Vergütung für Umkleidezeiten - Entgeltfortzahlung - Urlaubsentgelt - Gutschrift auf Arbeitszeitkonto - materielle Rechtskraft
Instanzenzug: Az: 9 Ca 3153/19 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Nürnberg Az: 4 Sa 339/20 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger tarifvertraglich vorgesehene Umkleidezeiten nicht nur bei tatsächlicher Arbeit, sondern auch bei Abwesenheit wegen Krankheit und Urlaub auf dem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben.
2Der Kläger ist seit Juli 1996 bei der Beklagten, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, in deren Kreisverband S als Rettungssanitäter beschäftigt. Bei Ausübung seiner Tätigkeit muss der Kläger Schutzkleidung tragen, die im Betrieb an- und abgelegt wird.
3Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Manteltarifvertrag zwischen dem Bayerischen Roten Kreuz (BRK) und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft - ver.di vom (MTV) Anwendung. Nach den tarifvertraglichen Bestimmungen zur Dauer der Arbeitszeit in § 9 MTV wird für jedes Kalenderjahr - ausgehend von einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden - eine geschuldete Jahressollarbeitszeit berechnet, die „durch Arbeit und Abwesenheit, die der Arbeit gleichsteht (z. B. Urlaub, Krankheit)“ erbracht wird, § 9 Abs. 4 MTV. Unter der Überschrift „Erfassung und Flexibilisierung der Arbeitszeit“ regelt § 11 MTV, dass für jeden Mitarbeiter ein Jahresarbeitszeitkonto einzurichten ist, auf dem die individuelle Jahressollarbeitszeit hinterlegt wird. Nach § 11 Abs. 2 MTV wird die geschuldete Arbeitszeit „durch Arbeit und Abwesenheit, die der Arbeit gleichsteht (z. B. Urlaub, Krankheit) erbracht“, wobei bei solchen Abwesenheitszeiten die „jeweilig dienstplanmäßig vorgesehene Arbeitszeit gutgeschrieben (wird)“.
4Mitarbeiter im Rettungsdienst erhalten nach § 23 Abs. 2 MTV für das An- und Ablegen der Schutzkleidung vor Dienstbeginn und nach Dienstende eine Zeitgutschrift von pauschal 12 Minuten pro geleisteter Schicht auf dem Arbeitszeitkonto. Diese Umkleidezeiten sollen - arbeitszeitschutzrechtlich - nach § 13 Abs. 11 Satz 2 MTV Vollarbeit sein und keine Arbeitsbereitschaft enthalten.
5Die Zeitgutschrift für das An- und Ablegen der Schutzkleidung nach § 23 Abs. 2 MTV gewährt die Beklagte den Rettungssanitätern nur, wenn der Mitarbeiter tatsächlich arbeitet, nicht jedoch, wenn er im Urlaub oder arbeitsunfähig krank ist.
6Diese Praxis der Beklagten hält der Kläger für tarifvertragswidrig. Mit seiner im Juni 2019 anhängig gemachten und mehrfach erweiterten Leistungsklage hat er zuletzt - soweit die Klage in die Revisionsinstanz gelangt ist - eine Zeitgutschrift im Umfang von 10,4 Stunden verlangt, und zwar 5,8 Stunden für Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und 4,6 Stunden für Urlaubszeiten. Erstinstanzlich hat er zudem eine Feststellungsklage erhoben, mit der eine entsprechende Pflicht der Beklagten zur Gutschrift von Umkleidezeiten auch bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und Urlaub festgestellt werden sollte.
7Der Kläger hat im Wesentlichen gemeint, das Umkleiden der Mitarbeiter im Rettungsdienst sei vergütungspflichtige Arbeit. Mit der Zeitgutschrift nach § 23 Abs. 2 MTV brächten die Tarifvertragsparteien zum Ausdruck, dass das An- und Ablegen der Schutzkleidung von ihnen als dienstplanmäßige Arbeitszeit bewertet wird.
8Der Kläger hat - soweit für die Revision von Belang - beantragt,
9Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, schon die rechtskräftige Abweisung des erstinstanzlichen Feststellungsantrags stehe einer Entscheidung über den in die Berufungs- und Revisionsinstanz gelangten Leistungsantrag entgegen. In der Sache gewähre § 23 Abs. 2 MTV eine Zeitgutschrift nur für das tatsächliche Umkleiden, nicht jedoch für das Nichtumkleiden bei Abwesenheit wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit oder Urlaubs. Auf dem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben sei nach § 11 Abs. 2 MTV nur die dienstplanmäßig vorgesehene Arbeitszeit. Dazu gehöre die Umkleidezeit nicht.
