Instanzenzug: LG Hildesheim Az: 12 Ks 10/24
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen schweren gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und gegen ihn Maßregeln nach § 69, § 69a StGB angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
21. Der Wiedereinsetzungsantrag in den Stand vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist ist zulässig und begründet, § 45 StPO. Zwar kommt es auch in der vorliegenden Fallgestaltung des geltend gemachten und dem Angeklagten nicht zuzurechnenden Verteidigerverschuldens für die Fristversäumung (vgl. Rn. 9 mwN; Beschluss vom – 1 StR 671/16 Rn. 5) zur Wahrung der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO zwischen Wegfall des Hindernisses und Antragseingang auf die Kenntnis des Angeklagten selbst an (st. Rspr.; vgl. Rn. 2; Beschluss vom – 4 StR 522/19 Rn. 3 mwN; Beschluss vom – 3 StR 197/18 Rn. 3 mwN). Jedoch ist der fehlende Vortrag ausnahmsweise unter den hier gegebenen Umständen unschädlich, weil weder die dargestellte Sachlage noch der Akteninhalt irgendeinen Anhalt dafür bieten, wie der Angeklagte vor seinem Verteidiger Kenntnis von der Fristversäumung erlangt haben könnte (vgl. Rn. 4; Beschluss vom – 2 StR 124/23 Rn. 12 f.).
32. Die revisionsrechtliche Überprüfung des Urteils auf die allgemeine Sachrüge führt zur Aufhebung der Verurteilung.
4a) Nach den Feststellungen des Landgerichts entschloss sich der Angeklagte, mit einem Pkw auf dem Parkplatzgelände eines Schnellrestaurants auf den 15 Meter entfernt stehenden und auf ihn aufmerksam gewordenen Zeugen A. zuzufahren, um sich für einen an ihm zuvor begangenen körperlichen Übergriff zu rächen. Hierzu fuhr er unter starker Beschleunigung ruckartig an und beschleunigte das Fahrzeug „stark“, während er auf sein anvisiertes und ihm zugewandtes Opfer zusteuerte, um eine Kollision mit diesem herbeizuführen. Dabei rechnete er mit der Möglichkeit, den Zeugen lebensgefährlich zu verletzen, und nahm dies billigend in Kauf. Aufgrund des „schnellen“ Erkennens der Absichten des Angeklagten gelang es dem Zeugen, „rasch“ zu reagieren und zur Seite in eine mit Steinen befüllte Einfassung zu springen. Sodann vollzog der Angeklagte eine Schleife über leere Parkflächen und steuerte ein weiteres Mal auf den Zeugen zu. Dieser stellte sich hinter einen in der Einfassung stehenden Baum, sodass er sich in keiner für ihn lebensgefährlichen Position mehr befand. Der Angeklagte fuhr erneut am Zeugen vorbei, der daraufhin zur Verhinderung weiterer Anfahrversuche einen Backstein durch die hintere Seitenscheibe des Pkw warf. Anschließend wurde er von einer Mitarbeiterin in das Gebäude gezogen. Diese verriegelte die Eingangstür und rief die Polizei. Der Angeklagte informierte wegen des Steinwurfs ebenfalls die Polizei und blieb bis zu deren Eintreffen vor Ort.
5b) Rechtlich nicht zu beanstanden ist, dass sich das Landgericht zur Frage eines strafbefreienden Rücktritts (§ 24 Abs. 1 StGB) vom Versuch der gefährlichen Körperverletzung nicht verhalten hat, weil der festgestellte und belegte Sachverhalt hierzu nicht drängte. Zwar hat die Strafkammer weder ausdrückliche Feststellungen zum Rücktrittshorizont des Angeklagten getroffen noch sonst aus den von ihr getroffenen Feststellungen Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild des Angeklagten nach Abschluss der (letzten) Ausführungshandlung gezogen
6c) Jedoch belegen die Feststellungen – worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat – die für die Annahme einer vollendeten Tat nach § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB vorausgesetzte Herbeiführung einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert nicht.
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8bb) Nach diesen Maßstäben genügen die Feststellungen des Landgerichts nicht den Anforderungen zur Darlegung einer konkreten Gefahr für die körperliche Integrität des Zeugen. Denn den Urteilsgründen lässt sich – auch in ihrem Gesamtzusammenhang – nicht entnehmen, dass es zu einer Gefahrenlage in dem dargestellten Sinn gekommen ist. Insbesondere durfte unter den hier gegebenen Umständen nicht offenbleiben, wie weit sich das Fahrzeug des Angeklagten auf der 15 Meter langen Zufahrt dem Zeugen angenähert hatte, als dieser zur Seite sprang. Denn der Zeuge war dem Fahrzeug des Angeklagten zugewandt und hatte bereits aufgrund des ruckartigen Anfahrens in seine Richtung die Absichten des Angeklagten erkannt. Danach reagierte er „rasch“ und sprang in die ihn schützende Einfassung. Dies lässt die Möglichkeit offen, dass der Zeuge noch rechtzeitig und ohne hohes Eigenrisiko auszuweichen vermochte. Der Umstand, dass der Angeklagte mit seinem Fahrzeug sodann in einer Entfernung von weniger als einem Meter an dem nunmehr – zumindest relativ – gesicherten Zeugen vorbeifuhr, belegt unter diesen Umständen die Annahme eines Beinahe-Unfalls nicht.
9die sich auch auf die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen der tateinheitlich begangenen versuchten gefährlichen Körperverletzung erstreckt. Sollte sich der Tatrichter vom Eintritt einer konkreten
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ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:200525B4STR168.25.0
Fundstelle(n):
YAAAJ-94053