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BSG Beschluss v. - B 1 KR 72/24 B

Krankenversicherung - elektronische Gesundheitskarte - Vereinbarkeit mit Europa- und Verfassungsrecht

Gesetze: § 15 Abs 2 SGB 5, § 291 SGB 5, §§ 291ff SGB 5, Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, EUV 2016/679, Art 25 EUGrdRCh

Instanzenzug: SG Dresden Az: S 47 KR 499/21vorgehend Sächsisches Landessozialgericht Az: L 1 KR 145/22 Urteil

Gründe

1I. Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger ist mit seinem Begehren, ihm anstelle der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) eine "Basiskarte", hilfsweise Anspruchsnachweise oder Ersatzbescheinigungen zum Nachweis der Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zur Verfügung zu stellen, bei der Beklagten und den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Zur Begründung hat das LSG (mit Hinweis auf - BSGE 131, 169 = SozR 4-2500 § 291a Nr 2) ausgeführt, die Ausgabe von "Basiskarten" in einer technisch eingeschränkten Ausgestaltung, wie sie dem Kläger vorschwebe, sei den Krankenkassen nicht erlaubt. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf eine dauerhafte oder regelmäßige Aushändigung von Anspruchsnachweisen oder Ersatzsatzbescheinigungen als Alternative zur eGK. Diese Rechtslage verstoße auch nicht gegen das GG oder die Datenschutz-Grundverordnung - DSGVO - (Urteil vom ).

2Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

3II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung.

4Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG <Kammer> vom - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

51. Der Kläger wirft eine Reihe von Fragen auf, die im Kern alle auf die Rechtsfrage zulaufen, ob die in § 15 Abs 2 SGB V iVm §§ 291 bis 291b SGB V geregelte Obliegenheit, für den Nachweis der Berechtigung zur Inanspruchnahme von Leistungen im Rahmen der GKV die eGK zu nutzen, mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Der Kläger bezeichnet sich selbst als sog "Offliner" und macht insbesondere geltend, als solcher habe er keine Kontrolle über die auf der eGK gespeicherten Daten und er werde in seinen Grund- und Menschenrechten verletzt.

62. Der Kläger legt die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage nicht dar.

7Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG <Kammer> vom - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4). Daran richtet der Kläger sein Vorbringen nicht aus.

8Das BSG hat in dem vom LSG mehrfach zitierten Urteil vom (B 1 KR 7/20 R - BSGE 131, 169 = SozR 4-2500 § 291a Nr 2; siehe ferner - juris; vgl zuvor bereits - BSGE 117, 224 = SozR 4-2500 § 291a Nr 1) entschieden, dass die gesetzlichen Regelungen zur eGK mit den Vorgaben der DSGVO in Einklang stehen und die Versicherten weder in ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung noch in ihren Grundrechten nach der EU-Grundrechte-Charta (GRCh) verletzen. Dabei hat sich der Senat ua auch mit Fragen der Verhältnismäßigkeit, der Transparenz der Datenverarbeitung, der Datensparsamkeit, der Datensouveränität, der Datensicherheit sowie der Kontrollmöglichkeiten der Versicherten auseinandergesetzt (vgl -, aaO, ua RdNr 47 ff, 58 ff, 76 ff, 111).

9Mit dieser Entscheidung setzt sich die Beschwerdebegründung nicht im Ansatz auseinander. Sie legt nicht dar, inwiefern ausgehend davon noch ein weiterer höchstrichterlicher Klärungsbedarf bestehen sollte.

103. Der Kläger legt auch keine erneute Klärungsbedürftigkeit dar.

11Eine Rechtsfrage, über die bereits höchstrichterlich entschieden worden ist, kann wieder klärungsbedürftig werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden, was im Rahmen der Beschwerdebegründung ebenfalls darzulegen ist (vgl zB - SozR 4-1500 § 160a Nr 32; - juris RdNr 7). Erneute Klärungsbedürftigkeit ist darüber hinaus auch gegeben, wenn neue erhebliche Gesichtspunkte gegen die bisherige Rechtsprechung vorgebracht werden, die zu einer über die bisherige Erörterung hinausgehenden Betrachtung der aufgeworfenen Fragestellung führen können und die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung nicht offensichtlich ausschließen (vgl - juris RdNr 6 mwN).

