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BGH Urteil v. - 3 StR 497/24

Instanzenzug: Az: 12 KLs 2020 Js 70492/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in zwei Fällen und versuchten Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Zudem hat es die Einziehung eines dem Angeklagten überlassenen Einweghandys angeordnet.

2Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft gegen die Verurteilung hat zuungunsten des Angeklagten teilweise Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten ist in geringem Umfang erfolgreich.

I.

3Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

41. Etwa eine Woche vor dem wurde der Angeklagte an einem Szenetreff Drogenabhängiger in M.                            von einem ihm unbekannten Mann angesprochen. Dieser bot ihm jeweils 500 € dafür, dass er nach Anweisung an einen zu benennenden Übergabeort fährt und dort ein Paket entgegennimmt. Der Angeklagte hielt es bereits ab der ersten Abholung für möglich, dass es um die Begehung von Betrugstaten in nicht unerheblichem Umfang ging. Er nahm dies billigend in Kauf und willigte in den Tatplan ein in der Absicht, sich durch die fortgesetzte, gemeinschaftliche Begehung solcher Taten eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von nicht unerheblichem Umfang zu verschaffen, um seinen Drogenkonsum zu finanzieren und Entzugssymptome zu vermeiden. Der unbekannte Täter übergab dem Angeklagten ein Einweghandy der Marke Nokia 106 DS, über das der Auftraggeber den Angeklagten in der Folge kontaktierte und jeweils Anweisungen zu den einzelnen Übergabeorten mitteilte.

5Der Angeklagte wurde als sog. Abholer im Rahmen einer international aufgestellten Bande aus mindestens drei Personen eingesetzt, die sich dauerhaft zusammengeschlossen hatten, um durch die gewerbsmäßige Begehung von Betrugstaten nach dem Modus Operandi „Schockanrufe“ bzw. „falsche Polizisten“ in großem Umfang Vermögenswerte vornehmlich älterer Menschen zu erlangen. Dabei ging die Bande wie folgt vor: Die sog. Keiler, die im Ausland aufhältig waren, riefen vorwiegend ältere Personen in dem Bestreben an, eine Legende anzubringen. Hierzu gaben sie sich als Polizeibeamte, Staatsanwälte oder Richter aus und behaupteten, ein Familienmitglied habe einen tödlichen Verkehrsunfall verursacht und Fahrerflucht begangen. Es sei eine Kaution vonnöten, um den Angehörigen vor Untersuchungshaft zu bewahren. Sobald die Legende gesetzt war und im Folgenden aufrechterhalten wurde, wurden die Geschädigten durch die sog. Keiler zu einem Übergabeort gelotst. Parallel kümmerten sich die sog. Logistiker darum, den Angeklagten als Abholer ebenfalls zum Übergabeort zu dirigieren. Dieser nahm sodann weisungsgemäß die Tatbeute entgegen und übergab sie in der Folge an seinen Auftraggeber.

6Vor diesem Hintergrund war der Angeklagte bei zwei Taten und einer weiteren versuchten Tat als Abholer tätig. In dem ersten Fall übergab ihm ein Ehepaar am eine „Kaution“ in Höhe von 48.500 €. Einen Tag später, händigte die Geschädigte dem Angeklagten 1.800 € sowie Wertgegenstände wie Krügerrandmünzen, Goldmünzen, Silberbarren und diversen Schmuck an dem vereinbarten Übergabeort aus. Er begab sich nach der Übergabe jeweils zurück nach M.                          , gab die Tatbeute seinem Auftraggeber und erhielt die versprochene Entlohnung von jeweils 500 €. Am sollte eine weitere Tat stattfinden, wobei die Angerufenen den versuchten Betrug bemerkten, sich mit der Polizei abstimmten und lediglich zum Schein auf die Sache einließen. Bei der geplanten Übergabe von Geld und Wertgegenständen wurde der Angeklagte festgenommen.

7Der Angeklagte ist langjähriger Betäubungsmittelkonsument und abhängig von multiplen Substanzen, seit 2022 vornehmlich von Opioiden und Kokain. Von 2008 bis 2022 konsumierte er inhalativ Heroin. Im Tatzeitraum befand er sich in Substitution und erhielt täglich 40 ml Methadon, daneben rauchte er zwei bis drei Gramm Kokain/Crack pro Tag. An den jeweiligen Tattagen konsumierte er im Rahmen seiner üblichen Tagesdosis.

82. Das Landgericht hat nicht festzustellen vermocht, dass dem Angeklagten, der nur mit seinem Auftraggeber in Kontakt stand, bewusst war, dass er im Rahmen einer international aufgestellten Bande tätig war, die sich dauerhaft zur Begehung von Betrugstaten zusammengeschlossen hatte.

II.

9Revision der Staatsanwaltschaft

10Auf die Revision der Staatsanwaltschaft ist die Verurteilung aufzuheben.

