeit oder Unausgewogenheit in Zweifel gezogen wird, anhand eigenständiger Kriterien aus Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung sowie der mit dieser Verordnung verfolgten Ziele der Vorhersehbarkeit und der Rechtssicherheit zu beurteilen sein sollte, wissen, ob diese Bestimmung dahin auszulegen ist, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung, die eine der Parteien zwingt, nur das in ihr bezeichnete Gericht anzurufen, während sie es der anderen Partei erlaubt, außer diesem Gericht auch jedes andere zuständige Gericht anzurufen, gültig ist.
26 Schließlich möchte das vorlegende Gericht für den Fall, dass die Gültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung, die wegen ihrer behaupteten Unausgewogenheit in Zweifel gezogen wird, anhand der Kriterien betreffend die Gründe der „materiellen“ Nichtigkeit dieser Vereinbarung im Sinne dieser Bestimmung zu prüfen sein sollte, wissen, nach welchem nationalen Recht diese Gültigkeit zu beurteilen ist, wenn eine der Parteien nach dieser Vereinbarung die Gerichte mehrerer Staaten anrufen kann und diese Partei bis zum Tag der Befassung des Gerichts noch keine Wahl getroffen hat.
27 Unter diesen Umständen hat die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist bei einer asymmetrischen Gerichtsstandsklausel, die nur einer der Parteien die Möglichkeit bietet, sich für ein anderes als das in dieser Klausel genannte, nach den allgemeinen Rechtsvorschriften zuständige Gericht ihrer Wahl zu entscheiden, dann, wenn die andere Partei geltend macht, dass diese Klausel wegen ihrer Ungenauigkeit und/oder ihrer Unausgewogenheit rechtswidrig sei, diese Frage anhand der eigenständigen Regeln von Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung und des mit dieser Verordnung verfolgten Ziels der Vorhersehbarkeit und der Rechtssicherheit zu beantworten oder ist hierfür das Recht des in dieser Klausel bezeichneten Mitgliedstaats anzuwenden? Mit anderen Worten: Fällt diese Frage im Sinne dieser Vorschrift unter die materielle Gültigkeit der Klausel? Oder ist vielmehr davon auszugehen, dass die Voraussetzungen für die materielle Gültigkeit der Klausel restriktiv auszulegen sind und nur materielle Nichtigkeitsgründe – im Wesentlichen Betrug, Irrtum, arglistiges Verhalten, Nötigung und Geschäftsunfähigkeit – betreffen?
Falls die Frage der Ungenauigkeit oder der Unausgewogenheit der Klausel anhand eigenständiger Regeln zu entscheiden ist, ist Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung dann dahin auszulegen, dass eine Klausel anzuwenden ist, die einer Partei die Anrufung nur eines einzigen Gerichts, der anderen aber darüber hinaus die Anrufung jedes nach den allgemeinen Rechtsvorschriften zuständigen Gerichts erlaubt, oder dahin, dass diese Klausel nicht angewandt werden darf?
Falls die Asymmetrie einer Klausel eine materielle Voraussetzung betrifft, wie ist diese Bestimmung und insbesondere die Bezugnahme auf das Recht des Staates des bezeichneten Gerichts auszulegen, wenn in der Klausel mehrere Gerichte bezeichnet werden oder wenn die Klausel ein Gericht bezeichnet, einer der Parteien aber die Möglichkeit lässt, ein anderes Gericht zu wählen, und diese Wahl bis zum Tag der Befassung des Gerichts noch nicht getroffen wurde:
Handelt es sich beim anzuwendenden nationalen Recht um das des einzigen ausdrücklich bezeichneten Gerichts, unabhängig davon, ob auch andere Gerichte angerufen werden könnten?
Kann das Recht des tatsächlich angerufenen Gerichts herangezogen werden, wenn in der Klausel mehrere Gerichte bezeichnet werden?
