Verspätete Zielvorgabe - Schadensersatz
Leitsatz
Verstößt der Arbeitgeber schuldhaft gegen seine arbeitsvertragliche Verpflichtung, dem Arbeitnehmer rechtzeitig für eine Zielperiode Ziele vorzugeben, an deren Erreichen die Zahlung einer variablen Vergütung geknüpft ist (Zielvorgabe), löst dies, wenn eine nachträgliche Zielvorgabe ihre Motivations- und Anreizfunktion nicht mehr erfüllen kann, grundsätzlich einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Schadensersatz statt der Leistung aus.
Gesetze: § 305 Abs 1 S 1 BGB, § 310 Abs 3 Nr 2 BGB, § 275 Abs 1 BGB, § 315 Abs 3 S 2 BGB, § 287 Abs 1 ZPO, § 252 S 2 BGB, § 254 Abs 1 BGB, § 280 Abs 1 BGB, § 280 Abs 3 BGB, § 283 BGB, § 77 Abs 4 BetrVG
Instanzenzug: Az: 12 Ca 2958/20 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Köln Az: 4 Sa 390/23 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über Schadensersatz wegen entgangener erfolgsabhängiger variabler Vergütung für das Jahr 2019.
2Der Kläger war bei der Beklagten seit dem als Head of Advertising am Standort K beschäftigt. Er war Mitarbeiter mit Führungsverantwortung. Der Arbeitsvertrag vom (im Folgenden AV) lautet auszugsweise:
3Mit Schreiben vom erhöhte die Beklagte das Bruttojahreszielgehalt des Klägers ab dem auf 102.125,00 Euro und teilte ihm mit, dass hiervon 71.488,00 Euro brutto als Fixgehalt und 30.637,00 Euro brutto bei einer Zielerreichung von 100 % als variable, erfolgsabhängige Vergütung gezahlt würden. Für das Jahr 2017 war dem Kläger als unternehmensbezogenes Ziel nur ein EBITDA-Ziel mit einer Gewichtung von 20 % der Gesamtzielbewertung vorgegeben, welches er zu 200 % erfüllte. Für das Jahr 2018 setzte die Beklagte das Unternehmensziel für den Kläger mit 60 % der Gesamtzielbewertung an, wobei je 30 % auf EBITDA-Ziel und Umsatzziel verteilt waren. Der Kläger erreichte das EBITDA-Ziel zu 169 % und das Umsatzziel zu 107 %.
4Unter dem schlossen die Beklagte und der am Standort K gebildete Betriebsrat eine „Betriebsvereinbarung über das Vergütungsmodell für alle Mitarbeiter der m GmbH, ausgenommen Vertriebs-Mitarbeiter am Standort K“ (im Folgenden BV). Darin ist ua. geregelt:
5Mit E-Mail vom teilte der Geschäftsführer der Beklagten den Mitarbeitern mit Führungsverantwortung mit:
6Ob dem Kläger für das Jahr 2019 - wie die Beklagte behauptet - die für seine variable Vergütung maßgeblichen Parameter der Unternehmensziele im Rahmen einer Präsentation am und eines Heads-Meetings am mitgeteilt wurden, ist streitig. Jedenfalls am wurden ihm konkrete Zahlen zu den Unternehmenszielen auch hinsichtlich deren Gewichtung und des Zielkorridors genannt. Eine Vorgabe individueller Ziele erfolgte nicht.
7Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis zum . Am legte die Beklagte ihm eine sog. MBO-Karte (MBO = Management By Objectives) vor, die hinsichtlich der zu erreichenden Unternehmensziele ein EBITDA-Ziel und ein Umsatzziel mit einer jeweiligen Gewichtung von 35 % auf die Gesamtzielbewertung auswies. Die Beklagte zahlte an den Kläger für 2019 eine variable Vergütung iHv. 15.586,55 Euro brutto, wobei sie bei den individuellen Zielen - wie angekündigt - einen pauschalierten Zielerreichungsgrad von 142 % und bei den Unternehmenszielen ebenfalls einen pauschalierten Wert von 37 % zugrunde legte.
8Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei ihm zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie für das Jahr 2019 keine individuellen Ziele und die Unternehmensziele verspätet vorgegeben habe. Eine dem Motivationsgedanken und der Anreizfunktion einer Zielvorgabe gerecht werdende Aufstellung von Unternehmenszielen, wie auch von individuellen Zielen, sei für einen vergangenen Zeitraum nicht möglich. Es sei davon auszugehen, dass er rechtzeitig vorgegebene, billigem Ermessen entsprechende Unternehmensziele zu 100 % und individuelle Ziele entsprechend dem Durchschnittswert von 142 % erreicht hätte. Bei einer auf dieser Basis ermittelten Gesamtzielerreichung von 112,6 % stünden ihm unter Berücksichtigung der von der Beklagten für 2019 geleisteten Zahlung weitere 16.035,94 Euro als Schadensersatz zu.
