Instanzenzug: LG Aachen Az: 66 KLs 25/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten mit der Begründung freigesprochen, er habe die wie angeklagt festgestellten Taten aufgrund einer akuten hebephrenen Psychose in schuldunfähigem Zustand begangen. Seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat die Strafkammer abgelehnt, weil zukünftige erhebliche rechtswidrige Taten nicht zu erwarten seien. Gegen das Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Sachrüge gestützten Revision. Sie beanstandet die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus, wobei sie die Gefahrenprognose als rechtlich defizitär erachtet. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel führt zur Aufhebung des gesamten Urteils mit den Feststellungen.
I.
21. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen wurde bei dem unbestraften, zum Urteilszeitpunkt 33 Jahre alten Angeklagten im Alter von 13 Jahren eine hebephrene Schizophrenie (ICD-10: F20.1) festgestellt. Daneben bestehen deutliche Anzeichen für ein Asperger-Syndrom (ICD-10: F84.5). Die Erkrankung führte dazu, dass der Angeklagte keinen Schulabschluss erlangte, keine Berufsausbildung absolvierte und keiner regulären Erwerbstätigkeit nachging. Wiederholt war er zeitweilig stationär in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Vor seiner Verhaftung im November 2023 und der sich anschließenden, mit der Urteilsverkündung aufgehobenen einstweiligen Unterbringung in der LVR-Klinik Essen übte er gelegentlich Hilfstätigkeiten als Waldarbeiter aus, wofür er als Arbeitswerkzeuge einen Hammer (Fäustel) und eine Axt zum Spalten von Holz besaß; im Übrigen lebte er von Sozialleistungen. Seine Psychose manifestiert sich in einer misstrauischen, angstvollen, passiv-aggressiven Grundhaltung und einer hohen Lebensunzufriedenheit, die daraus resultiert, dass es ihm krankheitsbedingt nicht gelingt, ein soziales Umfeld aufzubauen, seinen Alltag zu strukturieren und einer regelmäßigen sinnstiftenden Beschäftigung nachzugehen. Es ist ihm nicht möglich, eigenes Verhalten kritisch zu reflektieren; sein Auffassungs- und Konzentrationsvermögen sowie formales Denken sind gestört.
3Der Angeklagte begeisterte sich zeitweilig für den Nationalsozialismus und das sogenannte Dritte Reich, ohne allerdings die historischen Zusammenhänge und das NS-Unrecht zu verstehen. Als sozialer Außenseiter faszinierte ihn eine von ihm angenommene große Einigkeit und Geschlossenheit der Gesellschaft unter der NS-Herrschaft, wobei er krankheitsbedingt nicht zu erfassen vermochte, dass es für psychisch schwer erkrankte Personen wie ihn im NS-Staat keinen Platz gab.
42. Das Landgericht hat folgende Taten festgestellt:
5a) Im Januar 2019 fertigte der Angeklagte an seinem Computer ein Flugblatt mit der Überschrift „Valhalla“, Abbildungen von Adolf Hitler und weiteren Führungspersonen des NS-Regimes sowie einem Bild eines Schwertes vor einem Hakenkreuz an. Ausdrucke hiervon warf er in die Briefkästen verschiedener Wohnhäuser in S. und A. ein (Fall 1 der Urteilsgründe).
6Im Frühjahr 2019 stellte der Angeklagte weitere Flugblätter her, die unter anderem mit sich kreuzenden Linien durchgestrichene Abbildungen von Menschen jüdischen Glaubens, Rollstuhlfahrern sowie einer Person mit Regenbogenflagge enthielten. Ein Flugblatt versah er mit dem Schriftzug „parasitäre Geldverschwendung kostet der Volksgemeinschaft“. Im April 2019 legte der Angeklagte Ausdrucke dieser Flugblätter in eine frei zugängliche Flyerbox am in J. ein (Fall 2 der Urteilsgründe).
7Im Mai 2019 verteilte der Angeklagte durch Einlage in die Briefkästen von Privathäusern in M. weitere Ausdrucke der bereits im Vormonat verbreiteten sowie andere von ihm hergestellte vergleichbare Flugblätter, wobei eines mit der Aufschrift „Scheiß Behinderte Menschen. 6 Millionen waren eine gute Lösung (…)“ versehen war (Fall 3 der Urteilsgründe).