Betrifft die Bezugnahme auf das Recht des bezeichneten Mitgliedstaats angesichts des 20. Erwägungsgrundes der Brüssel‑Ia-Verordnung die materiellen Rechtsvorschriften dieses Staates oder dessen Kollisionsnormen?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
28 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung dahin auszulegen ist, dass im Rahmen der Beurteilung der Gültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung Rügen, die sich auf die behauptete Ungenauigkeit oder Unausgewogenheit dieser Vereinbarung beziehen, anhand der gemäß dieser Bestimmung im Recht der Mitgliedstaaten definierten Kriterien betreffend die Gründe der „materiellen Nichtigkeit“ dieser Vereinbarung zu prüfen sind, oder ob die Prüfung dieser Rügen anhand eigenständiger Kriterien vorzunehmen ist, die sich aus diesem Artikel ergeben.
29 Art. 25 Abs. 1 Satz 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung bestimmt: „Haben die Parteien … vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats zuständig, es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell nichtig.“
30 Die Brüssel‑Ia-Verordnung definiert weder die Wendung „materiell nichtig“ noch verweist sie für die Definition dieser Wendung auf das Recht der Mitgliedstaaten. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangen die einheitliche Anwendung des Unionsrechts und der Gleichheitssatz, dass die Begriffe einer unionsrechtlichen Vorschrift, die für die Ermittlung ihrer Bedeutung und ihrer Tragweite nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen sind, wobei diese Auslegung entsprechend der üblichen Bedeutung, die die Begriffe nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch haben, und unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem sie verwendet werden, und der Ziele der Regelung, zu der sie gehören, zu erfolgen hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Commissioners for Her Majesty’s Revenue and Customs [Unschuldiger Ausführender], C‑279/19, EU:C:2021:473, Rn. 23, und vom , AFAÏA, C‑228/23, EU:C:2024:829, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
31 Erstens wird der Ausdruck „materiell“ gemäß seiner üblichen Bedeutung im gewöhnlichen Sprachgebrauch in Urteilen und in Verfahrenshandlungen verwendet, um anzukündigen, dass sich das Gericht nach der Prüfung von Fragen der Zuständigkeit, der Form und der Zulässigkeit mit den Fragen befasst, die den eigentlichen Gegenstand des Prozesses betreffen, d.h. mit den Tatsachen- oder Rechtsfragen, die das Gericht auf Antrag der Parteien zu entscheiden hat.
32 Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass Art. 25 Abs. 1 Satz 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung mit der Vorgabe, dass die Gerichte, die nach Vereinbarung der Parteien über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, zuständig sind, „es sei denn“, dass die Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Recht des Mitgliedstaats, dessen Gerichte bezeichnet sind, „materiell nichtig“ ist, lediglich eine Kollisionsnorm vorsieht. Diese Bestimmung legt somit fest, welches nationale Recht in Bezug auf die Frage anwendbar ist, ob eine solche Vereinbarung trotz des Vorliegens aller in diesem Artikel vorgesehenen Gültigkeitsvoraussetzungen aus anderen, in diesem nationalen Recht vorgesehenen Gründen nichtig ist.
33 Was zweitens den Zusammenhang betrifft, in den sich Art. 25 Abs. 1 Satz 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung einfügt, ist festzustellen, dass deren 20. Erwägungsgrund in einer dieser Bestimmung vergleichbaren Formulierung abgefasst ist, da es dort heißt: „Stellt sich die Frage, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats materiell nichtig ist, so sollte sie nach dem Recht … des Mitgliedstaats des Gerichts oder der Gerichte entschieden werden, die in der Vereinbarung bezeichnet sind“.
34 Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen von Art. 25 der Brüssel‑Ia-Verordnung hinsichtlich der dort aufgestellten Voraussetzungen nach ständiger Rechtsprechung eng auszulegen sind, da diese Bestimmungen sowohl von dem allgemeinen Grundsatz des Gerichtsstands am Wohnsitz des Beklagten gemäß Art. 4 dieser Verordnung abweichen als auch von der Regel, dass die besonderen Zuständigkeiten in den Art. 7 bis 9 dieser Verordnung festgelegt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Saey Home & Garden, C‑64/17, EU:C:2018:173, Rn. 24).