9Der Kläger hat - soweit für die Revision noch von Bedeutung - beantragt,
10Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Zielvorgabe sei rechtzeitig erfolgt und habe den Grundsätzen der Billigkeit entsprochen, weshalb ein Schadensersatzanspruch wegen verspäteter Zielvorgabe ausgeschlossen sei. Dem Kläger seien die maßgeblichen Unternehmenskennzahlen aufgrund der Präsentation am bekannt gewesen und am erneut hinsichtlich Umsatzziel und EBITDA-Ziel mitgeteilt worden. Selbst bei einer Vorgabe der Unternehmensziele am habe der Kläger noch mehrere Monate Zeit gehabt, diese zu erreichen. Die vorgegebenen Unternehmensziele seien realistisch und ex ante erreichbar gewesen. Unabhängig davon könne der Kläger allenfalls eine Leistungsbestimmung durch Urteil nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BGB verlangen. Die Möglichkeit einer gerichtlichen Ersatzleistungsbestimmung schließe Schadensersatzansprüche wegen verspäteter Zielvorgabe aus. Im Übrigen sei ein Schadensersatzanspruch auch deshalb ausgeschlossen, weil nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Zielerreichungsgrad bei einer früheren Festlegung der Unternehmensziele höher gewesen wäre. Der tatsächliche Zielerreichungsgrad bei den Unternehmenszielen habe 0 % betragen und sei lediglich in Abstimmung mit dem Betriebsrat pauschal auf 37 % festgelegt worden. Der Einfluss des Klägers auf die Unternehmensziele sei sehr begrenzt gewesen. Seine Aufgabe habe allein darin bestanden, im Bereich „Advertising“ einen maximalen Umsatz zu erzielen. Insoweit hätten ihre Zielvorstellungen denen des Klägers entsprochen, so dass es keines zusätzlichen Anreizes bedurft hätte. Der Kläger habe auch nicht vorgetragen, dass und wie er seine Arbeitstätigkeit auf eine frühere Zielvorgabe eingestellt und wie dies zu einem besseren Unternehmensergebnis geführt hätte. Zudem könne der Kläger nicht einerseits die sehr großzügig geschätzte Zielerreichung von 142 % bei den individuellen Zielen zur Berechnung eines - vermeintlichen - Schadensersatzanspruchs nutzen und andererseits rügen, die Vorgabe individueller Ziele sei unterblieben. Wenn der Kläger bei den Unternehmenszielen einen Zielerreichungsgrad von 100 % in Ansatz bringe, müsse dies auch für die individuellen Ziele gelten.
11Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung des Arbeitsgerichts auf die Berufung des Klägers abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Gründe
12Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts auf die Berufung des Klägers zu Recht abgeändert und der Klage stattgegeben.
13I. Der Kläger hat gegen die Beklagte nach § 280 Abs. 1, 3 iVm. § 283 Satz 1, § 252 BGB wegen ihm entgangener erfolgsabhängiger variabler Vergütung für das Kalenderjahr 2019 einen Anspruch auf Schadensersatz iHv. 16.035,94 Euro. Die Beklagte hat ihre Verpflichtung zu einer den Regelungen von § 4 AV iVm. Abschnitt C III Nr. 1 BV entsprechenden Zielvorgabe für das Jahr 2019 schuldhaft verletzt, indem sie dem Kläger keine individuellen Ziele vorgegeben und ihm die Unternehmensziele erst verbindlich mitgeteilt hat, nachdem bereits etwa ¾ der Zielperiode abgelaufen waren. Eine ihrer Motivations- und Anreizfunktion gerecht werdende Zielvorgabe war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Deshalb scheidet auch eine Ersatzleistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB durch Urteil sowohl hinsichtlich der Ziele als auch der Höhe der variablen Vergütung aus.
141. Ist der Arbeitgeber arbeitsvertraglich verpflichtet, die Ziele zur Erreichung einer erfolgsabhängigen variablen Vergütung im Wege der einseitigen Leistungsbestimmung iSv. § 315 Abs. 1 BGB nach billigem Ermessen vorzugeben (sog. Zielvorgabe), verletzt er eine vertragliche Nebenpflicht und kann deshalb nach § 280 Abs. 1, 3 iVm. § 283 Satz 1, § 252 BGB zum Schadensersatz verpflichtet sein, wenn er die Ziele schuldhaft verspätet oder gar nicht festlegt und eine nachträgliche Leistungsbestimmung durch den Arbeitgeber nach § 315 Abs. 1 BGB, wie auch nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB durch Urteil, unmöglich ist (§ 283 Satz 1 iVm. § 275 Abs. 1 BGB; vgl. zu Zielvereinbarungen - Rn. 45; - 8 AZR 149/20 - Rn. 46, BAGE 173, 269; - 10 AZR 97/07 - Rn. 47, BAGE 125, 147).
15a) Zielvorgaben werden - anders als Zielvereinbarungen - allein vom Arbeitgeber getroffen, dem dafür ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht iSd. § 315 Abs. 1 BGB eingeräumt wird (st. Rspr., vgl. zB - Rn. 24 mwN). Vorgaben für die Ausübung des billigen Ermessens iSv. § 315 BGB können sich aus vertraglichen oder aus kollektivrechtlichen Vereinbarungen ergeben (vgl. - Rn. 63 mwN). Eine Vereinbarung, die den Arbeitgeber zu Zielvorgaben nach billigem Ermessen für eine bestimmte Zielperiode berechtigt, ist grundsätzlich auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen iSv. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB und in sog. Einmalbedingungen iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB zulässig. Sie weicht für sich betrachtet nicht vom Gesetz ab, § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB (vgl. zB - Rn. 22). Die Leistungsbestimmung, hier die einseitige Vorgabe der Ziele, ist für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht (§ 315 Abs. 3 Satz 1 BGB; vgl. hierzu im Einzelnen - Rn. 95 ff.).
