Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde eines Fahrzeugherstellers gegen ein Zivilurteil im Zusammenhang mit dem "Dieselskandal" - Nichtvorlage einer Rechtsfrage an den EuGH kann nicht als Gehörsverletzung gerügt werden
Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, Art 267 Abs 3 AEUV
Instanzenzug: OLG Celle Az: 7 U 4/22 Beschlussvorgehend OLG Celle Az: 7 U 4/22 Urteil
Gründe
I.
1Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen Entscheidungen des Oberlandesgerichts Celle (im Folgenden: Oberlandesgericht) im Rahmen des sogenannten Abgasskandals.
21. Der zugrundeliegende Zivilrechtsstreit betraf ein von der Beschwerdeführerin hergestelltes Fahrzeug, das mit einem Dieselmotor vom Typ (…) ausgestattet war. Es verfügte über eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung (Thermofenster). Die Beschwerdeführerin wehrte sich gegen die Einstufung des Thermofensters als unzulässige Abschalteinrichtung. Die zur Verringerung der Stickoxidemissionen eingesetzte Abgasrückführung müsse temperaturabhängig gesteuert werden, um das Risiko von Aussetzern und Motorbränden zu vermeiden. Dazu gebe es keine technische Alternative, weil die einzig denkbare Alternative (eine generelle Reduzierung der Abgasrückführung) zu höheren Stickoxidemissionen führen würde.
32. Mit angegriffenem Urteil vom änderte das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil ab und gab der gegen die Beschwerdeführerin erhobenen Schadensersatzklage teilweise statt. Der Schaden sei nicht durch anzurechnende Vorteile ausgeglichen. Insbesondere verbleibe nach einem mittlerweile aufgespielten Softwareupdate eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung. Damit liege weiterhin eine unzulässige Abschalteinrichtung vor. Die Beschwerdeführerin habe dieses Thermofenster nicht als "notwendig" im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe a VO (EG) Nr. 715/2007 rechtfertigen können. Sie habe nicht vorgetragen, dass keine technischen Alternativen zur Verfügung standen.
43. Die hiergegen gerichtete Anhörungsrüge wies das Oberlandesgericht mit angegriffenem Beschluss vom zurück. Die Beschwerdeführerin habe selbst ausgeführt, dass auch eine generelle Reduzierung der Abgasrückführung in Betracht komme, um das Risiko von Aussetzern und Motorbränden zu vermeiden. Damit erschließe sich die technische Notwendigkeit des Thermofensters nicht.
54. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin ausdrücklich nur eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG. Der Verweis des Oberlandesgerichts auf den Vortrag der Beschwerdeführerin, wonach das Thermofenster entbehrlich sei, sei "falsch". Jedenfalls beseitige diese mit dem angegriffenen Beschluss über die Anhörungsrüge "nachgeschobene Begründung" des Oberlandesgerichts nicht die Entscheidungserheblichkeit der Gehörsverletzung. Den zugrundeliegenden Rechtssatz zu Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe a VO (EG) Nr. 715/2007, wonach auch eine generelle Reduzierung der Abgasrückführung eine technische Alternative darstelle, habe das Oberlandesgericht nicht dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Entscheidung vorgelegt.
II.
6Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie unzulässig ist. Sie genügt nicht den sich aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG ergebenden Anforderungen an eine hinreichend substantiierte Behauptung der Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten, insbesondere des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.
71. Die Beschwerdeführerin zeigt selbst auf, dass sich das Oberlandesgericht bei der Zurückweisung der Anhörungsrüge mit dem als übergangen gerügten Vortrag zu fehlenden technischen Alternativen zum Thermofenster ausdrücklich auseinandergesetzt hat und dass dies nicht zu einer abweichenden Bewertung führte. Eine Gehörsverletzung kann sie nicht aus der Behauptung ableiten, das Oberlandesgericht habe ihren Vortrag "falsch" dargestellt. Es legt letztlich eine andere rechtliche Beurteilung der Notwendigkeit einer Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe a VO (EG) Nr. 715/2007 zugrunde. Davor schützt Art. 103 Abs. 1 GG aber nicht (vgl. BVerfGE 64, 1 <12>; 87, 1 <33>).
8Hat sich das Oberlandesgericht eine abschließende Meinung gebildet, kann das Bundesverfassungsgericht davon ausgehen, dass eine für die Beschwerdeführerin günstigere Lösung ausgeschlossen ist, die Entscheidung also nicht auf der Gehörsverletzung beruht. Ob die Rechtsmeinung zu Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe a VO (EG) Nr. 715/2007 fachrechtlich zutrifft oder ob das Oberlandesgericht zivilprozessrechtlich richtig verfahren ist, als es die Frage nicht dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Entscheidung vorlegte, ist jedenfalls im Rahmen der Rüge einer Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG nicht vom Bundesverfassungsgericht zu überprüfen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1225/15 -, Rn. 12).
92. Die Beschwerdeführerin hat sonstige Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte, etwa das Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, weder bezeichnet noch sich mit diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Maßstäben auseinandergesetzt und ist deshalb den Substantiierungsanforderungen nicht gerecht geworden (vgl. BVerfGE 99, 84 <87>; 140, 229 <232 Rn. 9>).
103. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
11Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:rk20250331.2bvr060224
Fundstelle(n):
EAAAJ-90114