Gründe
1I. Die Beteiligten streiten im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungklage darüber, ob der Kläger im Zeitraum vom bis Anspruch auf Versorgung mit regelmäßigen Lipid-Apherese-Behandlungen hatte.
2Der 1957 geborene Kläger leidet ua unter einer koronaren Dreigefäßerkrankung mit dreifacher Myokardrevaskularisation, arterieller Hypertonie, arterieller Verschlusskrankheit mit Carotisplaques, Hyperlipidämie, Lp(a)-Dyslipoproteinämie und insulinpflichtigem Diabetes mellitus. Die Apherese-Kommission der Kassenärztlichen Vereinigung N stellte die Indikation für die vertragsärztlich beantragte Apherese und befürwortete die Behandlung (Schreiben vom an den behandelnden Arzt des Klägers). Dagegen blieb der Kläger mit seinem Begehren auf Versorgung mit einer Lipid-Apherese im Zeitraum vom bis bei der Beklagten ohne Erfolg (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Nachdem das SG die Beklagte durch Beschluss vom (S 32 KR 4021/19 ER) zur vorläufigen Leistungserbringung verpflichtet hatte, erklärte sich die Beklagte mit Bescheid vom bereit, die Kosten der beantragten Apherese-Behandlung vorbehaltlich einer anderslautenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorläufig zu übernehmen. Der Kläger nahm die Leistung im verfahrensgegenständlichen Zeitraum aber nicht in Anspruch. Das SG hat die nach Ablauf dieses Zeitraums als Fortsetzungsfeststellungsklage fortgeführte Klage abgewiesen (Urteil vom ). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen: Die Klage sei mangels Fortsetzungsfeststellungsinteresses unzulässig. Eine insoweit in Betracht kommende Wiederholungsgefahr setze voraus, dass die hinreichend bestimmte konkrete Gefahr bestehe, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige Entscheidung ergehe (Hinweis auf ). Davon sei vorliegend nicht auszugehen, da für die Leistungsentscheidung die zum Entscheidungszeitpunkt jeweils bestehende gesundheitliche Situation, die anhand aktueller medizinischer Unterlagen zu beurteilen sei, maßgeblich sei. Die Indikationsstellung sei nach § 8 Abs 1 Anlage I Nr 1 der Methoden-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses jeweils auf ein Jahr zu befristen. Bei Fortbestehen der Behandlungsindikation sei mit einer ergänzenden ärztlichen Beurteilung gemäß § 4 Anlage I Nr 1 der Methoden-Richtlinie eine erneute Beratung der Apherese-Kommission einzuleiten (Urteil vom ).
3Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
4II. Die zulässige Beschwerde des Klägers ist begründet. Das LSG-Urteil beruht auf einem Verfahrensfehler (Revisionszulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG), den der Kläger entsprechend den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG bezeichnet (dazu 1.). Die ausdrücklich erhobene Divergenzrüge ist dagegen unzulässig (Revisionszulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG; dazu 2.). Dies eröffnet dem Senat die Möglichkeit der Zurückverweisung der Sache an das LSG nach § 160a Abs 5 SGG, von der er Gebrauch macht (dazu 3.).
51. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Der Kläger bezeichnet den geltend gemachten Verfahrensmangel der gebotenen Sachentscheidung über eine nach §§ 90, 92 SGG wirksam erhobene, zulässige Klage anstelle des ergangenen Prozessurteils noch hinreichend.
6a) Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels die ihn begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht (stRspr; vgl - juris RdNr 7; - juris RdNr 8; - juris RdNr 12; - SozR 1500 § 160a Nr 14). Diese Begründungsanforderungen erfüllt die Beschwerde. Sie macht geltend, die Vorinstanzen hätten die Fortsetzungsfeststellungsklage nicht mangels berechtigten Interesses iS von § 131 Abs 1 Satz 2 SGG als unzulässig abweisen dürfen, sondern in der Sache entscheiden müssen. Der Kläger legt dar, dass aus seiner Sicht wegen der in den Folgejahren im Wesentlichen gleichbleibenden Sachlage insbesondere eine Widerholungsgefahr bestehe. Er verweist insoweit auf in den Folgejahren gleichlautende Entscheidungen der Beklagten über seine jahresbezogen geltend gemachten Leistungsansprüche.
7b) Die Beschwerde ist auch begründet. Das LSG hätte die Klage nicht mit der gegebenen Begründung als unzulässig ansehen und deshalb die Berufung zurückweisen dürfen. Denn seine prozessrechtlichen Ausführungen tragen die Bestätigung des SG-Urteils nicht. Das Ergehen eines Prozessurteils anstatt des gebotenen Sachurteils ist ein Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG (stRspr; vgl nur - juris RdNr 8; - juris RdNr 6; - BSGE 1, 283 = SozR Nr 1 zu § 158 SGG). So liegt der Fall hier. Das LSG-Urteil beruht auch auf diesem Verfahrensmangel.