10Das Arbeitsgericht hat Leistungs- und Feststellungsklage als unbegründet abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der allein in die Berufung gelangten Leistungsklage nach fast vierjähriger Dauer des Berufungsverfahrens teilweise stattgegeben und im Übrigen die Berufung des Klägers in den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils zurückgewiesen, weil weiter gehende Ansprüche auf Zeitgutschriften nach der tarifvertraglichen Ausschlussfristenregelung verfallen seien. Mit der vom Landesarbeitsgericht für die Beklagte zugelassenen Revision verfolgt diese ihr Ziel einer vollständigen Klageabweisung weiter, während der Kläger die Zurückweisung der Revision begehrt.
Gründe
11Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht der Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise entsprochen und der Klage in dem in die Revisionsinstanz gelangten Umfang stattgegeben. Weil das Landesarbeitsgericht die Aufnahme der teilweisen Zurückweisung der Berufung des Klägers in den Tenor unterließ, hat der Senat dies zur Vermeidung von Missverständnissen im Entscheidungsausspruch klargestellt.
12I. Die Klage ist zulässig.
131. Der in die Revisionsinstanz gelangte Leistungsantrag ist hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Bei einem Streit über die Führung eines Arbeitszeitkontos kann der Arbeitnehmer entweder die Erhöhung seines Zeitguthabens um eine bestimmte Stundenzahl oder eine Zeitgutschrift in bestimmter Höhe verlangen (st. Rspr., vgl. - Rn. 14; - 5 AZR 349/22 - Rn. 15, BAGE 182, 1). Die Abwesenheitszeiten, für die er eine Zeitgutschrift nach § 23 Abs. 2 MTV begehrt, hat der Kläger - getrennt nach krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und Urlaub - hinreichend spezifiziert.
142. Der Zulässigkeit der Leistungsklage steht, anders als die Revision meint, die rechtskräftige Abweisung des erstinstanzlich gestellten Feststellungsantrags nicht entgegen. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
15a) Mangels einer dagegen gerichteten Berufung des Klägers ist die erstinstanzliche Abweisung der Feststellungsklage rechtskräftig geworden, § 705 ZPO. Ob dem Arbeitsgericht dabei - wie das Landesarbeitsgericht meint - ein Rechtsfehler unterlaufen ist, weil es die Zulässigkeit des Feststellungsantrags nicht geprüft hat (vgl. zum Feststellungsinteresse als echte Prozessvoraussetzung nur für das stattgebende - Rn. 10; - 5 AZR 325/21 - Rn. 33; - 5 AZR 758/13 - Rn. 18 mwN, BAGE 154, 337), kann dahingestellt bleiben. Denn auch ein rechtsfehlerhaft die Zulässigkeit offenlassendes und die Klage als „jedenfalls unbegründet“ abweisendes Urteil erwächst als Sachurteil in Rechtskraft ( - Rn. 21 ff.).
16b) Die Rechtskraft bewirkt, dass zwischen den Parteien eines Rechtsstreits über das Bestehen oder Nichtbestehen der aus dem vorgetragenen Sachverhalt im Urteil hergeleiteten Rechtsfolge eine nochmalige Verhandlung und Entscheidung unzulässig, die erkannte Rechtsfolge also unangreifbar ist. Wird in einem nachfolgenden Prozess über den identischen prozessualen Anspruch oder dessen kontradiktorisches Gegenteil gestritten, ist diese Klage unzulässig ( - Rn. 17). Handelt es sich im Zweitprozess um einen anderen Anspruch, bleibt auch für diesen eine bereits rechtskräftig festgestellte vorgreifliche Rechtsfolge unangreifbar ( - Rn. 28 mwN).
17c) Der Umfang der materiellen Rechtskraft nach § 322 Abs. 1 ZPO ist grundsätzlich aus dem Urteil und den dazu ergangenen Gründen zu bestimmen ( - Rn. 23 mwN; - Rn. 26 mwN). Dazu bedarf es aber zunächst der Ermittlung des Inhalts des rechtskräftig abgewiesenen Antrags. Somit kommt es vorliegend darauf an, ob sich der Feststellungsantrag in zeitlicher Hinsicht auf alle oder nur auf „künftige“ - also von der Leistungsklage nicht erfasste - Fälle einer Gutschrift von Umkleidezeiten bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und Urlaub des Klägers bezieht. Letzteres ist der Fall, wie die Auslegung des Feststellungsantrags ergibt.
