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BVerfG Urteil v. - 2 BvR 1298/24

Stattgebender Kammerbeschluss: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen im Verfahren auf strafrechtliche Rehabilitierung bzgl einer Inhaftierung in der ehemaligen DDR - ua Verletzung von Art 101 Abs 1 S 2 GG durch ungerechtfertigte Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs als unzulässig im vereinfachten Verfahren nach § 26a StPO

Gesetze: Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, Art 103 Abs 1 GG, § 26a Abs 2 S 1 StPO, § 27 StPO, § 302 StPO, § 1 Abs 1 Nr 1 StrRehaG, § 1 Abs 1 Nr 2 StrRehaG, § 13 Abs 2 Nr 2 Buchst a StrRehaG, § 15 StrRehaG

Instanzenzug: Az: Ws Reha 3/24 Beschlussvorgehend Az: Ws Reha 3/24 Beschlussvorgehend LG Meiningen Az: Reha 10/21 Beschluss

Gründe

1Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Ablehnung seines Antrags auf Rehabilitierung wegen seiner Verurteilung zu einer neunmonatigen Haftstrafe in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (nachfolgend: DDR) nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) sowie gegen die Zurückweisung eines im Rahmen des Ausgangsverfahrens gestellten Ablehnungsgesuchs.

I.

21. Der Beschwerdeführer stellte am beim Landgericht Meiningen einen Antrag auf strafrechtliche Rehabilitierung. Hierzu gab er an, dass das Kreisgericht Meiningen ihn im Jahr 1972 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe verurteilt habe (131-130/73). Er habe sich im Jahr 1972 in Untermaßfeld in Untersuchungshaft und von 1972 bis 1973 in Gräfentonna zur Verbüßung der Freiheitsstrafe aufgehalten. Es befänden sich keine Unterlagen aus dem Strafverfahren in seinem Besitz. Auf einem weiteren Formular ("Antrag auf Rehabilitierung wegen zwangsweiser Heimunterbringung") gab der Beschwerdeführer unter anderem an, dass die "Unterbringung" deshalb unverhältnismäßig gewesen sei, weil sie "zu lange, übertrieben und zu streng" gewesen sei.

32. Die hierzu angehörte Staatsanwaltschaft Meiningen führte aus, dass der Rehabilitierungsantrag abzulehnen sei, weil aufgrund der verfügbaren Unterlagen nicht feststellbar sei, inwieweit das Verfahren gegen den Beschwerdeführer der politischen Verfolgung gedient oder die angeordnete Rechtsfolge in einem groben Missverhältnis zu der zugrunde liegenden Tat gestanden habe. Den Eintragungen auf einer Registerkarte der Kreisstaatsanwaltschaft Meiningen zum Verfahren 131-130/73 sei zu entnehmen, dass das Kreisgericht Meiningen ihn mit Urteil vom des Diebstahls zum Nachteil persönlichen und sozialistischen Eigentums schuldig gesprochen und ihn zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt habe. Diesbezüglich wurde er am in Untersuchungshaft genommen und verbüßte die Freiheitsstrafe bis zum . Weitere Sachverhaltsfeststellungen seien nicht möglich, da die Akte im Jahr 1986 vernichtet worden sei.

43. Auf Anregung des Bevollmächtigten des Beschwerdeführers zog das Landgericht Meiningen eine Ermittlungsakte der Volkspolizei - Kreisamt Meiningen - bei. Diese enthält eine Verfügung der Polizeidienststelle über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, eine "Komplexeinschätzung" unter Teilnahme von Vertretern der Jugendhilfe, der Kollektivvertretung, der Mutter des Beschwerdeführers und des Untersuchungsführers, einen Bericht der Jugendfürsorgerin, eine Übergabe- und Empfangsbescheinigung, welche die Rückgabe eines bei einer Durchsuchung aufgefundenen Gegenstandes an den Eigentümer bescheinigt, eine auf den datierende Verfügung der Volkspolizei, in der die gegen den Beschwerdeführer erhobenen Vorwürfe aufgeführt sind, nämlich insgesamt acht Diebstahlshandlungen mit einem Gesamtschaden von 558,50 DDR-Mark, eine Asservatenliste, eine Benachrichtigung des Kreisgerichts Meiningen an die Polizeidienststelle über den Schuldspruch und die Rechtsfolgen des Urteils vom sowie einen Führungsbericht der Haftanstalt.

54. a) Der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers formulierte daraufhin seinen Antrag dahingehend, dass das Urteil des Kreisgerichts Meiningen vom für rechtstaatswidrig erklärt und aufgehoben sowie festgestellt werde, dass der Beschwerdeführer in der Zeit vom bis zum zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten habe. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass die im Hinblick auf den Tatvorwurf außergewöhnlich hohe Strafe - der Beschwerdeführer sei nicht vorbestraft und zum Tatzeitpunkt 16 Jahre alt gewesen - sowie die erlittenen Haftumstände sich nur dadurch erklären ließen, dass dieser auch politisch verfolgt werden sollte. Die Jugendhilfe habe ihm eine "negative Haltung" bescheinigt und eine Strafaussetzung zur Bewährung sei abgelehnt worden, weil er "politische Zusammenhänge" nicht habe erkennen können. Ohne diese politische Komponente wäre er niemals so hart bestraft worden. Jedenfalls sei das Urteil unverhältnismäßig im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG.

