Im Wesentlichen inhaltsgleich mit - Keine Arbeitgebereigenschaft einer Betriebsstätte nach Abkommensrecht
Leitsatz
NV: Die ausländische Betriebsstätte einer im Inland ansässigen rechtlich selbständigen Person kann nicht Arbeitgeber im Sinne der Art. 14 Abs. 2 Buchst. b DBA-Großbritannien 2010/2014, DBA-Australien 2015 und Art. 15 Abs. 2 Buchst. b DBA-Schweden 1992, DBA-Kanada 2001, DBA-Italien 1989 sein.
Gesetze: EStG § 19; EStG § 38; EStG § 41a; EStG § 49; GG Art. 3 Abs. 1; AEUV Art. 49; AEUV Art. 54; AEUV Art. 45; WÜRV WÜRV Art. 31; OECD MustAbk Art. 7; DBA GBR 2010/2014 Art. 3; DBA GBR 2010/2014 Art. 14 Abs. 1 und 2; DBA AUS 2015 Art. 3; DBA AUS 2015 Art. 14 Abs. 1 und 2; DBA SWE 1992 Art. 3; DBA SWE 1992 Art. 15 Abs. 1 und 2; DBA CAN 2001 Art. 3; DBA CAN 2001 Art. 15 Abs. 1 und 2; DBA ITA 1989 Art. 3; DBA ITA 1989 Art. 15 Abs. 1 und 2;
Instanzenzug:
Tatbestand
I.
1 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt in der Rechtsform einer Europäischen Aktiengesellschaft ein Unternehmen. Ihr Stammhaus befindet sich in X in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland). Sie unterhält zahlreiche Zweigniederlassungen im europäischen und außereuropäischen Ausland; unter anderem im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland, im Königreich Schweden, in Australien, in Kanada und in der Italienischen Republik. Die dort tätigen und auch im jeweiligen Beschäftigungsstaat wohnhaften Arbeitnehmer sind zivilrechtlich bei der Klägerin angestellt.
2 Die Mitarbeiter der ausländischen Zweigniederlassungen kommen in unregelmäßigen Abständen für kurzfristige Dienstreisen (beispielsweise für Schulungen, Seminare, Workshops, Projektarbeiten oder Managementforen) nach Deutschland. Sie halten sich nicht mehr als 183 Tage im Steuer- beziehungsweise Kalenderjahr beziehungsweise innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten, der während des betreffenden Jahres beginnt oder endet, in Deutschland auf. Die Dienstreisen nehmen die Arbeitnehmer im Interesse der jeweiligen Auslandsniederlassung vor, welche neben der kompletten Tätigkeitsvergütung auch die Reisekosten trägt. Die gesamten mit der Tätigkeit dieser Mitarbeiter verbundenen Kosten erfasst die jeweilige Auslandszweigniederlassung in ihrer Buchführung. Das Stammhaus erstattet diese Kosten nicht.
3 In der Lohnsteuer-Anmeldung für Januar 2020 (Streitzeitraum) schätzte die Klägerin in Übereinstimmung mit einer vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt —FA—) erteilten Anrufungsauskunft die auf die Inlandsdienstreisen der Mitarbeiter der jeweiligen ausländischen Zweigniederlassungen entfallenden Lohnsteuerbeträge.
4 Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab.
5 Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
6 Sie beantragt,
das Urteil des sowie die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und die Lohnsteuer-Anmeldung für Januar 2020 dahingehend zu ändern, dass die Lohnsteuer insoweit herabgesetzt wird, als sie auf die Vergütungsanteile für Inlandsreisen der bei ausländischen Betriebsstätten der Klägerin in DBA-Vertragsstaaten beschäftigten Arbeitnehmer entfällt.
7 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Gründe
II.
8 Die Revision ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin die Lohnsteuer, die auf die Vergütungen ihrer Arbeitnehmer aus den ausländischen Zweigniederlassungen für deren im Streitzeitraum durchgeführte Inlandsdienstreisen entfällt, zu Recht einbehalten und angemeldet hat.
9 1. Das FG ist zunächst zutreffend (stillschweigend) davon ausgegangen, dass die Klage zulässig ist.
10 Die Lohnsteuer-Anmeldung ist eine Steuererklärung im Sinne von § 150 Abs. 1 Satz 3 der Abgabenordnung (AO), in der der Arbeitgeber die Steuer selbst zu berechnen hat. Sie steht einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§§ 167, 168 AO). Da die Klägerin die Lohnsteuer-Anmeldung für rechtswidrig hält, kann sie diese, auch wenn die Steuerfestsetzung den eigenen Angaben folgt, anfechten.
