Leitsatz
Der Begriff der Betäubungsmittel in § 6 Nr. 5 StGB umfasst auch nach Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes die Rauschmittel Cannabis und Marihuana.
Gesetze: § 6 Nr 5 StGB
Instanzenzug: LG Duisburg Az: 80 KLs 31/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten H. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 33.000 € angeordnet. Gegen den Angeklagten T. hat es wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Angeklagten rügen mit ihren Revisionen die Verletzung sachlichen Rechts. Die Rechtsmittel haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
2Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3Zu Beginn des Jahres 2020 vereinbarte der Angeklagte H. mit dem gesondert Verfolgten „N. “, in R. in den Niederlanden Betäubungsmittelgeschäfte mit zwei Zeugen aus Deutschland abzuwickeln. Dementsprechend kam es zu zwei Handelsgeschäften, bei denen sich die Zeugen telefonisch an „N. “ wandten, der sie für die weitere Abwicklung an den Angeklagten H. verwies. „N. “ stellte dem Angeklagten H. die Betäubungsmittel zur Verfügung; der Angeklagte H. traf dann telefonisch konkrete Absprachen mit den Zeugen zu Ort und Zeitpunkt der Übergabe. Pro Gramm Marihuana zahlten die Zeugen 4,40 €, wobei der Angeklagte H. das Geld für „N. “ entgegennahm. Der Angeklagte H. sollte für seine Tätigkeit jeweils 300 € erhalten. Die Zeugen transportierten das Marihuana jeweils zum gewinnbringenden Verkauf nach Deutschland. Der Angeklagte T. , der in der Nachbarschaft des Angeklagten H. lebte, unterstützte diesen bei den Verkaufsgeschäften. Er wusste, dass jeweils mehrere Kilogramm Marihuana übergeben wurden. Nicht festgestellt ist, dass der Angeklagte T. finanziell von den Geschäften profitierte.
4Am übergab der Angeklagte H. den Zeugen in R. mindestens fünf Kilogramm Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von mindestens 500 Gramm THC gegen Barzahlung von 22.000 €. Vor der Übergabe trafen sich die Zeugen sowie der Angeklagte T. in der Tiefgarage eines Supermarktes in R. und parkten ihr Auto; von dort fuhr der Angeklagte T. beide Zeugen mit einem Kfz zum Übergabeort.
5Am übergab der Angeklagte H. den Zeugen im Haus des Angeklagten T. in R. 2,5 Kilogramm Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 406 Gramm THC gegen Barzahlung in Höhe von 11.000 €. Der Angeklagte T. stellte sein Haus für die Übergabe zur Verfügung; zuvor hatte er die beiden Zeugen erneut in der Tiefgarage des Supermarkts abgeholt. Die Polizei nahm die beiden Zeugen in Deutschland fest und stellte das Marihuana sicher.
II.
6Während die Feststellungen ohne Rechtsfehler getroffen sind, sind die Schuldsprüche infolge einer Gesetzesänderung nach Urteilsverkündung zu ändern. Dies zieht die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich.