16b) Ob die Entscheidung der Billigkeit entspricht, unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB). Diese Sachentscheidung ist wegen der zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalls vorrangig den Tatsachengerichten vorbehalten ( - Rn. 42, BAGE 147, 322). Die Darlegungs- und Beweislast für die Einhaltung dieser Grenzen trägt der Bestimmungsberechtigte. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ausübungskontrolle ist der Zeitpunkt, zu dem er die Ermessensentscheidung zu treffen hat ( - Rn. 51 mwN, BAGE 164, 82). Entspricht die Leistungsbestimmung nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB; vgl. hierzu im Einzelnen - Rn. 34 mwN, BAGE 180, 84). Deshalb kann grundsätzlich auch im Wege der gerichtlichen Ersatzleistungsbestimmung eine Vorgabe von Zielen erfolgen, wobei eine solche Klage regelmäßig schon aus Gründen des Zeitablaufs bis zum Eintritt der Rechtskraft einer Entscheidung wenig zweckentsprechend sein dürfte.
172. Ob und ggf. bis zu welchem Zeitpunkt der Arbeitgeber eine Zielvorgabe vornehmen muss, ergibt sich regelmäßig aus den Vereinbarungen der Parteien oder für das Arbeitsverhältnis geltenden kollektivrechtlichen Bestimmungen. Bis zu welchem Zeitpunkt der Arbeitgeber eine nicht erfolgte Zielvorgabe nachholen kann, ist nach Sinn und Zweck der Leistungsbestimmung und der Interessenlage der Parteien zu beurteilen. Kann eine verspätete Zielvorgabe ihre Motivations-, Anreiz- und Steuerungsfunktion nicht mehr erfüllen, tritt Unmöglichkeit iSv. § 275 Abs. 1 BGB ein. Eine nachträgliche Leistungsbestimmung durch den Arbeitgeber nach § 315 Abs. 1 BGB scheidet dann aus. Auch eine Bestimmung der Ziele durch Urteil nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BGB ist nicht mehr möglich. Mangels vorgegebener Ziele und nicht möglicher Feststellung der Zielerreichung kommt in einer solchen Situation auch eine Ersatzleistungsbestimmung durch das Gericht über die Höhe einer variablen Vergütung nicht in Betracht. Der Arbeitnehmer kann vielmehr nach § 280 Abs. 1, 3 iVm. § 283 Satz 1, § 275 Abs. 1 BGB statt der Festlegung von Zielen Schadensersatz verlangen.
18a) Die Festlegung von Zielen durch eine Zielvorgabe wird jedenfalls mit Ablauf der Zielperiode unmöglich iSv. § 275 Abs. 1 BGB. Eine Zielvorgabe kann - wie eine Zielvereinbarung (vgl. dazu - Rn. 45; - 8 AZR 149/20 - Rn. 46, BAGE 173, 269; - 10 AZR 97/07 - Rn. 25, BAGE 125, 147) - ihre Funktionen nur dann erfül-len, wenn der Arbeitnehmer bereits bei der Ausübung seiner Tätigkeit die von ihm zu verfolgenden Ziele kennt und weiß, auf das Erreichen welcher Ziele der Arbeitgeber in dem jeweiligen Zeitraum besonderen Wert legt und deshalb bereit ist, bei Erreichen dieser Ziele die zugesagte variable Vergütung zu zahlen. Eine dem Leistungssteigerungs- und Motivationsgedanken und damit dem Sinn und Zweck einer Zielvorgabe gerecht werdende Vorgabe von Zielen für eine bereits abgelaufene Zielperiode ist weder dem Arbeitgeber noch nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BGB dem Gericht möglich. Auch der Grad der Zielerreichung und damit die Höhe der variablen Vergütung ist nicht feststellbar, da beides notwendigerweise auf zuvor vorgegebenen Zielen basiert.
19b) Ob eine einheitlich für eine Zielperiode vorzunehmende Zielvorgabe auch dann unmöglich ist, wenn zwar der für die Leistungsbestimmung vertraglich oder kollektivrechtlich vorgegebene Zeitpunkt verstrichen, aber die Zielperiode noch nicht abgelaufen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere dem Inhalt der jeweiligen vertraglichen Abreden und ggf. normativ geltenden Regelungen sowie dem Sinn und Zweck der Leistungsbestimmung und der Interessenlage der Parteien.
20aa) Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung für in der Vergangenheit liegende Zeiträume nicht mehr nachholen (vgl. - Rn. 22, BAGE 154, 100) und deren Schwerpunkte nicht rückwirkend an später vorgegebenen Zielen orientieren kann. Zwar können in die für eine Zielvorgabe erforderliche Prognose die vor dem Bestimmungszeitpunkt liegende Geschäftsentwicklung und vom Arbeitnehmer in der Vergangenheit erbrachte Leistungen einfließen. Eine dem Sinn und Zweck einer Zielvorgabe gerecht werdende Aufstellung von Zielen ist aber für den in der Vergangenheit liegenden Teil der Zielperiode nicht möglich, weil eine Zielvorgabe ihre Funktion, die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers zu steuern und ihn zu einer Arbeitsleistung zu motivieren, die über die ohnehin vertraglich geschuldete und mit der Grundvergütung abgegoltene hinausgeht, für die Vergangenheit nicht erfüllen kann.
