Instanzenzug: Az: S 34 R 1446/19 WA Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 4 R 927/20 Beschluss
Tatbestand
1Die Klägerin begehrt die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) nach § 231 Abs 4b SGB VI für ihre Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1. in der Zeit vom bis zum .
2Die Klägerin ist Volljuristin und seit dem Pflichtmitglied der örtlich zuständigen Rechtsanwaltskammer (RAK) sowie des zu 2. beigeladenen Versorgungswerks. Sie war ab bei der T beschäftigt und insoweit ab dem von der Versicherungspflicht in der GRV befreit (Bescheid vom ). Ab war die Klägerin als Leiterin HR Management bei der Beigeladenen zu 1. beschäftigt. Die Beklagte lehnte insoweit den "Antrag auf Weitergeltung der mit Bescheid vom ausgesprochenen Befreiung von der Versicherungspflicht" vom ab. Es handele sich nicht um eine berufsspezifische anwaltliche Tätigkeit (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Im Klageverfahren stellte die Klägerin beim SG "rein vorsorglich", für den Fall, dass der ursprüngliche Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht vom nicht ausreiche, einen erneuten Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 6 SGB VI und einen Antrag auf rückwirkende Befreiung gemäß § 231 Abs 4b SGB VI für die weiterhin ausgeübte Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1. (Schriftsatz vom ; Eingang beim SG am Gründonnerstag, den ). Der vom SG am weitergeleitete Antrag ging am bei der Beklagten ein. Das SG wies die Klage ab (Urteil vom - S 34 R 418/19 WA = S 6 R 1496/11), das LSG die Berufung zurück (Beschluss vom - L 4 R 925/20).
3Die RAK ließ die Klägerin für die Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1. als Syndikusrechtsanwältin zu (Antrag vom ; Bescheid vom ). Die Beklagte befreite sie insoweit ab dem von der Versicherungspflicht in der GRV (Bescheide vom und vom ). Den Antrag auf rückwirkende Befreiung lehnte sie ab. Dieser sei nicht innerhalb der gesetzlichen Ausschlussfrist bis zum gestellt worden (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ).
4Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Der nach § 231 Abs 4b SGB VI erforderliche Befreiungsantrag sei nicht rechtzeitig bei der Beklagten bis zum gestellt worden. Die Frist sei eine Ausschlussfrist, weshalb auch keine Wiedereinsetzung möglich sei. Der Antrag gegenüber dem SG sei nicht fristwahrend. In dem Antrag auf Zulassung zur Syndikusrechtsanwaltschaft bei der RAK könne kein Antrag auf rückwirkende Befreiung gesehen werden (; ).
5Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 6, 231 Abs 4b SGB VI, § 96 SGG sowie der Art 12 und 14 GG. Ein separater Antrag auf rückwirkende Befreiung sei nicht erforderlich, wenn der Beklagten das Befreiungsbegehren bereits bekannt sei. Jedenfalls erfordere die rückwirkende Befreiung dann keinen erneuten Antrag, wenn bei der Zulassung als Syndikusrechtsanwältin ein offenes Befreiungsverfahren nach § 6 Abs 1 Satz 1 SGB VI für dieselbe noch nach alter Rechtslage zu beurteilende Tätigkeit bei Gericht anhängig sei. § 231 Abs 4b SGB VI sei teleologisch zu reduzieren, um eine geschlossene Versicherungsbiographie zu ermöglichen.
7Die Beklagte beantragt,die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
8Sie hält den angegriffenen Beschluss für zutreffend.
9Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
Gründe
10Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist zulässig (dazu 1.), hat aber in der Sache keinen Erfolg (dazu 2.). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der GRV.
111. Die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ist zulässig (vgl § 54 Abs 1 Satz 1 iVm § 56 SGG; - BSGE 131, 32 = SozR 4-2600 § 231 Nr 8, RdNr 10).