11 2. Die in ihrem jeweiligen Beschäftigungsstaat wohnhaften Arbeitnehmer der Klägerin sind in Deutschland mit dem für ihre Tätigkeit in Deutschland bezogenen Arbeitslohn beschränkt steuerpflichtig (§ 1 Abs. 4, § 19 Abs. 1 und § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes —EStG—).
12 3. Die Klägerin ist, was zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig ist, nach dem nationalen (Lohn-)Steuerrecht als inländische Arbeitgeberin (§ 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) zum Einbehalt (§ 38 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1, § 39b EStG) und zur Anmeldung der Lohnsteuer (§ 41a EStG) hinsichtlich der Vergütung verpflichtet, die auf die inländischen Dienstreisen der im Ausland ansässigen Arbeitnehmer entfällt.
13 Auch ist die Höhe der Lohnsteuer zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig. Die Erfassung der Lohnsteuer in Höhe einer geschätzten Abschlagszahlung entspricht zwar nicht der gesetzlichen Regelung des § 41a EStG. Das FA hat der Klägerin allerdings eine Lohnsteuer-Anrufungsauskunft gemäß § 42e EStG erteilt, nach der die vorübergehende Schätzung der einzubehaltenden Lohnsteuer der ausländischen Arbeitnehmer unter bestimmten, in der Anrufungsauskunft näher festgelegten, Voraussetzungen zur Vereinfachung der unterjährigen Abwicklung der Besteuerung von entsandten Mitarbeitern zulässig ist. An diese Auskunft ist das FA gebunden (s. Senatsurteil vom - VI R 61/09, BFHE 232, 5, BStBl II 2011, 479, Rz 24).
14 4. Die Klägerin durfte für den Streitzeitraum nach den im Streitfall einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) nicht von der Anmeldung der Lohnsteuer absehen. Denn das Besteuerungsrecht steht auch nach den maßgeblichen DBA-Regelungen Deutschland als Tätigkeitsstaat zu.
15 a) Nach
- Art. 14 Abs. 1 und 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Beseitigung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie zur Verhinderung der Steuerverkürzung und -umgehung vom (BGBl II 2010, 1334, BStBl I 2011, 470) i.d.F. des Änderungsprotokolls vom (BGBl II 2015, 1298, BStBl I 2016, 193) —DBA-Großbritannien 2010/2014—,
- Art. 15 Abs. 1 und 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Schweden zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie bei den Erbschaft- und Schenkungsteuern und zur Leistung gegenseitigen Beistands bei den Steuern (Deutsch-schwedisches Steuerabkommen) vom (BGBl II 1994, 687, BStBl I 1994, 422) —DBA-Schweden 1992—,
- Art. 14 Abs. 1 und 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Australien zur Beseitigung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie zur Verhinderung der Steuerverkürzung und -umgehung vom (BGBl II 2016, 1116, BStBl I 2017, 122) —DBA-Australien 2015—,
- Art. 15 Abs. 1 und 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und bestimmter anderer Steuern, zur Verhinderung der Steuerverkürzung und zur Amtshilfe in Steuersachen vom (BGBl II 2002, 671, BStBl I 2002, 505) —DBA-Kanada 2001— und
- Art. 15 Abs. 1 und 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom (BGBl II 1990, 743, BStBl I 1990, 397) —DBA-Italien 1989—
steht das Besteuerungsrecht für Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen bei den Einkünften aus unselbständiger Arbeit grundsätzlich dem Ansässigkeitsstaat der Person zu, die die entsprechenden Einkünfte bezieht. Wird die Arbeit jedoch in dem anderen Vertragsstaat (hier also in Deutschland) ausgeübt, können die dafür bezogenen Vergütungen auch im anderen Staat besteuert werden.
16 b) Das hiernach für die inländische Tätigkeit der Arbeitnehmer grundsätzlich bestehende Besteuerungsrecht Deutschlands wird im Streitfall auch nicht durch die sogenannte 183-Tage-Klausel, die sämtliche einschlägigen DBA enthalten (Art. 14 Abs. 2 DBA-Großbritannien 2010/2014, DBA-Australien 2015; Art. 15 Abs. 2 DBA-Schweden 1992, DBA-Kanada 2001, DBA-Italien 1989), beschränkt.