21bb) Gleichzeitig ist aber in den Blick zu nehmen, dass häufig auch der Arbeitgeber zu Beginn der Zielperiode noch nicht über alle notwendigen Informationen verfügt, um auf Grundlage tragfähiger Prognosen realistische und erreichbare - also billigem Ermessen entsprechende - Ziele vorzugeben. Deshalb führt es noch nicht automatisch zur Unmöglichkeit der Zielvorgabe für eine einheitlich zu betrachtende Zielperiode, wenn ein gewisser Anteil der Zielperiode bereits verstrichen ist. Welcher Zeitraum insoweit typischerweise für den Arbeitgeber notwendig ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und wird häufig durch die Arbeitsvertragsparteien oder - wie hier - durch die Betriebsparteien im Wege ihrer Einschätzungsprärogative festgelegt sein. Ob das Fehlen einer Zielvorgabe nach Ablauf eines solchen Zeitraums nicht nur eine Pflichtverletzung des Arbeitgebers darstellt, sondern unmittelbar auch zur Annahme der Unmöglichkeit einer späteren Zielvorgabe führt, hängt ebenfalls von den Umständen des Einzelfalls und insbesondere dem Sinn und Zweck einer Zielvorgabe ab. Eine Zielvorgabe wird auf jeden Fall dann unmöglich, wenn so erhebliche Teile der Zielperiode abgelaufen sind, dass die Anreiz-, Motivations- und Steuerungsfunktion nicht mehr erfüllt werden und der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht mehr in ausreichendem Maß an den Zielen orientieren kann.
223. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landesarbeitsgericht zu Recht erkannt, dass die Beklagte dem Kläger nach § 280 Abs. 1, 3 iVm. § 283 Satz 1, § 252 BGB wegen ihm entgangener erfolgsabhängiger variabler Vergütung für das Kalenderjahr 2019 zum Schadensersatz verpflichtet ist.
23a) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die jahresbezogenen Ziele zur Erreichung einer erfolgsabhängigen variablen Vergütung unter Beachtung von § 4 AV iVm. Abschnitt C III Nr. 1 BV von der Beklagten im Wege einer Zielvorgabe im Rahmen billigen Ermessens festzulegen waren. Von diesem Verständnis gehen auch die Parteien aus. Die BV galt nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG für das Arbeitsverhältnis der Parteien unmittelbar und zwingend und gestaltete Modalitäten der Gewährung der variablen Vergütung an die Mitarbeiter aus. Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit nach § 77 Abs. 3 BetrVG oder nach § 87 Abs. 1 Einleitungshalbs. BetrVG sind nicht gegeben.
24b) Die Beklagte hat ihre Pflicht zu einer den Regelungen in Abschnitt C III BV entsprechenden Zielvorgabe in mehrfacher Hinsicht verletzt.
25aa) Von einer Pflichtverletzung der Beklagten ist bereits deshalb auszugehen, weil sie es unterlassen hat, dem Kläger innerhalb der Zielperiode individuelle Ziele vorzugeben.
26(1) Nach Abschnitt C III Nr. 1 und 2 BV ist der variable Vergütungsbestandteil ein einheitlicher Anspruch, der auf Basis einer jahresbezogenen Zielvorgabe des Arbeitgebers, die Unternehmensziele und individuelle Ziele beinhaltet, entsprechend der Zielerreichung festzustellen ist. Abweichungen hiervon lässt die BV im Hinblick auf den Inhalt der Zielvorgabe nicht zu. Sie berechtigte die Beklagte insbesondere nicht, für das Jahr 2019 eine pauschalierte Zielerreichung anzunehmen, anstatt Ziele vorzugeben. Vielmehr setzen auch die in Abschnitt D Nr. 3 und 4 BV für Fälle des unterjährigen Rollenwechsels zum Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung (Nr. 3) bzw. des unterjährigen Austritts des Mitarbeiters (Nr. 4) geregelten Ausnahmefälle die Bestimmung von Unternehmenszielen und individuellen Zielen voraus und lassen eine Pauschalierung des Zielerreichungsgrades nur zu, wenn eine anteilige Zielerreichung auf Basis der gesetzten Ziele nicht ausreichend bestimmbar ist.
27(2) Soweit die Beklagte nicht näher substantiiert vorgetragen hat, die Pauschalierung des Zielerreichungsgrades bei den individuellen Zielen sei in „Absprache mit dem Betriebsrat“ vorgenommen worden, ergibt sich daraus keine Berechtigung zu einer Abweichung von Abschnitt C III Nr. 1 und 2 BV. Den Abschluss einer ablösenden Betriebsvereinbarung hat die Beklagte schon nicht behauptet. Im ungekündigten Zustand kann eine Betriebsvereinbarung als höherrangiges Recht auch nicht durch eine Regelungsabrede mit dem Betriebsrat abgelöst werden ( - Rn. 28 mwN).
28(3) Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wirksam auf die Vorgabe individueller Ziele verzichtet hätte, bestehen nicht. Allein der Umstand, dass er bei der Schadensberechnung den Pauschalwert von 142 % zugrunde legt, genügt dafür nicht. In der an alle Mitarbeiter mit Führungsverantwortung gerichteten E-Mail vom kann auch kein Angebot der Beklagten zu einer entsprechenden Vereinbarung gesehen werden (zur Auslegung typischer Erklärungen durch das Revisionsgericht vgl. - Rn. 35 mwN). Dies ergibt sich schon aus deren Eingangssatz. Zudem wären - wollte man von einem Angebot der Beklagten ausgehen - weder die Erklärung der Annahme noch - nach § 151 BGB - deren Zugang entbehrlich gewesen (vgl. zu den Voraussetzungen im Einzelnen - Rn. 37, BAGE 154, 100). Ein wirksamer Verzicht auf die Vorgabe individueller Ziele, die für den Kläger nicht denknotwendig nur vorteilhaft gewesen wäre, hätte zudem nach § 77 Abs. 4 Satz 2 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats bedurft. Auch hierfür fehlt es an Anhaltspunkten.