12Die Klage ist insbesondere nicht wegen inzwischen entgegenstehender Rechtskraft (§ 141 SGG in der Fassung <idF> des Sechsten Gesetzes zur Änderung des SGG vom , BGBl I 2144) des ) unzulässig. Der hier angefochtene Verwaltungsakt ist nicht nach § 96 Abs 1 SGG (idF des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom , BGBl I 444) Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens über die am beantragte Befreiung von der Rentenversicherungspflicht geworden. Er hat den Verwaltungsakt vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom weder abgeändert noch ersetzt im Sinne dieser Vorschrift, da die Regelungsgegenstände beider Verwaltungsakte nicht (teil-)identisch sind. Das Verfahren der rückwirkenden Befreiung für eine Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt (§ 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI idF des Gesetzes zur Organisationsreform in der GRV vom , BGBl I 3242, iVm § 231 Abs 4b SGB VI iVm § 46 Abs 2, § 46a Bundesrechtsanwaltsordnung <BRAO> idF des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom , BGBl I 2517) ist vom Verfahren auf (Weitergeltung der) Befreiung von der Versicherungspflicht als Rechtsanwältin (§ 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI) zu trennen (vgl - SozR 4-2600 § 6 Nr 17 RdNr 16; - juris RdNr 21 ff).
132. Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat den für die rückwirkende Befreiung nach § 231 Abs 4b SGB VI erforderlichen Antrag (dazu a) nicht fristgerecht gestellt (dazu b). Sie kann auch nicht so gestellt werden, als wäre ein solcher Antrag fristgerecht eingegangen (dazu c). In Grundrechten ist sie deshalb nicht verletzt (dazu d).
14a) Die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der GRV nach § 231 Abs 4b SGB VI setzt als Tatbestandsvoraussetzung einen gesonderten Antrag voraus (vgl - SozR 4-2600 § 231 Nr 7 RdNr 17; - BSGE 131, 32 = SozR 4-2600 § 231 Nr 8, RdNr 13; BT-Drucks 18/5201 S 46 zu Art 5 Nr 2). Dies gilt auch dann, wenn ein Verfahren auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI zum Zeitpunkt der Rechtsänderung der BRAO zum oder der danach erteilten Zulassung als Syndikusrechtsanwalt noch nicht rechtskräftig abgeschlossen war (vgl BT-Drucks 19/13808 S 6 zu Frage 5).
15Der Wortlaut des § 231 Abs 4b Satz 1 und 6 SGB VI setzt ausdrücklich einen Antrag voraus. Nach § 231 Abs 4b Satz 1 SGB VI wirkt eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt "auf Antrag" vom Beginn derjenigen Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird. Dieses Antragserfordernis greift § 231 Abs 4b Satz 6 SGB VI auf und verbindet es mit einer gesonderten Frist. Danach konnte der "Antrag auf rückwirkende Befreiung nach den Sätzen 1 und 2" nur bis zum Ablauf des gestellt werden. Eine Ausnahme von diesem Antragserfordernis im Falle eines zuvor beantragten laufenden Befreiungsverfahrens nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI ist dem Wortlaut des § 231 Abs 4b SGB VI nicht zu entnehmen.
16Auch die Gesetzessystematik spricht für das Erfordernis eines separaten Antrags. Die im Fünften Kapitel - Sonderregelungen - des SGB VI enthaltene Vorschrift des § 231 Abs 4b Satz 1 SGB VI knüpft an eine aktuelle Befreiung als Syndikusrechtsanwalt gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI nach der ab geltenden Rechtslage an. Diese ist nach der allgemeinen Regelung des § 6 Abs 2 SGB VI (idF der Bekanntmachung vom , BGBl I 754) zu beantragen. Davon getrennt stellt § 231 Abs 4b Satz 6 SGB VI das Antragserfordernis für die nur übergangsweise ermöglichte rückwirkende Befreiung auf. Dass bei dessen Einführung auch (noch) offene Altverfahren im Blick waren, ergibt sich bereits aus § 231 Abs 4b Satz 5 SGB VI. Danach gelten die vorangegangenen Sätze nicht für Beschäftigungen, für die eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt aufgrund einer vor dem ergangenen Entscheidung bestandskräftig abgelehnt wurde. Für eine separate Antragspflicht sprechen auch die unterschiedlichen Rechtsfolgen: § 231 Abs 4b SGB VI ermöglicht unter eigenständigen Voraussetzungen , "eine über § 6 Absatz 4 SGB VI hinausgehende Rückwirkung der Befreiung herbeizuführen" (BT-Drucks 18/5201 S 46 zu Art 5 Nr 2).
