Grundsicherung für Arbeitsuchende - Verzinsung eines Anspruchs des Bundes gegen einen zugelassenen kommunalen Träger auf Erstattung von Bundesmitteln - Prozesszinsen - Verzugszinsen
Gesetze: § 6b Abs 2 SGB 2, § 6b Abs 5 S 1 SGB 2, § 6b Abs 5 S 2 SGB 2, § 6b Abs 5 S 3 SGB 2, § 187 Abs 1 BGB, § 291 S 2 BGB, § 288 Abs 1 S 2 BGB, § 94 S 1 SGG, Art 104a Abs 5 S 1 GG
Instanzenzug: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 20 AS 2306/19 KL Urteil
Tatbestand
1Im Streit stehen Ansprüche auf Zinsen für Forderungen der klagenden Bundesrepublik Deutschland gegen den beklagten zugelassenen kommunalen Träger (zkT) auf Erstattung von Bundesmitteln.
2Der Beklagte ist aufgrund einer Verwaltungsvereinbarung aus November 2013 "über die vom Bund zu tragenden Aufwendungen des zugelassenen Trägers der Grundsicherung für Arbeitssuchende" zur Teilnahme am automatisierten Verfahren für das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen des Bundes (HKR-Verfahren) berechtigt und ermächtigt, Bundesmittel ua auf der Grundlage von § 6b Abs 2 Satz 1 SGB II zu bewirtschaften sowie beim Bund abzurufen.
3Im Januar 2016 fand eine Prüfung von Jahresabrechnungen des Beklagten statt. Über das Prüfergebnis informierte die Klägerin den Beklagten im Mai 2017 und begehrte Rückzahlungen. Nach ergebnislosen Verhandlungen forderte die Klägerin im November 2018 die Erstattung der von ihr mit insgesamt 1 595 901,15 Euro bezifferten Differenzbeträge zwischen den tatsächlichen und den nach Pauschalen berechneten Verwaltungskosten für die Jahre 2011 bis 2014 (Schreiben vom ). Der Beklagte kam dieser Aufforderung nicht nach, unterzeichnete aber Ende Dezember 2018 einen bis zum befristeten Verzicht auf die Erhebung der Einrede der Verjährung.
4Am hat die Klägerin Klage beim LSG Berlin-Brandenburg erhoben. Sie hat neben der Verurteilung des Beklagten zur Zahlung der Hauptforderung und von - der Höhe nach zeitlich gestaffelten - Verzugszinsen auch dessen Verurteilung zur Zahlung von Prozesszinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz beantragt. Das LSG hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben (Urteil vom , Berichtigungsbeschluss vom ). Der Klägerin stehe ab Rechtshängigkeit der Hauptforderung auch ein Anspruch auf Prozesszinsen in entsprechender Anwendung des § 291 BGB zu. Der Zinssatz sei nicht auf die Höhe des Verzugszinssatzes von 3 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 6b Abs 5 Satz 3 SGB II beschränkt.
5Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte, der sich nicht mehr gegen die Verurteilung zur Zahlung der Hauptforderung wendet, die Verletzung materiellen Rechts. Mit § 6b Abs 5 Satz 2 und 3 SGB II habe der Gesetzgeber eine abschließende und ausdrückliche Regelung für Verzugszinsen geschaffen. Das schließe die zusätzliche Erhebung von Prozesszinsen analog § 291 BGB aus. Hilfsweise seien zumindest nicht gleichzeitig Prozesszinsen und Verzugszinsen zu zahlen.
6Der Beklagte beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom aufzuheben, soweit der Klägerin Prozesszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem zugesprochen werden und die Klage insoweit abzuweisen,hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom aufzuheben, soweit der Klägerin Verzugszinsen in Höhe von 3 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem zugesprochen werden und die Klage insoweit abzuweisen.
7Die Klägerin beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Gründe
8Die Revision des Beklagten hat teilweise Erfolg. Die Klägerin hat Anspruch auf Prozesszinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz. Sie kann aber nicht zugleich Ansprüche auf Verzugszinsen mit Erfolg geltend machen.
91. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind nur noch Ansprüche der Klägerin auf Zinsen ab dem , dem Tag nach Eingang der Klage beim LSG.
10Hinsichtlich der Hauptforderung hat der Beklagte keine Revision eingelegt. Das gilt auch für die der Klägerin zugesprochenen Verzugszinsen bis zum Ablauf des . Das Urteil des LSG ist insoweit rechtskräftig geworden und bindet die Beteiligten (vgl § 141 Abs 1 Nr 1 SGG).