6b) Die Staatsanwaltschaft Meiningen nahm daraufhin erneut Stellung und führte aus, dass der Antrag abzulehnen sei. Strafrechtliche Rehabilitierung setze die positive Feststellung ihrer Voraussetzungen, hier grobes Missverhältnis zu den zugrunde liegenden Taten, voraus. Ein Urteil mit Gründen bezüglich des Rechtsfolgenausspruchs liege nicht vor. Soweit der Antrag auch auf die Haftbedingungen eingehe, sei das nicht entscheidungserheblich, weil es für die Rehabilitation nicht auf die durch die Strafe erlittenen Nachteile ankomme. Nach der damals geltenden Rechtslage sei die Verhängung der Freiheitsstrafe auch gegenüber Jugendlichen vorgesehen gewesen. Die Verhängung der Freiheitsstrafe sei vorgesehen gewesen, wenn die Taten eine schwerwiegende Missachtung der gesellschaftlichen Disziplin zum Ausdruck gebracht habe. Nach der damaligen obergerichtlichen Rechtsprechung habe bei mehrfach begangenen Eigentumsvergehen trotz nicht erheblichen Schadens eine Freiheitsstrafe erforderlich werden können, wenn sich bei der Tatausführung innerhalb einer kurzen Zeitdauer eine zunehmende Intensität gezeigt oder eine verfestigte negative Einstellung gegenüber dem Eigentum anderer deutlich gemacht habe. Dem Beschwerdeführer seien für einen Zeitraum von vier Monaten acht Einbruchsdiebstähle zur Last gelegt worden. Unter Berücksichtigung der damals geltenden gesetzlichen Bestimmungen und der Strafzumessungspraxis habe die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten nicht außerhalb der Norm gelegen.

7c) Mit Schreiben vom leitete der Vorsitzende Richter der zuständigen Kammer des Landgerichts Meiningen die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Meiningen dem Bevollmächtigten des Beschwerdeführers mit der Formulierung weiter, dass die Staatsanwaltschaft den Antrag "für nur zum Teil begründet" [sic] halte. Nach bisheriger Auffassung der Kammer sei die Ansicht der Staatsanwaltschaft zutreffend und entspreche in vollem Umfang der Ansicht der Kammer. Werde bis zum keine Stellungnahme eingehen, werde die Kammer dies als Antragsrücknahme ansehen. Da die Auffassung der Kammer einstimmig sei, sei ein Rechtsmittel nicht zulässig, sollte der Antrag als unbegründet verworfen werden.

8d) Der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers stellte mit Schriftsatz vom ein Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter der zuständigen Kammer und die weiteren Richter der Kammer. Soweit das gerichtliche Schreiben vom mitteile, dass die Kammer den Antrag einstimmig für unbegründet halte, müsse man davon ausgehen, dass die Richter bereits eine abschließende, negative Meinung zum Antrag gebildet hätten. Hinzu komme, dass das Gericht im Hinblick auf die gesetzlich nicht vorgesehene Rücknahmefiktion und den nicht einschlägigen Rechtsmittelausschluss Hinweise erteile, die in keiner Weise von der Rechtslage gedeckt seien. Es entstehe der Eindruck, dass der Beschwerdeführer durch diese unzutreffenden Hinweise zu einer Antragsrücknahme gedrängt werden solle.

9e) Mit Beschluss vom verwarf das Landgericht Meiningen das Ablehnungsgesuch als unzulässig und wies den Rehabilitierungsantrag einstimmig als unbegründet zurück.

10Das Ablehnungsgesuch sei verspätet gestellt worden, weil der Beschwerdeführer die Ablehnungsgründe nicht unverzüglich geltend gemacht habe, § 26a Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 25 StPO. Ihm sei bis zum Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Das erst am gestellte Ablehnungsgesuch sei verspätet eingegangen.

11Der Rehabilitierungsantrag werde auf Antrag der Staatsanwaltschaft einstimmig als unbegründet verworfen, weil die angeordneten Rechtsfolgen des angefochtenen Urteils nicht in einem groben Missverhältnis zu den zugrunde liegenden Taten stünden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG). Freiheitsstrafe sei damals insbesondere dann verhängt worden, wenn sich bei Ausführung der Taten eine zunehmende Intensität des Betroffenen gezeigt habe, was beim Beschwerdeführer aufgrund seiner fortgesetzten Tatserie bei seinen mehrfachen Diebstahlshandlungen der Fall gewesen sei. Auch unter Berücksichtigung des damals noch sehr jungen Alters des Beschwerdeführers und des Fehlens eines sehr hohen Schadens stehe die Verhängung einer Freiheitsstrafe von neun Monaten nach der damals geltenden Strafzumessungspraxis eindeutig und unzweifelhaft nicht in einem groben Missverhältnis zu den Taten.

12Der Beschluss enthält abschließend den Hinweis, dass die Entscheidung unanfechtbar sei.

135. a) Der Beschwerdeführer legte hiergegen Beschwerde ein. Das Ablehnungsgesuch hätte nicht nach § 26a Abs. 1 Nr. 1 StPO als unzulässig verworfen werden dürfen. Die Vorschrift des § 25 StPO gelte nur für die Hauptverhandlung. Werde eine Entscheidung außerhalb der Hauptverhandlung getroffen, könne ein Ablehnungsgesuch bis zum Erlass der Entscheidung gestellt werden. Das habe das Landgericht in willkürlicher und offensichtlich unhaltbarer Weise verkannt. Ferner sei das Landgericht rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass gegen den Beschluss keine Beschwerde statthaft sei.