12Der Kläger legt weder dar, dass der oben genannten Rechtsprechung des Senats zur eGK (siehe RdNr 8) in nicht geringfügigem Umfang widersprochen würde, noch welche in dieser Entscheidung nicht behandelten Gesichtspunkte die ernsthafte Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung begründen könnten.

13Soweit man in dem Vorbringen des Klägers, die geregelte Obliegenheit zur Nutzung der eGK verletze die durch Art 25 GRCh gewährleisteten Rechte älterer Menschen, einen in der bisherigen Rechtsprechung des Senats nicht behandelten Gesichtspunkt erblicken wollte, fehlt es bereits an Darlegungen dazu, ob Art 25 GRCh, der sich an die "Union" richtet, in dem vorliegenden Zusammenhang, in dem es um die Anwendbarkeit der nationalen Bestimmungen in § 15 Abs 2 SGB V iVm §§ 291 bis 291b SGB V geht, überhaupt Anwendung finden kann (vgl dazu Hölscheidt in Meyer/Hölscheidt, GRC, 6. Aufl 2024, Art 25 RdNr 14; Jarass in Jarass, GRCh, 4. Aufl 2021, EU-Grundrechte-Charta Art 25 RdNr 2 ff; Nowak in Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 2. Aufl 2023, GRC Art 25 RdNr 12 mwN). Auch setzt sich der Kläger nicht damit auseinander, dass Art 25 GRCh nach wohl allgemeiner Meinung keine eigenen subjektiven Rechte bzw Ansprüche begründet, sondern lediglich eine Grundsatzbestimmung iS des Art 52 Abs 5 GRCh darstellt (vgl dazu Nowak, aaO, RdNr 5 mit umfangr Nachw).

14Überdies legt der Kläger nicht dar, inwiefern der sachliche Schutzbereich der Vorschrift (vgl dazu Kingreen in Callies/Ruffert, EU-GRCharta, 6. Aufl 2022, Art 25 RdNr 4; Jarass, aaO, RdNr 7; Nowak, aaO, RdNr 10) durch die Obliegenheit zur Nutzung der eGK betroffen sein sollte. Denkbar könnte dies allenfalls sein, wenn ältere Menschen für die Inanspruchnahme von Leistungen der GKV zwingend auf die Nutzung eines eigenen elektronischen Geräts - wie etwa eines Smartphones - und/oder einen Internetzugang angewiesen wären. Inwiefern dies bei der eGK der Fall sein sollte, legt der Kläger nicht schlüssig dar. Es geht ihm erkennbar nur um die Kontrolle über die auf der eGK gespeicherten Daten. Insofern geht der Kläger nicht näher auf den - vom LSG bereits angesprochenen - datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch gemäß Art 15 DSGVO ein (vgl dazu auch - BSGE 131, 169 = SozR 4-2500 § 291a Nr 2, RdNr 64) sowie die in § 336 Abs 3 SGB V ausdrücklich geregelte Möglichkeit, die auf der eGK gespeicherten Daten bei einem Leistungserbringer einzusehen. Er setzt sich auch nicht damit auseinander, dass das SGB V im Zusammenhang mit der Telematikinfrastruktur im Allgemeinen und der eGK im Besonderen die beteiligten Personen und Institutionen zur Gewährleistung einer barrierefreien Nutzung und von barrierefreien Informationen verpflichtet, ua über die Funktionsweise der eGK und die auf dieser oder durch sie verarbeiteten personenbezogenen Daten (vgl ua § 291 Abs 2 Nr 1, Abs 3a, 5, 7, 8 Satz 1, § 311 Abs 4 Satz 1, § 314, § 327 Abs 1 Nr 4, § 336 Abs 1, § 338 Abs 1 und 2, § 342 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Satz 1 Nr 1, Abs 2a Nr 1 Buchst d, Abs 2b Nr 2, Abs 2c Nr 2, Abs 7, § 343 Abs 1a Satz 1, Abs 4 Satz 1, § 354 Abs 1 und 2, § 358 Abs 9, § 360 Abs 9, § 361a Abs 4, Abs 6 Nr 4 SGB V).

154. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

165. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:220425BB1KR7224B1

Fundstelle(n):
WAAAJ-94379