8aa) Die fehlende Sachentscheidung ergibt sich nicht bereits aus dem Tenor des LSG-Urteils, das die Berufung "zurückgewiesen" hat. Um den Sinn der Urteilsformel zu ermitteln, sind die Entscheidungsgründe mit heranzuziehen (so bereits - BSGE 1, 283, 285 = SozR Nr 1 zu § 158 SGG). Das SG hat die Klage als unbegründet abgewiesen und das Fortsetzungsfeststellungsinteresse als materielle Anspruchsvoraussetzung verneint. Das LSG hat dagegen diese Voraussetzung - insoweit zutreffend (vgl nur - BSGE 131, 106 = SozR 4-4200 § 44a Nr 3, RdNr 16 und 23) - als Zulässigkeitsvoraussetzung geprüft, jedoch sich der Begründung des SG in der Sache angeschlossen und vertieft. Danach hat hier das LSG ein berechtigtes Interesse an der Feststellung verneint, deshalb die Fortsetzungsfeststellungsklage als unzulässig angesehen und damit nicht zur Sache entschieden.
9bb) Bei der Abweisung einer Klage als unzulässig wegen der Annahme, es fehle an einem Fortsetzungsfeststellungsinteresse, liegt ein Verfahrensfehler vor, wenn in der Entscheidung die an das Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu stellenden Anforderungen verkannt werden (vgl - juris RdNr 13; 6 B 14.17 - juris RdNr 12 zum berechtigten Interesse iS von § 43 Abs 1 VwGO; ferner 6 B 21.21 - juris RdNr 10 mwN). Dies ist hier der Fall. Das LSG hätte die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage nicht mit der gegebenen Begründung wegen fehlenden "berechtigten Interesses" iS von § 131 Abs 1 Satz 3 SGG verneinen dürfen.
10Ein "berechtigtes Interesse" iS von § 131 Abs 1 Satz 3 SGG meint jedes nach der Sachlage vernünftigerweise gerechtfertigte Interesse, das rechtlicher, aber auch bloß wirtschaftlicher oder ideeller Art sein kann (vgl - juris RdNr 10 zu § 55 Abs 1 SGG). Davon geht das LSG im Ansatz auch aus. Wiederholungsgefahr ist anzunehmen, wenn die hinreichend bestimmte (konkrete) Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige Entscheidung ergeht (vgl B 7b AS 40/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 4 RdNr 7 mwN).
11Dem LSG ist zwar zuzugeben, dass die Leistungsvoraussetzungen im jährlichen Abstand jeweils nach der zum Zeitpunkt der Entscheidung bestehenden gesundheitlichen Situation aufgrund aktueller medizinischer Unterlagen zu beurteilen sind. Es ist daher durchaus möglich, dass die medizinische Beurteilung der Indikation für eine Apherese-Behandlung in Folgejahren wegen einer Veränderung des Gesundheitszustands des Versicherten abweicht. Eine Wiederholungsgefahr besteht aber nicht nur dann, wenn sich die rechtliche Bewertung auf eine identische Tatsachengrundlage zu stützen hat. Es genügt vielmehr die nicht entfernt liegende Möglichkeit eines wiederholten Auftretens der Rechtsfrage zwischen den Beteiligten, etwa, wenn sich konkret abzeichnet, also die hinreichend bestimmte Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen oder rechtlichen Umständen ein gleichartiges Leistungsbegehren wieder auftreten kann (vgl zB - SozR 4-3250 § 145 Nr 4 RdNr 22; - BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 9; - BSGE 108, 206 = SozR 4-2500 § 33 Nr 34, RdNr 22 mwN). Hierzu ist nicht erforderlich, dass die tatsächlichen Verhältnisse gänzlich gleichartig sind (vgl - SozR 4100 § 91 Nr 5 S 13 f). Es reicht sogar aus, dass trotz veränderter Verhältnisse eine auf gleichlautenden Erwägungen beruhende Entscheidung zu erwarten ist (vgl - BSGE 132, 262 = SozR 4-5520 § 32 Nr 6, RdNr 17) oder sich die Wiederholungsgefahr sogar bereits verwirklicht hat, weil für Folgejahre entsprechende Entscheidungen ergangen sind (vgl - BSGE 56, 45, 49 f = SozR 2100 § 70 Nr 1 S 6). Eine solche Auslegung gebietet auch Art 19 Abs 4 GG.