35 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung neben der Bezugnahme auf die Wendung „materiell nichtig“ spezifische Voraussetzungen für die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen vorsieht, und zwar sowohl materielle, nämlich dass „die Parteien … vereinbart [haben], dass ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen“, als auch formale Voraussetzungen.
36 Folglich ist festzustellen, dass sich dieser Begriff auf die allgemeinen Gründe für die Nichtigkeit eines Vertrags bezieht, d.h. insbesondere auf Willensmängel wegen Irrtums, arglistigen Verhaltens oder Nötigung sowie Geschäftsunfähigkeit, die im Unterschied zu den spezifischen Voraussetzungen für die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen nicht durch die Brüssel‑Ia-Verordnung, sondern durch das Recht des Mitgliedstaats geregelt werden, dessen Gerichte bestimmt sind.
37 Drittens steht die Auslegung der Wendung „materiell nichtig“ in Bezug auf eine Gerichtsstandsvereinbarung, nach der diese Wendung sich nur auf die Nichtigkeit wegen allgemeiner Gründe für die Nichtigkeit von Verträgen gemäß dem nationalen Recht des in dieser Vereinbarung bezeichneten Gerichts bezieht, im Einklang mit den Zielen der Brüssel‑Ia-Verordnung.
38 Wie sich nämlich u.a. aus den Erwägungsgründen 4, 6, 15 und 16 der Brüssel‑Ia-Verordnung ergibt, sollen mit ihr die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen in einem Unionsrechtsakt vereinheitlicht werden, der verbindlich und unmittelbar anwendbar ist. Daraus geht auch hervor, dass der Unionsgesetzgeber Zuständigkeitsvorschriften mit einem hohen Maß an Vorhersehbarkeit und Transparenz erlassen wollte, um die Rechtssicherheit zu erhöhen und eine geordnete Rechtspflege zu erleichtern.
39 Der Gerichtshof hat indessen mehrfach entschieden, dass zur Förderung dieser Ziele, insbesondere des Ziels der Rechtssicherheit, der Rechtsschutz der in der Union ansässigen Personen in der Weise zu verbessern ist, dass ein Kläger ohne Schwierigkeiten festzustellen vermag, welches Gericht er anrufen kann, und ein Beklagter vorherzusehen vermag, vor welchem Gericht er verklagt werden kann. Aus Gründen der Rechtssicherheit muss das angerufene nationale Gericht deshalb in der Lage sein, ohne Weiteres über seine eigene Zuständigkeit zu entscheiden, und zwar ohne in eine Sachprüfung eintreten zu müssen (Urteil vom , FTI Touristik [Auslandsbezug], C‑774/22, EU:C:2024:646, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).
40 Viertens steht die in den Rn. 32 und 36 des vorliegenden Urteils vorgenommene Auslegung im Einklang mit der Entstehungsgeschichte von Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung. In der Begründung des Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (KOM[2010] 748 endg.), der der Brüssel‑Ia-Verordnung zugrunde liegt, hat die Europäische Kommission nämlich auf den S. 9 und 10 darauf hingewiesen, dass mit der Änderung von Art. 23 der Brüssel‑I-Verordnung, der zu Art. 25 der Brüssel‑Ia-Verordnung wurde, die Einführung „einer harmonisierten Kollisionsnorm zur materiellen Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarungen [bezweckt wurde], um sicherzustellen, dass diesbezüglich unabhängig vom angerufenen Gericht überall annähernd gleich entschieden wird … [entsprechend] den Lösungen …, die das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen [vom ] vorsieht“.
41 Im vorliegenden Fall möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die behauptete Ungenauigkeit oder Unausgewogenheit der in Rede stehenden Gerichtsstandsvereinbarung einen Grund für die „materielle Nichtigkeit“ im Sinne von Art. 25 Abs. 1 Satz 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung darstellen kann, dessen Vorliegen anhand des nationalen Rechts des in dieser Vereinbarung bezeichneten Gerichts zu prüfen ist, oder ob dieses Vorliegen anhand eigenständiger, diesem Artikel entnommener Kriterien zu beurteilen ist.
