Zulässigkeit der Revision - ordnungsmäßige Begründung - Anforderungen - Inflationsausgleichsprämie
Gesetze: § 3 Nr 11c EStG, § 72 Abs 5 ArbGG, § 551 Abs 3 S 1 Nr 2 ZPO
Instanzenzug: Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen Az: 6 Ca 13/23 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 10 Sa 4/24 Urteil
Gründe
1I. Die Parteien streiten - soweit für die Revision von Bedeutung - über eine Inflationsausgleichsprämie.
2Der Kläger ist seit dem bei der Beklagten in Vollzeit beschäftigt. Im Jahr 2023 war er durchgehend arbeitsunfähig erkrankt, ohne dass die Beklagte an ihn Entgeltfortzahlung leistete. Der Kläger bezog stattdessen Krankengeld.
3Mit der Vergütung für März 2023 zahlte die Beklagte an ihre Beschäftigten eine Inflationsausgleichsprämie iHv. 1.500,00 Euro netto. Die Zahlung erfolgte ausschließlich an Beschäftigte, die im Jahr 2023 eine Vergütung für geleistete Arbeit bezogen. Beschäftigte, die aufgrund einer Langzeiterkrankung keine Arbeitsleistung erbrachten, erhielten hingegen keine Inflationsausgleichsprämie. Entsprechend erfolgte an den Kläger keine Zahlung. Seine außergerichtliche Geltendmachung blieb erfolglos.
4Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe die Inflationsausgleichsprämie auf der Grundlage des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu. Die Inflationsausgleichsprämie iSv. § 3 Nr. 11c EStG diene dazu, Beschäftigte von den gestiegenen Verbraucherpreisen zu entlasten. Die gesetzliche Zweckbestimmung stehe nicht zur Disposition, so dass die Prämie nicht arbeitsleistungsbezogen ausgestaltet werden könne. Mit der Voraussetzung in § 3 Nr. 11c EStG, wonach die Inflationsausgleichsprämie zusätzlich zum Arbeitslohn gezahlt werde, sollte verhindert werden, dass Arbeitgeber einen Teil des ohnehin geschuldeten Arbeitsentgelts steuer- und sozialabgabenfrei als Inflationsausgleichsprämie deklarierten. Es stelle eine sachfremde Gruppenbildung dar, wenn danach unterschieden werde, ob das Arbeitsverhältnis wegen Arbeitsunfähigkeit ruhe ober ob eine Arbeitsleistung erbracht werde.
5Der Kläger hat - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt,
6Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Ungleichbehandlung des Klägers bei der Zahlung der Inflationsausgleichsprämie sei sachlich gerechtfertigt. Deren Zweck habe darin bestanden, die inflationsbedingten Härten für Beschäftigte im Rahmen einer zusätzlichen Vergütung für eine tatsächlich im aktiven Beschäftigungsverhältnis erbrachte Arbeitsleistung auszugleichen. Dieser Zweck könne bezogen auf den Kläger wegen dessen Langzeiterkrankung nicht erreicht werden.
7Das Arbeitsgericht hat die Klage - soweit für die Revision von Bedeutung - abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter, wozu er die Klage in der Revisionsinstanz um zwei Hilfsanträge erweitert hat.
8II. Die Revision des Klägers ist unzulässig. Sie genügt nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen.
91. Die Zulässigkeit der Revision setzt ua. voraus, dass sie ordnungsgemäß begründet ist. Dafür müssen nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO die Revisionsgründe angegeben werden. Bei Sachrügen sind diejenigen Umstände bestimmt zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO). Die Revisionsbegründung muss den angenommenen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Das erfordert eine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung. Der Revisionsführer muss darlegen, warum er die Begründung des Berufungsgerichts für unrichtig hält. Allein die Darstellung anderer Rechtsansichten ohne jede Auseinandersetzung mit den Gründen des Berufungsurteils genügt den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung ebenso wenig wie die Wiedergabe des bisherigen Vorbringens. Es reicht auch nicht aus, wenn der Revisionsführer die tatsächlichen und/oder rechtlichen Würdigungen des Berufungsgerichts lediglich mit formelhaften Wendungen rügt ( - Rn. 16; - 10 AZR 208/20 - Rn. 11 mwN). Hat das Berufungsgericht seine Entscheidung auf zwei voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Revisionsbegründung beide Erwägungen angreifen. Andernfalls ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig ( - aaO; - 4 AZR 362/22 - Rn. 12).
102. Nach diesen Maßstäben ist die Revision des Klägers nicht ausreichend begründet. Er setzt sich nur mit einem von zwei selbständig tragenden Argumentationssträngen des Landesarbeitsgerichts hinreichend auseinander.