29bb) Die Beklagte hat ihre Pflichten aus Abschnitt C III BV zudem verletzt, weil sie die Unternehmensziele nicht rechtzeitig vorgegeben hat.
30(1) Nach Abschnitt C III Nr. 1 BV erhält der Mitarbeiter bis zum 1. März des Kalenderjahres eine zuvor mit ihm zu besprechende Zielvorgabe. Die Vorgabe der BV ist nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG zwingend. Ist für die Festlegung von Zielen in einer Betriebsvereinbarung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, verletzt der Arbeitgeber eine vertragliche Nebenpflicht, wenn er die Ziele zum festgelegten Termin nicht vorgibt (vgl. - Rn. 17 mwN, BAGE 125, 147).
31(2) In der BV ist der Zeitpunkt, bis zu dem die Beklagte die Ziele für das Kalenderjahr 2019 vorzugeben hatte, nicht abweichend von Abschnitt C III Nr. 1 BV gesondert geregelt, der eine Vorgabe bis zum 1. März des Jahres vorsieht, obwohl die BV erst am in Kraft trat. Dieser Umstand scheint von den Betriebsparteien übersehen worden zu sein. Im Streitfall bedarf es keiner Entscheidung, ob die BV dahingehend auszulegen ist, dass die Beklagte bereits mit Inkrafttreten der Betriebsvereinbarung am zur Vorgabe der Unternehmensziele für das Jahr 2019 verpflichtet war oder eine etwaige Lücke beispielsweise durch entsprechende Anwendung der in Abschnitt D Nr. 2 Satz 2 BV für den Fall eines unterjährigen Rollenwechsels vorgesehenen Frist von sechs Wochen nach Inkrafttreten der BV zu schließen wäre. Die Vorgabe der Unternehmensziele durch die Beklagte erfolgte in jedem Fall verspätet, denn sie hat dem Kläger, wie vom Landesarbeitsgericht ohne Rechtsfehler angenommen, die für ihn maßgeblichen Unternehmensziele erstmals am verbindlich unter Angabe konkreter Zahlen auch hinsichtlich deren Gewichtung und des Zielkorridors genannt. Damit hat sie keine der für das Jahr 2019 in Betracht kommenden Fristen eingehalten.
32(a) Die Bestimmung der Leistung ist nach § 315 Abs. 2 BGB gegenüber dem anderen Vertragspartner zu erklären. Die Erklärung ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung mit rechtsgestaltendem Charakter (BeckOGK/Netzer Stand BGB § 315 Rn. 65 mwN; MüKoBGB/Würdinger 9. Aufl. BGB § 315 Rn. 44). Für eine Zielvorgabe wäre damit eine konkret an den Kläger gerichtete Willenserklärung erforderlich gewesen.
33(b) Ob eine Äußerung oder ein Verhalten als Willenserklärung zu verstehen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Der revisionsrechtliche Prüfungsmaßstab für eine vom Landesarbeitsgericht gefundene Auslegung hängt davon ab, ob eine individuelle Willenserklärung oder eine typische Erklärung gegeben ist. Die Auslegung individueller Willenserklärungen kann das Revisionsgericht nur darauf überprüfen, ob das Berufungsgericht Auslegungsregeln verletzt, gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen hat (st. Rspr., zB - Rn. 37 f., BAGE 174, 294). Die Auslegung typischer Erklärungen unterliegt dagegen einer unbeschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle (st. Rspr., zB - Rn. 18 f.).
34(c) Der Senat konnte offenlassen, ob es sich bei den Erklärungen der Beklagten im Rahmen der Präsentation am und des Heads-Meetings am um typische oder atypische Erklärungen handelt. Ihre Auslegung durch das Landesarbeitsgericht und die Bewertung, die für die variable Vergütung des Klägers maßgeblichen Parameter der Unternehmensziele seien ihm hierbei nicht verbindlich mitgeteilt worden, hält auch einer uneingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
35(aa) Das Landesarbeitsgericht hat die Erklärungen der Beklagten rechtsfehlerfrei gewürdigt. Es hat alle wesentlichen Tatsachen berücksichtigt und ohne Rechtsfehler angenommen, dass die Beklagte weder am noch am die Unternehmensziele verbindlich festgelegt hat, weil es an einer konkret an den Kläger gerichteten Willenserklärung iSv. § 315 Abs. 2 BGB fehlte. Der Kläger musste auch deshalb nicht von einer endgültigen Festlegung der Unternehmensziele ausgehen, weil die Beklagte zu beiden Zeitpunkten die für eine verbindliche Zielvorgabe notwendige Festlegung individueller Ziele - wie die E-Mail vom bestätigt - nicht vorgenommen hatte.
36(bb) Ebenfalls rechtsfehlerfrei ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe aus den in den Vorjahren vorgegebenen Unternehmenszielen nicht auf die für ihn verbindlichen Unternehmensziele im Jahr 2019 schließen können, weil die Zielvorgaben in den Vorjahren nicht einheitlich waren.
37(cc) Auch die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe aufgrund der Regelungen des sog. Company-Bonus für Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung in Abschnitt B II Nr. 2 BV nicht schließen können, dass entsprechendes im Jahr 2019 für die von Mitarbeitern mit Führungsverantwortung zu erreichenden Unternehmensziele gelten solle, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht stellt zutreffend darauf ab, dass ein Rückschluss aus Abschnitt B II Nr. 2 BV bereits deshalb ausscheidet, weil in Abschnitt C III BV die Festlegung bestimmter einzelner Komponenten der Unternehmensziele gerade nicht vorgegeben ist.