42 In Bezug auf erstens die Beurteilung der hinreichenden Genauigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung zum Zweck der Bestimmung eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats, das oder die über eine entstandene oder über eine künftige Rechtsstreitigkeit zwischen den Parteien entscheiden sollen, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 17 Abs. 1 Satz 1 des Brüsseler Übereinkommens und Art. 23 Abs. 1 Satz 1 der Brüssel‑I-Verordnung, dass die Wendung „[h]aben … vereinbart“ in diesen Bestimmungen nicht dahin ausgelegt werden kann, dass eine Gerichtsstandsklausel so formuliert sein muss, dass sich das zuständige Gericht schon aufgrund ihres Wortlauts bestimmen lässt. Es genügt nämlich, wenn die Klausel die objektiven Kriterien nennt, über die sich die Parteien bei der Bestimmung des Gerichts oder der Gerichte, die über ihre bereits entstandenen oder künftigen Rechtsstreitigkeiten entscheiden sollen, geeinigt haben. Diese Kriterien, die so genau sein müssen, dass das angerufene Gericht feststellen kann, ob es zuständig ist, können gegebenenfalls durch die besonderen Umstände des von diesem Gericht geprüften Falles konkretisiert werden (Urteile vom , Coreck, C‑387/98, EU:C:2000:606, Rn. 15, und vom , Hőszig, C‑222/15, EU:C:2016:525, Rn. 43).
43 Darüber hinaus hat der Gerichtshof im Wesentlichen entschieden, dass Art. 17 Abs. 1 Satz 1 des Brüsseler Übereinkommens, um die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen zu erleichtern, ein Genauigkeitserfordernis enthält, dem eine Gerichtsstandsvereinbarung genügen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Coreck, C‑387/98, EU:C:2000:606, Rn. 17).
44 Daraus folgt, dass nach Art. 17 Abs. 1 Satz 1 des Brüsseler Übereinkommens und Art. 23 Abs. 1 Satz 1 der Brüssel‑I-Verordnung die Voraussetzung, dass die Parteien ein Gericht oder die Gerichte eines Vertragsstaats oder eines Mitgliedstaats „vereinbart“ haben, ein Genauigkeitserfordernis als Voraussetzung für die Gültigkeit beinhaltet.
45 Da Art. 25 der Brüssel‑Ia-Verordnung, der nach der Tabelle in Anhang III dieser Verordnung Art. 23 der Brüssel‑I-Verordnung entspricht, ebenfalls die Wendung „[h]aben … vereinbart“ enthält, lässt sich diese Rechtsprechung auf Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung übertragen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Maersk und Mapfre España, C‑345/22 bis C‑347/22, EU:C:2024:349, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung), so dass nach der letztgenannten Bestimmung eine Gerichtsstandsvereinbarung, um wirksam zu sein, u.a. die objektiven Umstände, über die sich die Parteien geeinigt haben, um das Gericht oder die Gerichte zu bestimmen, denen sie ihre bereits entstandenen oder künftigen Rechtsstreitigkeiten vorlegen wollen, hinreichend genau bezeichnen muss.
46 Im Übrigen trägt das Erfordernis der Genauigkeit zwangsläufig zur Verwirklichung der in den Erwägungsgründen 15 und 16 der Brüssel‑Ia-Verordnung genannten Ziele der Vorhersehbarkeit, der Transparenz und der Rechtssicherheit bei.
47 Daher ist das Erfordernis der Genauigkeit, das Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung ist, nicht anhand der Kriterien betreffend die Gründe der „materiellen Nichtigkeit“ im Sinne von Art. 25 Abs. 1 Satz 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung zu prüfen, sondern anhand autonomer Kriterien, die sich aus diesem Art. 25 in seiner Auslegung durch den Gerichtshof ergeben.
