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BGH Beschluss v. - XI ZB 13/24

Leitsatz

Zur Besorgnis der Befangenheit gegenüber einem Richter, der über einen Anspruch auf Rückzahlung von Kontoführungsentgelten wegen Unwirksamkeit der AGB-Klausel über die Fiktion der Zustimmung des Kunden zu einer Änderung der AGB der Bank oder Sparkasse zu entscheiden hat, nachdem er selbst in der Vergangenheit wegen eines solchen Anspruchs gegen die Beklagte ein Schlichtungsverfahren eingeleitet hatte, nach dessen ergebnislosem Ende den Anspruch aber nicht weiterverfolgt hat und auch nicht mehr Kunde der Beklagten ist.

Gesetze: § 42 ZPO

Instanzenzug: LG Halle (Saale) Az: 4 T 11/24vorgehend AG Naumburg Az: 12 C 227/22

Gründe

I.

1Die Klägerin begehrt vor dem Hintergrund des Senatsurteils vom (XI ZR 26/20, BGHZ 229, 344) von der beklagten Sparkasse die Rückzahlung von Entgelten für die Führung eines Girokontos in Höhe von 173,49 € nebst Zinsen und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

2Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten ein Girokonto, für das zunächst keine Bankentgelte vereinbart waren, solche aber später von der Beklagten eingeführt und von der Klägerin auch gezahlt wurden. Gegen die auf Rückzahlung gerichtete Klage verteidigt sich die Beklagte unter anderem mit dem Argument, die Klägerin habe jedenfalls im Februar 2016 durch den Abschluss einer Rahmenvereinbarung über die Teilnahme am Online-Banking auch den Entgelten zugestimmt.

3Die nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständige Richterin am Amtsgericht B.                  hat in der mündlichen Verhandlung vom darauf hingewiesen, ihre Mutter und sie seien Inhaberinnen eines Girokontos bei der Beklagten gewesen. Mit Schreiben vom habe sie Rückforderungsansprüche im Namen ihrer Mutter und im eigenen Namen geltend gemacht und dazu diversen Schriftverkehr geführt. Eine Vereinbarung sei durch die Beklagte angeboten, aber nicht angenommen worden. Die Beklagte habe mit Schreiben vom das Girokontoverhältnis gekündigt und am eine geringfügige Teilzahlung auf die geltend gemachte Forderung geleistet. Am habe die Amtsrichterin die Schlichtungsstelle angerufen. Diese habe einen Hinweis erteilt, auf den nicht weiter eingegangen worden sei, weshalb das Schlichtungsverfahren mit Wirkung vom als beendigt gegolten habe. Das Girokontoverhältnis zur Beklagten bestehe nicht mehr. Der Sachverhalt sei für sie, die abgelehnte Richterin, inhaltlich wie emotional abgeschlossen. Daraufhin hat die Beklagte die Richterin am Amtsgericht B.               noch im Termin wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

4Das Amtsgericht hat das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Beklagten hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

5Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

61. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

7Bei vernünftiger und nüchterner Betrachtungsweise bestehe kein Grund, an der Unabhängigkeit der abgelehnten Amtsrichterin zu zweifeln. Weder aus ihrer Mitteilung noch aus dem Vorbringen der Beklagten ergebe sich, dass sie aktuell noch einen Vertrag wie den streitgegenständlichen mit der Beklagten unterhalte.