8Mit diesen drei Taten wollte der Angeklagte seinem Bekenntnis zum Nationalsozialismus und seiner damit einhergehenden Ablehnung von Menschen jüdischen Glaubens, Homosexuellen und Behinderten Ausdruck verleihen. Zugleich hoffte er, dass die Empfänger der Flugblätter sich seiner Haltung anschließen würden.
9b) Im August 2019 störte sich der Angeklagte an einem Massagesalon in A. , weil ihm missfiel, dass sich die Kunden dort entkleideten und auf Werbezetteln, die in einer Flyerbox vor dem Geschäft auslagen, kaum bekleidete Menschen abgebildet waren. Um seiner hohen Frustration und irrationalen Verärgerung ein Ventil zu verschaffen, entschloss sich der hochpsychotische Angeklagte, bei dem Massagesalon „etwas kaputt zu machen“. Da er befürchtete, dass der Inhaber auf ihn losgehen könnte, um die beabsichtigte Sachbeschädigung zu verhindern, packte er ein Messer mit einer Klingenlänge von 15 Zentimetern in eine Sporttasche, die er sich umhängte. Am Massagesalon angekommen, riss er laut schreiend die Prospektbox aus der Verankerung, lief mit ihr auf die Straße, zerstörte sie, indem er sie auf den Boden schlug, und trat auf den nunmehr verstreuten Flyern herum. Danach ging er – gefolgt von dem aufmerksam gewordenen Inhaber, aber ohne sich gegen diesen zu wenden – weg und wurde schließlich von der herbeigerufenen Polizei gestellt. Das mitgeführte Messer brachte er nicht zum Einsatz (Fall 4 der Urteilsgründe).
10c) In dem Wohnhaus in A. , in dem sich im ersten Obergeschoss die Räumlichkeiten des Angeklagten befanden, lebte in einer Wohnung im Erdgeschoss der Zeuge Ma. . Das Zusammenleben beider verlief lange Zeit friedlich, bis der Angeklagte ohne äußeren Anlass plötzlich krankheitsbedingt seine allgemeine Verärgerung auf den Zeugen projizierte. Jedes Mal, wenn der Angeklagte an der Wohnungstür des Zeugen vorbeikam, klopfte er an diese oder trat gegen sie. Regelmäßig bewarf er ein Fenster der Wohnung des Zeugen mit Kot, beschmierte die Wohnungstür sowie den Türknauf mit Fäkalien und urinierte auf die vor der Tür liegende Fußmatte. Im Wesentlichen dergestalt belästigte der Angeklagte den Zeugen über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren. Am stieß der Angeklagte erneut gegen die Tür, die nunmehr – wohl wegen Materialermüdung aufgrund der Vielzahl der bisherigen Einwirkungen – nachgab, so dass er sie eintrat. Der Zeuge Ma. , ob des Verhaltens des Angeklagten mittlerweile erheblich erbost, entschloss sich daraufhin, den Angeklagten zur Rede zu stellen. Wütend lief er ihm auf der Straße hinterher. Das bemerkte der auch jetzt hochpsychotische Angeklagte und bekam Angst vor einer direkten Konfrontation mit dem Zeugen. Er fühlte sich von diesem bedroht, rief ihm zu „Verpiss Dich, Du Arschloch!“ und trat ihm mit dem beschuhten Fuß gegen den Oberschenkel, wodurch das Opfer eine Schürfwunde erlitt. Damit wollte er erreichen, dass der Zeuge von ihm abließ. Anschließend entfernte sich der Angeklagte. Seine Belästigungen setzte er noch eine Zeitlang fort, bis der Zeuge wegen eines längeren Krankenhausaufenthaltes aus seinem Fokus geriet. In den folgenden etwa zwei Jahren bis zu seiner Festnahme im November 2023 verhielt sich der Angeklagte, obgleich beide weiter im selben Haus wohnten, gegenüber dem Zeugen unauffällig, belästigte allerdings statt seiner eine andere Mieterin (Fall 5 der Urteilsgründe).