17Auch die Gesetzeshistorie spricht für die Notwendigkeit eines eigenen Antrags auf rückwirkende Befreiung. Nach den Gesetzesmaterialien eröffnet § 231 Abs 4b SGB VI "für bestimmte Syndikusrechtsanwälte bzw. Syndikuspatentanwälte die Möglichkeit, auf zusätzlichen Antrag (neben dem Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1) eine über § 6 Absatz 4 SGB VI hinausgehende Rückwirkung der Befreiung herbeizuführen" (vgl BT-Drucks 18/5201 S 46 zu Art 5 Nr 2). Erst recht ist daher ein separater Antrag erforderlich für eine Beschäftigung, die vor Einführung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt zum (vgl §§ 46 bis 46c BRAO idF des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom , BGBl I 2517) gar nicht befreiungsfähig war.
18Sinn und Zweck der zeitlich befristeten und separaten Antragsmöglichkeit nach § 231 Abs 4b SGB VI stehen dem hier gefundenen Ergebnis nicht entgegen. Die Abhängigkeit der Befreiung (§ 6 Abs 2 SGB VI) wie auch deren Rückwirkung (§ 231 Abs 4b SGB VI) von einem Antrag ermöglicht und überlässt es der Betroffenen, die mit der (doppelten) Versicherungspflicht für sie jeweils aktuell verbundenen Vor- und Nachteile selbst abzuwägen. Die Befristung des Antrags dient dabei dem grundsätzlichen Erfordernis einer möglichst zeitnahen Klärung versicherungs-, leistungs- und beitragsrechtlich relevanter Fragen. Diese Notwendigkeit besteht hier in besonderem Maße, weil es um eine dem Beitragsrecht grundsätzlich fremde Rückwirkung über einen längeren Zeitraum geht. Den Betroffenen ist es zumutbar, eine eigene aktuelle Entscheidung darüber zu treffen, ob sie das "Angebot" einer rückwirkenden Befreiung annehmen wollen. Erst ein gesonderter Antrag lässt den Betroffenen auch die Möglichkeit offen, sich vor dem Hintergrund der neu eingetretenen Gesetzeslage bewusst für oder auch gegen die rückwirkende Befreiung zu entscheiden, weil zB inzwischen Wartezeiten in der GRV erfüllt sind. Eine Prüfung der Beklagten von Amts wegen, ob die Entscheidung der Betroffenen vermeintlich eindeutig zugunsten einer auch rückwirkenden Befreiung ausfallen müsste, ist nicht vorgesehen. Auch § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI räumt den Betroffenen nur ein Befreiungsrecht ein, um eine doppelte Beitragspflicht zur GRV und zu einer berufsständischen Versorgungseinrichtung zu verhindern sowie eine "geschlossene Versicherungsbiographie" (vgl BT-Drucks 13/2590 S 18 unter A. I.) aufzubauen. Daran knüpft die vorübergehend geschaffene Möglichkeit der rückwirkenden Befreiung nach § 231 Abs 4b SGB VI an (vgl - BSGE 131, 32 = SozR 4-2600 § 231 Nr 8, RdNr 29). Mit ihr hat der Gesetzgeber auf die - BSGE 115, 267 = SozR 4-2600 § 6 Nr 12, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 R, jeweils juris) reagiert und "wie bisher" - unter bestimmten Voraussetzungen auch rückwirkend - eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht zugunsten der Versorgungswerke ermöglichen (vgl BT-Drucks 18/5201 S 2 unter B., S 22 unter A. II. 8., S 46 zu Art 5 Nr 2; - juris RdNr 21), aber nicht kraft Gesetzes erteilen wollen.
19Eine teleologische Reduktion des Antragserfordernisses nach § 231 Abs 4b SGB VI ist nicht geboten. Hierfür ist nur dann Raum, wenn die auszulegende Vorschrift auf einen Teil der vom Wortlaut erfassten Fälle nicht angewandt werden soll, weil der Sinn und Zweck der Norm, ihre Entstehungsgeschichte und der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen (vgl ua - juris RdNr 22; - BSGE 124, 188 = SozR 4-2500 § 240 Nr 33, RdNr 16). Die Grenzen der Auslegung sind weiter, soweit die vom Gericht im Wege der Rechtsfortbildung gewählte Lösung dazu dient, den verfassungsmäßigen Rechten des Einzelnen zum Durchbruch zu verhelfen (vgl aaO RdNr 20 mwN; - SozR 4-2600 § 96a Nr 17 RdNr 38). Die Antragspflicht ist jedoch ein gesetzliches Erfordernis, das in verhältnismäßiger Weise der zeitnahen Abgrenzung und der eindeutigen Klärung des versicherungsrechtlichen Status dient.