111. Die Revision umfasst auch die getroffenen Feststellungen. Denn die Staatsanwaltschaft hat mit der Revisionsbegründung die Sachrüge unbeschränkt erhoben und zudem beantragt, das Urteil insgesamt aufzuheben. Dass die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen von der Revision ausgenommen worden sind, ergibt sich daraus nicht.

122. Der Schuldspruch hat keinen Bestand. Die Erwägungen des Landgerichts zu dem subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten hinsichtlich des Handelns als Mitglied einer Bande sind lückenhaft.

13a) Der Begriff der Bande setzt den Zusammenschluss von mindestens drei Personen voraus, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten des im Gesetz genannten Deliktstypus zu begehen. Danach unterscheidet sich die Bande von der Mittäterschaft durch das Element der auf eine gewisse Dauer angelegten Verbindung zu zukünftiger gemeinsamer Deliktsbegehung. Ein gefestigter Bandenwille oder ein Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse ist nicht erforderlich (st. Rspr.; vgl. , BGHR BtMG § 30 Abs. 1 Nr. 1 Bande 9 Rn. 9 mwN). Mitglied einer Bande kann auch derjenige Tatbeteiligte sein, dem nach der Bandenabrede nur Aufgaben zufallen, die sich bei wertender Betrachtung als Gehilfentätigkeit darstellen (, BGHSt 47, 214). Die Bandenabrede muss nicht ausdrücklich getroffen werden; vielmehr genügt jede Form auch stillschweigender Vereinbarung, die aus dem wiederholten deliktischen Zusammenwirken mehrerer Personen hergeleitet werden kann (, BGHSt 47, 214, 219 f.). Sie setzt nicht voraus, dass sich alle Beteiligten persönlich absprechen und untereinander kennen; vielmehr kann sie auch durch aufeinander folgende Vereinbarungen entstehen. Insbesondere kann die Bandenabrede dadurch zu Stande kommen, dass sich zwei Personen einig sind, künftig im Einzelnen noch ungewisse Straftaten mit zumindest einem dritten Beteiligten zu begehen, und der von der Absprache informierte Dritte sich der Vereinbarung ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten anschließt (, BGHSt 50, 160, 163 f.).

14b) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen ein Denkgesetz oder einen gesicherten Erfahrungssatz verstößt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näherliegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. nur , NJW 2021, 2896 Rn. 29 f.; Urteile vom – 3 StR 124/20, NStZ-RR 2021, 113, 114; vom – 1 StR 299/20, NStZ-RR 2021, 24; Beschluss vom – 1 StR 178/20, NStZ 2021, 184 Rn. 8).

15c) Nach diesen Maßstäben ist die Beweiswürdigung des Landgerichts lückenhaft. Die Strafkammer hat nicht in den Blick genommen, dass bei Ausführung der Tat II. 1. der Urteilsgründe für den Angeklagten deutlich gewesen sein könnte, dass neben ihm zumindest zwei weitere Personen beteiligt waren: der „Logistiker“, mit dem der Angeklagte selbst telefonierte, wobei einiges dafür spricht, dass es sich dabei um den Auftraggeber des Angeklagten handelte, und der offensichtlich mit den Geschädigten telefonierende und auch mit dem Angeklagten kommunizierende „Staatsanwalt                           “. In diesem Moment könnte sich dem Angeklagten erschlossen haben, dass er jedenfalls als dritter Mann Teil eines Zusammenschlusses von mindestens zwei weiteren Personen wurde, die untereinander und mit ihm in professioneller Weise deliktisch zusammenwirkten. Damit könnte auch aus seiner Sicht eine Bandentat gegeben gewesen sein, und zwar, wenn nicht als Anschluss an eine bereits bestehende Bande, so doch jedenfalls durch Erreichen der erforderlichen Mindestzahl von Mitgliedern infolge seines eigenen Beitritts. Auch in Fall II. 3. der Urteilsgründe telefonierte ein Zeuge – auf Seiten der Geschädigten – während der in Aussicht genommenen Übergabe mit einem weiteren unbekannten Täter; dieser bat den Zeugen, dem Angeklagten als Abholer etwas auszurichten. Diese für eine mögliche Bandenmitgliedschaft erheblichen Umstände hat das Landgericht rechtsfehlerhaft bei der Prüfung des subjektiven Tatbestandes nicht in den Blick genommen.

163. Der Rechtsfehler bedingt die Aufhebung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite; die übrigen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).

174. Der Wegfall des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs, also des Strafausspruchs sowie der Maßregel- und der Einziehungsanordnung nach sich (vgl. , juris Rn. 25; vom – 4 StR 678/19, BGHSt 65, 62 Rn. 9; Beschluss vom – 3 StR 427/22, juris Rn. 13).

III.

18Revision des Angeklagten

19Das Rechtsmittel des Angeklagten hat mit der Sachrüge lediglich hinsichtlich der unterbliebenen Anordnung eines Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt Erfolg; im Übrigen hat die materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zu dessen Nachteil ergeben.