11d) In den Jahren 2020 bis 2022 führte ein A. Rechtsanwalt die rechtliche Betreuung des Angeklagten. Der mangels ärztlicher Behandlung und Medikamenteneinnahme weiterhin akut psychotische Angeklagte war unzufrieden mit den Leistungen seines Betreuers, vermochte aber krankheitsbedingt mit seinem daraus resultierenden Ärger nicht adäquat umzugehen. Weil er – wie üblich – eine offene Konfrontation scheute, sprühte er in zwei Nächten im Oktober 2021 und Januar 2022 zum Abbau seiner Frustration mit schwarzer Sprayfarbe die Worte „Feige Deutsche“ beziehungsweise „Hurensohn“ auf die heruntergelassenen Rollläden der Kanzleiräume des Rechtsanwalts, um damit sein Missfallen zum Ausdruck zu bringen (Fälle 6 und 7 der Urteilsgründe).
12e) Im November 2021 hatte der Angeklagte die Sorge, gegen seinen Willen stationär psychiatrisch in der Universitätsklinik von A. untergebracht zu werden. In krankheitsbedingter Realitätsverkennung glaubte er, nicht untergebracht werden zu können, sofern er dort Hausverbot habe. Er entschloss sich deshalb, ein Hausverbot der Uniklinik gegen sich zu erwirken. Zu diesem Zweck warf er am einen Stein gegen ein Fenster der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Krankenhauses, wodurch die Scheibe zerbarst (Fall 8 der Urteilsgründe).
13f) Krankheitsbedingt war die Unrechtseinsichtsfähigkeit des Angeklagten bei allen acht Taten, die er jeweils in hochpsychotischem Zustand beging, aufgehoben.
143. Am wurde der Angeklagte von der Polizei festgenommen. Dem lag zu Grunde, dass er in der Nacht in weiterhin akut psychotischem Zustand zu Fuß in A. unterwegs war, wobei er in einem Rucksack seine Spaltaxt mit sich führte und offen in der Hand seinen Fäustel trug. Er bemerkte einen langsam Streife fahrenden Polizeiwagen und lief schreiend und in wahnhafter Realitätsverkennung mit dem Fäustel in der erhobenen Hand auf diesen zu. Der Fahrer beschleunigte den Streifenwagen, um Distanz zum Angeklagten zu schaffen. Dieser wandte sich daraufhin ab. Die Polizeibeamten kehrten jedoch um und fuhren in Richtung des Angeklagten. Sie bemerkten, dass der Angeklagte mit dem Fäustel auf eine Hausfassade einschlug, stiegen aus dem Polizeiwagen aus und gaben sich mit dem Ruf „Polizei“ auch akustisch als Polizeibeamte zu erkennen. Daraufhin ging der Angeklagte mit dem weiter in der Hand gehaltenen Hammer auf die Polizisten zu. Diese gingen nunmehr davon aus, von dem Angeklagten bedroht zu werden. Um ihn zu stoppen, produzierte einer der Beamten mit seinem Teaser einen Lichtbogen in Richtung des Angeklagten, der daraufhin den Fäustel wegwarf. Die Polizisten brachten ihn zu Boden und nahmen ihn fest, ohne dass er Widerstand leistete.
II.
15Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils mitsamt den Feststellungen.
161. Zwar hat die Staatsanwaltschaft ihre Revision explizit beschränkt auf die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB. Sie wendet sich ausdrücklich nicht gegen den Freispruch und bestandet allein die von der Strafkammer im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 63 StGB angestellte Gefahrenprognose.