20b) Den hiernach erforderlichen Antrag hat die Klägerin nicht fristgerecht bis zum gestellt. Unter Zugrundelegung der maßgeblichen Grundsätze (dazu aa) ist weder der Antrag gegenüber der Beklagten vom (dazu bb) noch der Antrag auf Zulassung als Syndikusrechtsanwältin vom (dazu cc) oder der Eingang des Schriftsatzes vom beim SG am (dazu dd) dafür ausreichend.
21aa) Ein Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht ist eine einseitige empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung, auf die - sofern das Sozialrecht keine speziellen Regelungen trifft - die Vorschriften des BGB entsprechende Anwendung finden (zum Antrag auf eine Sozialleistung vgl - SozR 4-4200 § 37 Nr 9 RdNr 22 ff). Der Antrag nach § 231 Abs 4b SGB VI bedarf keiner besonderen Form. Er ist beim zuständigen "Leistungsträger" - hier der Beklagten (Annexkompetenz aus § 6 Abs 3 Satz 2 SGB VI idF des Gesetzes zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung vom , BGBl I 2474, iVm § 231 Abs 4b SGB VI) - zu stellen (analog § 16 Abs 1 Satz 1 SGB I). Der Antrag ist erst mit Eingang beim zuständigen Leistungsträger gestellt, sofern nicht ausnahmsweise die Regelung in § 16 Abs 2 Satz 2 SGB I zur Anwendung kommt (vgl - juris RdNr 18). Die Erklärung muss in erkennbarer Weise zum Ausdruck bringen, dass von einem Antragsrecht Gebrauch gemacht wird. Maßgebend für die Auslegung eines Antrags ist - unter Berücksichtigung aller Umstände - der erkennbare wirkliche Wille des Antragstellers (§ 133 BGB idF der Bekanntmachung vom , BGBl I 42, in entsprechender Anwendung, vgl - BSGE 115, 225 = SozR 4-4200 § 37 Nr 6, RdNr 16).
22bb) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist es nicht zu beanstanden, dass das LSG dem am gestellten Antrag lediglich Bedeutung für die Befreiung nach alter Rechtslage und nicht für die streitgegenständliche rückwirkende Befreiung nach § 231 Abs 4b SGB VI beigemessen hat. Ein (Gestaltungs-)Antrag auf Befreiung kann grundsätzlich erst dann wirksam gestellt werden, wenn die betreffende gesetzliche Regelung und die danach maßgeblichen tatsächlichen Umstände überblickt werden können (vgl - SozR 4-2600 § 6 Nr 5 RdNr 17). Dies war zum damaligen Zeitpunkt nicht der Fall, da die Vorschrift erst mit Wirkung zum in Kraft getreten ist (Art 9 Abs 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom , BGBl I 2517, 2524).
23cc) Der bei der RAK gestellte Antrag auf Zulassung als Syndikusrechtsanwalt (vgl § 46a BRAO) enthält nicht zugleich einen Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der GRV iS von § 231 Abs 4b SGB VI. Dem steht bereits entgegen, dass bei verschiedenen Trägern gesonderte Anträge zu stellen sind (vgl § 46a Abs 1 BRAO, § 6 Abs 2 SGB VI und § 231 Abs 4b SGB VI).
24dd) Der vorsorglich am beim SG gestellte Antrag auf rückwirkende Befreiung nach § 231 Abs 4b SGB VI wahrt die Frist ebenfalls nicht. Er ist nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) bei der Beklagten als zuständigem Leistungsträger (vgl § 16 Abs 1 Satz 1 SGB I) erst nach Fristablauf am eingegangen.
