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BGH Beschluss v. - 4 StR 122/24

Instanzenzug: LG Paderborn Az: 1 Ks 53/16

Gründe

1Durch Urteil vom hatte das Landgericht Paderborn den Verurteilten wegen Mordes durch Unterlassen, versuchten Mordes durch Unterlassen und gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Mit Beschluss vom hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Münster die Unterbringung gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB für erledigt erklärt, da ein Zustand verminderter Schuldfähigkeit nie bestanden habe. Durch das mit der Revision angegriffene Urteil des Landgerichts wurde gemäß § 66b StGB nachträglich die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Seine auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision bleibt ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

2Das Landgericht hat seinen Feststellungen zum psychiatrischen Krankheitsbild des Verurteilten und zur Gefährlichkeitsprognose die übereinstimmenden Ausführungen zweier psychiatrischer Sachverständiger zugrunde gelegt. Hiernach handelte es sich bei der in der Ausgangsverurteilung angeordneten Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB um eine Fehleinweisung, da die seinerzeit angenommene abhängige Persönlichkeitsstörung zu keinem Zeitpunkt bestand. Vielmehr liegen bei dem Verurteilten eine dissoziale Persönlichkeitsstörung mit psychopatischen Zügen (ICD-10: F.60.2) und sadistischen Verhaltenstendenzen sowie eine leichte Minderbegabung im Grenzbereich zwischen leichter Intelligenzminderung (ICD-10: F.70) und einer bloßen Lernbehinderung vor, welche weder für sich gesehen noch in ihrer Kombination zu einer erheblichen Verminderung oder gar der Aufhebung der Schuldfähigkeit führen. Das Verhalten des Verurteilten ist nicht Ausdruck einer originären krankhaften, unter die Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB fallenden psychischen Störung, sondern eines vollverantwortlich handelnden egozentrischen Gewaltstraftäters, der gelernt hat, mit manipulativem Geschick die sich ihm bietenden sozialen Möglichkeiten zu eigenen Zwecken auszunutzen.

3Prognostisch hat das Landgericht seiner Entscheidung die Erwartung der Sachverständigen zugrunde gelegt, dass der Verurteilte bei nächster sich bietender Gelegenheit in Freiheit wieder versuchen würde, eine ausbeuterische Beziehung zu einer Frau aufzubauen, und dass auf dieser Grundlage eine hohe Sicherheit dafür besteht, dass er innerhalb von Monaten oder Wochen Gewalt- und Tötungsdelikte begehe. Die äußerst negative Prognose des Verurteilten hat das Landgericht in Übereinstimmung mit den Sachverständigen maßgeblich auch auf dessen Verhalten im Maßregel- und Strafvollzug gestützt. Bis zuletzt habe der Verurteilte im Hinblick auf die von ihm begangenen Taten keinerlei Einsicht gezeigt. Vielmehr verleugne er die Taten und seine Handlungsmuster und verlagere die Schuld vollständig auf andere. Zudem habe er es selbst im geschlossenen Vollzug geschafft, in nähere Kontakte zu Frauen zu gelangen und entgegen den klinikinternen und therapeutischen Regeln und Auflagen sogar eine Liebesbeziehung zu seiner Bezugspflegerin aufzubauen sowie diese über Monate gegenüber der Klinikleitung geheim zu halten.

II.

41. Der Verfahrensrüge bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt.

52. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Verurteilten ergeben. Insbesondere steht es der nachträglichen Unterbringung eines Verurteilten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66b StGB – anders als im Erkenntnisverfahren – nicht entgegen, wenn die von § 66b Satz 1 Nr. 2 StGB vorausgesetzte Gefährlichkeitsprognose maßgeblich auch darauf gestützt wird, dass der Verurteilte im Vollzug keine Einsicht zeigt, Taten und Handlungsmuster verleugnet und die Verantwortung auf andere verlagert.

6a) Im Erkenntnisverfahren ist es grundsätzlich zulässig, wenn der Angeklagte zu seiner Verteidigung die ihm zur Last gelegten Taten leugnet, bagatellisiert oder einem anderen die Schuld zuschiebt. Zulässiges Verteidigungsverhalten darf einem Angeklagten weder bei der Strafzumessung noch bei der Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung oder über die Anordnung eines Berufsverbots zum Nachteil gereichen. Nichts anderes gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Entscheidung über eine Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung. Zulässiges Verteidigungsverhalten darf auch hier weder hangbegründend noch als Anknüpfungspunkt für die Gefährlichkeit des Angeklagten verwertet werden. Andernfalls wäre der Angeklagte gezwungen, seine Verteidigungsstrategie aufzugeben, wollte er hinsichtlich der (auch nur vorbehaltenen) Sicherungsverwahrung einer ihm ungünstigen Entscheidung entgegenwirken. Dem Tatrichter ist es deshalb verwehrt, die Begründung eines Hanges zu gefährlichen Straftaten und die Entwicklung der Gefährlichkeitsprognose darauf zu stützen, dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Taten leugnet, bagatellisiert oder einem anderen die Schuld zuschiebt (st. Rspr.; vgl. Rn. 4; zuletzt nur etwa Rn. 3 f.; Beschluss vom – 4 StR 192/22 Rn. 19; Beschluss vom – 5 StR 449/23 Rn. 21).

7b) Ist das Erkenntnisverfahren abgeschlossen, kommt der Gesichtspunkt zulässiger Verteidigung nicht in gleicher Weise zum Tragen. Die im Strafvollstreckungsverfahren ergehenden Entscheidungen haben vielmehr die rechtskräftigen Feststellungen zugrunde zu legen und hieran gerade auch ein für die Entscheidung in Betracht zu ziehendes Verhalten der verurteilten Person im Vollzug zu messen (vgl. etwa für die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung § 57 Abs. 1 Satz 2 StGB). Der Ausweglosigkeit, eine relativierende Verteidigungsstrategie aufgeben zu müssen, um einer ihm ungünstigen Entscheidung zur Sicherungsverwahrung zu entgehen, ist der Verurteilte in diesem Verfahrensstadium für sein Verhalten nicht mehr ausgesetzt. Auch im Verfahren nach § 66b StGB ist es daher statthaft und sogar geboten, ein relativierendes Verhalten des Verurteilten im Vollzug als ungünstigen Prognosefaktor innerhalb der gemäß § 66b Satz 1 Nr. 2 StGB zu betrachtenden Entwicklung des Betroffenen in die gebotene Gesamtwürdigung einzubeziehen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:110225B4STR122.24.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-90036