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BGH Beschluss v. - 3 StR 423/24

Instanzenzug: LG Wuppertal Az: 24 KLs 12/20

Gründe

I.

1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen, des versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und des sexuellen Missbrauchs von Kindern schuldig gesprochen und gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verhängt. Zudem hat es eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festgestellt und drei Monate der verhängten Strafe als vollstreckt geltend erklärt. Gegen das Urteil wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf mehrere Verfahrensbeanstandungen und die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen geringen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

21. Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen kam es zu folgenden Taten des Angeklagten zum Nachteil der am geborenen Nebenklägerin, seiner ehemaligen Stieftochter:

3a) Im Jahre 2012 forderte der in der Badewanne sitzende Angeklagte die Nebenklägerin auf, sein Glied in den Mund zu nehmen, was diese auch tat (Fall II. 2. a) der Urteilsgründe).

4b) Im Jahre 2017, als die Familie in Kanada lebte, gab der Angeklagte der Nebenklägerin einen Zungenkuss und erklärte, ihr das Küssen beibringen zu wollen, damit sie dies bei ihrem Freund anwenden könne (Fall II. 2. b) der Urteilsgründe).

5c) Ebenfalls während des Aufenthaltes in Kanada berührte der Angeklagte die Scheide der mit ihm auf der Couch liegenden Nebenklägerin und führte einen Finger in diese ein (Fall II. 2. c) der Urteilsgründe).

6d) Zudem drückte der Angeklagte die Beine der in Kanada auf ihrem Bett liegenden Nebenklägerin auseinander und leckte an ihrer Scheide (Fall II. 2. d) der Urteilsgründe).

7e) In der zweiten Jahreshälfte 2017 versuchte der Angeklagte, in die Scheide der auf der Couch liegenden Nebenklägerin mit seinem Penis einzudringen, woraufhin diese zunächst wegrutschte und äußerte, Schmerzen zu haben. Dem Angeklagten gelang es schließlich, mit seinem Glied ein Stück vaginal in die Nebenklägerin einzudringen (Fall II. 2. e) der Urteilsgründe).

8f) Ebenfalls in der zweiten Jahreshälfte 2017 versuchte der Angeklagte, im Whirlpool mit seinem Penis in die Scheide der Nebenklägerin einzudringen, was ihm jedoch nicht gelang (Fall II. 2. f) der Urteilsgründe).

92. Die Strafkammer hat die Fälle II. 2. a), b) c) und e) der Urteilsgründe jeweils als schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, strafbar gemäß § 176 Abs. 1, § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB in der jeweils gültigen Tatzeitfassung, Fall II. 2. f) der Urteilsgründe als versuchten schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, strafbar gemäß § 176 Abs. 1, § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB aF, §§ 22, 23 StGB und Fall II. 2. d) der Urteilsgründe als sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 1 StGB aF gewertet.

II.

101. Die Verfahrensbeanstandungen bleiben aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen ohne Erfolg.

112. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils führt zur Änderung des Schuld- und Strafausspruchs in Fall II. 2. b) der Urteilsgründe.

12a) Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift hierzu ausgeführt:

„Nach den Feststellungen gab der Angeklagte der damals elfjährigen Nebenklägerin einen Zungenkuss und erklärte ihr in diesem Zusammenhang, ihr das Küssen beibringen zu wollen, damit sie es bei ihrem damaligen Freund anwenden könne (UA Bl. 8 f., 49). Diese Feststellungen belegen zwar die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes nach § 176 Abs. 1 StGB a.F. Denn der Zungenkuss ist jedenfalls mit Blick darauf, dass sich der Angeklagte angemaßt hat, gegenüber der Nebenklägerin ′gewissermaßen als deren Sexuallehrer zu fungieren′, eine sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit im Sinne von §§ 176 Abs. 1 a.F., 184 h Nr. 1 StGB, die auch mit dem Eindringen in den Körper verbunden ist. Jedoch liegt der Qualifikationstatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB a.F. nicht vor, da ein Zungenkuss keine dem Beischlaf ähnliche sexuelle Handlung darstellt und damit den Tatbestand des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes nicht erfüllt (Senat, Beschluss vom – 3 StR 154/16, juris Rn. 2). Die Ähnlichkeit der sexuellen Handlung mit dem Beischlaf ist vor allem an der Gewichtung der Rechtsgutverletzung zu messen. Geschütztes Rechtsgut ist in den Fällen des § 176a StGB a.F. die ungestörte sexuelle Entwicklung des Kindes. Hierauf wirkt der Zungenkuss regelmäßig nicht so intensiv ein wie ein Vaginal-, Oral- oder Analverkehr (, juris Rn. 7). Dass er überhaupt geeignet ist, die ungestörte sexuelle Entwicklung des Kindes zu beeinträchtigen, reicht – entgegen der Auffassung des Landgerichts (UA Bl. 49) – für einen schweren sexuellen Missbrauch nicht aus, weil schon der Grundtatbestand des § 176 StGB a.F. die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern schützen soll (vgl. , juris Rn. 5, NJW 1999, 2977, NJW 1992, 234 [325]). Schließlich ergibt sich auch aus den Gesetzesmaterialien nicht, dass der Gesetzgeber den Fall des Zungenkusses der Norm unterwerfen wollte (vgl. BT-Dr 13/8587, S. 31 f.; zuvor BT-Dr 13/2463, S. 7 und BT-Dr 13/7324, S. 6; jew. zu § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB). Ein extremer Ausnahmefall, in dem unter besonderen Umständen etwas anderes gelten könnte (vgl. , juris Rn. 7), liegt hier nicht vor.“

13Dem folgt der Senat und fasst den Schuldspruch entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts neu, jedoch ergänzt um den dort nicht enthaltenen Fall des versuchten schweren Missbrauchs von Kindern.

14§ 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

15b) Aufgrund der Änderung des Schuldspruchs kann die für diesen Fall verhängte Einzelstrafe, die dem eine Mindestfreiheitsstrafe von zwei Jahren vorsehenden Strafrahmen des § 176a Abs. 2 StGB aF entnommen wurde, keinen Bestand haben.

16Die vom Generalbundesanwalt primär beantragte Herabsetzung der Einzelstrafe gemäß § 354 Abs. 1a Satz 2 StPO scheidet nach verfassungsrechtlichen Vorgaben aufgrund der Schuldspruchänderung aus (s. hierzu BVerfG, Beschlüsse vom – 2 BvR 1447/05 u.a., BVerfGE 118, 212, 242 ff.; vom – 2 BvR 1977/05, juris Rn. 8).

17Der Senat setzt deshalb auf dessen Hilfsantrag gemäß § 354 Abs. 1 StPO die Einzelstrafe für diese Tat auf die gesetzliche Mindeststrafe (§ 176 Abs. 1 StGB aF) von sechs Monaten Freiheitsstrafe fest, womit jedwede Beschwer des Angeklagten ausgeschlossen ist.

183. Die Gesamtfreiheitsstrafe bleibt von der abweichenden Festsetzung der Einzelstrafe für den Fall II. 2. b) der Urteilsgründe unberührt. Denn es ist angesichts der Höhe der übrigen Einzelstrafen auszuschließen, dass die Strafkammer eine mildere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte, wenn sie bei deren Bildung die nunmehr festgesetzte Einzelstrafe zu Grunde gelegt hätte.

194. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grundlage der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

205. Angesichts des geringen Erfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

Schäfer                         Berg                         Kreicker

                Voigt                        Munk

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:180325B3STR423.24.0

Fundstelle(n):
SAAAJ-91343