38(dd) Die Beklagte hat gegen die Auslegung und Bewertung des Landesarbeitsgerichts auch keine gemäß § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO zulässige Verfahrensrüge erhoben (vgl. dazu die st. Rspr., zB - Rn. 30). Sie hat lediglich ihren abweichenden Standpunkt wiederholt, die Unternehmensziele seien dem Kläger seit dem bzw. bekannt gewesen.
39c) Die Beklagte hat ihre Pflichten aus Abschnitt C III BV schuldhaft verletzt.
40aa) Bei der Haftung aus § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB wird das Verschulden des pflichtwidrig handelnden Schuldners gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutet (st. Rspr., vgl. zB - Rn. 15 mwN). Der Arbeitgeber muss deshalb, will er die Verschuldensvermutung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB widerlegen, konkret darlegen und erforderlichenfalls nachweisen, dass er das Unterlassen einer vereinbarungsgemäßen und rechtzeitigen Zielvorgabe nicht zu vertreten hat (zu Zielvereinbarungen vgl. - Rn. 37 f. mwN).
41bb) Die Bewertung, ob die Pflichtverletzung verschuldet ist, obliegt, wie auch, ob ein mitwirkendes Verschulden des Geschädigten vorliegt, in erster Linie den Tatsacheninstanzen, denen hierbei ein Beurteilungsspielraum zukommt. Das Revisionsgericht kann lediglich prüfen, ob das Berufungsgericht von den richtigen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat (vgl. - Rn. 39 mwN).
42cc) Das Berufungsurteil hält dieser revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass die Beklagte sich hinsichtlich ihres Verschuldens nicht iSv. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB entlastet hat, weil sie keine Umstände dargelegt hat, aus denen sich ergeben könnte, dass sie das Unterlassen einer den Regelungen der Betriebsvereinbarung entsprechenden Zielvorgabe für das Jahr 2019 nicht zu vertreten hat (vgl. - Rn. 43, BAGE 173, 269). Die Beklagte hat weder behauptet, sie sei nach Inkrafttreten der BV nicht in der Lage oder daran gehindert gewesen, dem Kläger die maßgeblichen Ziele vorzugeben, noch ergeben sich hierfür oder für sonstige, die Beklagte entlastende Umstände aus dem Vortrag der Parteien Anhaltspunkte. Die Beklagte hat gegen die Bewertung des Landesarbeitsgerichts auch keine gemäß § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO zulässige Verfahrensrüge erhoben (vgl. dazu die st. Rspr., zB - Rn. 30).
43d) Die zusätzlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs sind erfüllt, § 280 Abs. 3, § 283 Satz 1 iVm. § 275 Abs. 1 BGB (vgl. hierzu im Einzel-nen - Rn. 45, BAGE 173, 269; - 10 AZR 97/07 - Rn. 46, BAGE 125, 147).
44aa) Eine dem Leistungssteigerungs- und Motivationsgedanken und damit dem Sinn und Zweck der Zielvereinbarung gerecht werdende Aufstellung von Zielen für einen vergangenen Zeitraum ist nicht mehr möglich (st. Rspr., vgl. - Rn. 45; - 8 AZR 149/20 - Rn. 46, BAGE 173, 269; - 10 AZR 97/07 - Rn. 47, BAGE 125, 147).
45bb) Im Streitfall bedarf es keiner Entscheidung, ob aufgrund der nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG zwingenden Vorgaben der BV die Unmöglichkeit der Festlegung von Zielen bereits nach Ablauf der in der BV gesetzten Fristen eingetreten ist. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Festlegung von Zielen für das Kalenderjahr 2019 sei deshalb iSv. § 275 Abs. 1 BGB unmöglich geworden, weil die Beklagte dem Kläger entgegen Abschnitt C III Nr. 1 BV innerhalb der Zielperiode keine individuellen Ziele vorgegeben hat und ihm die Unternehmensziele erst verbindlich mitgeteilt hat, nachdem bereits etwa ¾ der Zielperiode abgelaufen waren, hält sich ohne Weiteres in dessen Beurteilungsspielraum bei der Bewertung der tatsächlichen Umstände (vgl. - Rn. 55). Eine ihrer Motivations- und Anreizfunktion gerecht werdende Zielvorgabe war bereits am nicht mehr möglich, erst recht aber nach Ablauf der Zielperiode. Deshalb kommt hinsichtlich der Ziele auch keine nachträgliche gerichtliche Leistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BGB in Betracht.
464. Der Anspruch besteht in der vom Landesarbeitsgericht zugesprochenen Höhe von 16.035,94 Euro.
47a) Der Umfang des zu ersetzenden Schadens richtet sich nach den §§ 249 ff. BGB.
48aa) Nach § 252 BGB umfasst der zu ersetzende Schaden auch den entgangenen Gewinn. Dazu gehört auch entgangener Verdienst aus abhängiger Arbeit und damit auch die Zahlung einer variablen Vergütung. Als entgangen gilt gemäß § 252 Satz 2 BGB der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. § 252 Satz 2 BGB enthält für den Geschädigten eine den § 287 ZPO ergänzende Beweiserleichterung. Der Geschädigte hat nur die Umstände darzulegen und in den Grenzen des § 287 ZPO zu beweisen, aus denen sich nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder den besonderen Umständen des Falls die Wahrscheinlichkeit des Gewinneintritts ergibt. Da die Beweiserleichterung des § 252 BGB und des § 287 ZPO auch die Darlegungslast derjenigen Partei mindert, die Ersatz des entgangenen Gewinns verlangt, dürfen insoweit keine zu strengen Anforderungen gestellt werden (st. Rspr., vgl. zB - Rn. 20 ff.; zur Zielvereinbarung - Rn. 56 mwN).