71. Deutsches Strafrecht ist auch nach der Einführung des mit Wirkung vom geltenden Straftatbestandes in § 34 Abs. 1 KCanG durch das Cannabisgesetz vom (BGBl. I Nr. 109) gemäß § 6 Nr. 5 StGB auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar. Nach § 6 Nr. 5 StGB gilt deutsches Strafrecht, unabhängig vom Recht des Tatorts, für den unbefugten Vertrieb von Betäubungsmitteln, wenn die Tat im Ausland begangen wurde. Die Vorschrift ist nach ständiger Rechtsprechung Ausdruck des Weltrechtsprinzips (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 201/11, NStZ 2012, 335; vom – 3 StR 383/09, NStZ 2010, 521; vom – 5 StR 493/99, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Einfuhr 37; Urteile vom – 1 StR 328/91, BGHR StGB § 6 Nr. 5 Vertrieb 2; vom – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334, 336; vom – 3 StR 472/85, BGHSt 34, 1, 2, und vom – 3 StR 298/76, BGHSt 27, 30, 32). Sie ist dahin zu verstehen, dass der Begriff der Betäubungsmittel auch nach der Einführung des Konsumcannabisgesetzes die Rauschmittel Cannabis und Marihuana erfasst. Im Einzelnen:
8a) Im Ausgangspunkt ist anzunehmen, dass § 2 Abs. 3 StGB auch für das Strafanwendungsrecht gilt (, wistra 2003, 255, 257; , BGHSt 20, 22, 25; Beschluss vom – 4 StR 683/75, BGHSt 27, 5, 8; Fischer, StGB, 72. Aufl., § 2 Rn. 6). Anderenfalls würde gemäß § 2 Abs. 1 StGB Tatzeitrecht zur Anwendung gelangen, was zur Folge hätte, dass die frühere Begriffsbestimmung maßgeblich wäre, nach der Cannabis und Marihuana ohne Zweifel als Betäubungsmittel anzusehen waren.
9b) § 6 Nr. 5 StGB erfasst weiterhin den unbefugten Vertrieb von Cannabis und Marihuana.
10aa) In der Literatur ist diese Frage – soweit bislang Stellung genommen wurde – umstritten. Einerseits wird für die Begriffsbestimmung auf die Anlage I zum Betäubungsmittelgesetz abgehoben, die seit der Einführung des Konsumcannabisgesetzes Cannabis und Marihuana nicht mehr umfasst, mit der Folge, dass das Weltrechtsprinzip aus § 6 Nr. 5 StGB nicht (mehr) auf den Vertrieb von Cannabis Anwendung finde (vgl. Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 34 KCanG Rn. 63, 85). Andererseits wird vertreten, dass das Weltrechtsprinzip in § 6 Nr. 5 StGB auch für den Vertrieb von Cannabis gelte (BeckOK BtMG/Hollering/Köhnlein, 25. Ed., § 34 KCanG Rn. 3). Der im Strafgesetzbuch verwendete Begriff „Betäubungsmittel“ sei autonom auszulegen und erfasse alle Suchtstoffe, die nach wissenschaftlicher Erkenntnis wegen ihrer Wirkungsweise eine Abhängigkeit hervorrufen können oder deren betäubende Wirkung wegen des Ausmaßes einer missbräuchlichen Verwendung unmittelbar oder mittelbar Gefahren für die Gesundheit begründen (BeckOK BtMG/Hollering/Köhnlein, 25. Ed., § 34 KCanG Rn. 3 unter Hinweis auf BVerfG NJW 1998, 669).
11bb) Für die rechtliche Bewertung maßgeblich ist zunächst, dass sich der Gesetzentwurf der Bundesregierung zu einem Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz des Bundes unter anderem auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG (Betäubungsmittelrecht) stützt (BT-Drucks. 20/8704, S. 70). Dies lässt erkennen, dass der Gesetzgeber selbst davon ausgeht, dass Cannabis und Marihuana in diesem Normkontext als Betäubungsmittel anzusehen sind.