14b) Das Landgericht Meiningen entschied mit Beschluss vom , der Beschwerde nicht abzuhelfen. Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Rehabilitationsantrags sei gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a StrRehaG nicht statthaft. Dasselbe gelte für die Beschwerde gegen die Verwerfung des Befangenheitsantrags, da eine Anfechtung in der Hauptsache ausgeschlossen sei. Der Befangenheitsantrag sei im Übrigen auch zu Recht als unzulässig verworfen worden, weil der Verwerfungsgrund nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO vorliege. Der erteilte Hinweis habe der geltenden Rechtslage entsprochen. Die Begründung des Befangenheitsantrags sei aus zwingenden rechtlichen Gründen völlig ungeeignet und stehe einer fehlenden Begründung gleich.

15c) Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft führte aus, dass die Beschwerden unzulässig seien. Das ergebe sich im Hinblick auf den Befangenheitsantrag aus § 15 StrRehaG in Verbindung mit § 28 Abs. 2 StPO, im Hinblick auf die Ablehnung des Rehabilitierungsantrags aus § 13 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a StrRehaG.

16d) Der Beschwerdeführer erwiderte hierauf und führte im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeausschluss gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a StrRehaG nicht den Fall einer Beschwerde regele, die - wie auch hier im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG aufgrund der rechtsfehlerhaften Verwerfung des Befangenheitsantrags - Verstöße gegen grundsätzliche rechtstaatliche Verfahrensgarantien rüge. Zudem gelte der Ausschluss nur "soweit" das Gericht entschieden habe, dass die Rechtsfolgen der angegriffenen Entscheidung nicht in grobem Missverhältnis zu der zugrunde liegenden Tat stehen. Der gegenständliche Antrag sei aber nicht auf diesen Prüfungspunkt beschränkt worden und enthalte durchaus Vortrag zur politischen Haltung des Beschwerdeführers.

17e) Das Thüringer Oberlandesgericht verwarf die Beschwerde mit Beschluss vom als unzulässig, soweit sie sich gegen die Ablehnung des Antrags auf strafrechtliche Rehabilitation richtet, und wies sie als unbegründet zurück, soweit sie sich gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs richtet.

18Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Rehabilitierungsantrags sei gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a StrRehaG unzulässig, weil die Kammer die Frage, ob ein grobes Missverhältnis zwischen dem Anlass für die "Unterbringungsentscheidung" [sic] und den angeordneten Rechtsfolgen mit einstimmiger Entscheidung verneint habe.

19Die sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs sei zwar entgegen der Auffassung des Landgerichts zulässig. Gleichwohl sei sie unbegründet, weil das Landgericht das Ablehnungsgesuch im Ergebnis zu Recht verworfen habe. Der vor der Entscheidung erteilte Hinweis auf die Rechtsansicht der Kammer begründe keine Besorgnis der Befangenheit. Einem vernünftigen Betrachter wäre bei gebotener Zusammenschau des gerichtlichen Hinweises mit der gleichzeitig übermittelten Stellungnahme der Staatsanwaltschaft nicht verborgen geblieben, dass die Kammer den Antrag für insgesamt unbegründet erachtet habe. Der das Ablehnungsgesuch verwerfende Beschluss müsse auch nicht aufgehoben werden, weil das Landgericht das Gesuch irrtümlich als unzulässig anstatt als unbegründet und damit unter Beteiligung der abgelehnten Richter verworfen habe. Die Auffassung der Kammer beruhe auf keiner willkürlichen oder die Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennenden Rechtsanwendung.

206. Die hiergegen eingelegte Anhörungsrüge wies das zurück.

II.

21Mit seiner fristgemäß am eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 Abs. 1 (Willkürverbot), Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 (effektiver Rechtsschutz), Art. 101 Abs. 1 Satz 2 (Garantie des gesetzlichen Richters) und Art. 103 Abs. 1 GG (Garantie rechtlichen Gehörs).

221. Ein Verstoß gegen den gesetzlichen Richter sei darin zu sehen, dass die abgelehnten Richter des Landgerichts Meiningen selbst über das Ablehnungsgesuch entschieden hätten. Die Begründung, das Gesuch sei verspätet gestellt worden und deshalb offenkundig unzulässig, sei abwegig. Werde wie hier im Beschlussverfahren entschieden, sei abweichend von § 25 StPO eine Ablehnung ohne zeitliche Beschränkung zulässig. Zudem spreche sich die einschlägige Kommentarliteratur zum Strafrechtlichen Rehabilitationsgesetz dafür aus, dass § 25 StPO in Rehabilitationsverfahren grundsätzlich nicht zur Anwendung komme.