48 Was zweitens die Beurteilung der behaupteten Unausgewogenheit einer Gerichtsstandsvereinbarung betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 25 Abs. 4 der Brüssel‑Ia-Verordnung Gerichtsstandsvereinbarungen u.a. dann keine rechtliche Wirkung haben, wenn sie die in den Art. 15, 19 oder 23 dieser Verordnung aufgestellten Gültigkeitsvoraussetzungen nicht erfüllen. Aus den letztgenannten Artikeln ergibt sich, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung gültig bleibt, die es der schutzbedürftigsten Partei eines Versicherungs‑, Verbraucher- oder Arbeitsvertrags ermöglicht, andere Gerichte als diejenigen anzurufen, die nach den Vorschriften der Abschnitte 3 bis 5 des Kapitels II der Verordnung, zu denen diese Artikel gehören, grundsätzlich zuständig sind. Dagegen ist eine solche Vereinbarung nach diesem Art. 25 Abs. 4 nichtig, wenn sie eine abweichende Zuständigkeit zugunsten des Versicherers, des Vertragspartners des Verbrauchers oder des Arbeitgebers vorsieht.
49 Wie sich im Wesentlichen aus dem 18. Erwägungsgrund der Brüssel‑Ia-Verordnung ergibt, sind Versicherungs‑, Verbraucher- und Arbeitsverträge durch ein gewisses Ungleichgewicht zwischen den Parteien gekennzeichnet, das durch die Bestimmungen der Art. 15, 19 und 23 dieser Verordnung ausgeglichen werden soll, indem Zuständigkeitsvorschriften vorgesehen werden, die für die schwächere Partei günstiger sind als die allgemeine Regelung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , FTI Touristik [Auslandsbezug], C‑774/22, EU:C:2024:646, Rn. 44).
50 Art. 25 Abs. 4 in Verbindung mit den Art. 15, 19 und 23 der Brüssel‑Ia-Verordnung regelt somit für diese Verträge ausdrücklich die Fälle, in denen eine unausgewogene Gerichtsstandsvereinbarung wirksam bzw. nicht wirksam ist.
51 Daher ist die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung im Hinblick auf ihre behauptete Unausgewogenheit nicht anhand der Kriterien betreffend die Gründe der „materiellen Nichtigkeit“ im Sinne von Art. 25 Abs. 1 Satz 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung zu prüfen, sondern anhand autonomer Kriterien, die sich aus diesem Art. 25 in seiner Auslegung durch den Gerichtshof ergeben.
52 Diese Auslegung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass Art. 17 des Brüsseler Übereinkommens vorsah, dass, wenn „eine Gerichtsstandsvereinbarung nur zugunsten einer der Parteien getroffen worden [ist,] … diese das Recht [behält], jedes andere Gericht anzurufen, das aufgrund dieses Übereinkommens zuständig ist“, und damit implizit die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung trotz ihrer Unausgewogenheit zuließ. Zwar enthalten weder Art. 23 der Brüssel‑I-Verordnung noch Art. 25 der Brüssel‑Ia-Verordnung eine entsprechende Bestimmung zur Wirksamkeit einer solchen unausgewogenen Vereinbarung. Allerdings genügt der Hinweis, dass, wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, aus der Begründung des Vorschlags für eine Verordnung (EG) des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (KOM[1999] 348 endg., S. 20), der der Brüssel‑I-Verordnung zugrunde liegt, hervorgeht, dass das Ziel der Streichung dieser Bestimmung nichts anderes widerspiegelte als die Entscheidung des Unionsgesetzgebers, „[zu bestätigen], dass es sich bei der durch eine Gerichtsstandsklausel vereinbarte[n] Zuständigkeit um eine ausschließliche Zuständigkeit handelt …, wobei den Parteien jedoch gleichzeitig die Möglichkeit eingeräumt wird, die Nichtausschließlichkeit dieser Zuständigkeit zu vereinbaren[, und m]it dieser Lockerung … der Vertragsfreiheit der Parteien Rechnung getragen [wird]“.