12Für die Kategorisierung von Cannabis und Marihuana als Betäubungsmittel im Sinne von § 6 Nr. 5 StGB spricht auch die historische Auslegung. § 6 Nr. 5 StGB beruht auf dem Einheitsabkommen über Suchtstoffe vom (idF des Änderungsprotokolls von 1972, BGBl. II 1973, 1354), dem Übereinkommen über psychotrope Stoffe vom (BGBl. II 1976, 1478) sowie dem Wiener Übereinkommen vom gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen (BGBl. II 1993, 1137; vgl. , BGHSt 27, 30, 33; Beschluss vom – 1 ARs 10/15, juris Rn. 22; Schönke/Schröder/Eser/Weißer, StGB, 30. Aufl., § 6 Rn. 6; MüKoStGB/Ambos, 5. Aufl., § 6 Rn. 12). Diese Abkommen, die freilich das Weltrechtsprinzip nicht zwingend vorschreiben, diesem jedoch auch nicht entgegenstehen (vgl. , BGHSt 27, 30, 32 f.; Urteil vom – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334, 336), beziehen in ihren Anlagen Cannabis und Marihuana ausdrücklich mit ein (vgl. Anhang zum Einheitsabkommen über Suchtstoffe vom , BGBl. II 1973, S. 1398: Cannabis, Cannabisharz, Extrakte und Cannabistinkturen; Anhang I zum Übereinkommen über psychotrope Stoffe vom , BGBl. II 1976, S. 1512: Tetrahydrocannabinol [einschließlich aller Isomere]). Aus ihnen ergibt sich eindeutig, dass die Unterzeichnerstaaten, zu denen auch die Niederlande gehören, im Interesse der Gesundheit und des Wohles der Menschheit eine weltweite internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der – auch Cannabis erfassenden – Rauschgiftkriminalität für erforderlich halten (, BGHSt 27, 30, 33). Dementsprechend wird in Art. 4 Abs. 3 des Wiener Übereinkommens vom gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen die Ausübung einer über die dort einzeln aufgezählten - im deutschen Recht im Wesentlichen schon durch die §§ 3, 4 und 7 StGB umgesetzten - Jurisdiktionstitel hinausgehenden, nach innerstaatlichem Recht begründeten Strafbarkeit ausdrücklich nicht ausgeschlossen.
13Für die Einbeziehung von Cannabis und Marihuana in die Betäubungsmittel im Sinne von § 6 Nr. 5 StGB streitet – wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat – zudem die Gesetzesbegründung zum Konsumcannabisgesetz. Dort heißt es in der Präambel: „Der Konsum von Cannabis, das vom Schwarzmarkt bezogen wird, ist häufig mit einem erhöhten Gesundheitsrisiko verbunden, da der Tetrahydrocannabinol-Gehalt unbekannt ist und giftige Beimengungen, Verunreinigungen sowie synthetische Cannabinoide enthalten sein können, deren Wirkstärke von den Konsumentinnen und Konsumenten nicht abgeschätzt werden kann. Das Gesetz zielt darauf ab, zu einem verbesserten Gesundheitsschutz beizutragen, […]“ (BT-Drucks. 20/8704, S. 1). Weiter wird im Allgemeinen Teil ausgeführt: „Wie bei anderen psychoaktiven Substanzen auch, ist der Konsum von Cannabis mit gesundheitlichen Risiken, wie beispielsweise cannabisinduzierte[n] Psychosen, verbunden. Daher sollte auf den Konsum von Cannabis verzichtet werden“ (BT-Drucks. 20/8704, S. 68). Danach zielen auch die Regelungen des Konsumcannabisgesetzes darauf ab, den Konsum möglichst zu unterbinden. Dieser Zielsetzung dienen die Strafvorschriften in § 34 KCanG, die für verschiedenartige Verstöße gegen das grundsätzlich bestehende Verbot des Umgangs mit Cannabisprodukten eine Bestrafung vorsehen. Insoweit hat sich gegenüber dem Regelungszweck des § 29a BtMG nichts geändert (vgl. , NStZ 2024, 420 Rn. 17).
14Dem Verständnis, dass der Betäubungsmittelbegriff in § 6 Nr. 5 StGB nach wie vor Cannabis und Marihuana erfasst, steht § 1 Abs. 1 BtMG nicht entgegen. Danach sind Betäubungsmittel im Sinne dieses Gesetzes die in den Anlagen I bis III aufgeführten Stoffe und Zubereitungen. In den Anlagen nicht mehr enthalten sind Cannabis und Marihuana. Daraus folgt – entgegen der Auffassung der Revisionen – allerdings nicht, dass Cannabis und Marihuana im hiesigen Zusammenhang nicht mehr als Betäubungsmittel angesehen werden könnten. Denn § 1 Abs. 1 BtMG bezieht sich ausdrücklich nur auf Betäubungsmittel „im Sinne dieses Gesetzes“ und damit im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes. Eine allgemeine Regelung und für andere Bereiche geltende Begriffsbestimmung ist damit dort nicht getroffen.