8Mit der von der Beklagten zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Besorgnis der Befangenheit wegen der Beteiligung des abgelehnten Richters an einer Musterfeststellungsklage in "Dieselabgasfällen" ( VIa ZB 17/23, juris Rn. 9 ff. mwN) lasse sich hier eine solche Besorgnis nicht begründen. Unabhängig davon, dass diese Rechtsprechung nicht unbedenklich erscheine, soweit es lediglich um die Anmeldung von Ansprüchen nach § 608 Abs. 1 ZPO in der Fassung vom (künftig: aF) gehe, unterscheide sich die hier in Rede stehende Konstellation deutlich von derjenigen, über die der Bundesgerichtshof entschieden habe. So sei in der Musterfeststellungsklage dem Musterfeststellungsbeklagten ein vorsätzlich sittenwidriges Verhalten zur Last gelegt worden, während im hiesigen Verfahren der Beklagten ein vergleichbares erheblich verwerfliches Verhalten nicht zur Last gelegt werde und sich aus der Mitteilung der abgelehnten Amtsrichterin auch nicht ergebe, dass sie selbst früher der Beklagten ein verwerfliches Verhalten vorgeworfen hätte. Ein weiterer wesentlicher Unterschied sei, dass die abgelehnte Amtsrichterin gegen die Beklagte keinen eigenen Prozess geführt habe, sondern es bei einem Schlichtungsverfahren habe bewenden lassen, das gerade auf eine gütliche Einigung ziele. Das Anstreben einer gütlichen Einigung über eine Differenz in einer Vertragsauslegung sei nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Zudem ergebe sich aus der Mitteilung der abgelehnten Richterin nicht, dass sie mit der Beklagten auch über den Kern des hiesigen Rechtsstreits gestritten hätte, nämlich über die Frage, ob in dem Abschluss einer Rahmenvereinbarung über die Teilnahme am Online-Banking mit dem darin enthaltenen Verweis auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Vereinbarung über die Zahlung von Bankentgelten liege. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass es kaum einen Richter geben dürfte, für den - in welcher Höhe auch immer - die Annahme von Ansprüchen auf Rückforderung vereinnahmter Bankentgelte im Anschluss an das , BGHZ 229, 344) nicht rechtlich denkbar gewesen wäre. Dieser Umstand spreche dafür, im Fall einer solchen Rückforderungsklage anders als in "Dieselabgassachen" die Besorgnis der Befangenheit erst dann anzunehmen, wenn es im Zeitpunkt der Befassung des abgelehnten Richters noch eine laufende Geltendmachung ähnlicher Ansprüche durch den Richter gebe.

92. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.

10a) Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich, da die Vorschriften über die Befangenheit von Richtern bezwecken, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - VIII ARZ 2/20, BGHZ 226, 350 Rn. 34, vom - VI ZB 10/20, NJW-RR 2020, 1321 Rn. 21, vom - II ZR 97/21, NJW-RR 2021, 1360 Rn. 14 und vom - VIa ZB 17/23, juris Rn. 8, jeweils mwN). Maßgeblich ist, ob aus der Sicht einer Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Dabei kommen nur objektive Gründe in Betracht, die aus der Sicht einer verständigen Prozesspartei berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit oder der Unabhängigkeit des Richters aufkommen lassen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - IX ZR 80/15, ZInsO 2018, 547 Rn. 3, vom , aaO und vom , aaO Rn. 15, jeweils mwN).

11Solche Zweifel können sich aus einer besonderen Beziehung des Richters zum Gegenstand des Rechtsstreits oder zu den Parteien ergeben (BGH, Beschlüsse vom - II ZR 237/09, WM 2011, 812 Rn. 2, vom - I ZB 58/17, NJW 2019, 516 Rn. 10 und vom - II ZR 97/21, NJW-RR 2021, 1360 Rn. 15). So kann eine Ablehnung wegen Befangenheit gemäß § 42 Abs. 2 ZPO begründet sein, wenn ein Richter in einem Verfahren zwar nicht selbst Partei ist, aber über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hat, aus dem er selbst Ansprüche gegen eine Partei geltend macht. Aus der Sicht einer Partei, gegen die ein Richter Ansprüche erhebt, kann Anlass zu der Befürchtung bestehen, dass dieser Richter die Würdigung des Sachverhalts, wie er sie dem von ihm verfolgten Anspruch gegen die Partei zugrunde gelegt hat, auf das Verfahren gegen eine andere Partei, dem der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, überträgt und wie in der eigenen Sache urteilt (BGH, Beschlüsse vom - II ZB 14/19, WM 2020, 218 Rn. 10, vom - VI ZB 94/19, WM 2020, 1892 Rn. 8, vom - III ZB 57/20, WM 2021, 1109 Rn. 7 und vom - VIa ZB 17/23, juris Rn. 8). Entsprechendes gilt, wenn der Richter Ansprüche gegen die Partei bislang nicht geltend gemacht hat, dies aber ernsthaft in Erwägung zieht. Auch wenn er den Sachverhalt in eigener Sache dann noch nicht abschließend gewürdigt hat, kann aus Sicht der Partei Anlass zu der Befürchtung bestehen, dass der Richter etwaige Erwägungen und Beweggründe, die bei seiner vorläufigen Betrachtung des Sachverhalts für eine Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Partei in eigener Sache sprechen, auf das Verfahren überträgt (vgl. aaO).