11Verzugszinsen hat das LSG - ohne zeitliche Begrenzung - über den hinaus zugesprochen. Das ergibt sich aus dem Tenor der Entscheidung. Hiernach hat das LSG die Verurteilung zur Zahlung von Verzugszinsen nach einem angenommenen Fälligkeitsdatum der zum Betrag von 1 595 901,15 Euro aufaddierten Teilforderungen (162 339,99 Euro für 2011, 292 576,36 Euro für 2012, 339 967,20 Euro für 2013 und 801 017,60 Euro für 2014) gestaffelt, jeweils mit offenem Ende. Diese Auslegung des Tenors wird gestützt durch die Ausführungen des LSG in den Entscheidungsgründen, der Klägerin stehe ab Rechtshängigkeit der Hauptforderung "auch" ein Anspruch auf Prozesszinsen zu. In diesem Sinne haben auch die Beteiligten die Entscheidung des LSG verstanden. Wegen der zusätzlichen Verurteilung zur Zahlung von Prozesszinsen schuldet der Beklagte, würde das Urteil des LSG rechtskräftig, ab dem Prozesszinsen und Verzugszinsen nebeneinander, wenn auch in unterschiedlicher Höhe.
12Hiervon ausgehend richtet sich der Hauptrevisionsantrag des Beklagten darauf, das Urteil des LSG hinsichtlich des Ausspruchs zu den Prozesszinsen zu beseitigen. Er macht geltend, ein Anspruch auf Prozesszinsen bestehe schon dem Grunde nach nicht, weil der Gesetzgeber mit § 6b Abs 5 Satz 2 SGB II zu Verzugszinsen eine abschließende Sonderregelung getroffen habe. Deshalb sei für Prozesszinsen § 291 BGB nicht anzuwenden. Sein Hilfsantrag zielt darauf ab, im Fall eines Anspruchs der Klägerin auf Prozesszinsen Zinsen nicht zugleich aus Verzug zu schulden.
132. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage iS des § 54 Abs 5 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Durchführung eines Vorverfahrens bedurfte es nicht, da ein Verwaltungsakt iS des § 31 SGB X zwischen den Beteiligten nicht zu ergehen hatte ( - BSGE 114, 55 = SozR 4-4200 § 6b Nr 1, RdNr 26) und nicht ergangen ist. Zu Recht hat das LSG als erstinstanzlich angerufenes Gericht entschieden (§ 29 Abs 2 Nr 3 SGG idF des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und SGB XII vom , BGBl I 453).
143. Die Klage ist hinsichtlich des Anspruchs auf Prozesszinsen begründet. Ein Anspruch auf Prozesszinsen in entsprechender Anwendung des § 291 BGB besteht nach den Grundsätzen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs, wie er in § 6b Abs 5 Satz 1 SGB II ausdrücklich normiert ist (dazu a). Der Anspruch ist der Höhe nach nicht auf die Höhe des Verzugszinssatzes aus § 6b Abs 5 Satz 3 BGB beschränkt (dazu b). Wird er neben dem Anspruch auf Verzugszinsen geltend gemacht, kann die Klägerin als Gläubigerin nicht zugleich Verzugs- und Prozesszinsen erhalten (dazu c).
15a) Ein Anspruch auf Prozesszinsen ergibt sich für die nach § 6b Abs 5 Satz 1 SGB II zu erstattenden Leistungen aus der entsprechenden Anwendung des § 291 BGB.
16Gemäß § 6b Abs 5 SGB II (idF der Neubekanntmachung vom , BGBl I 850) kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von dem zkT die Erstattung von Mitteln verlangen, die er zulasten des Bundes ohne Rechtsgrund erlangt hat. Der zu erstattende Betrag ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr 3 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.