232. Ein Gehörsverstoß liege zum einen darin, dass das Landgericht Meiningen nicht vollständig über den Rehabilitierungsantrag entschieden habe. Der Beschwerdeführer habe seinen Antrag nicht allein auf den Rehabilitierungsgrund des § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG (grobes Missverhältnis zwischen Tat und angeordneten Rechtsfolgen) gestützt, sondern auch auf den Grund nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 StrRehaG (politische Verfolgung). Hierauf sei das Landgericht mit keinem Wort eingegangen. Auch das Thüringer Oberlandesgericht habe dieses Vorbringen - trotz nochmaligen Hinweises in der Anhörungsrüge - nicht geprüft, weil es die Beschwerde insoweit für unzulässig gehalten habe. Zum anderen sei ein Gehörsverstoß darin zu sehen, dass das Landgericht Meiningen mit Schreiben vom einen rechtlichen Hinweis erteilt habe, welcher nicht mit dem Inhalt der Verfügung in der Akte übereinstimme. Der eigentliche Inhalt der Verfügung sei dem Beschwerdeführer bis heute nicht bekannt gemacht worden.

243. Die fachgerichtlichen Entscheidungen beruhten auch auf Willkür. Das betreffe erstens die Ablehnung des Ablehnungsgesuchs wegen angeblicher Verfristung. Es habe auf der Hand gelegen, dass der Antrag nicht zu spät gestellt worden sei. Zweitens sei das grobe Missverhältnis zwischen der verhängten Haftstrafe und dem Strafvorwurf (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG) in willkürlicher Weise abgelehnt worden. Es erschließe sich in keiner Weise, weshalb der damals minderjährige und nicht vorbestrafte Beschwerdeführer für die ihm vorgeworfenen Bagatelldelikte für neun Monate inhaftiert worden sei. Drittens sei die Annahme des Oberlandesgerichts, dass die Beschwerde gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 StrRehaG unzulässig sei, willkürlich. Der Beschwerdeausschluss gelte nur "soweit" der Antrag auf ein grobes Missverhältnis zwischen Tat und angeordneter Rechtsfolge gestützt werde (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG). Da der Antrag aber auch auf eine "politische Verfolgung" im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 StrRehaG gestützt worden sei, sei insoweit eine Beschwerde zulässig gewesen. Das Oberlandesgericht hätte hierüber eine eigene Entscheidung treffen müssen, was vorliegend nicht geschehen sei. Da zudem geltend gemacht worden sei, dass die abgelehnten Richter des Landgerichts Meiningen nicht selbst hätten entscheiden dürfen, sei die Beschwerde auch insoweit zulässig gewesen.

254. Ein Verstoß gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes liege darin, dass das Oberlandesgericht sich nicht inhaltlich mit der Beschwerde befasst habe, als mit dem Antrag auch eine "politische Verfolgung" im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 StrRehaG geltend gemacht worden sei.

III.

26Das Thüringer Ministerium für Justiz, Migration und Verbraucherschutz hat von einer Stellungnahme abgesehen. Der Beschwerdeführer hat daraufhin ergänzend Stellung genommen.

27Die Akten des Ausgangsverfahrens (ein Band) haben der Kammer vorgelegen.

IV.

28Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, da dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt erscheint (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Danach ist die zu weiten Teilen zulässige (1.) Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet (2.).

291. Die Verfassungsbeschwerde ist überwiegend zulässig. Sie ist nur dahingehend unzulässig, soweit sie auch den Beschluss des angreift, mit welchem die Anhörungsrüge zurückgewiesen wurde. Diese Entscheidung hätte nur dann mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden können, wenn sie eine eigenständige Beschwer enthält. Daran fehlt es hier.

302. Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie zulässig ist, offensichtlich begründet.

31a) Die Entscheidungen des Landgerichts Meiningen und des Thüringer Oberlandesgerichts verstoßen gegen die Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).

32aa) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet dem Einzelnen das Recht auf den gesetzlichen Richter. Ziel der Verfassungsgarantie ist es, der Gefahr einer möglichen Einflussnahme auf den Inhalt einer gerichtlichen Entscheidung vorzubeugen, die durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter eröffnet sein könnte (vgl. BVerfGE 17, 294 <299>; 48, 246 <254>; 82, 286 <296>; 95, 322 <327>). Damit sollen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (vgl. BVerfGE 95, 322 <327>).

33Eine "Entziehung" des gesetzlichen Richters durch die Rechtsprechung, der die Anwendung der Zuständigkeitsregeln und die Handhabung des Ablehnungsrechts im Einzelfall obliegt, kann nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden; andernfalls müsste jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich als Verfassungsverstoß gelten (vgl. BVerfGE 82, 286 <299>). Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind aber jedenfalls dann überschritten, wenn die Auslegung einer Zuständigkeitsnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar sind oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt (vgl. BVerfGE 82, 286 <299>).

34bb) Die strafprozessualen Vorschriften über die Ausschließung und Ablehnung von Richtern dienen dem durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgten Ziel, auch im Einzelfall die Neutralität und Distanz der zur Entscheidung berufenen Richter zu sichern. § 24 StPO eröffnet die Möglichkeit, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wenn der Betroffene einen Grund sieht, der geeignet ist, Misstrauen im Hinblick auf seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Regelungen über das Verfahren zur Behandlung des Ablehnungsgesuchs enthalten die §§ 26a und 27 StPO, die das Ablehnungsverfahren unterschiedlich je danach ausgestalten, ob ein Ablehnungsgesuch unzulässig ist oder ob es eine Sachprüfung erfordert. Ein vereinfachtes Ablehnungsverfahren sieht § 26a StPO im Interesse der Verfahrensbeschleunigung für unzulässige Ablehnungsgesuche vor; über sie entscheidet das Gericht, ohne dass der abgelehnte Richter ausscheidet (vgl. § 26a Abs. 2 Satz 1 StPO). Kommt eine Verwerfung des Ablehnungsgesuchs als unzulässig nicht in Betracht, so ist das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung zur Entscheidung auf der Grundlage einer dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters berufen. Die Zuständigkeitsregelung des § 27 Abs. 1 StPO trägt dabei dem Umstand Rechnung, dass es nach der Natur der Sache an der völligen inneren Unbefangenheit und Unparteilichkeit eines Richters fehlen wird, wenn er über die vorgetragenen Gründe für seine angebliche Befangenheit selbst entscheiden müsste (eingehend zum Ganzen BVerfGK 5, 269 <280 ff.>; 7, 325 <337 ff.>; siehe auch BVerfGK 11, 62 <71 f.>).