17Eine solche Revisionsbeschränkung ist in der vorliegenden Fallkonstellation jedoch unwirksam (so auch , juris Rn. 1; vom – 4 StR 193/17, juris Rn. 13; vom – 1 StR 341/11, juris Rn. 1; LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 344 Rn. 52). Soweit demgegenüber angenommen wird, eine derartige Beschränkung der Revision der Staatsanwaltschaft sei wirksam (vgl. , juris Rn. 10; vom – 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72, 73; vom – 4 StR 140/08, juris Rn. 14; vom – 2 StR 206/95, NStZ 1995, 609, 610; LK/Cirener, StGB, 13. Aufl., § 63 Rn. 211; SK-StPO/Frisch, 5. Aufl., § 344 Rn. 21; MüKoStPO/Knauer/Kudlich, 2. Aufl., § 344 Rn. 47; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 318 Rn. 24), bleibt unberücksichtigt, dass die Frage der (aufgehobenen) Schuldfähigkeit des Angeklagten für sowohl den Freispruch als auch die Unterbringung nach § 63 StGB von Relevanz ist, womit die Gefahr einer inkonsistenten Gesamtentscheidung bestünde, wenn in Konstellationen wie der vorliegenden eine von der Staatsanwaltschaft erklärte Beschränkung ihres Rechtsmittels auf die Nichtanordnung einer Maßregel nach § 63 StGB als wirksam erachtet würde (vgl. , juris Rn. 1; vom – 4 StR 193/17, juris Rn. 13; vom – 1 StR 341/11, juris Rn. 1; s. zudem , juris Rn. 11; Beschluss vom – 4 StR 348/12, NStZ 2013, 424; LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 344 Rn. 52). Der Gefahr einer in sich widersprüchlichen Gesamtentscheidung bei Annahme von Teilrechtskraft des Urteils hinsichtlich des Freispruchs kann auch nicht mit der Überlegung begegnet werden, im Fall einer erneuten Verhandlung über die Unterbringung in einem zweiten Rechtsgang könne das – von der Staatsanwaltschaft nicht monierte – Handeln des Angeklagten im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) als bindend festgestellt behandelt werden. Denn dann wäre dem freigesprochenen Angeklagten bei einem Erfolg des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft (in Gestalt der Unterbringungsanordnung im zweiten Rechtsgang) die Möglichkeit genommen, diese tatbestandliche Voraussetzung für eine ihn beschwerende Unterbringung nach § 63 StGB mit einem Rechtsmittel anzufechten. Damit wäre er in seinen Verteidigungsmöglichkeiten unvertretbar beschränkt (so auch LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 344 Rn. 52; s. in diesem Zusammenhang zur Unzulässigkeit des Aufrechterhaltens von Feststellungen bei der Aufhebung eines die Unterbringung ablehnenden Urteils auf Revision der Staatsanwaltschaft , juris Rn. 9; vom – 6 StR 326/23, NStZ-RR 2024, 44, 45; vom – 4 StR 380/21, NStZ-RR 2022, 173, 175).
182. Die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält der revisionsrechtlichen Kontrolle nicht stand.
19a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat(en) aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss – zum Urteilszeitpunkt – eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens (namentlich Art, Häufigkeit und Rückfallfrequenz früherer Taten) sowie der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Täter infolge seines Zustands drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt. Neben der konkreten Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung sind die auf die Person des Täters und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren einzustellen, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Straftaten jenseits der Anlasstaten belegen können. Das Tatgericht ist nicht nur zu einer sorgfältigen Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen verpflichtet, sondern auch dazu, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. , juris Rn. 5; Urteile vom – 6 StR 155/24, juris Rn. 7; vom – 3 StR 65/24, juris Rn. 24; Beschluss vom – 2 StR 341/23, juris Rn. 14; Urteile vom – 3 StR 25/22, StV 2023, 387 Rn. 9; vom – 4 StR 380/21, NStZ-RR 2022, 173, 174).
20b) Hieran gemessen erweist sich die in den Urteilsgründen dargelegte Gefahrenprognose der Strafkammer, zukünftige erhebliche rechtswidrige Taten des Angeklagten im Sinne des § 63 Satz 1 StGB infolge seines Zustandes seien nicht mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu besorgen, mithin nicht zu erwarten, als rechtlich defizitär.
21aa) Gemäß § 63 Satz 1 StGB, gegebenenfalls in Verbindung mit § 63 Satz 2 StGB, hätte die Strafkammer eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen müssen, sofern (besondere) Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Angeklagte infolge seiner hebephrenen Psychose zukünftig erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
22bb) Die in den Urteilsgründen entfaltete Gefahrenprognose genügt den Erörterungserfordernissen nicht; die diesbezüglichen Ausführungen der Strafkammer weisen Lücken auf und sind damit zum Vorteil des Angeklagten durchgreifend rechtsfehlerhaft.