17aa) § 6b Abs 5 Satz 1 SGB II normiert einen verschuldensunabhängigen Erstattungsanspruch (Luik in BeckOGK SGB II, § 6b RdNr 41 ff, Stand ; vgl AS 69/21 R - BSGE 136, 64 = SozR 4-4200 § 6b Nr 5, RdNr 26 f, zweifelnd Luthe in Hauck/Noftz, § 6b RdNr 13, Stand Mai 2021). Durch die Vorschrift wurde ab dem mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende (vom , BGBl I 1112) der allgemein gewohnheitsrechtlich anerkannte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch (dazu - BSGE 111, 200 = SozR 4-5562 § 8 Nr 4, RdNr 15 mwN) in der nach § 6b Abs 2 SGB II bestehenden Finanzbeziehung zwischen dem Bund und dem zugelassenen kommunalen Träger gesetzlich klarstellend verankert (vgl Gesetzentwurf der BReg, BR-Drucks 226/10, S 29). Dieser allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch ist entsprechend seiner Anlehnung an den zivilrechtlichen Bereicherungsanspruch nach § 812 BGB grundsätzlich unabhängig von einem etwaigen Verschulden (vgl 7 C 56.93 - BVerwGE 100, 56, juris RdNr 17; zu Einschränkungen wegen der erstattungs- und haftungsrechtlichen Gleichstellung nach der bis zum geltenden Rechtslage - BSGE 114, 55 = SozR 4-4200 § 6b Nr 1, RdNr 49).
18bb) Der Anspruch auf die Hauptforderung aus § 6b Abs 5 Satz 1 SGB II wird ergänzt durch einen verschuldensabhängigen Verzugszinsanspruch und einen verschuldensunabhängigen Prozesszinsanspruch.
19Gemäß § 6b Abs 5 Satz 2 SGB II ist der (nach Satz 1 der Vorschrift) zu erstattende Betrag während des Verzugs zu verzinsen. Der Anspruch auf Prozesszinsen ist demgegenüber in § 6b Abs 5 SGB II nicht ausdrücklich geregelt. Aus diesem Umstand kann nicht abgeleitet werden, entgegen allgemeiner Grundsätze sei der Anspruch auf Prozesszinsen ausgeschlossen.
20(1) Der Anspruch auf Prozesszinsen aus § 291 BGB hat neben einem Verzugszinsanspruch eigenständige Bedeutung. Das gilt vor allem, wenn der Schuldner trotz Klageerhebung nicht in Verzug gekommen ist (vgl § 291 Satz 1 Halbsatz 1 BGB; - BSGE 95, 141 = SozR 4-2500 § 83 Nr 2, juris RdNr 39; Luik in Hennig, SGG, § 94 RdNr 89, Stand ). Insoweit steht der Mahnung zwar die Erhebung der Klage auf die Leistung gleich (§ 286 Abs 1 Satz 2 BGB). Die Klageerhebung ersetzt aber weder das Erfordernis der Fälligkeit der Leistung vor Mahnung (§ 286 Abs 1 Satz 1 BGB; zur Verbindung von Fälligstellung und Mahnung - NJW 2010, 2940, juris RdNr 14 mwN) noch nimmt sie dem Schuldner das Recht, sich auf fehlendes Vertretenmüssen zu berufen (§ 286 Abs 4 BGB; zur angemessenen Frist zur Überprüfung der tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen von geltend gemachten Ansprüchen in diesem Rahmen - juris RdNr 11; Feldmann in Staudinger, § 286 BGB RdNr 168, Neubearbeitung 2019). Daher kann vom Eintritt der Rechtshängigkeit an ein Anspruch auf Prozesszinsen aus § 291 BGB vorliegen, während derjenige auf Verzugszinsen während des Prozesses zu verneinen ist.
21(2) Für den Anspruch auf Prozesszinsen gilt nach der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes, dass grundsätzlich auch öffentlich-rechtliche Geldschulden entsprechend § 291 BGB zu verzinsen sind, falls nicht etwas Abweichendes gesetzlich geregelt ist oder Besonderheiten eines Sachgebietes einer entsprechenden Anwendung entgegenstehen (vgl 9/4b RV 39/87 - BSGE 64, 225 = SozR 7610 § 291 Nr 2, juris RdNr 25 mwN zur älteren Rspr des BGH und des BVerwG; enger noch 9a RVs 22/84 - SozR 1300 § 63 Nr 9, juris RdNr 9; 2 C 29.11 - BVerwGE 143, 381, juris RdNr 47). Die Formulierung, § 291 BGB sei "entsprechend" anzuwenden, bezieht sich auf die Geltung der Vorschrift nur für zivilrechtliche Geldschulden ( - BSGE 96, 133 = SozR 4-7610 § 291 Nr 3, juris RdNr 12), nicht auf öffentlich-rechtliche Geldforderungen. Die generelle Verpflichtung eines Schuldners zur Zahlung von Zinsen vom Beginn eines Prozesses an hat das BVerwG aus einer schon vor dem Inkrafttreten des BGB in Deutschland fast allgemein zur Anerkennung gelangten, im Verkehrsleben herrschenden Auffassung abgeleitet (so V C 272.57 - BVerwGE 7, 95, juris RdNr 23). Wenn auch im Sozialrecht der Frage, ob Besonderheiten des Sachgebiets einer Verzinsung von Ansprüchen entgegenstehen, besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist (vgl - BSGE 71, 72 = SozR 3-7610 § 291 Nr 1, juris RdNr 33 ff), bleibt für den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch die Verzinsung entsprechend § 291 BGB der Grundfall.
