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BGH Beschluss v. - VI ZB 32/24

Leitsatz

Zur Beschwer einer Beklagten, die zur Löschung und Unterlassung der Anfertigung von Bildern verurteilt worden ist.

Gesetze: § 511 Abs 2 Nr 1 ZPO

Instanzenzug: LG Mainz Az: 6 S 75/23vorgehend AG Alzey Az: 23 C 31/23

Gründe

I.

1Die Parteien streiten über die Löschung von Aufnahmen auf dem Handy der Beklagten und das Unterlassen der Anfertigung weiterer Aufnahmen.

2Der Kläger schoss am auf seinem Grundstück Böller ab. Die Beklagte, die in der Nähe eine Pferdekoppel und einen Hundeauslauf besitzt und sich um ihre Tiere sorgte, begab sich zum Grundstück des Klägers. Der Kläger behauptet, die Beklagte habe von ihm Foto- und Videoaufnahmen mit ihrem Smartphone gemacht. Mit seiner Klage hat er beantragt, die Beklagte zu verurteilen, "alle Bilder, welche sie am auf dem Privatgrundstück des Klägers angefertigt hat, zu löschen und nicht zu verbreiten" und es "zukünftig zu unterlassen, Bilder des Klägers auf dessen Privatgrundstück anzufertigen". Neben der Androhung eines Ordnungsgeldes, ersatzweise Ordnungshaft für den Fall der Zuwiderhandlung begehrt er außerdem Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten aus einem Gegenstandswert von 5.000 €. Das Amtsgericht hat die Beklagte nach Vernehmung eines Zeugen antragsgemäß verurteilt. Das Landgericht hat den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 500 € festgesetzt und die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

3Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

41. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Berufung sei als unzulässig zu verwerfen, da

52. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

6Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt die Beklagte in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es, einer Partei den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BVerfG NJW 1991, 3140; Senatsbeschluss vom - VI ZB 74/22, NJW 2023, 2280 Rn. 6). Das ist vorliegend erfolgt.

7a) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde verletzt die Entscheidung die Beklagte aber nicht schon deshalb in ihrem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes, weil das Berufungsgericht keine eigene Entscheidung über die Zulassung der Berufung getroffen hat.

8aa) Das Berufungsgericht muss vor Verwerfung des Rechtsmittels mangels ausreichender Beschwer eine Zulassungsprüfung nachholen, wenn das erstinstanzliche Gericht davon ausgegangen ist, dass die Beschwer der unterlegenen Partei 600 € übersteigt, und deswegen keine Prüfung der Zulassung der Berufung vorgenommen hat (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom - VI ZB 72/22, NJW-RR 2023, 1484 Rn. 8 mwN).

9Das Urteil des Amtsgerichts enthält keinen Ausspruch über die Zulassung der Berufung. Das Amtsgericht hat sein Urteil nach § 708 Nr. 11 ZPO für vorläufig vollstreckbar erklärt und eine Abwendungsbefugnis für die Beklagte nach § 711 ZPO ausgesprochen. Von einer solchen hätte das Amtsgericht nach § 713 ZPO absehen sollen, wäre es der Ansicht gewesen, die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, hätten unzweifelhaft nicht vorgelegen. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass das Amtsgericht - das dem Kläger im Übrigen außergerichtliche Rechtsanwaltskosten aus dem Gegenstandswert von 5.000 € zuerkannt hat - für das Löschungs- und Unterlassungsbegehren eine den Wert von 600 € überschreitende Beschwer der Beklagten angenommen hat (vgl. zur Bedeutung der Vollstreckbarkeitsentscheidung auch , NJW 2011, 926 Rn. 18; Beschluss vom - XII ZB 128/09, NJW-RR 2010, 934 Rn. 20). Das Berufungsgericht, das der Ansicht ist, die Beklagte sei durch das Urteil nicht mit einem höheren Wert als 500 € beschwert (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), hätte die Entscheidung über die Zulassung der Berufung nach den oben angeführten Grundsätzen nachholen müssen.

10bb) Eine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zu der an sich gegebenen Berufung liegt in der unterlassenen nachgeholten Entscheidung über die Zulassung der Berufung durch das Berufungsgericht aber nur, wenn ein Grund für die Zulassung der Berufung vorliegt (Senatsbeschluss vom - VI ZB 72/22, NJW-RR 2023, 1484 Rn. 9; , WuM 2015, 320 Rn. 6). Die Rechtsbeschwerde zeigt nicht auf, dass ein solcher Grund nach § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO hier vorliegen würde.