18aa) Klageanträge sind entsprechend den für Willenserklärungen geltenden Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) so zu verstehen, dass im Zweifel gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der richtig verstandenen Interessenlage entspricht. Für die vom Revisionsgericht selbständig vorzunehmende Auslegung des Klageantrags ist deshalb nicht allein dessen buchstäblicher Wortlaut maßgebend ( - Rn. 22 mwN).
19bb) Davon ausgehend bezieht sich der rechtskräftig abgewiesene Feststellungsantrag nur auf Zeitgutschriften nach § 23 Abs. 2 MTV für krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeiten und Urlaube, die nicht von seiner gleichzeitig erhobenen und im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens erweiterten Leistungsklage erfasst werden. Schon in der Klageschrift führt der Kläger zum Feststellungsinteresse aus, dass aufgrund des Verhaltens der Beklagten zu erwarten sei, dass „auch für die in Zukunft noch entstehenden Abwesenheitszeiten eine Gutschrift der Umkleidezeit auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers ... nicht erfolgen wird“. Nachdem die Beklagte in ihrer Klageerwiderung Bedenken gegen die Zulässigkeit des Feststellungsantrags äußerte, hat der Kläger bei seiner letzten Klageerweiterung vom bekräftigt, mit dem Feststellungsantrag werde versucht, „den Streit über die zutreffenden Zeitgutschriften auf dem Arbeitszeitkonto im Fall von Arbeitsunfähigkeit und Urlaub auch Zukunft bezogen abschließend zu klären“. Aufgrund dessen erfasst die materielle Rechtskraftwirkung der Abweisung des Feststellungsantrags jedenfalls nicht diejenigen Gutschriften auf dem Arbeitszeitkonto, die der Kläger für bereits aufgetretene Krankheitszeiten und bereits genommene Urlaube mit der Leistungsklage begehrt. Ob sie Zeitgutschriften für zwischenzeitlich neu aufgetretene oder in Zukunft noch auftretende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeiten und Urlauben entgegenstehen würde, ist nicht streitgegenständlich und muss der Senat deshalb nicht entscheiden.
20II. Die Klage ist in dem vom Landesarbeitsgericht ausgeurteilten Umfang von 10,4 Stunden begründet. Der Anspruch auf weitere Zeitgutschriften im Umfang von 5,8 Stunden ergibt sich für Zeiten der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit aus § 3 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 EFZG iVm. § 16 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 MTV sowie im Umfang von 4,6 Stunden für Zeiten des Urlaubs aus § 1 BUrlG iVm. § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 MTV. Die Zeitgutschrift nach § 23 Abs. 2 MTV ist für die Mitarbeiter im Rettungsdienst eine besondere Form der Arbeitsvergütung für das An- und Ablegen der Schutzkleidung.
211. Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Dies hält § 16 Abs. 1 MTV - deklaratorisch - fest, wenn er für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall darauf verweist, diese erfolge „nach Maßgabe der §§ 3 ff. EntgeltFG“.
22a) Nach dem in § 4 Abs. 1 EFZG verankerten modifizierten Entgeltausfallprinzip erhält der Arbeitnehmer grundsätzlich die volle Vergütung, die er erhalten hätte, wenn er nicht arbeitsunfähig gewesen wäre (st. Rspr., zB - Rn. 14; - 5 AZR 229/15 - Rn. 22, BAGE 155, 70 - jeweils mwN; ebenso die ganz hM im Schrifttum, vgl. nur ErfK/Reinhard 25. Aufl. EFZG § 4 Rn. 11; HWK/Vogelsang 11. Aufl. § 4 EFZG Rn. 3; Schaub ArbR-HdB/Linck 20. Aufl. § 98 Rn. 71; Schmitt EFZG/Küfner-Schmitt 9. Aufl. EFZG § 4 Rn. 27 ff.). Weil ein Arbeitszeitkonto nur in anderer Form den Vergütungsanspruch ausdrückt (st. Rspr., vgl. zB - Rn. 21, BAGE 182, 1; - 5 AZR 318/20 - Rn. 19), sind Gutschriften auf einem Arbeitszeitkonto nur eine andere Form von Entgelt, das lediglich nicht (sofort) ausgezahlt, sondern verrechnet wird. Deshalb sind im Krankheitsfall grundsätzlich auch Zeitgutschriften zu gewähren, unabhängig davon, ob das Arbeitsentgelt verstetigt ausgezahlt wird ( - Rn. 16 mwN; für Zeitgutschriften wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht geleisteter Bereitschaftsdienste ebenso - Rn. 13 ff., BAGE 182, 46).