49bb) Dem Anwendungsbereich des § 287 Abs. 1 ZPO unterliegen sowohl die Feststellung des Schadens als auch dessen Höhe. Die Vorschrift dehnt für die Feststellung der Schadenshöhe das richterliche Ermessen über die Schranken des § 286 ZPO aus. Das Gesetz nimmt in Kauf, dass das Ergebnis der Schätzung mit der Wirklichkeit vielfach nicht übereinstimmt. Allerdings soll die Schätzung möglichst nahe an diese heranführen ( - Rn. 57; - 8 AZR 149/20 - Rn. 51 mwN, BAGE 173, 269).
50cc) Zielvorgaben müssen zwar nicht stets die in Aussicht gestellte Zahlung der variablen Vergütung auslösen. Bei der Ermittlung des Schadens nach § 287 Abs. 1 ZPO ist jedoch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sie ihren Motivations- und Leistungssteigerungszweck verfehlen und ihrer Anreizfunktion nicht gerecht werden, wenn die festgelegten Ziele vom Arbeitnehmer von vornherein nicht erreicht werden können. Der Arbeitgeber ist verpflichtet für die jeweilige Zielperiode Ziele vorzugeben, die nach einer auf den Zeitpunkt der Zielvorgabe bezogenen Prognose erreichbar sind (vgl. zu Zielvereinbarungen - Rn. 34; - 10 AZR 889/07 - Rn. 14 ff.; MüKoBGB/Spinner 9. Aufl. § 611a Rn. 679 f.). Auch kann er sich der vertraglich zugesagten Zahlung einer variablen Vergütung nicht dadurch entziehen, dass er vom Arbeitnehmer Unmögliches verlangt und unrealistische Ziele vorgibt. Es ist deshalb grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer vorgegebene Ziele erreicht hätte, wenn nicht besondere Umstände diese Annahme ausschließen. Solche besonderen Umstände hat der Arbeitgeber darzutun und ggf. zu beweisen. Insoweit gelten keine anderen Grundsätze als bei nicht zustande gekommenen Zielvereinbarungen (vgl. dazu die st. Rspr., zB - Rn. 58 mwN). Soweit sich der Arbeitnehmer darauf beruft, er würde die gesetzten Ziele bei gewöhnlichem Lauf der Dinge übertroffen haben, hat er die hierfür sprechenden Umstände darzulegen und im Fall eines substantiierten Bestreitens durch den Arbeitgeber in den Grenzen des § 287 ZPO zu beweisen.
51dd) Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des Tatsachengerichts. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob das Tatsachengericht Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat ( - Rn. 59; - 8 AZR 359/22 - Rn. 23; - 10 AZR 370/10 - Rn. 25 mwN, BAGE 143, 165).
52b) Dieser revisionsrechtlichen Überprüfung hält das Berufungsurteil stand. Das Landesarbeitsgericht hat den dem Kläger entstandenen Schaden in nicht zu beanstandender Weise auf 16.035,94 Euro geschätzt.
53aa) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, bei der vorzunehmenden Schätzung sei in Bezug auf die individuellen Ziele ein Zielerreichungsgrad des Klägers von 142 % in Ansatz zu bringen. Der Kläger hat eine entsprechende Zielerreichung schlüssig vorgetragen, denn der Wert von 142 %, den er sich bei der Schadensberechnung zu eigen gemacht hat, entspricht, wie die Beklagte selbst vorträgt und der E-Mail vom zu entnehmen ist, der durchschnittlichen Zielerreichung aller Führungskräfte in den vergangenen drei Jahren. Die Beklagte behauptet nicht, dass hinsichtlich der persönlichen Ziele im Jahr 2019 mit einer geringeren Zielerreichung durch den Kläger zu rechnen gewesen wäre.
54bb) Ebenfalls zutreffend ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe keine Umstände vorgetragen, die die Annahme rechtfertigten, der Kläger hätte bei gewöhnlichem Lauf der Dinge die Unternehmensziele nicht zu 100 % erreicht. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung des Umstands, dass er in den Vorjahren die Unternehmensziele übererfüllt hat. Eine Verfahrensrüge, die den Anforderungen von § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO genügte, hat die Beklagte auch insoweit nicht erhoben.
55(1) Auch, wenn man zu Gunsten der Beklagten unterstellt, die von ihr verspätet vorgegebenen Unternehmensziele seien in 2019 nicht erreicht worden, kann dies einen Schadensersatzanspruch des Klägers weder ausschließen noch mindern. Die Beklagte hat die Unternehmensziele nicht rechtzeitig entsprechend den Anforderungen von Abschnitt C III Nr. 1 BV vorgegeben. Von ihren Vorgaben konnte deshalb keine dem Leistungssteigerungs- und Motivationsgedanken entsprechende Anreizwirkung ausgehen, so dass ein Rückschluss auf die Erreichung anderer Ziele nicht möglich ist (vgl. - Rn. 72).
56(2) Der von der Beklagten erhobene Einwand, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Zielerreichungsgrad des Klägers bei früherer Festlegung der Unternehmensziele höher gewesen wäre, greift nicht durch.