11b) Der Zugang der Beklagten zur Berufung ist aber dadurch unzumutbar erschwert worden, dass das Berufungsgericht bei der Festsetzung des Werts des Beschwerdegegenstands für die Berufung sein Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat. Es hat das Rechtsschutzziel der Beklagten nicht vollständig in den Blick genommen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei rechtsfehlerfreier Bemessung des Werts des Beschwerdegegenstands zu dem Ergebnis kommen würde, dieser übersteige 600 € (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

12aa) Fehlt es - wie im Streitfall - an einer Zulassung der Berufung (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), so ist die Berufung gemäß § 511 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO gegen ein im ersten Rechtszug erlassenes Endurteil nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegenstands 600 € übersteigt. Die Festsetzung des Werts des Beschwerdegegenstands bei Rechtsmitteln richtet sich - wie sich aus § 2 ZPO ergibt - nach den Vorschriften der §§ 3 ff. ZPO. Die Wertfestsetzung kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur daraufhin überprüft werden, ob das Berufungsgericht die Grenzen des ihm von § 3 ZPO eingeräumten Ermessens überschritten oder rechtsfehlerhaft von ihm Gebrauch gemacht hat (Senatsbeschluss vom - VI ZB 45/23, NJW-RR 2024, 474 Rn. 7 f. mwN). Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn das Berufungsgericht bei der Ausübung seines Ermessens die in Betracht zu ziehenden Umstände nicht umfassend berücksichtigt hat (Senatsbeschluss vom - VI ZB 58/20, VersR 2022, 456 Rn. 9 mwN). So liegt der Fall hier.

13bb) Es kann dahinstehen, ob das Landgericht den Wert des Löschungsanspruchs rechtsfehlerhaft zu gering bemessen hat. Jedenfalls macht die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend, dass dem Beschluss des Berufungsgerichts nicht zu entnehmen ist, dass das Gericht bei der Bemessung des Werts des Beschwerdegegenstands neben der Löschungs- auch die Unterlassungsverpflichtung der Beklagten berücksichtigt hätte.

14(1) Zwar verweist das Berufungsgericht in seinem Beschluss hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils. Im Weiteren führt es unter Ziffer I des Beschlusses aber (nur) aus, das Amtsgericht habe die Beklagte zur Löschung sämtlicher Fotos des Klägers vom verurteilt. Unter Ziffer II des Beschlusses heißt es, unmittelbare Folge der Verurteilung der Beklagten sei, dass sie etwaige Fotos des Klägers von ihrem Handy löschen müsse; nicht ersichtlich sei, dass die damit verbundene Beschwer der Beklagten 500 € übersteige. Es handele sich um einen einmaligen Vorgang, der kaum Öffentlichkeitswirkung erlange und hinsichtlich des Vollzugs der Verurteilung mit wenigen unproblematischen Handlungen verbunden sei.

15Aus diesen Ausführungen ergibt sich nicht, dass das Berufungsgericht auch die Verurteilung der Beklagten zur Unterlassung bei der Wertbemessung in den Blick genommen hätte. Die Beklagte hat - worauf die Rechtsbeschwerde verweist - zum Hinweis des Vorsitzenden der Berufungskammer, es sei beabsichtigt, den Wert mit 500 € zu bemessen, Stellung genommen und geltend gemacht, dass neben der Löschungs- auch die Unterlassungsverpflichtung zu bewerten sei.

16(2) Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei rechtsfehlerfreier Bemessung des Werts des Beschwerdegegenstands - also bei Berücksichtigung auch des Unterlassungsausspruchs - zu dem Ergebnis kommen würde, dass dieser 600 € überschreite. Bei der Geltendmachung des Anspruchs auf Unterlassung handelt es sich im Streitfall um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit. Für die Bemessung der Beschwer nach freiem Ermessen sind alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere Umfang und Bedeutung der Sache, zu berücksichtigen (vgl. §§ 2, 3 ZPO, § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG, Senatsbeschluss vom - VI ZB 58/20, VersR 2022, 456 Rn. 8). Die Beschwer einer zur Unterlassung verurteilten Partei richtet sich danach, in welcher Weise sich das ausgesprochene Verbot zu ihrem Nachteil auswirkt. Maßgeblich sind die Nachteile, die ihr aus der Erfüllung des Unterlassungsanspruchs entstehen. Außer Betracht bleiben dabei die Nachteile, die nicht mit der Befolgung des Unterlassungsgebots, sondern mit einer Zuwiderhandlung - etwa durch die Festsetzung eines Ordnungsgeldes - verbunden sind (Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 48/14, VersR 2016, 1524 Rn. 10; vom - VI ZB 29/14, NJW 2015, 787 Rn. 8; jeweils mwN).

17Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, welche Nachteile der Beklagten aus dem Verbot, Aufnahmen des Klägers auf seinem Grundstück zu machen, erwachsen könnten. Selbst wenn man - auch unter Berücksichtigung des von der Rechtsbeschwerde als übergangen gerügten Vortrags - annehmen würde, die Beklagte erleide dadurch keine erheblichen Nachteile, ist nicht ersichtlich, dass man ohne Weiteres von einer Beschwer der Beklagten von (nur) bis zu 100 € für das Unterlassungsgebot ausgehen könnte. Das Berufungsgericht hat die mit der Verurteilung zur Löschung verbundene Beschwer der Beklagten - einer einmaligen Handlung, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kaum Öffentlichkeitswirkung erlangt - mit 500 € bemessen. Die Befolgung der Unterlassungsverpflichtung erschöpft sich im Gegensatz dazu gerade nicht in einem einmaligen Verhalten.

183. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Seiters                       Oehler                       Müller

               Allgayer                       Linder

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:250325BVIZB32.24.0

Fundstelle(n):
DAAAJ-90243