23b) Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass der Kläger verpflichtet ist, bei Ausübung der geschuldeten Tätigkeit als Rettungssanitäter spezielle Schutzkleidung zu tragen. Der Zeitaufwand für deren An- und Ablegen ist - worauf der Kläger in seiner Revisionserwiderung zutreffend hinweist - vergütungspflichtige Arbeit iSv. § 611a BGB. Denn das vorgeschriebene Umkleiden im Betrieb zur Ausübung der geschuldeten Arbeitsleistung ist ausschließlich fremdnützig. Daher schuldet der Arbeitgeber grundsätzlich auch Vergütung für die vom Arbeitnehmer für das Umkleiden aufgewendete Zeit. Allerdings schließt eine solche Einordnung der Umkleidezeiten als Teil der im Dienste eines anderen erbrachten Arbeitsleistung iSv. § 611a Abs. 2 BGB individual- oder kollektivrechtliche Regelungen nicht aus, nach denen die dafür vom Arbeitnehmer aufgewendete Zeit anders zu vergüten ist als die „eigentliche“ Tätigkeit ( - Rn. 18 ff. und Rn. 31 mwN).
24c) Eine derartige andere Vergütungsregelung für die durch das An- und Ablegen der Schutzkleidung im Rettungsdienst erbrachte „Umkleidearbeit“, die die Tarifvertragsparteien in § 13 Abs. 11 Satz 2 MTV auch arbeitszeitschutzrechtlich als Vollarbeit einordnen, normiert § 23 Abs. 2 Satz 1 MTV, wenn er bestimmt, dass die Arbeitnehmer - unabhängig davon, wie lange das Umkleiden jeweils individuell dauert - für das An- und Ablegen der Schutzkleidung vor Dienstbeginn und nach Dienstende eine Zeitgutschrift von pauschal 12 Minuten pro geleisteter Schicht auf dem Arbeitszeitkonto erhalten. Dieser Vergütung in Form einer Zeitgutschrift steht nicht entgegen, dass - wie die Revision geltend macht - die Umkleidezeit nicht zur Jahressollarbeitszeit iSd. §§ 9 ff. MTV zählt und die Tarifvertragsparteien ersichtlich unter „Arbeit“ nur die „eigentliche“ Tätigkeit verstehen. Der Vergütungscharakter des § 23 Abs. 2 Satz 1 MTV ergibt sich gerade daraus, dass die Zeitgutschrift für das Umkleiden den Umfang der Zeit für die „eigentliche“ Tätigkeit - die Jahressollarbeitszeit nach § 9 Abs. 1 Satz 1 MTV - verringert.
25d) Als nur eine andere Form von Arbeitsentgelt für die Arbeitsleistung Umkleiden ist die Gutschrift von 12 Minuten je Schicht auf dem Arbeitszeitkonto Teil des dem Kläger iSv. § 4 Abs. 1 EFZG „zustehenden Arbeitsentgelts“. Dass er das Arbeitsentgelt für die „eigentliche“ Tätigkeit verstetigt ausgezahlt erhält, ist dabei unerheblich ( - Rn. 16 mwN). Die unveränderte Höhe des monatlich gezahlten Entgelts ändert nichts daran, dass bei der von der Beklagten geübten Praxis die Wertigkeit des gezahlten Geldbetrags im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit geringer ist als bei tatsächlicher Arbeit, weil die Gutschrift von 12 Minuten für Umkleiden auf dem Arbeitszeitkonto je (ausgefallener) Schicht fehlt und sich daher die individuelle Jahressollarbeitszeit (§ 9 Abs. 1 MTV) nicht entsprechend verringert.
26e) Der MTV enthält auch keine abweichende Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts iSv. § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG.
27aa) Nach § 16 Abs. 2 Satz 1 MTV sind - entsprechend § 4 Abs. 1 EFZG - jedenfalls die „stetigen Vergütungsbestandteile“ fortzuzahlen. Ein solcher ist im Rettungsdienst die Vergütung für Umkleidezeiten in Form einer Zeitgutschrift nach § 23 Abs. 2 MTV.
28bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich Gegenteiliges nicht aus § 11 Abs. 2 MTV. Diese Tarifnorm regelt in Unterabsatz 1 lediglich, wie die nach dem MTV „geschuldete Arbeitszeit“, also die Zeit der „eigentlichen“ Tätigkeit als Rettungssanitäter erbracht, und in Unterabsatz 3, wieviel an solcher Arbeitszeit bei Abwesenheitszeiten, die der Arbeit gleichstehen, gutgeschrieben wird. Sie berührt aber die Vergütung des Umkleidens in Form einer Gutschrift nach § 23 Abs. 2 Satz 1 MTV nicht und normiert keine abweichende Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts iSv. § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG.
