Nichtannahmebeschluss: Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gegenüber Abänderungsantrag gem § 80 Abs 7 S 2 VwGO analog auch im einstweiligen Anordnungsverfahren nach § 123 VwGO
Gesetze: § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 80 Abs 7 S 2 VwGO, § 123 VwGO
Instanzenzug: VG Frankfurt Az: 6 L 650/25.F Beschluss
Gründe
1Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, da der in Art. 93 Abs. 5 Satz 2 GG angelegte Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (§ 90 Abs. 2 BVerfGG) nicht gewahrt ist.
2Der Grundsatz der Subsidiarität verlangt, dass Beschwerdeführer nicht nur den Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG erschöpfen, sondern darüber hinaus auch alle zumutbaren Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verhinderung oder Beseitigung der geltend gemachten Grundrechtsverletzung formal durchlaufen. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist dabei geklärt, dass ein Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO eine solche Rechtsschutzmöglichkeit darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1385/16 -, Rn. 7; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 593/23 -, Rn. 13).
3Auch wenn der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Beschluss nicht auf der Grundlage des § 80 Abs. 5 VwGO ergangen ist und eine unmittelbare Anwendbarkeit von § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO daher ausscheidet, hat der Beschwerdeführer nicht substantiiert dargelegt, dass ein Antrag auf Abänderung des angegriffenen Beschlusses nicht erfolgversprechend wäre.
4Nach wohl überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur ist eine Abänderung oder Aufhebung eines im Verfahren nach § 123 VwGO ergangenen, rechtskräftigen Beschlusses in analoger Anwendung von § 80 Abs. 7 VwGO möglich (vgl. BVerfGE 92, 245 <260>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 542/07 -, Rn. 16; siehe auch Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom - 1 B 1585/10 -, Rn. 14 - 18; OVG Lüneburg, Beschluss vom - 4 MC 56/13 -, Rn. 5; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom - 3 CE 23.1070 -, Rn. 11, alle bei juris; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 123 Rn. 127 ff.; Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 123 Rn. 174 ff. <Aug. 2024>; Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Aufl. 2021, § 123 Rn. 71). Von einer grundsätzlichen Aussichtslosigkeit eines entsprechenden Antrages kann vor diesem Hintergrund somit nicht ausgegangen werden.
5Es erscheint vorliegend nicht ausgeschlossen, dass die Mitteilung des Regierungspräsidiums Darmstadt vom , es halte trotz der Terminregistrierung des Beschwerdeführers bei der Deutschen Botschaft in Algier an der Verneinung des Duldungsanspruchs fest, als geänderter Umstand im Sinne von § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO (analog) anzusehen wäre. In dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass dem Beschwerdeführer ein Verbleib in der Bundesrepublik bis zur Wahrnehmung eines Termins bei der deutschen Auslandsvertretung in Algier möglich wäre und hat die Wartezeit für einen dortigen Termin daher nicht in seine Beurteilung der Frage einbezogen, ob die zu erwartende Trennungsdauer auch unter Berücksichtigung des noch sehr jungen Alters des betroffenen Kindes zumutbar erscheint. Die Mitteilung des Regierungspräsidiums könnte daher einen gegenüber der Entscheidung des Verwaltungsgerichts neuen Umstand darstellen.
6Gleichermaßen scheint es nicht ausgeschlossen, dass das Verwaltungsgericht auf einen entsprechenden Antrag hin zu Gunsten des Beschwerdeführers entscheiden würde. Das Verwaltungsgericht hätte gerade auch unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Wartezeit für einen Termin bei der zuständigen Auslandsvertretung, die nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers sieben Monate und damit einen nicht unerheblichen Zeitraum beträgt, insbesondere eine gültige Prognose über die voraussichtliche Trennungsdauer zu treffen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 1333/21 -, Rn. 57 ff.). Auch wäre zu berücksichtigen, dass mangelnde Kooperationsbereitschaft und selbst Fehlverhalten eines Ausländers in eigenen, aufenthaltsrechtlichen Angelegenheiten nicht zu einer Verkürzung der (Verfahrens-)Rechte eines an diesen Entscheidungen unbeteiligten, staatlichem Schutz unterstehenden Kindes führen darf (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom - 2 BvR 244/24 -, Rn. 25).
7Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20250410.2bvr048725
Fundstelle(n):
NAAAJ-91456