35Zu einer Entziehung des gesetzlichen Richters - und damit einem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG - kommt es dann, wenn das Gericht ein gegen ein Mitglied des Spruchkörpers angebrachtes Befangenheitsgesuch willkürlich als unzulässig behandelt, obwohl das Antragsvorbringen zu einer materiellen Prüfung des Gesuchs genötigt hätte. Eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt deshalb vor, weil das Gericht über den zulässigen Befangenheitsantrag in anderer Besetzung zu entscheiden gehabt hätte als über das unzulässige Gesuch. Während das unzulässige Ablehnungsgesuch gemäß § 26a Abs. 2 Satz 1 StPO durch das Gericht zurückgewiesen wird, ohne dass der abgelehnte Richter ausscheidet, befindet über den zulässigen Befangenheitsantrag das Gericht ohne Mitwirkung des Abgelehnten, § 27 Abs. 1 StPO (vgl. BVerfGK 9, 13 <15>).

36cc) Die angegriffene Entscheidung des Landgerichts Meiningen genügt nicht den einschlägigen verfassungsrechtlichen Anforderungen. Die Anwendung von § 26a StPO und die Verwerfung des Befangenheitsantrags als unzulässig beruht auf Erwägungen, die rechtlich nicht mehr vertretbar sind und auf eine grundlegende Verkennung des Gewährleistungsgehalts der Garantie des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG hindeuten.

37(1) Eine Verwerfung als unzulässig aufgrund eines verspätet gestellten Ablehnungsgesuchs (§ 15 StrRehaG i.V.m. § 26a Abs. 1 Nr. 1, § 25 StPO) kam hier nicht in Betracht.

38Es entspricht allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass ein Befangenheitsgesuch außerhalb einer Hauptverhandlung bis spätestens zum Erlass der Entscheidung gestellt werden kann und im Übrigen keinen zeitlichen Beschränkungen unterliegt (vgl. Cirener, in: Graf, BeckOK StPO, § 25 Rn. 9 <Jan. 2025>; Conen/Tsambikakis, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2023, § 25 Rn. 27; Heil, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 25 Rn. 2 f.; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2016, § 25 Rn. 10, alle jeweils m.w.N. zur Rechtsprechung). Zum Verfahren nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz vertreten das Thüringer Oberlandesgericht (vgl. Beschluss vom - 1 Ws Reha 18/12 -, juris, Rn. 4) und die Kommentarliteratur die Auffassung (vgl. Bruns, in: Bruns/Schröder/Tappert, StrRehaG, 1993, § 9 Rn. 11 und § 15 Rn. 4; Wende, in: Herzler/Ladner/Peifer/Schwarze/Wende, Potsdamer Kommentar zum StrRehaG, 2. Aufl. 1997, § 15 Rn. 7), dass § 25 StPO nach seinem Sinn und Zweck nicht anwendbar sei.

39Dies hat das Landgericht verkannt. Es hat sich mit den zu dieser Frage vertretenen Auffassungen nicht befasst.

40(2) Die Verwerfung als unzulässig konnte auch nicht auf das Fehlen eines Ablehnungsgrundes (§ 15 StrRehaG i.V.m. § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO) gestützt werden.

41Ein Ablehnungsgesuch, dessen Begründung aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung des Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet ist, kann - verfassungsrechtlich unbedenklich - einem Ablehnungsgesuch ohne Angabe eines Ablehnungsgrundes gleichgesetzt werden. Eine "völlige Ungeeignetheit" kann dann angenommen werden, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens selbst entbehrlich ist. Hierfür werden regelmäßig nur solche Gesuche in Betracht kommen, die Handlungen des Richters beanstanden, welche nach der Prozessordnung vorgeschrieben sind oder sich ohne Weiteres aus der Stellung des Richters ergeben. Unzulässig ist ein Ablehnungsgesuch daher, wenn der Ablehnende die bloße Tatsache beanstandet, ein Richter habe an einer Vor- oder Zwischenentscheidung mitgewirkt, oder wenn sich der Richter an den von der Strafprozessordnung vorgeschriebenen Verfahrensgang hält, der Ablehnende aber eine Änderung begehrt. Eine Verwerfung als unzulässig wird also nur dann in Betracht kommen, wenn das Ablehnungsgesuch für sich allein - ohne jede weitere Aktenkenntnis - offenkundig eine Ablehnung nicht zu begründen vermag. Erfordert das Ablehnungsgesuch hingegen eine - auch nur geringfügige - Prüfung der Art und Weise der Mitwirkung, hat das Gericht nach § 27 StPO vorzugehen (vgl. BVerfGK 11, 62 <73 f.>; siehe auch Cirener, in: Graf, BeckOK StPO, § 26a Rn. 6 ff. <Jan. 2025>; Conen/Tsambikakis, in: Münchener Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2023, § 26a Rn. 9 ff.; Heil, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 26a Rn. 5 ff.; Siolek, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2016, § 26a Rn. 9 ff.).