29cc) Eine solche ist auch nicht - anders als die Beklagte zuletzt ohne nähere Begründung gemeint hat - § 23 Abs. 2 MTV. Dagegen spricht schon, dass die Tarifvertragsparteien unter der Überschrift „Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall“ diese in § 16 MTV speziell geregelt haben, ohne die Vergütung der Umkleidezeiten im Rettungsdienst in Form einer Zeitgutschrift aus der Bemessungsgrundlage für die Entgeltfortzahlung auszunehmen oder für sie - wie sie dies in § 16 Abs. 2 Satz 2 MTV für die nicht stetigen Vergütungsbestandteile getan haben - eine andere Bemessungsgrundlage zu schaffen. Hätten sie für die Beschäftigten im Rettungsdienst eine abweichende Bemessungsgrundlage des bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit fortzuzahlenden Arbeitsentgelts iSd. § 4 Abs. 4 EFZG gewollt, hätten sie dies hinreichend klar und deutlich in § 16 MTV aufnehmen müssen (vgl. - allg. zum Erfordernis einer deutlichen Regelung im Tarifvertrag - - Rn. 15; - 6 AZR 38/24 - Rn. 22 mwN).
302. Für den bezahlten Erholungsurlaub (§ 1 BUrlG) bestimmt § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 MTV, dass als Urlaubsvergütung die stetigen Vergütungsbestandteile, die jeweils monatlich gezahlt werden, weiterzuzahlen sind.
31a) Dies bedeutet zunächst, dass die Beschäftigten für Zeiten des Urlaubs das verstetigt ausgezahlte Arbeitsentgelt für die „eigentliche“ Arbeit weiter erhalten. Die Tarifnorm schließt indes nicht aus, dass für die Beschäftigten im Rettungsdienst die - ebenfalls „stetige“ - besondere Vergütung für „Umkleidearbeit“ (oben Rn. 24) in Form einer Zeitgutschrift zu berücksichtigen ist. Denn § 1 BUrlG verpflichtet den Arbeitgeber, grundsätzlich alle in Folge des Urlaubs ausfallenden Arbeitsstunden zu vergüten. Dieser Zeitfaktor für das Urlaubsentgelt ist dem Arbeitnehmer nach §§ 1, 3, 13 BUrlG garantiert und kann auch von den Tarifvertragsparteien nicht zulasten der Beschäftigten verändert werden ( - Rn. 31 mwN).
32b) Zur Berücksichtigung der Zeitgutschrift nach § 23 Abs. 2 MTV bei der Urlaubsvergütung der Beschäftigten im Rettungsdienst zwingt zudem, dass schon aus Gründen des Unionsrechts das für den Urlaub gezahlte Entgelt nicht geringer sein darf als das gewöhnliche Entgelt, das die Arbeitnehmer in Zeiträumen der Arbeitsleistung erhalten ( - [Koch Personaldienstleistungen] Rn. 33). Das Urlaubsentgelt muss „wertgleich“ mit der verstetigten Vergütung für geleistete Arbeit sein. Für die Beschäftigten im Rettungsdienst ist das nur dann der Fall, wenn die Zeitgutschrift nach § 23 Abs. 2 MTV Bestandteil der Urlaubsvergütung ist. Anderenfalls erhielten sie ein Urlaubsentgelt, das zwar numerisch, aber nicht inhaltlich (sh. oben Rn. 25) mit dem Entgelt für Zeiten geleisteter Arbeit identisch ist (zur „Identität“ von Arbeits- und Urlaubsvergütung vgl. - [Hein] Rn. 32 ff.; - Rn. 39 mwN, BAGE 182, 207; ErfK/Gallner 25. Aufl. BUrlG § 11 Rn. 2; BKZ/Bayreuther 3. Aufl. BUrlG § 1 Rn. 7 - jeweils mwN).
333. Dass der Anspruch auf Zeitgutschrift - entgegen der ausführlich begründeten Annahme des Landesarbeitsgerichts - auch in dem in die Revisionsinstanz gelangten Umfang von insgesamt 10,4 Stunden nach der Ausschlussfristenregelung des § 28 Abs. 1 MTV wegen nicht rechtzeitiger Geltendmachung verfallen wäre, hat die Revision nicht geltend gemacht. Dafür bieten zudem die tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts keinen Anhalt.
34III. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2025:140525.U.5AZR215.24.0
Fundstelle(n):
JAAAJ-94207