Instanzenzug: OLG Oldenburg (Oldenburg) Az: 2 U 188/21vorgehend LG Aurich Az: 5 O 1169/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Januar 2016 einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Audi A6 Avant 3,0 TDI quattro, der mit einem V6-Dieselmotor der Baureihe EA 897 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet ist.
2Der Kläger begehrt im Wege des Schadensersatzes die Rückabwicklung des Kaufvertrags. Das Landgericht hat - unter Klageabweisung im Übrigen - die Beklagte verurteilt, an den Kläger 34.889,65 € nebst Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung der Beklagten und unter Zurückweisung des Rechtsmittels des Klägers das landgerichtliche Urteil geändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner insoweit vom Senat zugelassenen Revision, mit welcher er die Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung begehrt.
Gründe
3Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB komme nicht in Betracht. Bei den vom Kläger behaupteten Funktionen, soweit sie nicht ins Blaue hinein vorgetragen seien, handele es sich, so auch beim unstreitig implementierten sogenannten Thermofenster, nicht um evident unzulässige Abschalteinrichtungen, weil sie nicht danach unterschieden, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befinde. Unter diesen Umständen müssten weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Solche lägen nicht vor. Ebenso wenig bestünden Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, da diese Vorschriften keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB seien.
II.
6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
71. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
9Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
10Die Berufungsentscheidung ist (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR1145.22.0
Fundstelle(n):
CAAAJ-93207