25Anträge auf Sozialleistungen werden nach § 16 Abs 1 Satz 2 SGB I zwar auch von allen anderen Leistungsträgern, von allen Gemeinden und bei Personen, die sich im Ausland aufhalten, auch von den amtlichen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland entgegengenommen. Zu diesen für die betreffende Sozialleistung unzuständigen, ausnahmsweise aber zur Entgegennahme von Anträgen berechtigten und verpflichteten Stellen gehören die Sozialgerichte aber offenkundig nicht. Insbesondere zählen sie nicht zu den "anderen Leistungsträgern". Leistungsträger sind die in den §§ 18 bis 29 SGB I genannten Körperschaften, Anstalten und Behörden, die für die Sozialleistungen zuständig sind (§ 12 Satz 1 SGB I). Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind jedoch von den Verwaltungsbehörden getrennt (§ 1 SGG idF des Siebenten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom , BGBl I 3302). Damit ist auch für eine Antragseingangsfiktion nach § 16 Abs 2 Satz 2 SGB I kein Raum. Danach gilt der Antrag als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er - anders als hier - bei einem unzuständigen Leistungsträger, bei einer für die Sozialleistung nicht zuständigen Gemeinde oder bei einer amtlichen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland eingegangen ist. § 16 Abs 1 Satz 2 SGB I ist auch nicht analog auf Gerichte anzuwenden, weil es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt (vgl Spellbrink in BeckOGK, SGB I, § 16 RdNr 42, Stand ). Der Gesetzgeber hat den Kreis der zur Entgegennahme berechtigten und verpflichteten Stellen bewusst begrenzt und von einer weitergehenden Regelung abgesehen (vgl BT-Drucks 7/868 S 26 zu § 16).
26Auch § 91 Abs 1 und § 84 Abs 2 Satz 1 SGG, wonach die Frist zur Erhebung einer Klage oder eines Widerspruchs als gewahrt gilt, wenn die Klage- oder Widerspruchsschrift statt bei der zuständigen Stelle bei einer anderen inländischen Behörde, einem Versicherungsträger oder einer deutschen Konsularbehörde eingegangen ist, sind nicht einschlägig. Diese Vorschriften sind nicht auf bei einem Leistungsträger zu stellende Anträge anwendbar. § 91 Abs 1 SGG regelt lediglich die Fristwahrung in Bezug auf "die Erhebung der Klage" zum (un-)zuständigen SG (vgl zum Ausschluss weiterer Anträge während des Verfahrens auch Diehm in BeckOGK, SGG, § 91 RdNr 6, Stand ). § 84 Abs 2 Satz 1 SGG bezieht sich allein auf die "Erhebung des Widerspruchs".
27Neben dem jeweiligen Gesetzeswortlaut spricht auch die Systematik gegen die Einbeziehung behördlicher Anträge. § 91 Abs 1 SGG betrifft das (gerichtliche) "Verfahren im ersten Rechtszug" (vgl § 153 Abs 1 SGG <iVm § 165 Satz 1 SGG>), § 84 Abs 2 Satz 1 SGG die Einleitung des einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage grundsätzlich vorgeschalteten Vorverfahrens (vgl § 78 Abs 1 und 3 SGG idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom , BGBl I 2848). § 91 Abs 1 SGG übernimmt damit die vormals in § 129 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) geregelten Erleichterungen und soll (verfahrens-)rechtlich ungewandten Bürgern den Zugang zu den Sozialgerichten erleichtern und die in der Vergangenheit vielfach genutzte Möglichkeit erhalten, die Klageschrift statt beim zuständigen SG bei der Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen hat, oder beim örtlichen Versicherungsamt oder einer anderen Sozialbehörde einzureichen (vgl - SozR 4-1500 § 91 Nr 1 RdNr 18; - SozR 3-1500 § 91 Nr 1 S 3 f = juris RdNr 7; BT-Drucks 1/4357 S 31 zu § 39 des Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit <Sozialgerichtsordnung - SGO> vom ). Dass die sozialgerichtliche Vorschrift auch für Anträge bei der Behörde gelten soll, ist den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen. Danach wird vielmehr die bisher für die "Rechtsmitteleinlegung" nach § 129 Abs 2 RVO geltende Erleichterung übernommen (BT-Drucks 1/4357 aaO). Dafür, dass § 84 Abs 2 Satz 1 SGG auch grundsätzlich zu einem Leistungsträger zu stellende Anträge umfassen soll, findet sich in den Gesetzesmaterialien ebenfalls kein Hinweis (vgl BT-Drucks 1/4357 S 30 f zu §§ 31 bis 34 des Entwurfs einer SGO).
28Für eine analoge Anwendung der sozialgerichtlichen Vorschriften fehlt es wiederum an einer planwidrigen Regelungslücke (vgl Föllmer in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 91 RdNr 10, Stand ). Der Gesetzgeber hat in Kenntnis der weitreichenden Bedeutung fristwah-render Rechtshandlungen Ausnahmevorschriften geschaffen (vgl § 16 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 SGB I, § 84 Abs 2 Satz 1, § 91 Abs 1 SGG), ohne die hier zu beurteilende Antragstellung zu erfassen.