12Maßgeblich sind jeweils die besonderen Umstände des Einzelfalls, die in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind (BGH, Beschlüsse vom - I ZB 58/17, NJW 2019, 516 Rn. 10 und vom - II ZR 97/21, NJW-RR 2021, 1360 Rn. 15).

13b) Nach diesen Maßgaben rechtfertigen die von der Richterin am Amtsgericht B.                 mitgeteilten Umstände nicht die Besorgnis der Befangenheit, unabhängig davon, ob die Beklagte auch gegenüber der Richterin geltend gemacht hatte, dass zwischen ihnen eine Rahmenvereinbarung über die Teilnahme am Online-Banking geschlossen worden sei und die Richterin damit den Entgelten zugestimmt habe.

14So besteht zwischen der Richterin und der Beklagten keine geschäftliche Beziehung mehr, die Richterin hat nach Erhalt einer geringfügigen Teilzahlung keine Klage erhoben, sondern nur ein Schlichtungsverfahren eingeleitet und nach dessen ergebnislosem Ende im April 2022 und damit fast zwei Jahre vor der mündlichen Verhandlung keine weiteren Schritte unternommen, um einen etwaigen Rückzahlungsanspruch gegenüber der Beklagten geltend zu machen. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist der vorliegende Fall deshalb nicht mit dem Sachverhalt vergleichbar, der Gegenstand des , WM 2020, 1892) war. Denn dort war maßgebend für die Annahme eines Ablehnungsgrundes, dass der Richter angezeigt hatte, derzeit zu prüfen, ob er Ansprüche geltend machen werde, und hierzu einen ADAC-Vertragsanwalt um Rat gebeten zu haben, dessen Antwort noch ausstehe ( aaO Rn. 1, 6, 10).

15Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde sind die von der Amtsrichterin hier mitgeteilten Umstände auch nicht deshalb geeignet, Misstrauen gegen ihre Unparteilichkeit zu rechtfertigen, weil der Bundesgerichtshof angenommen hat, die Anmeldung von Ansprüchen des abgelehnten Richters zu einem Musterfeststellungsverfahren, in dem es um den Vorwurf geht, ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug habe bei dessen Erwerb wegen der (vorsätzlichen) Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen nicht den einschlägigen Zulassungsvorschriften entsprochen, sei geeignet, vom Standpunkt der Beklagten aus bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Richters ihr gegenüber aufkommen zu lassen, auch wenn der abgelehnte Richter in dem Musterfeststellungsverfahren einen Vergleich geschlossen hat, mit dem auch Ansprüche gegen andere Konzerngesellschaften abgegolten sein sollten (vgl. BGH, Beschlüsse vom - III ZB 57/20, WM 2021, 1109 Rn. 11 ff. und vom - VIa ZB 17/23, juris Rn. 10 ff.). Denn die in diesen Fällen für die Gesamtwürdigung maßgeblichen Umstände sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.

16Die Anrufung der Schlichtungsstelle durch die Amtsrichterin ist nicht mit der Anmeldung von Ansprüchen zur Eintragung in das Klageregister nach § 608 ZPO aF vergleichbar. Denn während die Einleitung eines außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens gegen eine Sparkasse auf eine gütliche Einigung abzielt, da ein Schlichtungsvorschlag für die Beteiligten nicht bindend ist (§ 9 Abs. 3 Finanzschlichtungsstellenverordnung, künftig: FinSV; § 9 Abs. 3 der Verfahrensordnung der Schlichtungsstelle beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband e.V., künftig: VerfO DSGV), ist die Anmeldung nach § 608 ZPO aF auf eine verbindliche Klärung von tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen des angemeldeten Anspruchs gerichtet (vgl. § 610 Abs. 3, § 613 ZPO aF; BT-Drucks. 19/2439, S. 17). Außerdem kann ein Antrag auf Durchführung eines Schlichtungsverfahrens bis zur Beendigung des Verfahrens zurückgenommen werden (§ 7 Abs. 2 FinSV; § 7 Abs. 2 VerfO DSGV), während die Rücknahme der Anmeldung zur Eintragung in das Klageregister nur zeitlich begrenzt zulässig ist (§ 608 Abs. 3 ZPO aF).

Ellenberger                        Grüneberg                        Matthias

                        Derstadt                                 Ettl

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:150425BXIZB13.24.0

Fundstelle(n):
WAAAJ-90951