57(a) Die Berufung auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten, dh. der Einwand, der Schaden wäre auch bei einer ebenfalls möglichen, rechtmäßigen Verhaltensweise entstanden, kann grundsätzlich für die Zurechnung eines Schadenserfolgs beachtlich sein. Die Erheblichkeit des Einwands richtet sich nach dem Schutzzweck der jeweils verletzten Norm oder der Vertragspflicht. Rechtmäßiges Alternativverhalten setzt voraus, dass derselbe Schadenserfolg effektiv herbeigeführt worden wäre; die bloße Möglichkeit, ihn rechtmäßig herbeiführen zu können, reicht nicht aus ( - Rn. 28 mwN; - Rn. 47). Darlegungs- und beweispflichtig ist der Schädiger ( - Rn. 68, BAGE 155, 347).
58(b) Den Nachweis desselben Schadenseintritts bei einem rechtmäßigen Alternativverhalten hat die Beklagte nicht geführt. Er scheitert schon daran, dass im Nachhinein regelmäßig nicht bestimmt werden kann, welche Ziele die Arbeitgeberin bei pflichtgemäßem Verhalten und damaligem Wissensstand vorgegeben hätte. Soweit die Beklagte meint, der Kläger habe nicht vorgetragen, wie er seine Arbeitstätigkeit auf eine frühere Zielvorgabe eingestellt und welchen Einfluss dies auf die Unternehmensziele gehabt hätte, verkennt sie, dass sie die Darlegungs- und Beweislast dafür trifft, dass der Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten eingetreten wäre. Die bloße Möglichkeit, dass die vom Kläger behauptete Zielerreichung auch bei einer auf eine rechtzeitige, billigem Ermessen entsprechende Zielvorgabe abgestimmten Arbeitsleistung nicht erreicht worden wäre, genügt für den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht.
59cc) Ausgehend hiervon hat das Landesarbeitsgericht die Schadenshöhe zutreffend berechnet. Bei der in § 4.1 AV vorgegebenen Gewichtung der Unternehmensziele mit 70 % und der individuellen Ziele mit 30 %, die durch die Regelungen der BV nicht berührt wird (vgl. Abschnitt C II Satz 2 BV), und einer zu erwartenden Erfüllung der Unternehmensziele zu 100 % und der individuellen Ziele zu 142 % hätte der Kläger einen Zielerreichungsgrad von 112,6 % erzielt (100 % x 7/10 + 142 % x 3/10). Dem Kläger hätte danach eine variable Vergütung iHv. 31.622,49 Euro zugestanden (11/12 von 30.637,00 Euro x 112,6 %). Unter Berücksichtigung der von der Beklagten geleisteten Zahlung iHv. 15.586,55 Euro verbleibt der als Schadensersatz geltend gemachte, vom Landesarbeitsgericht zugesprochene Differenzbetrag von 16.035,94 Euro.
60c) Der Kläger muss sich kein anspruchsminderndes Mitverschulden iSv. § 254 Abs. 1 BGB anrechnen lassen.
61aa) Die Frage des mitwirkenden Verschuldens gemäß § 254 Abs. 1 BGB muss von Amts wegen auch noch in der Revisionsinstanz geprüft werden (vgl. - Rn. 32). Die Verteilung der Verantwortlichkeit für einen entstandenen Schaden im Rahmen des § 254 BGB ist allerdings in erster Linie Sache tatrichterlicher Würdigung und ebenfalls in der Revision nur eingeschränkt überprüfbar (vgl. - Rn. 39 mwN, 75).
62bb) Diesem Prüfungsmaßstab hält die Bewertung des Landesarbeitsgerichts, den Kläger treffe im Zusammenhang mit dem Fehlen einer Zielvorgabe nach Maßgabe von Abschnitt C III Nr. 1 BV kein Mitverschulden, stand.
63(1) Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Kläger nicht verpflichtet war, auf die Festlegung von Zielen hinzuwirken. Hat der Arbeitgeber Ziele durch eine Zielvorgabe vorzugeben, bedarf es grundsätzlich keiner Mitwirkung des Arbeitnehmers. Gibt der Arbeitgeber keine Ziele vor, verletzt der Arbeitnehmer bei einer vertraglichen und/oder kollektivrechtlichen Rahmenvereinbarung über Zielvorgaben keine eigenen Pflichten, wenn er den Arbeitgeber nicht auffordert, ihm Ziele vorzugeben. Die Initiativlast trägt allein der Arbeitgeber (vgl. - Rn. 17 mwN, BAGE 125, 147). Aus diesem Grund ist der Arbeitnehmer auch nicht verpflichtet, durch Klageerhebung eine Leistungsbestimmung durch Urteil nach § 315 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BGB herbeizuführen.
64(2) Dem Kläger ist auch nicht aus sonstigen Gründen ein anspruchsminderndes Mitverschulden anzulasten. Das Landesarbeitsgericht hat dies zwar nicht gesondert geprüft, hatte hierfür aber auch keinen Anlass. Soweit unter Abschnitt C III Nr. 1 BV eine Besprechung der Zielvorgabe bzw. eine Abstimmung der individuellen Ziele mit dem Arbeitnehmer vorgesehen ist, ergeben sich weder aus dem Vortrag der Parteien noch sonst Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nicht bereit gewesen wäre, dabei mitzuwirken. Dies hat die Beklagte auch nicht behauptet.
65II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2025:190225.U.10AZR57.24.0
Fundstelle(n):
DStR-Aktuell 2025 S. 11 Nr. 10
ZIP 2025 S. 4 Nr. 9
LAAAJ-90505