11a) Das Landesarbeitsgericht hat seine klageabweisende Entscheidung auf zwei voneinander unabhängige, selbständig tragende Begründungen gestützt. Es hat zum einen angenommen, die Klage sei selbst dann, wenn dem Kläger ein Anspruch dem Grund nach zustünde, unbegründet, weil der Kläger ausdrücklich die Verurteilung der Beklagten zu einer Nettozahlung verlange. Die Gerichte für Arbeitssachen könnten aber nicht mit Bindung für die Steuerbehörden und Finanzgerichte sowie die Krankenkassen festlegen, ob ein Betrag abgabenpflichtig sei oder nicht. Dies gelte auch für Zahlungen, die der Arbeitgeber im Hinblick auf § 3 Nr. 11c EStG vornehme. Zum anderen hat das Landesarbeitsgericht einen Anspruch auch dem Grund nach verneint, weil die Leistungsgewährung der Beklagten nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße, was näher ausgeführt wird. Diese beiden Begründungsstränge, die äußerlich erkennbar unter eigenen Gliederungspunkten geführt werden, hängen inhaltlich nicht voneinander ab und tragen die abweisende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts jeweils eigenständig.
12b) Der Kläger greift nicht beide selbständig tragenden Argumentationslinien hinreichend an.
13aa) Den gesetzlichen Anforderungen genügend sind allerdings die Revisionsangriffe, mit denen sich der Kläger gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts wendet, der geltend gemachte Anspruch ergebe sich nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Insoweit setzt er sich in seiner Revisionsbegründung umfassend und ausreichend mit der Argumentation des Berufungsgerichts auseinander.
14bb) Demgegenüber genügt die Revisionsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen, soweit sich der Kläger gegen die Argumentation des Landesarbeitsgerichts wendet, die Verurteilung zu einer Nettozahlung sei im Hinblick auf die begehrte Inflationsausgleichsprämie nicht möglich.
15(1) Die Revision greift die Ausführungen zur Ablehnung einer Nettoverurteilung nur an, indem sie auf den Wortlaut des § 3 Nr. 11c EStG und die FAQ des Bundesministeriums der Finanzen zur Inflationsausgleichsprämie verweist und daraus eine faktische Bindung der Finanzbehörden ableitet. Nach Nr. 9 der FAQ dürfe die Zahlung der Inflationsausgleichsprämie an arbeitsrechtliche Voraussetzungen geknüpft werden, ohne dass die steuer- und abgabenrechtliche Privilegierung entfiele. Dies gelte mit Blick auf Nr. 11 der FAQ nicht, soweit die Prämie arbeitsrechtlich von finanziellen Gesichtspunkten wie Lohn und Entgelt abhängig gemacht würde. Da die Beklagte die Inflationsausgleichsprämie - nach dem Verständnis der Revision - nicht als arbeitsleistungsbezogene Vergütung ausgestaltet habe, sei keine privilegierungsschädliche Verknüpfung gegeben, sodass eine „Netto-Verurteilung“ erfolgen könne.
16(2) Auf die tragende und ausdrücklich auf Rechtsprechung des Senats ( -) gestützte Erwägung des Landesarbeitsgerichts, die Gerichte für Arbeitssachen seien nicht befugt, mit Bindungswirkung für die Steuerbehörden und Finanzgerichte sowie die Krankenkassen über die Steuer- und Sozialversicherungspflicht einer Zahlung des Arbeitgebers zu befinden, geht die Revision hingegen nicht ein. Diesen Aspekt übergeht der Kläger vollständig, obwohl mit dem innerhalb der Revisionsbegründung angekündigten Revisionsantrag weiterhin ausdrücklich eine Verurteilung zur Nettozahlung begehrt wird. Die Revision meint insoweit lediglich, die nicht arbeitsleistungsbezogene Ausgestaltung der Prämie lasse eine solche Verurteilung zur Nettozahlung zu. Damit ersetzt der Kläger lediglich die Argumentation des Landesarbeitsgerichts durch seine eigene, insoweit gänzlich andere. Daher liegt in den Revisionsangriffen zur nicht arbeitsleistungsbezogenen Ausgestaltung der von der Beklagten gezahlten Prämie nicht gleichzeitig eine hinreichende Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur fehlenden Kompetenz der Gerichte für Arbeitssachen, mit Bindungswirkung für die Steuerbehörden und Finanzgerichte sowie die Krankenkassen zu entscheiden, ob die Zahlung eines Arbeitgebers steuer- und sozialversicherungsfrei ist. Dieses Argument des Landesarbeitsgerichts gilt, ohne dass es darauf ankommt, ob die Voraussetzungen der Privilegierung nach § 3 Nr. 11c EStG erfüllt sind oder nicht.
17c) An diesem Ergebnis kann der Schriftsatz des Klägers vom nichts ändern. Nach Ablauf der Frist zur Begründung der Revision (§ 74 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ArbGG) mit Montag, dem , war eine den aufgezeigten Erfordernissen Rechnung tragende Ergänzung der Begründung ausgeschlossen. Materiell-rechtliche Sachrügen können nur „nachgeschoben“ werden, wenn die Revision zulässig ist ( - Rn. 20 mwN). Daher kommt es nicht darauf an, ob die in diesem Schriftsatz vorgenommene Klageänderung zulässig ist und ob die Revisionsbegründung in Bezug auf die geänderten Anträge den gesetzlichen Anforderungen genügte.
183. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2025:260525.B.10AZR240.24.0
Fundstelle(n):
MAAAJ-93905