42Ausgehend von diesen Maßstäben waren die im Ablehnungsgesuch geltend gemachten Erwägungen nicht nach jeglicher Denkart vollkommen ungeeignet, eine Befangenheit zu begründen. Dies betrifft zum einen den geltend gemachten Umstand, dass das Gericht darauf hingewiesen hat, die Entscheidung sei unanfechtbar, sollte der Antrag als unbegründet verworfen werden. Dieser Hinweis ist im Ansatz von der Rechtslage gedeckt, denn die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a StrRehaG (Einstimmigkeit der Kammer nach entsprechendem Antrag der Staatsanwaltschaft) waren im konkreten Fall gegeben. Der Hinweis könnte aber auch so verstanden werden, dass der Beschwerdeausschluss über den Wortlaut des § 13 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a StrRehaG hinaus - und damit entgegen den gesetzlichen Vorgaben - den gesamten Antrag umfassen sollte, also auch insoweit, als das Gericht eine Entscheidung darüber trifft, ob das dem Rehabilitationsantrag zugrunde liegende Urteil der politischen Verfolgung gedient hat (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 StrRehaG). Denn das Gericht erweckt den Eindruck, den gesamten, unbeschränkten Antrag verbescheiden zu wollen, ohne zwischen den einschlägigen Rehabilitierungsgründen des § 1 Abs. 1 StrRehaG und den jeweils geltenden Rechtsschutzmöglichkeiten in § 13 StrRehaG zu differenzieren. Warum das Gericht den Antrag des Beschwerdeführers so versteht und im Fall einer Entscheidung hierüber eine Beschwerde im umfassenden Sinne für unstatthaft hält, wäre jedenfalls erklärungsbedürftig gewesen. Ohne nähere Kenntnis der Art und Weise der Verfahrensführung und der konkreten Umstände des Einzelfalls erscheint es kaum möglich, die Erfolgsaussichten des so begründeten Befangenheitsantrags zu entscheiden; mit anderen Worten würden die erkennenden Richter zu "Richtern in eigener Sache", wenn sie mit der Prüfung der Zulässigkeit ihres eigenen prozessualen Verhaltens befasst würden.

43Zum anderen war auch die mit dem Ablehnungsgesuch beanstandete Erteilung des gerichtlichen Hinweises, wonach die Kammer es als Antragsrücknahme ansehe, wenn der Beschwerdeführer nicht innerhalb einer bestimmten Frist zur Erklärung der Staatsanwaltschaft Stellung nehme, nicht offenkundig ungeeignet, eine etwaige Befangenheit zu begründen. Für die vom Landgericht in Aussicht gestellte Rücknahmefiktion gibt es keine gesetzliche Grundlage. Im Verfahren nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz ist eine (fiktive) Antragsrücknahme wegen Nichtbetreibens des Verfahrens gesetzlich nicht vorgesehen. Eine Antragsrücknahme ist gemäß § 15 StrRehaG in Verbindung mit § 302 StPO vielmehr nur durch ausdrückliche Erklärung möglich (vgl. Bruns, in: Bruns/Schröder/ Tappert, StrRehaG, 1993, § 7 Rn. 47; Herzler, in: Herzler/Ladner/Peifer/Schwarze/Wende, Potsdamer Kommentar zum StrRehaG, 2. Aufl. 1997, § 7 Rn. 23). Es erscheint vor diesem Hintergrund zumindest erklärungsbedürftig, warum die Kammer einen solchen von der Rechtslage offenkundig nicht gedeckten Hinweis erteilte. Auch hier wäre ein inhaltliches Eingehen auf die Verfahrensweise notwendig gewesen, um die Erfolgsaussichten des so begründeten Befangenheitsantrags zu entscheiden (ähnlich auch -, juris, Rn. 13).

44dd) Das Oberlandesgericht hat den Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG perpetuiert, indem es die Beschwerde gegen die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs im Ergebnis für unbegründet hielt. Zwar hat es ausdrücklich festgestellt, dass das Ablehnungsgesuch nicht auf Grundlage von § 26a StPO hätte abgelehnt werden dürfen. Es hielt jedoch eine Aufhebung der Entscheidung für nicht geboten, weil das Landgericht das Ablehnungsgesuch jedenfalls nicht willkürlich oder unter grundlegender Verkennung der Garantie des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verworfen habe. Mit dieser Begründung hat das Oberlandesgericht seinerseits der Ausstrahlungswirkung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht hinreichend Rechnung getragen. Denn warum die Rechtsauffassung des Landgerichts zur Anwendung des § 26a StPO vertretbar sein sollte und nicht unter einer grundlegenden Verkennung des Gewährleistungsgehalts der Garantie des gesetzlichen Richters leidet, wird in der angefochtenen Entscheidung nicht näher ausgeführt.

45b) Die Entscheidungen des Landgerichts Meiningen und des Thüringer Oberlandesgerichts verstoßen auch gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG.