22Besonderheiten der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Kommunen, die im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs aus § 6b Abs 5 Satz 1 SGB II zu einer Ausnahme von diesem Grundfall führen müssten, liegen nicht vor.
23Aus den Materialien zum Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende lässt sich eine Beschränkung des Zinsanspruchs bei Erstattungsansprüchen nach § 6b Abs 5 Satz 1 SGB II auf Verzugszinsen nicht entnehmen. Vielmehr sollte mit der Zinsregelung in Satz 2 sichergestellt werden, dass Verzugszinsen überhaupt verlangt werden können (vgl BR-Drucks 226/10, S 29). Hierzu gab es Anlass, weil für Ansprüche auf Zinsen vor Rechtshängigkeit einer Klage auf den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage gefordert (vgl 3 C 33.83 - BVerwGE 71, 48, juris RdNr 31; 3 C 7.09 - BVerwGE 135, 238, juris RdNr 26; vgl Gurlit in Ehlers/Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht, 16. Aufl 2022, § 35 RdNr 38; - SozR 4-4200 § 6b Nr 4 RdNr 30) oder positive Kenntnis vom Mangel bzw Wegfall des Rechtsgrunds vorausgesetzt wird ( 3 C 33.83 - BVerwGE 71, 48, juris RdNr 37; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl 2013, 13. Teil, S 548; vgl § 819 BGB). Der Erstattungsanspruch aus § 6b Abs 5 Satz 1 SGB II wäre ohne die Sonderregelung in § 6b Abs 5 Satz 2 SGB II vor Rechtshängigkeit nur in Ausnahmefällen zu verzinsen gewesen.
24Im Vergleich zur sog verschärften Verschuldenshaftung ua bei positiver Kenntnis vom Mangel bzw Wegfall des Rechtsgrunds hat sich der Gesetzgeber mit § 6b Abs 5 Satz 2 SGB II für einen erleichterten Zugang des Gläubigers zu einem Zinsanspruch vor Prozessbeginn entschieden. Er hat keine ausdrücklichen Bestimmungen dazu getroffen, wann Verzug iS des § 6b Abs 5 Satz 2 SGB II vorliegt. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs richtet sich der Eintritt des Verzugs nach den allgemeinen Vorschriften (vgl BR-Drucks 226/10, S 29). Insoweit stellt § 6b Abs 5 Satz 2 SGB II eine Rechtsgrundverweisung auf den den Schuldnerverzug regelnden § 286 BGB dar. Gemäß § 286 Abs 4 BGB kommt der Schuldner nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Er haftet daher verschuldensabhängig und auch bei Fahrlässigkeit (vgl § 276 Abs 1 Satz 1 BGB).
25Hingegen gab es keinen vergleichbaren Grund für die ausdrückliche Regelung eines Prozesszinsanspruchs. Für den Haftungsanspruch nach Art 104a Abs 5 Satz 1 Halbsatz 2 GG hatte das BSG, der stRspr des BVerwG folgend, einen Zinsanspruch in entsprechender Anwendung des § 291 BGB vor Beginn des Gesetzgebungsverfahrens zum Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende bereits anerkannt. Die Haftung greife innerhalb des Systems der finanzverfassungsrechtlichen Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern und stehe außerhalb des Systems der sozialrechtlichen Ansprüche ( KL - BSGE 105, 100 = SozR 4-1100 Art 104a Nr 1, RdNr 58 mit Nachweisen zur Rspr des BVerwG). Beim öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zwischen Bund und zkT aufgrund von § 6b SGB II gilt vergleichbar, dass dieser nicht das Sozialleistungsverhältnis, sondern die (Re-)Finanzierung der Leistungen im Innenverhältnis betrifft. Daher ist das BSG schon vor der Verschriftlichung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs in § 6b Abs 5 Satz 1 SGB II von einem Anspruch auf Prozesszinsen auch im Streit zwischen Bund und zkT ausgegangen (zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch im Verhältnis von Bund zu zkT - BSGE 114, 55 = SozR 4-4200 § 6b Nr 1, RdNr 52; zur Situation im Erstattungsverhältnis zwischen zkT und Bund mit allgemeinerer Begründung - SozR 4-4200 § 6b Nr 4 RdNr 5; Kellner, NZS 2024, 880). Insoweit handelt es sich nicht um "beredtes Schweigen" des Gesetzgebers, das gegen Prozesszinsen sprechen könnte (dazu - BSGE 99, 102 = SozR 4-2500 § 19 Nr 4, RdNr 28), sondern um eine vom Gesetzgeber offenbar für nicht erforderlich gehaltene (erneute) Regelung eines bereits anerkannten Prozesszinsanspruchs.
