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BGH Beschluss v. - 2 StR 21/25

Instanzenzug: Az: 2 StR 21/25 Beschlussvorgehend LG Rostock Az: 12 KLs 44/24 jug

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagten wegen „schweren Raubes in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung, mit gefährlicher Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen und mit Verschaffen von Cannabis mit Waffen“ zu Jugendstrafen von drei Jahren (Angeklagter R.) bzw. einem Jahr und neun Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung (Angeklagter K.) verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet.

I.

2Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen verabredete der Mitangeklagte B. mit den beiden Angeklagten sowie einem unbekannt gebliebenen Mittäter, einen Drogenhändler, bei dem B. 300 Gramm Marihuana bestellte, anlässlich der Drogenübergabe am zu überfallen, damit B. aus dem Verkaufserlös der Drogen Schulden begleichen könne. Am vereinbarten Treffpunkt nahm der unbekannte Mittäter, der einen Schreckschussrevolver mitführte, den Lieferanten der Drogen und dessen Begleiter in Empfang, während sich die Angeklagten in einem nahegelegenen Gebüsch versteckten; B. hielt sich im Hintergrund in einer Entfernung von 25 bis 30 Metern. Der unbekannte Mittäter zog den Revolver und bedrohte den Drogenlieferanten. Gleichzeitig kamen die beiden Angeklagten hinzu und forderten unter Vorhalt ihrer Messer vom Lieferanten die Herausgabe einer schwarzen Umhängetasche, in der dieser das Marihuana mitführte. Als der Lieferant die Tasche an seinen Körper presste, schlug K. ihn mehrmals mit der Faust in sein Gesicht. R. versetzte dem Begleiter des Lieferanten drei oder vier wuchtige Faustschläge in das Gesicht. Anschließend stachen K. mit dem Messer auf den Lieferanten und R. auf dessen Begleiter ein, wobei sie die Stiche jeweils in Richtung der Oberkörper der Geschädigten ausführten. Dabei nahmen sie in Kauf, dass ihre Opfer möglicherweise lebensbedrohliche Verletzungen erleiden könnten; einen Tötungsvorsatz konnte die Strafkammer nicht feststellen. K. zog dem Lieferanten die Tasche von der Schulter, während R. dem Begleiter dessen Geldbörse entwendete, die unter anderem 130 Euro Bargeld enthielt. Schließlich ergriffen alle Tatbeteiligten die Flucht.

3Von den erbeuteten 300 Gramm Marihuana gab B. 100 Gramm zur Begleichung seiner Schulden weiter. Die restlichen Drogen wurden durch die Tatbeteiligten und eine weitere Person zum Teil konsumiert, im Übrigen untereinander verteilt. Der Wirkstoffgehalt des Marihuanas lag bei mindestens 5 % THC.

II.

4Die Rechtsmittel sind teilweise begründet.

51. Der Schuldspruch bedarf sowohl zum Vorteil als auch zum Nachteil der Angeklagten der Korrektur. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seinen Zuschriften für beide Angeklagten gleichlautend ausgeführt:

„Die Urteilsgründe belegen zwar eine Strafbarkeit […] wegen (besonders) schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen und mit Verschaffen von Cannabis mit Waffen. Die tateinheitlich verwirklichte versuchte schwere räuberische Erpressung tritt jedoch gegenüber dem vollendeten schweren Raub, da sie auf denselben Gegenstand – nämlich die schließlich durch den Raub erbeutete […]-Umhängetasche – gerichtet war (UA S. 7), als mitbestrafte Vortat zurück (vgl. etwa , juris Rn. 3; und Urteil vom – 4 StR 120/66, juris Rn. 6; MükoStGB/Sander, 4. Aufl., § 249 Rn. 43, § 255 Rn. 12; Fischer, StGB, 72. Aufl., § 249 Rn. 23). […].

Wie das Landgericht zutreffend rechtlich gewürdigt hat (UA S. 13), […] [haben die Angeklagten] in mittäterschaftlicher Begehungsweise (§ 25 Abs. 2 StGB) durch den Einsatz der Messer bei der Begehung des Raubes den Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verwirklicht. Dies ist im Urteilstenor zum Ausdruck zu bringen. Das Verschlechterungsverbot nach § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO steht der Verböserung des Schuldspruchs nicht entgegen (vgl. etwa )“.