53 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung dahin auszulegen ist, dass im Rahmen der Beurteilung der Gültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung Rügen, die sich auf die behauptete Ungenauigkeit oder Unausgewogenheit dieser Vereinbarung beziehen, nicht anhand der gemäß dieser Bestimmung im Recht der Mitgliedstaaten definierten Kriterien betreffend die Gründe der „materiellen Nichtigkeit“ dieser Vereinbarung zu prüfen sind, sondern anhand eigenständiger Kriterien, die sich aus diesem Artikel ergeben.
Zur zweiten Frage
54 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung dahin auszulegen ist, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung, nach der eine der Parteien nur das in ihr bezeichnete Gericht anrufen kann, während sie es der anderen Partei gestattet, neben diesem Gericht auch jedes andere zuständige Gericht anzurufen, gültig ist.
55 Erstens ist, soweit die in Rede stehende Gerichtsstandsvereinbarung es SIL im vorliegenden Fall offenbar ermöglicht, Gerichte verschiedener Staaten anzurufen, da sie vorsieht, dass sich SIL die Möglichkeit vorbehält, „vor einem anderen zuständigen Gericht in Italien oder im Ausland“ vorzugehen, darauf hinzuweisen, dass Art. 25 Abs. 1 Satz 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung seinem Wortlaut nach zwar auf die Gerichte „eines Mitgliedstaats“ Bezug nimmt, diese Bestimmung jedoch nicht dahin ausgelegt werden kann, dass die Parteien zwangsläufig die Gerichte ein und desselben Mitgliedstaats bezeichnen müssen.
56 Eine solche Begrenzung liefe nämlich der Vertragsfreiheit der Parteien zuwider, die, wie sich aus dem 19. Erwägungsgrund der Brüssel‑Ia-Verordnung ergibt, vorbehaltlich zum einen der in Art. 25 Abs. 4 in Verbindung mit den Art. 15, 19 und 23 dieser Verordnung vorgesehenen Ausnahmen für Versicherungs‑, Verbraucher- und Arbeitssachen, in denen Gerichtsstandsvereinbarungen von den Zuständigkeitsregeln dieser Verordnung nur in begrenztem Umfang abweichen können, und zum anderen der Gerichtsstände mit ausschließlicher Zuständigkeit gemäß Art. 25 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 24 der Verordnung, gewahrt werden muss.
57 Darüber hinaus bestätigen die nach den Bestimmungen des Kapitels II der Brüssel‑Ia-Verordnung zuständigen Gerichtsstände, dass die Parteien in bestimmten Fällen Gerichte mehrerer Mitgliedstaaten anrufen können. Aus Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 in Verbindung mit den Art. 7 und 8 dieser Verordnung geht nämlich hervor, dass eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, nicht nur vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats, sondern auch vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats verklagt werden kann, u.a. wenn der Erfüllungsort der betreffenden vertraglichen Verpflichtung, der Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, oder auch der Wohnsitz eines anderen Beklagten in einem solchen anderen Mitgliedstaat liegt.
58 Somit kann im vorliegenden Fall die Gültigkeit der in Rede stehenden Gerichtsstandsvereinbarung im Hinblick auf Art. 25 Abs. 1 der Brüssel‑Ia-Verordnung nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass diese Vereinbarung es einer Partei erlaubt, die Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten oder Vertragsstaaten des Lugano‑II-Übereinkommens im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 3 dieses Übereinkommens anzurufen.