26Aus systematischer Sicht ist § 6b Abs 5 Satz 2 SGB II nach der weiteren Konzeption der auf § 6b SGB II beruhenden Erstattungsansprüche im geschriebenen Recht nicht abschließend. Der Senat lässt die Befugnis des Bundes zur Schaffung materiell-rechtlicher Ansprüche allein aufgrund der Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs 3 SGB II dahingestellt (zur Bindungswirkung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für die Abrechnung der Aufwendungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende durch die zugelassenen kommunalen Träger und für die Bewirtschaftung von Bundesmitteln im automatisierten Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen des Bundes <Kommunalträger-Abrechnungsverwaltungsvorschrift - KoA-VV> im Verhältnis zu § 6b Abs 2 SGB II AS 69/21 R - BSGE 136, 64 = SozR 4-4200 § 6b Nr 5, RdNr 21; Harich in Luik/Harich, SGB II, 6. Aufl 2024, § 48 SGB II RdNr 5; vgl auch - BSGE 114, 55 = SozR 4-4200 § 6b Nr 1, RdNr 49). Ohne dass es hierauf im konkreten Fall ankäme, sieht § 31 KoA-VV im Rahmen des HKR-Verfahrens - die Teilnahme vorausgesetzt - einen weitergehenden Zinsanspruch wegen des nicht bedarfsgerechten Abrufs von Bundesmitteln vor. Der Anspruch ist § 50 Abs 2a Satz 3 SGB X nachgeahmt und setzt einen (schuldhaften) Verzug des zkT nicht zwingend voraus. Mit dem sog Verzögerungszinsanspruch soll verhindert werden, dass der Berechtigte aus der zögerlichen Verwendung der Leistung wirtschaftliche Vorteile zieht (vgl die auf § 50 Abs 2a Satz 3 SGB X bezugnehmende Begründung der BReg zur KoA-VV, BR-Drucks 180/08, S 115; Merten in Hauck/Noftz SGB X, § 50 RdNr 87, Stand Juli 2021; zur Einfügung von § 50 Abs 2a SGB X Gesetzentwurf der BReg zum Gesetz zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften zum Gesetz vom , BT-Drucks 13/1534, S 9). Die Erhebung von Zinsen steht beim Verzögerungszinsanspruch von vornherein im Ermessen der Behörde (vgl 8 C 30.01 - BVerwGE 116, 332, juris RdNr 35).
27Auch weitere systematische Erwägungen stützen einen Prozesszinsanspruch. Das BSG ist für Zinsansprüche bei Sozial(versicherungs-)leistungen davon ausgegangen, die engen Beziehungen zwischen dem auf einem Verzug des Schuldners beruhenden Verzinsungsanspruch und dem durch die Rechtshängigkeit der Forderung begründeten Anspruch auf Prozesszinsen schlössen es aus, ohne eine ausdrückliche Anspruchsgrundlage einen durch Rechtshängigkeit begründeten Zinsanspruch anzuerkennen ( - juris RdNr 20; - BSGE 49, 227 = SozR 1200 § 44 Nr 2, juris RdNr 16; vgl demgegenüber zur Abgrenzung der Verzinsungspflicht wegen Verzugs von derjenigen wegen Rechtshängigkeit - SozR 4-1200 § 44 Nr 8 RdNr 23). Diese Argumentation bezieht sich auf die Ableitung eines (fehlenden) Prozesszinsanspruchs aus einem (fehlenden) Verzugszinsanspruch und nicht umgekehrt auf den Fall vorhandener Vorschriften über Ansprüche auf Verzugszinsen. Hat der Gesetzgeber indes einen gesetzlichen Anspruch auf Verzugszinsen geregelt, hat er bereits eine positive Entscheidung für eine den Gläubiger begünstigende Verzinsungspflicht getroffen. Sind im Einzelnen die Voraussetzungen des Verzugs nicht erfüllt, spricht in Fällen des § 6b SGB II nichts dafür, vom Grundsatz der Verzinsung des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs ab Rechtshängigkeit einer hierauf bezogenen Klage abzuweichen.