6Dem schließt der Senat sich an. Er ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO. § 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage bereits den Vorwurf eines besonders schweren Raubes nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB gegenüber beiden Angeklagten zum Gegenstand hatte.

72. Der Strafausspruch hat keinen Bestand. Die Erwägungen der Jugendstrafkammer zum Vorliegen schädlicher Neigungen, der Schwere der Schuld und zur Höhe der verhängten Jugendstrafen für den zur Tatzeit 17-jährigen R. bzw. den 16-jährigen K. halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

8a) Die Jugendkammer hat – in Anlehnung an die Strafzumessung bei Erwachsenen – zunächst die für und gegen die Angeklagten sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte dargestellt. Sie hat daraus gefolgert, dass bei den Angeklagten „also schädliche Neigungen i.S.v. § 17 Abs. 2 JGG, die die Anwendung von Jugendstrafe erfordern, auch gegenwärtig noch“ vorlägen. Sie hat dabei nicht bedacht, dass schädliche Neigungen im Sinne von § 17 Abs. 2 Alt. 1 JGG in der Regel nur angenommen werden können, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel, aus denen sich eine Neigung zur Begehung von Straftaten ergibt, schon vor der Tat angelegt waren und im Zeitpunkt des Urteils noch gegeben sind und deshalb weitere Straftaten zu befürchten sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 473/15, NStZ 2016, 681, 682; vom – 3 StR 549/18, NStZ-RR 2019, 159, und vom – 1 StR 30/24, NStZ 2024, 615 Rn. 4, jew. mwN). Diesen Anforderungen genügen die Urteilsgründe bei beiden Rechtsmittelführern nicht.

9aa) Bei dem Angeklagten K. hat die Strafkammer außer Acht gelassen, dass bei einem Täter, der bisher noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, regelmäßig nicht ohne Weiteres vom Vorliegen schädlicher Neigungen ausgegangen werden kann. Der insoweit von der Jugendkammer zugunsten des Angeklagten K. eingestellte Umstand, er sei „kaum strafrechtlich in Erscheinung getreten“, wird durch die Urteilsgründe nicht belegt. Denn ihr ist aus dem Blick geraten, dass die beiden im Frühjahr 2023 gegen den Angeklagten K. geführten Strafverfahren, eines wegen Diebstahls geringwertiger Sachen, eines wegen Besitzes von Betäubungsmitteln, jeweils nach § 45 Abs. 1 bzw. Abs. 2 JGG eingestellt worden sind. Damit fehlt es – mangels weiterer Feststellungen – an einer prozessordnungsgemäßen Grundlage für ein Erkenntnis zur Schuld des Angeklagten (vgl. , NJW 2017, 1539, 1540 Rn. 14; , BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 35; vgl. auch Kölbel, in: Eisenberg/Kölbel, JGG, 26. Aufl., § 17 Rn. 27).

10bb) Auch bei dem Angeklagten R. ist die Annahme schädlicher Neigungen im Sinne von § 17 Abs. 2 Alt. 1 JGG nicht rechtsfehlerfrei belegt. Zwar wurde gegen ihn am wegen räuberischer Erpressung ein Jugendarrest von drei Wochen angeordnet, den er im Sommer 2023 verbüßte. Die bloße Rückfälligkeit reicht indes für die Annahme schädlicher Neigungen nicht aus (vgl. , NStZ 2013, 289 f.). Ohne Mitteilung der näheren Umstände der Tat lassen weder deren Bezeichnung noch die verhängte Sanktion ohne Weiteres den Schluss auf Anlage- oder Entwicklungsschäden zu, die so schwer wiegen, dass deren Beseitigung sinnvoll nur in einem länger dauernden Strafvollzug versucht werden kann.

11b) Auch die Bewertung der Schwere der Schuld erweist sich als rechtsfehlerhaft.