46aa) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag des Anzuhörenden nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 83, 24 <35>). Dieser Anforderung ist jedoch Genüge getan, wenn das Gericht das Vorbringen des Betreffenden in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf seine Erheblichkeit und Richtigkeit überprüft hat. Art. 103 Abs. 1 GG schützt hingegen nicht davor, dass das Vorbringen aus formell- oder materiell-rechtlichen Gründen unberücksichtigt bleibt (vgl. BVerfGE 96, 205 <216> m.w.N.), das Gericht einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung beimisst (vgl. BVerfGE 76, 93 <98>) oder die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (vgl. BVerfGE 64, 1 <12>).

47Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Das Bundesverfassungsgericht kann nur dann feststellen, dass ein Gericht seine Pflicht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, verletzt hat, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (vgl. BVerfGE 96, 205 <216 f.> m.w.N.; stRspr).

48Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. BVerfGE 47, 182 <189>; 86, 133 <146>).

49bb) Der angegriffene Beschluss des Landgerichts Meiningen ist mit den angeführten Maßstäben unvereinbar. Es hat entscheidungserheblichen Vortrag des Beschwerdeführers übergangen beziehungsweise seinen Antrag nicht in vollem Umfang beschieden. Das Landgericht hat den Antrag ersichtlich nur am Maßstab des Rehabilitationsgrundes des groben Missverhältnisses der angeordneten Rechtsfolgen im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG geprüft, obwohl dem Antrag eine derartige Beschränkung des Prüfungsstoffs nicht zu entnehmen war.

50Ausweislich des Tenors des Beschlusses hat das Landgericht eine umfassende, abschließende Entscheidung über den gestellten Antrag getroffen. Dies hätte in materiell-rechtlicher Hinsicht erfordert, dass das Gericht alle Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 StrRehaG prüft, also ob die angefochtene Entscheidung des Kreisgerichts Meiningen vom mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar ist, insbesondere weil sie politischer Verfolgung gedient hat oder weil die angeordneten Rechtsfolgen in grobem Missverhältnis zu der zugrunde liegenden Tat stehen. Aus den Entscheidungsgründen im Beschluss wird jedoch ein diese Tatbestandsmerkmale umfassendes Prüfprogramm nicht ersichtlich. Vielmehr hat sich das Landgericht ersichtlich auf die Prüfung beschränkt, ob die angeordneten Rechtsfolgen in einem groben Missverhältnis zur zugrunde liegenden Tat stehen (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG).

51Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer eine nur auf den Rechtsfol-genausspruch beschränkte Prüfung der Entscheidung des Kreisgerichts Meiningen vom begehrt hat und das Landgericht sich daher auch nur diesbezüglich äußern musste, liegen nicht vor. Nach § 7 Abs. 3 StrRehaG kann der Antrag auf bestimmte Beschwerdepunkte, wie etwa den Rechtsfolgenausspruch des Unrechtsurteils beschränkt werden (vgl. Bruns, in: Bruns/Schröder/Tappert, StrRehaG, 1993, § 7 Rn. 46), was jedoch nur durch eine eindeutige Erklärung geschehen kann, die einen entsprechenden Willen zur Beschränkung des Antrags zweifelsfrei erkennen lassen muss (vgl. Herzler, in: Herzler/ Ladner/Peifer/Schwarze/Wende, Potsdamer Kommentar zum StrRehaG, 2. Aufl. 1997, § 7 Rn. 28, 30). Der durch den Bevollmächtigten des Beschwerdeführers gestellte Antrag war in Hinblick auf das verfolgte Rechtsschutzziel unbeschränkt formuliert. Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer den Rehabilitationsantrag nur auf eine Prüfung des Rechtsfolgenausspruchs des Urteils beschränken wollte, sind nicht ersichtlich. Auch die Ausführungen zur Begründung des Antrags kann man nicht so verstehen, als wollte der Beschwerdeführer den Rehabilitierungsantrag auf den Rechtsfolgenausspruch des gegenständlichen Urteils beschränken. Diese geht zwar schwerpunktmäßig auf die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG ein, indem im Wesentlichen geltend gemacht wird, die verhängte Freiheitsstrafe von neun Monaten stehe in grobem Missverhältnis zu den Taten. Allerdings weist sie auch Anhaltspunkte dafür auf, dass der Rehabilitierungsantrag zusätzlich auf den Grund der "politischen Verfolgung" im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 StrRehaG gestützt werden sollte, etwa in der Passage, dass "[sich] die außergewöhnlich hohe Strafe nur dadurch erklären [lässt], dass der Antragsteller auch politisch verfolgt werden sollte".

52cc) Das Oberlandesgericht hat den durch das Landgericht bewirkten Gehörsverstoß perpetuiert, indem es trotz entsprechenden Vortrags des Beschwerdeführers in der Beschwerde von einer Nachholung der Sachprüfung abgesehen hat, obwohl ihm das als Beschwerdegericht möglich gewesen wäre (vgl. § 15 StrRehaG i.V.m. § 309 Abs. 2 StPO; siehe dazu Bruns, in: Bruns/Schröder/Tappert, StrRehaG, 1993, § 13 Rn. 43). Dem Oberlandesgericht war eine den Gehörsverstoß heilende Sachprüfung auch nicht deshalb verwehrt, weil die Beschwerde gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a StrRehaG unstatthaft gewesen ist. Die dahingehend vertretene Auffassung des Oberlandesgerichts verkennt den Gehalt der Vorschrift des § 13 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a StrRehaG. Die Regelung schließt nämlich ausweislich ihres klaren Wortlauts eine Beschwerde nur aus, "soweit" das Gericht entschieden hat, dass die Rechtsfolgen der angegriffenen Entscheidung nicht in grobem Missverhältnis zu der zugrunde liegenden Tat stehen. Der Beschwerdeausschluss gilt mit anderen Worten nur in Bezug auf die Prüfung der Voraussetzungen in § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG (vgl. Bruns, in: Bruns/Schröder/Tappert, StrRehaG, 1993, § 13 Rn. 20). Da der Beschwerdeführer seinen Antrag vorliegend nicht auf die Prüfung dieser Voraussetzungen beschränkt hat, das Landgericht aber eine umfassende Entscheidung über den Rehabilitationsantrag getroffen hat, hätte das Oberlandesgericht die Entscheidung in vollem Umfang prüfen müssen, was hier unter Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör unterblieben ist.