59 Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung, in der die Gerichte der Mitgliedstaaten oder der Vertragsstaaten des Lugano‑II-Übereinkommens, die angerufen werden können, d.h. zum einen ein bestimmtes Gericht und zum anderen die anderen nach den Bestimmungen von Kapitel II Abschnitte 1 und 2 der Brüssel‑Ia-Verordnung sowie nach Titel II Abschnitte 1 und 2 dieses Übereinkommens zuständigen Gerichte, hinreichend genau bezeichnet werden, dem sich aus Art. 25 Abs. 1 dieser Verordnung ergebenden Genauigkeitserfordernis sowie den in den Erwägungsgründen 15 und 16 dieser Verordnung genannten Zielen der Vorhersehbarkeit, Transparenz und Rechtssicherheit genügt. Es handelt sich nämlich in Wirklichkeit um einen Verweis auf die allgemeinen Zuständigkeitsregeln dieser Verordnung und des Übereinkommens.
60 Wenn die in Rede stehende Gerichtsstandsvereinbarung, soweit darin von „einem anderen zuständigen Gericht … im Ausland“ die Rede ist, dahin auszulegen sein sollte, dass sie auch ein Gericht oder mehrere Gerichte eines oder mehrerer Staaten, die weder Mitglieder der Union noch Vertragsstaaten des Lugano‑II-Übereinkommens sind, bezeichnen würde, verstieße sie allerdings in diesem Fall gegen die Brüssel‑Ia-Verordnung. Diese Gerichtsstandsvereinbarung würde dann nämlich die in den Erwägungsgründen 15 und 16 dieser Verordnung genannten Ziele der Vorhersehbarkeit, der Transparenz und der Rechtssicherheit missachten, da es das Unionsrecht für sich genommen nicht erlauben würde, die zuständigen Gerichte zu bezeichnen, da diese Bezeichnung gegebenenfalls von der Anwendung der Vorschriften des internationalen Privatrechts von Drittländern abhinge.
61 In einem solchen Fall bestünde eine erhöhte Gefahr von Kompetenzkonflikten, die der Rechtssicherheit abträglich wären, da die Anwendung dieser nationalen Vorschriften zu voneinander abweichenden Lösungen führen könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Inkreal, C‑566/22, EU:C:2024:123, Rn. 31).
62 Folglich kann die in Rede stehende Gerichtsstandsvereinbarung nur insoweit dem Erfordernis der Genauigkeit im Hinblick auf die in Rn. 42 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung genügen, als sie dahin ausgelegt werden kann, dass sie das Gericht Brescia und die für die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Parteien zuständigen Gerichte der Mitgliedstaaten oder der Vertragsstaaten des Lugano‑II-Übereinkommens bezeichnet.
63 Was drittens die Gültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung betrifft, die einer Partei mehr Rechte verleiht als der anderen, ist davon auszugehen, dass außer in den durch die Brüssel‑Ia-Verordnung ausdrücklich verbotenen Fällen die Unausgewogenheit einer solchen Vereinbarung deren Gültigkeit nicht auf der Grundlage der in Art. 25 dieser Verordnung genannten Anforderungen in Frage stellen kann.
64 Art. 25 der Brüssel‑Ia-Verordnung beruht nämlich ebenso wie das Brüsseler Übereinkommen sowie die Brüssel‑I-Verordnung auf dem Grundsatz der Parteiautonomie (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Coreck, C‑387/98, EU:C:2000:606, Rn. 14, vom , Refcomp, C‑543/10, EU:C:2013:62, Rn. 26, und vom , DelayFix, C‑519/19, EU:C:2020:933, Rn. 38). Wie sich aus Rn. 56 des vorliegenden Urteils ergibt, ist dem 19. Erwägungsgrund der Brüssel‑Ia-Verordnung zu entnehmen, dass der Unionsgesetzgeber der Beachtung dieses Grundsatzes den Vorzug geben wollte, so dass vorbehaltlich der in Art. 25 Abs. 4 in Verbindung mit den Art. 15, 19, 23 und 24 dieser Verordnung vorgesehenen Ausnahmen der Entscheidung der Parteien zu folgen ist. Wie sich aus den Rn. 48 bis 50 des vorliegenden Urteils ergibt, erlauben diese Art. 15, 19 und 23, auf die dieser Art. 25 Abs. 4 verweist, im Übrigen ausdrücklich den Abschluss unausgewogener Gerichtsstandsvereinbarungen zugunsten der schutzbedürftigsten Partei eines Versicherungs‑, Verbraucher- oder Arbeitsvertrags. Die Unausgewogenheit einer solchen Vereinbarung macht sie somit gleichwohl nicht rechtswidrig, wenn die Parteien ihr freiwillig zugestimmt haben.