23(1) Die Strafkammer hat zwar nachvollziehbar mit dem Sachverständigen angenommen, dass sich der Angeklagte in Freiheit mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zukünftig in einem akut psychotischen Krankheitszustand befinden werde, weil die Schizophrenie seit langem in einer schweren Ausprägung verfestigt ist, der Angeklagte kaum Krankheitseinsicht hat und er keine Bereitschaft zeigt, sich ärztlich betreuen zu lassen und freiwillig geeignete Psychopharmaka einzunehmen. Daher werde er, so das Landgericht, auch zukünftig – wie im Zeitraum der urteilsgegenständlichen Taten – seinen Ärger und seine Frustration auf andere Personen projizieren. Deshalb seien erneute Straftaten zu erwarten.
24(2) Nicht rechtsfehlerfrei begründet ist dagegen die Annahme des Landgerichts, mit höherer Wahrscheinlichkeit zu besorgen seien allein nicht im Sinne des § 63 Satz 1 StGB erhebliche Delikte wie „kleinere einfache Körperverletzungen, Sachbeschädigungen oder Ehrverletzungsdelikte“.
25Denn die Strafkammer hat zum einen nicht erkennbar berücksichtigt, dass das Vorgehen des Angeklagten gegen den Zeugen Ma. im Fall 5 der Urteilsgründe sich nicht auf die Körperverletzungshandlung am beschränkte, sondern eingebunden war in ein sich über mehrere Jahre hinweg ständig wiederholendes Vorgehen gegen den Geschädigten, das nicht bloß sozial störend, sondern grundsätzlich geeignet war, ganz erhebliche psychische Beeinträchtigungen der angegangenen Person zu bewirken. Insofern ist zu bedenken, dass Taten, die für sich genommen nur einer geringen Strafandrohung unterworfen sind, aufgrund ihres Kontextes und Gepräges im Einzelfall durchaus dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein und damit die Erheblichkeitsschwelle des § 63 Satz 1 StGB überschreiten können (vgl. nur , juris Rn. 19).
26Zum anderen hat die Strafkammer, worauf die Revision der Staatsanwaltschaft zutreffend hinweist, zwar das Handeln des Angeklagten gegen die Polizeibeamten am in den Urteilsgründen als Teil der getroffenen Feststellungen ausführlich geschildert, indes die dargelegten Tatumstände nicht erkennbar in die Gefährlichkeitsprognose einfließen lassen. Insofern hätte das Landgericht berücksichtigen müssen, dass der Angeklagte sich im Rahmen dieses Geschehens gleich zwei Mal ohne äußeren Anlass in fremdaggressiver Weise gegen die Polizeibeamten wandte, wobei er bewaffnet war. Das Vorgehen des Angeklagten imponierte auf die Polizeibeamten als derart aggressiv, dass diese sich veranlasst sahen, ihrerseits zu einer Waffe – einem Teaser – zu greifen. Der Umstand, dass der Angeklagte die mitgeführten Werkzeuge – Hammer und Axt – bei seiner Tätigkeit als Waldarbeiter verwendete, steht der Annahme einer ausweislich der Urteilsgründe auch vom psychiatrischen Sachverständigen konstatierten und für die Gefahrenprognose relevanten „Bewaffnungstendenz“ nicht entgegen, weil der Angeklagte bei seinen Angriffen auf die Polizeibeamten keinen Anlass hatte, für eine Erwerbstätigkeit benötigte Werkzeuge mit sich zu führen. Zudem widerstreitet das Tatgeschehen am der Einschätzung der Strafkammer, „unprovozierte Körperverletzungen“ passten nicht zur Persönlichkeit des Angeklagten, weil dieser vom Typus her „passiv-aggressiv“ sei.
273. Da die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus auf die Revision der Staatsanwaltschaft keinen Bestand hat, ist zugleich die Aufhebung des Freispruchs wegen Handelns in schuldunfähigem Zustand sowie sämtlicher Feststellungen, auch derjenigen zu den Anlasstaten, geboten (vgl. , juris Rn. 9; vom – 6 StR 326/23, NStZ-RR 2024, 44, 45; vom
– 4 StR 380/21, NStZ-RR 2022, 173, 175). Die Sache bedarf daher in vollem Umfang neuer Verhandlung und Entscheidung.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:060325U3STR515.24.0
Fundstelle(n):
KAAAJ-91444