53c) Indem das Oberlandesgericht in seinem Beschluss vom verkannt hat, dass die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Rehabilitierungsantrags zumindest teilweise statthaft ist und sich insoweit einer Sachprüfung verstellt hat, hat es ferner den Anspruch des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt.

54aa) Die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie gewährleistet nicht nur, dass überhaupt ein Rechtsweg zu den Gerichten offen steht. Ebenso wie Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, dessen Anwendungsbereich auf die vollziehende öffentliche Gewalt beschränkt ist (vgl. BVerfGE 15, 275 <280>; 49, 329 <340>; 65, 76 <90>; 107, 395 <403 ff.>), garantiert sie vielmehr auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 88, 118 <123>; 94, 166 <226>). Die Rechtsschutzgarantie umfasst das Recht auf Zugang zu den Gerichten, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands sowie eine verbindliche Entscheidung durch den Richter (vgl. BVerfGE 54, 277 <291>; 85, 337 <345>; 107, 395 <401>). Die Effektivität des Rechtsschutzes wird in erster Linie von den Prozessordnungen gesichert (vgl. BVerfGE 94, 166 <213>). Dabei kann der Gesetzgeber auch Regelungen treffen, die für ein Rechtsschutzbegehren besondere formelle Voraussetzungen aufstellen (vgl. BVerfGE 88, 118 <123 f.>; 101, 397 <408>).

55Die Rechtsschutzgarantie gilt nicht nur für den ersten Zugang zum Gericht, sondern für die Ausgestaltung des gesamten Verfahrens (vgl. BVerfGE 40, 272 <275>; 88, 118 <125>). Sie gewährleistet zwar keinen Anspruch auf einen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 92, 365 <410>). Wird dieser von den Prozessordnungen aber eröffnet, dann gebietet Art. 19 Abs. 4 GG wirksamen Rechtsschutz in allen von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Instanzen (vgl. BVerfGE 104, 220 <232> m.w.N.).

56Die Garantie effektiven Rechtsschutzes richtet sich auch an den die Verfahrensordnung anwendenden Richter (vgl. BVerfGE 97, 298 <315>). Das Gericht darf ein von der Verfahrensordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer "leerlaufen" lassen (vgl. BVerfGE 78, 88 <98 f.>; 96, 27 <39>). Das Rechtsstaatsgebot verbietet es dem Gericht, bei der Auslegung und Anwendung der verfahrensrechtlichen Vorschriften den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen von Voraussetzungen abhängig zu machen, die unerfüllbar oder unzumutbar sind oder den Zugang in einer Weise erschweren, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfGE 63, 45 <70 f.>; 74, 228 <234>; 77, 275 <284>; 78, 88 <99>; 112, 185 <208>).

57bb) Diesen Anforderungen wird der Beschluss des Oberlandesgerichts nicht gerecht. Die Auffassung des Oberlandesgerichts, die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Rehabilitationsantrags sei unstatthaft, entbehrt einer tragfähigen gesetzlichen Grundlage. Nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a StrRehaG war die Beschwerde nur ausgeschlossen, "soweit" das Landgericht entschieden hat, dass die Rechtsfolgen der angegriffenen Entscheidung nicht in grobem Missverhältnis zu der zugrunde liegenden Tat stehen. Da das Landgericht aber eine umfassende Entscheidung über sämtliche Teile des Rehabilitationsantrags getroffen hat, wäre das Oberlandesgericht jedenfalls insoweit zu einer eigenen Sachprüfung veranlasst gewesen, als der Antrag auch auf den Rehabilitierungsgrund nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 StrRehaG gestützt wurde.

58d) Vor dem Hintergrund der festgestellten Rechtsverletzung kann dahinstehen, ob durch die angegriffene Entscheidung weitere Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte des Beschwerdeführers verletzt werden (vgl. BVerfGE 42, 64 <78 f.>). Darauf kommt es für den Erfolg der Verfassungsbeschwerde nicht an.

V.

591. Es war festzustellen, dass der Beschluss des Landgerichts Meiningen vom den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG und der Beschluss des den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die genannten Beschlüsse waren aufzuheben und die Sache an das Landgericht Meiningen zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).

602. Der Beschluss des über die Anhörungsrüge wird gegenstandslos.

613. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung im Verfassungsbeschwerdeverfahren beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Danach sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise zu erstatten, wenn sich eine Verfassungsbeschwerde als begründet erweist. Das ist hier der Fall.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20250409.2bvr129824

Fundstelle(n):
OAAAJ-92218