12Wegen des Gebots effektiven Rechtsschutzes dürfen an die Wiederholungsgefahr in Fällen, in denen sich Verwaltungsentscheidungen typischerweise schnell erledigen, etwa weil eine Neubewertung der zugrunde liegenden Tatsachen - wie hier - im jährlichen Turnus zu erfolgen hat, keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Dies gilt erst recht dann, wenn es dabei um Leistungen geht, auf die - wie hier - das Sachleistungsprinzip Anwendung findet (§ 2 Abs 2 Satz 1, § 13 Abs 1 SGB V). Denn die Auffassung des LSG hätte zur Folge, dass ein Sachleistungsberechtigter seinen Sachleistungsanspruch immer nur mittelbar über einen Kostenerstattungsanspruch durchsetzen könnte. Einem Sachleistungsberechtigten muss aber prozessual die Möglichkeit verbleiben, seinen Sachleistungsanspruch auch im Falle der Erledigung im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage unmittelbar geltend zu machen, wenn die nicht bloß entfernt liegende Möglichkeit eines wiederholten Auftretens der Rechtsfrage zwischen ihm und seiner Krankenkasse besteht. Andernfalls wäre er bei Sachverhalten wie dem hier vorliegenden rechtsschutzlos gestellt bzw müsste er - um Rechtsschutz zu erlangen - zunächst selbst in Vorlage treten, verbunden mit erheblichen finanziellen Belastungen. Bisweilen dürfte dem Sachleistungsberechtigten aufgrund seiner beschränkten finanziellen Mittel und der erheblichen Kosten der begehrten Leistung nicht einmal dies möglich sein. Der danach noch eröffnete einstweilige Rechtsschutz lässt jedoch sein Kostenrisiko auch dann nicht entfallen, wenn die Krankenkasse zur Erbringung einer Leistung angewiesen wird (vgl - BSGE 122, 181 = SozR 4-2500 § 2 Nr 6, RdNr 9 f).
13Das LSG hat diese Grundsätze in seiner Entscheidung nicht hinreichend berücksichtigt. Seine prozessrechtlichen Erwägungen tragen die Verneinung eines berechtigten Interesses daher nicht. Das LSG hat, abgesehen von der hier für die Verneinung eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses nicht tragenden jahresweisen Bewilligung der Lipid-Apherese als solcher, Gründe nicht konkret bezeichnet, die hier die Gefahr auszuschließen vermögen, dass ein unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen oder rechtlichen Umständen gleichartiges Leistungsbegehren nicht wieder auftreten kann. Soweit das LSG auf die Möglichkeit eines sich ändernden medizinischen Sachverhalts beim Kläger verweist, hätte es auf den Gesundheitszustand des Klägers näher eingehen und gegebenenfalls schon für die Prüfung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses medizinischen Sachverstand beiziehen müssen.
14Das LSG wird bei seiner Entscheidung gegebenenfalls auch bereits zu beachten haben, dass die Wiederholungsgefahr sich schon aus ablehnenden Entscheidungen der Beklagten für Folgejahre ergeben kann, wofür es entsprechende Hinweise insbesondere in der Beschwerdebegründung gibt. Dem musste der Senat aber aus den vorgenannten Gründen nicht weiter nachgehen.
152. Wer sich auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) beruft, muss entscheidungstragende, abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einem Urteil des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und Ausführungen dazu machen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen und das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht (vgl zB - juris RdNr 6; - juris RdNr 8; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Darlegungsanforderungen vgl BVerfG <Dreierausschuss> vom - 2 BvR 676/81 - juris RdNr 8). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen Rechtssatz aufgestellt hat, der objektiv von höchstrichterlicher Rechtsprechung abweicht (vgl zB - juris RdNr 8). Dem LSG muss es dabei aber nicht subjektiv bewusst gewesen sein, dass es einen objektiv abweichenden Rechtssatz aufstellt (vgl auch - juris RdNr 18). Es genügt für eine Abweichung, dass das LSG andere rechtliche Maßstäbe aufstellt (vgl - SozR 1500 § 160a Nr 67 S 91).
16Der Kläger richtet sein Vorbringen hieran nicht aus. Er bezeichnet bereits keine abstrakten Rechtssätze des Berufungsgerichts und eines der in § 160 Abs 2 Nr 2 SGG genannten Gerichte, sondern rügt vielmehr nur die im Ergebnis angeblich fehlerhafte Rechtsanwendung durch das LSG. Die Frage, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat, ist jedoch nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (stRspr; vgl - juris RdNr 6; - SozR 4-2600 § 43 Nr 19 - juris RdNr 21; - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18; - SozR 1500 § 160a Nr 7).
173. Nach § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, was - wie unter 1. ausgeführt - hier der Fall ist. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch. Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren den oben dargelegten Anforderungen entsprechend zunächst festzustellen haben, ob den jährlichen Entscheidungen über den Anspruch des Klägers auf Versorgung mit Apherese-Behandlungen im Wesentlichen unveränderte tatsächliche und rechtliche Verhältnisse (noch) zugrunde liegen und dies auch für die Zukunft zu erwarten ist (zum Zeitpunkt für das Vorhandensein eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses vgl - BSGE 132, 262 = SozR 4-5520 § 32 Nr 6, RdNr 15 mwN). Ferner wird es gegebenenfalls in der Sache selbst über den Feststellungsantrag entscheiden müssen.
184. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:020425BB1KR724B0
Fundstelle(n):
CAAAJ-91785