12aa) Der Schuldgehalt der Tat eines Jugendlichen ist jugendspezifisch zu bestimmen. Die Schwere der Schuld im Sinne des § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG bemisst sich nicht vorrangig nach dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat und ihrer Einordnung nach dem allgemeinen Strafrecht. Vielmehr ist in erster Linie auf die innere Tatseite abzustellen, also darauf, inwieweit sich die charakterliche Haltung und die Persönlichkeit des Täters sowie dessen Tatmotivation in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben. Der Unrechtsgehalt ist aber insofern von Belang, als aus ihm Rückschlüsse auf die innere Tatseite und damit die Schwere der Schuld gezogen werden können. Diese bemisst sich nach dem Gewicht der Tat und der persönlichkeitsbezogenen Beziehung des Täters zu dieser. Welche Bedeutung dabei den einzelnen Zumessungsgesichtspunkten zukommt, hängt vom Einzelfall ab. Das Tatgericht hat dazu eine umfassende Abwägung aller relevanten Umstände vorzunehmen (vgl. , Rn. 18 ff.; vom – 3 StR 471/21, NStZ 2023, 428, 429 Rn. 8, und vom – 3 StR 56/23, NStZ-RR 2023, 293, 294, jew. mwN).

13bb) Diesen Erfordernissen genügen die Urteilsgründe nicht. Die Jugendkammer hat die Schwere der Schuld der Angeklagten alleine mit dem Umstand begründet, dass diese „aus nichtigen Gründen – um Schulden zu begleichen bzw. um sich zu bereichern – zur Anwendung von Gewalt“ bereit gewesen seien. Damit ist indes lediglich der Raub- und Körperverletzungsvorsatz der Angeklagten belegt. Eine tatzeitbezogene Schuldbemessung nach jugendspezifischen Gesichtspunkten anhand der Persönlichkeitsentwicklung und des Reifegrades des jeweiligen Täters fehlt.

14c) Die Bemessung der Jugendstrafe nach § 18 Abs. 2 JGG weist ebenfalls Rechtsfehler auf.

15aa) Nach dieser Vorschrift ist auch dann, wenn eine Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld verhängt wird, bei der Bemessung der Jugendstrafe der das Jugendstrafrecht beherrschende Erziehungsgedanke (§ 2 Abs. 1, § 18 Abs. 2 JGG) vorrangig zu berücksichtigen. Grundsätzlich ist zwar die in den gesetzlichen Regelungen des allgemeinen Strafrechts zum Ausdruck kommende Bewertung des Ausmaßes des in einer Straftat hervorgetretenen Unrechts auch bei der Bestimmung der Höhe der Jugendstrafe zu beachten. Die Begründung darf aber nicht wesentlich oder gar ausschließlich nach solchen Zumessungserwägungen vorgenommen werden, die auch bei Erwachsenen in Betracht kommen. Die Bemessung der Jugendstrafe erfordert vielmehr von der Jugendkammer, das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe unter erzieherischen Gesichtspunkten abzuwägen. Die Urteilsgründe müssen daher in jedem Fall erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt worden ist. Eine formelhafte Erwähnung der erzieherischen Erforderlichkeit der verhängten Jugendstrafe genügt insoweit nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 179/20, StV 2020, 680, 681 Rn. 5 f.; vom – 2 StR 78/23, NStZ 2024, 113 Rn. 4, und vom – 2 StR 321/20, StV 2022, 39 Rn. 4; vgl. auch , NStZ 2024, 615, 619 Rn. 45).

16bb) Diesen Anforderungen genügt die Formulierung der Jugendkammer „unter Berücksichtigung des Erziehungsbedarfs, der sich aus der jeweiligen Entwicklung der Angeklagten und den vorgenannten, für und gegen sie sprechenden Strafzumessungserwägungen ergibt, erachtet die Kammer folgende Jugendstrafen für erforderlich“, nicht. Eine aktuelle Bewertung des Erziehungsbedarfs der Angeklagten, die berücksichtigt, dass der Angeklagte K. nicht vorbestraft und der Angeklagte R. lediglich einmal vorgeahndet ist, lassen die Urteilsgründe vermissen. Zudem wird nicht erörtert, dass der Angeklagte R. im Urteilszeitpunkt in der Untersuchungshaft seit vier Monaten an einer Maßnahme zur Vorbereitung einer Ausbildung zum Tischler teilnahm und ebenso wie der Angeklagte K., der sich nicht in Untersuchungshaft befindet, zwei Tage pro Woche die Berufsschule besucht.

17d) Die aufgezeigten Rechtsfehler bedingen die Aufhebung des Strafausspruchs. Der Senat hebt auch die zugrundeliegenden Feststellungen mit auf, um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht eine umfassende neue Prüfung zu ermöglichen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:250225B2STR21.25.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-90523