29c) Die Klägerin kann schließlich nicht auf andere Weise so gestellt werden, als sei der am bei der Beklagten eingegangene Antrag fristgerecht gestellt worden.
30aa) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB X für den Fall, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, kommt hier nicht in Betracht. Dabei kann dahinstehen, ob auf die Frist des § 231 Abs 4b Satz 6 SGB VI das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung überhaupt zur Anwendung kommt. Jedenfalls ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass die Klägerin unverschuldet verhindert gewesen wäre, die Antragsfrist einzuhalten.
31bb) Die Regelung des § 28 SGB X (idF der Bekanntmachung vom , BGBl I 130) über die Nachholung eines Antrags erfasst Anträge auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der GRV nicht. Nach dieser Vorschrift wirkt, wenn ein Leistungsberechtigter von der Stellung eines Antrags auf eine Sozialleistung abgesehen hat, weil ein Anspruch auf eine andere Sozialleistung geltend gemacht worden ist, und diese Leistung versagt wird oder sie zu erstatten ist, der nunmehr nachgeholte Antrag bis zu einem Jahr zurück, wenn er innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Monats gestellt ist, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist (Satz 1, jetzt Abs 1 Satz 1). Dies gilt auch dann, wenn der rechtzeitige Antrag auf eine andere Leistung aus Unkenntnis über deren Anspruchsvoraussetzung unterlassen wurde und die zweite Leistung gegenüber der ersten Leistung, wenn diese erbracht worden wäre, nachrangig gewesen wäre (Satz 2, jetzt Abs 2).
32Der Wortlaut des § 28 SGB X zielt auf "Sozialleistungen", nicht auf (Gestaltungs-)Anträge zur Befreiung von der Versicherungspflicht. Die Regelung soll rechtsunkundigen Sozialleistungsberechtigten Nachteile ausgleichen, die aufgrund der zum Teil komplizierten Vorschriften des Sozialrechts entstehen können, wenn sie in der Erwartung eines positiven Leistungsbescheids einen Antrag auf eine andere Sozialleistung nicht stellen (vgl BT-Drucks 8/4022 S 81 f zu § 26a; Vogelgesang in Hauck/Noftz SGB X, § 28 RdNr 1, Stand Juni 2012). Der Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der GRV verfolgt jedoch nicht die Inanspruchnahme von Sozialleistungen, sondern das gegenläufige Ziel des Verzichts auf Sozialleistungen durch Ausscheiden aus dem Kreis der gesetzlich rentenversicherten Personen. Zwar hat der Gesetzgeber mit § 28 SGB X gleichzeitig prozessökonomische Gesichtspunkte im Blick gehabt, indem die Verwaltung vor einer Vielzahl nur vorsorglich gestellter Anträge bewahrt werden soll (vgl BT-Drucks 8/2034 S 48 zu Art 1 §§ 25, 26). Allein dies rechtfertigt die Heranziehung des § 28 SGB X gegen seinen Wortlaut und unter Außerachtlassung des weiteren beschriebenen Zwecks jedoch nicht.
33Eine analoge Anwendung der Vorschrift auf Anträge zur Befreiung von der Versicherungspflicht in der GRV scheitert bereits am Erfordernis der vergleichbaren Interessenlage. Der Gesetzgeber hat sich im Bewusstsein der Problematik ausdrücklich dafür entschieden, Sozialleistungsberechtigte nur im Fall unterlassener Leistungsanträge zu schützen (vgl BT-Drucks 8/2034 S 48 zu Art 1 §§ 25, 26; BT-Drucks 8/4022 S 81 f zu § 26a).
34cc) Die Klägerin kann auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden, als sei der Antrag bei der Beklagten fristgerecht eingegangen. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustands gerichtet, der bestehen würde, wenn der Leistungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder des konkreten Sozialrechtsverhältnisses gegenüber dem Berechtigten obliegenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 14, 15 SGB I), ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Er setzt demnach eine dem Sozialleistungsträger zurechenbare behördliche Pflichtverletzung voraus, die (als wesentliche Bedingung) kausal zu einem sozialrechtlichen Nachteil des Berechtigten geführt hat. Außerdem ist erforderlich, dass durch die Vornahme einer zulässigen Amtshandlung der Zustand hergestellt werden kann, der bestehen würde, wenn die Behörde ihre Verpflichtungen gegenüber dem Berechtigten nicht verletzt hätte (stRspr; vgl - SozR 4-3100 § 60 Nr 7 RdNr 29 mwN).