15cc) Der Senat kann die streitige Frage offen lassen, ob § 6 Nr. 5 StGB als – ungeschriebenes – Erfordernis einen Inlandsbezug voraussetzt (vgl. , BGHR StGB § 6 Nr. 5 Vertrieb 2; vom – 3 StR 11/87, BGHSt 34, 334, 336; vom – 3 StR 298/76, BGHSt 27, 30, 33; Beschlüsse vom – 2 StR 96/14, NStZ 2015, 568 f.; vom – 1 ARs 10/15, JR 2017, 397; Urteil vom – 2 StR 96/14, NStZ 2017, 295 f.; SSW-StGB/Satzger, 6. Aufl., § 6 Rn. 10; Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 6 Rn. 1; MüKoStGB/Ambos, 5 Aufl., § 6 Rn. 4, 13; Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., Vor §§ 29 ff. BtMG Rn. 123; Schönke/Schröder/Eser/Weißer, StGB, 30. Aufl., § 6 Rn. 6; siehe ausführlich zu den völkerrechtlichen Bedenken gegen die Vorschrift auch LK/Werle/Jeßberger, StGB, 13. Aufl., § 6 Rn. 9 ff., 69 ff.), denn ein solcher ist hier gegeben. Ein legitimierender Anknüpfungspunkt ergibt sich daraus, dass die Rauschmittel nach dem Ankauf in den Niederlanden unweit der niederländisch-deutschen Grenze durch deutsche Staatsangehörige in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt und hier verkauft wurden (vgl. , BGHSt 34, 334, 339).
162. Nach Einführung des mit Wirkung vom geltenden Straftatbestandes in § 34 Abs. 1 KCanG durch das Cannabisgesetz vom (BGBl. I Nr. 109), welches der Senat nach § 354a StPO seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat, ist der Angeklagte H. statt eines Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen des Handeltreibens mit Cannabis in zwei Fällen schuldig. Der Angeklagte T. ist statt einer Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen der Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis in zwei Fällen schuldig.
17a) Die durch das Cannabisgesetz mit Wirkung vom geltenden Straftatbestände des Handeltreibens mit Cannabis und der Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG) stellen hier auch unter Berücksichtigung des Strafrahmens für besonders schwere Fälle (§ 34 Abs. 3 Satz 1 KCanG) die im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB gegenüber § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG mildere und daher für die Revisionsentscheidung nach § 354a StPO maßgebliche Regelung dar.
18Der Senat kann den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO ändern, weil sich die Angeklagten bei einem entsprechenden Hinweis nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können.
19b) Die Änderung des Schuldspruchs hat bei beiden Angeklagten die Aufhebung der Einzelstrafen und des jeweiligen Gesamtstrafausspruchs zur Folge, da der nach § 34 Abs. 1, Abs. 3 KCanG in Betracht kommende Strafrahmen deutlich geringer als der vom Landgericht zugrunde gelegte Rahmen des § 29a Abs. 1 BtMG und nicht auszuschließen ist, dass es bei Anwendung des nunmehr geltenden Rechts auf niedrigere Strafen erkannt hätte.
20c) Die zur Urteilsaufhebung führenden Gesichtspunkte berühren nicht die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen, die bestehen bleiben können (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen, sind möglich.
213. Die gegen den Angeklagten H. getroffene Einziehungsentscheidung weist keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil auf.
Schäfer Hohoff Anstötz
Voigt Munk
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:050325B3STR399.24.0
Fundstelle(n):
QAAAJ-92910