65 Im vorliegenden Fall scheint die in Rede stehende Gerichtsstandsvereinbarung vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht weder gegen die Art. 15, 19 oder 23 der Brüssel‑Ia-Verordnung zu verstoßen noch von einer ausschließlichen Zuständigkeit nach Art. 24 dieser Verordnung abzuweichen, so dass sie trotz ihrer Unausgewogenheit nicht gegen Art. 25 dieser Verordnung verstieße.
66 Jedenfalls ergibt sich aus Art. 25 Abs. 1 Satz 2 der Brüssel‑Ia-Verordnung, dass die Zuständigkeit des in der Gerichtsstandsvereinbarung bezeichneten Gerichts nur dann ausschließlich ist, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Daher verstößt der Umstand, dass nach dem Wortlaut der in Rede stehenden Gerichtsstandsvereinbarung nur Agora gezwungen wäre, die dem Gericht Brescia zugewiesene ausschließliche Zuständigkeit zu beachten, für sich genommen offensichtlich nicht gegen diesen Art. 25.
67 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 25 Abs. 1 und 4 der Brüssel‑Ia-Verordnung dahin auszulegen ist, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung, nach der eine der Parteien nur das in ihr bezeichnete Gericht anrufen kann, während sie es der anderen Partei gestattet, neben diesem Gericht auch jedes andere zuständige Gericht anzurufen, gültig ist, sofern sie erstens die Gerichte eines oder mehrerer Staaten bezeichnet, die entweder Mitglieder der Union sind oder Vertragsstaaten des Lugano‑II-Übereinkommens, zweitens objektive Kriterien nennt, die so genau sind, dass das angerufene Gericht feststellen kann, ob es zuständig ist, und drittens nicht gegen die Art. 15, 19 oder 23 dieser Verordnung verstößt und nicht von einer ausschließlichen Zuständigkeit nach Art. 24 dieser Verordnung abweicht.
Zur dritten Frage
68 In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die dritte Frage nicht zu beantworten.
Kosten
69 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 25 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
ist dahin auszulegen, dass
im Rahmen der Beurteilung der Gültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung Rügen, die sich auf die behauptete Ungenauigkeit oder Unausgewogenheit dieser Vereinbarung beziehen, nicht anhand der gemäß dieser Bestimmung im Recht der Mitgliedstaaten definierten Kriterien betreffend die Gründe der „materiellen Nichtigkeit“ dieser Vereinbarung zu prüfen sind, sondern anhand eigenständiger Kriterien, die sich aus diesem Artikel ergeben.
Art. 25 Abs. 1 und 4 der Verordnung Nr. 1215/2012
ist dahin auszulegen, dass
eine Gerichtsstandsvereinbarung, nach der eine der Parteien nur das in ihr bezeichnete Gericht anrufen kann, während sie es der anderen Partei gestattet, neben diesem Gericht auch jedes andere zuständige Gericht anzurufen, gültig ist, sofern sie erstens die Gerichte eines oder mehrerer Staaten bezeichnet, die entweder Mitglieder der Europäischen Union sind oder Vertragsstaaten des am unterzeichneten Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, dessen Abschluss im Namen der Europäischen Gemeinschaft durch den Beschluss 2009/430/EG des Rates vom genehmigt wurde, zweitens objektive Kriterien nennt, die so genau sind, dass das angerufene Gericht feststellen kann, ob es zuständig ist, und drittens nicht gegen die Art. 15, 19 oder 23 dieser Verordnung verstößt und nicht von einer ausschließlichen Zuständigkeit nach Art. 24 dieser Verordnung abweicht.
ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2025:120
Fundstelle(n):
IAAAJ-94952