35Eine hierfür erforderliche kausale Pflichtverletzung durch die Beklagte liegt nicht vor. Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) kannte die anwaltlich vertretene Klägerin die Vorschrift des § 231 Abs 4b SGB VI. Der vorsorglich gestellte Antrag auf rückwirkende Befreiung belegt, dass sie sich der Problematik der Antragstellung bewusst war. Ein Beratungsanlass bestand für die Beklagte demnach nicht. Dass die anwaltlich vertretene Klägerin die Vorschrift abweichend rechtlich gewürdigt und einen Antrag nicht für erforderlich gehalten hat, rechtfertigt kein abweichendes Ergebnis. Auch eine Beratungspflicht der RAK bestand nicht. Unabhängig davon wäre eine Pflichtverletzung durch die RAK der Beklagten nicht zuzurechnen (vgl zu den Voraussetzungen - juris RdNr 29 mwN). Die RAK bildet mit der Beklagten weder eine Funktionseinheit noch wirken sie arbeitsteilig zusammen. Die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt ist zwar für die Befreiung von der Versicherungspflicht Voraussetzung. Nach § 46a Abs 2 Satz 4 BRAO besteht auch eine Bindungswirkung der Beklagten in Verfahren nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI bei bestandskräftiger Entscheidung der Kammer. Ein arbeitsteiliges Zusammenwirken begründet dies jedoch nicht.
36d) Verfassungsrecht steht dem Ergebnis nicht entgegen. Die Anknüpfung an eine Stichtagsregelung ist zulässig (zur Information in Fachzeitschriften vgl Ruland in Ruland/Lueg/Försterling, GK-SGB VI, § 231 RdNr 41, Stand April 2024). Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor. Dieser verwehrt es dem Gesetzgeber nicht, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen, auch wenn jeder Stichtag unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt. Voraussetzung ist allerdings, dass sich die Einführung des Stichtags und die Wahl des Zeitpunkts am gegebenen Sachverhalt orientieren und damit sachlich vertretbar sind (vgl - juris RdNr 41 mwN). Diese Voraussetzungen liegen vor. Die dreimonatige Fristenregelung nach Einführung des Antragsrechts gemäß § 231 Abs 4b SGB VI sowie die Zulassungsmöglichkeit als Syndikusrechtsanwalt nach § 46a BRAO zum entspricht der üblichen Zeitspanne für Rückwirkungsfristen, wie sie etwa auch in § 6 Abs 4 Satz 1 SGB VI enthalten ist. Sie trägt dem von der Verfassung vorgegebenen Grundsatz der formellen Publizität Rechnung (vgl Art 82 Abs 1 Satz 1 GG), der im Gegenteil das ausnahmsweise Anknüpfen an den Zeitpunkt individueller Kenntniserlangung rechtfertigungsbedürftig erscheinen ließe. Die Antragsfrist ist im Übrigen Folge der erforderlichen Abwägung der Interessen des einzelnen Betroffenen mit dem Bestands- und Finanzierungsinteresse der Versichertengemeinschaft (vgl - SozR 4-2600 § 6 Nr 5 - RdNr 22).
37Eine Verletzung von Art 14 Abs 1 GG oder Art 12 Abs 1 GG ist nicht ersichtlich. Weder ist der Schutzbereich der Berufsfreiheit berührt (vgl , 1 BvR 1355/03 - SozR 4-2600 § 2 Nr 10 RdNr 25, 27; - SozR 4-2600 § 6 Nr 17 RdNr 48) noch ergibt sich aus Art 14 GG oder Art 12 GG ein allgemeiner Grundsatz der Vermeidung von "Doppelversicherungen" (vgl BSG aaO RdNr 49). Soweit die Klägerin ausführt, das Urteil des LSG verletze "Art. 14 GG/Art. 12 GG in der Auslegung des BVerfG in seinen Beschlüssen vom 19.7. und ", unterscheidet sich der dort vom BVerfG entschiedene Sachverhalt von diesem Rechtsstreit schon insoweit, als hier nicht über eine "bestandskräftig abgelehnte" Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 231 Abs 4b Satz 5 SGB VI zu entscheiden ist.
383. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2024:121224UB12R722R0
Fundstelle(n):
AAAAJ-90539