28Wegen der auf den Erstattungsanspruch aus § 6b Abs 5 Satz 1 SGB II bezogenen Verzinsungspflicht während des Prozesses in entsprechender Anwendung des § 291 BGB liegt keine Regelungslücke vor, die durch eine entsprechende Anwendung des § 6b Abs 5 Satz 2 SGB II zu schließen wäre (anders König, NZS 2022, 927, 930).
29(3) Der Anspruch der Klägerin auf Prozesszinsen besteht dem Grunde nach in entsprechender Anwendung von § 187 Abs 1 BGB ab dem auf die Rechtshängigkeit (§ 94 Satz 1 SGG) folgenden Tag (vgl - BSGE 128, 65 = SozR 4-2500 § 129a Nr 2, juris RdNr 39 mwN; - SozR 4-1200 § 44 Nr 8 RdNr 22; aA Luik in Hennig, SGG, § 94 RdNr 90, Stand ; - SozR 4-2500 § 275 Nr 16 RdNr 27). Ausgehend von der Erhebung der Klage am hat das LSG den möglichen Beginn einer Verzinsung mit dem bestimmt.
30b) Der Anspruch auf Prozesszinsen ist der Höhe nach nicht auf die Höhe des Verzugszinssatzes nach § 6b Abs 5 Satz 3 SGB II beschränkt.
31Wegen des Fehlens einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung zum Prozesszinsanspruch für den Erstattungsanspruch aus § 6b Abs 5 Satz 1 SGB II und den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch richtet sich die Höhe des Prozesszinsanspruchs nach den entsprechend anwendbaren Vorschriften des BGB über Verzugszinsen (§ 291 Satz 1 iVm § 288 Abs 1 Satz 2 BGB; vgl 3 C 24.03 - BVerwGE 120, 227, 239). Danach beträgt die Höhe der Prozesszinsen grundsätzlich für das Jahr 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Von diesem Grundsatz ist keine Ausnahme zu machen, weil für Verzugszinsen in § 6b Abs 5 Satz 3 SGB II eine abweichende Zinshöhe gesetzlich vorgeschrieben ist.
32Gemäß § 6b Abs 5 Satz 3 SGB II beträgt der Verzugszinssatz für das Jahr 3 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Die Vorschrift bezieht sich dem Wortlaut nach ausdrücklich auf Verzugszinsen. Sie steht in engem Zusammenhang mit § 6b Abs 5 Satz 2 SGB II, der Rechtsgrundlage für einen - anderenfalls nicht in Betracht kommenden - Anspruch auf Verzugszinsen ist. Eine vergleichbare Ausgangslage besteht für den Prozesszinsanspruch nicht.
33Es besteht auch nach dem Sinn und Zweck der Verpflichtung zur Zahlung von Prozesszinsen kein Anlass, die Bestimmung der Zinshöhe abweichend von § 291 Satz 2 iVm § 288 Abs 1 Satz 2 BGB vorzunehmen. Der Gesetzgeber hat sich in § 6b Abs 5 Satz 3 SGB II entschieden, den Verzugszinssatz mit 3 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für das Jahr festzulegen. Gründe, die Höhe des Verzugszinssatzes abweichend von § 288 Abs 1 Satz 2 BGB zu regeln, sind in den Gesetzgebungsmaterialien zu § 6b Abs 5 Satz 3 SGB II nicht dargestellt. Die Zinshöhe entspräche einer nach § 31 KoA-VV vorzunehmenden Verzinsung. Zu deren Höhe ist ausgeführt, der vergleichsweise niedrige Zinssatz trage dem Umstand Rechnung, dass die zkT als öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften im Rahmen der Finanzbeziehung mit dem Bund an den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und an haushaltsrechtliche Grundlagen gebunden und demnach gehalten seien, die Ordnung der Haushalte zu wahren (Ausführungen der BReg zur KoA-VV, BR-Drucks 180/08, S 116). Ein abweichender Ansatz ist für den Anspruch aus § 6b Abs 5 Satz 2 SGB II nicht erkennbar (vgl Luik in BeckOGK-SGB II, § 6b RdNr 46, Stand ).