201. Zum Schuld- und Strafausspruch weist das Urteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

21Insbesondere liegt ein solcher nicht darin, dass das Landgericht den Angeklagten als Mittäter und nicht lediglich als Gehilfen qualifiziert hat. Die Abholer sind bei Betrugstaten der vorliegenden Art angesichts ihrer ganz wesentlichen Funktion bei der konzertierten Tatbegehung regelmäßig als Mittäter im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB einzustufen (vgl. etwa , NStZ-RR 2023, 49; Urteile vom – 3 StR 343/22, NStZ-RR 2023, 315, 316; vom – 5 StR 476/20, juris Rn. 2 ff.; vom – 2 StR 46/20, NStZ 2021, 37, 38; Beschluss vom – 5 StR 37/20, BGHSt 64, 314).Gründe, hiervon im vorliegenden Fall ausnahmsweise abzusehen, sind nicht festgestellt.

222. Auch die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hält rechtlicher Nachprüfung stand.

23a) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen zunächst einen Hang des Angeklagten, einen symptomatischen Zusammenhang zwischen diesem Hang und den begangenen Straftaten sowie die Gefahrenprognose bejaht.

24b) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist auch eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht im Sinne von § 64 Satz 2 StGB gegeben.

25Gemäß § 64 Satz 2 StGB ergeht die Anordnung der Unterbringung nur, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen. Erforderlich ist – wovon auch das Landgericht ausgegangen ist – eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades (vgl. Fischer, StGB, 72. Aufl., § 64 Rn. 18a mwN).

26Die Prüfung erfordert nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 20/5913 S. 47 ff., 69 ff.; BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 316/23, juris Rn. 11; vom – 6 StR 452/23, StV 2024, 252 Rn. 5 f.) eine Gesamtabwägung, die namentlich Behandlungsfähigkeit und Behandlungsbereitschaft des Angeklagten in den Blick nimmt und bei der es damit in erster Linie um in der Person und Persönlichkeit des Täters liegende Umstände geht, insbesondere solche, die seine Sucht und deren Behandlungsfähigkeit unmittelbar kennzeichnen, vor allem Art und Stadium der Sucht, bereits eingetretene physische und psychische Veränderungen und Schädigungen, frühere Therapieversuche sowie eine aktuelle Therapiebereitschaft (vgl. , juris Rn. 17).

27Das Landgericht hat – gestützt auf das Gutachten eines Sachverständigen – alle maßgeblichen Gesichtspunkte, die in tatsächlicher Hinsicht für die Erfolgsaussicht von Bedeutung sind, in die Gesamtabwägung eingestellt. Als Umstände, die einer Erfolgsaussicht entgegenstehen, hat es den langjährigen und verfestigten Drogenmissbrauch, die erfolglose, frühere Behandlung im Maßregelvollzug nach § 64 StGB sowie das nicht zu einer anhaltenden Abstinenz führende Substitutionsprogramm berücksichtigt. Dabei hat die Strafkammer den – einmaligen – erfolglosen Therapieversuch, der allerdings von 2011 bis 2018 – unterbrochen von der Verbüßung von Haftstrafen – dauerte, nicht als so gravierend angesehen, da die Behandlung im Maßregelvollzug jedenfalls einen vorübergehenden Erfolg gebracht habe. Zudem hat sie in die Gesamtabwägung eingestellt, dass der Angeklagte während des Maßregelvollzugs zumeist aktiv mitarbeitete, diverse Lockerungen gewährt wurden und die Unterbringung zeitweise zur Bewährung ausgesetzt wurde, wobei der Angeklagte während der Maßregel allerdings mehrfach rückfällig wurde. Für die Annahme eines Behandlungserfolgs sprechen aus Sicht des Tatgerichts die kognitiven Fähigkeiten des Angeklagten sowie dessen hohe Therapiemotivation. Insofern hätten sich die Lebensverhältnisse des Angeklagten verändert. Die Therapiemotivation zeige sich – so das Landgericht – auch daran, dass er sich im Jahr 2022 selbst einer Substitution unterstellt habe. Auf der Grundlage dieser Gesamtabwägung ist die Strafkammer zu dem Ergebnis gelangt, es bestehe die begründete Erwartung eines Behandlungserfolges. Hiergegen ist im Ergebnis revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Soweit die Revision geltend macht, eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für einen Behandlungserfolg sei nicht gegeben, wertet sie lediglich die tatsächlichen Anhaltspunkte abweichend, was ihr jedoch nicht zum Erfolg verhelfen kann.

28c) Das angefochtene Urteil verhält sich hingegen rechtsfehlerhaft nicht zu der Frage des Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 67 Abs. 2 StGB). Der Senat kann die Dauer des Vorwegvollzugs nicht entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst berechnen, zum einen, weil die Entscheidung Wertungen und Beurteilungen erfordert, die dem Tatgericht vorbehalten sind (vgl. , NStZ-RR 2019, 208, 209 mwN), und zum anderen, da das Landgericht die notwendige Therapiedauer nicht angegeben hat.

Schäfer                         Hohoff                        Anstötz

                 Kreicker                        Munk

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:030425U3STR497.24.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-92908