34Demgegenüber entfällt mit dem gerichtlich ausgetragenen Streit über Erstattungsforderungen aus § 6b Abs 5 Satz 1 SGB II unabhängig von einem Verzug die Grundlage für die Annahme, wegen (beiderseitiger) Rechtstreue sei eine Begünstigung des unterlegenen Beteiligten weiterhin mit einem im Vergleich zu § 288 Abs 1 Satz 2 BGB niedrigeren Zinssatz zu honorieren. Letztlich verbirgt sich hinter § 6b Abs 5 Satz 2 SGB II - und damit auch Satz 3 - keine den zkT begünstigende Regelung. Denn mit Ausnahme der Fälle verschärfter Haftung nach § 819 Abs 1 oder § 820 BGB wären ohne § 6b Abs 5 Satz 2 SGB II Zinsen vor Klageerhebung nicht zu zahlen. Daher liegt, verglichen mit anderen Schuldnern eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs innerhalb (zur Haftungssymmetrie Kellner, NZS 2024, 880) und außerhalb des SGB II, kein Grund dafür vor, aus § 6b Abs 5 Satz 3 SGB II eine "Privilegierung" des zkT im Hinblick auf die Höhe von Prozesszinsen abzuleiten.
35c) Wird der Anspruch auf Prozesszinsen neben dem Anspruch auf Verzugszinsen geltend gemacht, kann der Gläubiger nicht zugleich Verzugs- und Prozesszinsen erhalten.
36Dass Zinsansprüche über § 6b Abs 5 Satz 1 SGB II aus der entsprechenden Anwendung von §§ 291, 288 Abs 1 Satz 2 BGB auf der einen Seite und § 6b Abs 5 Satz 2 (iVm § 286 Abs 1 BGB) und Satz 3 SGB II auf der anderen Seite abgeleitet werden können, besagt nicht, dass sie auch berechtigt nebeneinander geltend gemacht zu machen sind. Bei zeitlicher Überschneidung der Anspruchszeiträume kann der Gläubiger nur Verzugszinsen oder Prozesszinsen erhalten (RG vom - VI 76/16 - RGZ 92, 283, 285; - BSGE 123, 238 = SozR 4-7610 § 677 Nr 1, RdNr 23; Stadler in Jauernig, BGB, 19. Aufl 2023, § 291 RdNr 6). Macht er dennoch beide Ansprüche geltend, kommt der für ihn günstigere Anspruch zum Tragen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Erstattungsforderungen von Bundesmitteln iHv insgesamt 1 595 301,15 Euro vor Ende Dezember 2018 fällig waren. Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt bestehen keine Zweifel an der Fälligkeit der mit Schreiben vom angemahnten Forderungen und am Verzug des Beklagten. Der Anspruch auf Prozesszinsen ist höher als derjenige auf Verzugszinsen ab dem und infolgedessen günstiger. Raum für einen Verzugszinsanspruch bleibt damit nicht. Das Urteil des LSG ist insoweit aufzuheben und die Klage abzuweisen.
374. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 1, § 155 Abs 1 Satz 1, § 162 Abs 1 Alt 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, weil die Klägerin (§ 2 Abs 1 Satz 1 GKG) und der Beklagte (§ 2 Abs 3 Satz 1 GKG iVm § 64 Abs 3 Satz 2 SGB X; vgl - SozR 4-1500 § 197a Nr 15 juris RdNr 6) von der Zahlung der Gerichtskosten befreit sind. Im Klageverfahren allein maßgeblich war das Unterliegen des Beklagten hinsichtlich der Hauptforderung ( 9 C 5.23 - juris RdNr 23). Demgegenüber war das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen im Revisionsverfahren anhand der noch streitgegenständlichen Nebenforderungen zu bestimmen.
385. Die Entscheidung über den Streitwert für das Revisionsverfahren folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 52 Abs 3 Satz 1, § 47 Abs 1 Satz 1, § 43 Abs 2 und § 40 GKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:120325UB7AS124R0
Fundstelle(n):
CAAAJ-94176