17 Danach wird das ausschließliche Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats wiederum dann begründet, wenn sämtliche Voraussetzungen der Regelung kumulativ vorliegen. Dabei ist vorliegend einzig das in Art. 14 Abs. 2 Buchst. b DBA-Großbritannien 2010/2014, DBA-Australien 2015; Art. 15 Abs. 2 Buchst. b DBA-Schweden 1992, DBA-Kanada 2001 und DBA-Italien 1989 enthaltene Merkmal streitig, dass die Vergütungen von einem Arbeitgeber oder für einen Arbeitgeber gezahlt werden, der nicht im anderen Vertragsstaat (hier Deutschland) ansässig ist.
18 An dieser Voraussetzung fehlt es im Streitfall. Denn die ausländischen Betriebsstätten kommen, wie das FG zutreffend entschieden hat, nicht als Arbeitgeberinnen im Sinne des einschlägigen Abkommensrechts in Betracht.
19 aa) Nach Art. 31 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom —WÜRV— (BGBl II 1985, 927), in innerstaatliches Recht transformiert seit Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes vom (BGBl II 1985, 926) am (BGBl II 1987, 757), ist ein völkerrechtlicher Vertrag „nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen“. Maßgeblich sind insbesondere der Wortlaut des Vertrags (Art. 31 Abs. 2 WÜRV) und die gewöhnliche Bedeutung der verwendeten Ausdrücke. Dementsprechend sind abkommensrechtliche Begriffe zunächst nach dem Wortlaut und den Definitionen des Abkommens und sodann nach dem Sinn und dem Vorschriftenzusammenhang innerhalb des Abkommens auszulegen. Auf die Begriffsbestimmungen des innerstaatlichen Rechts ist grundsätzlich erst auf einer nachgelagerten Prüfungsebene zurückzugreifen (, BFHE 274, 18, BStBl II 2022, 250, Rz 16, m.w.N.; , BFHE 283, 94, Rz 36).
20 bb) (1) In Art. 3 Abs. 1 DBA-Großbritannien 2010/2014, DBA-Schweden 1992, DBA-Australien 2015, DBA-Kanada 2001 und DBA-Italien 1989 findet sich keine Definition des Arbeitgeberbegriffs für Zwecke des Abkommens. Nach Art. 3 Abs. 2 DBA-Großbritannien 2010/2014, DBA-Schweden 1992, DBA-Australien 2015, DBA-Kanada 2001 und DBA-Italien 1989 kann in einem solchen Fall, wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert, auf das Recht des Anwendungsstaats (hier Deutschland) zurückgegriffen werden.
21 (2) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann Arbeitgeber im Sinne des Abkommensrechts —anders als grundsätzlich im nationalen (Lohn-)Steuerrecht (s. , BFHE 190, 74, BStBl II 2000, 41)— nicht nur der zivilrechtliche Arbeitgeber, sondern auch eine andere natürliche oder juristische Person sein, die die Vergütung für die ihr geleistete nichtselbständige Arbeit wirtschaftlich trägt (, BFHE 146, 141, BStBl II 1986, 442, betreffend DBA-Schweden 1992; vom - I R 28/99, BFHE 191, 325, BStBl II 2002, 238, betreffend DBA-Belgien 1967 und vom - I R 46/03, BFHE 209, 241, BStBl II 2005, 547, betreffend DBA-Spanien 1966).
22 Die ausländischen Zweigniederlassungen der Klägerin sind jedoch keine (juristischen) Personen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. d DBA-Großbritannien 2010/2014, DBA-Schweden 1992, DBA-Australien 2015, DBA-Kanada 2001 und DBA-Italien 1989. Eine solche ist nach Art. 1 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 allein die Klägerin selbst.
23 Die ausländischen Zweigniederlassungen sind lediglich Betriebsstätten der Klägerin im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Buchst. b DBA-Großbritannien 2010/2014, DBA-Schweden 1992, DBA-Australien 2015, DBA-Kanada 2001 und DBA-Italien 1989.
24 (3) Eine Betriebsstätte kann aber, wie das FG zutreffend entschieden hat, bereits dem Grunde nach nicht Arbeitgeber im Sinne des Abkommensrechts sein.
25 Abkommensrechtlich kommt als Arbeitgeber nur eine Person in Betracht, die im Sinne des entsprechenden Abkommens die Fähigkeit besitzt, in einem der beiden Vertragsstaaten ansässig zu sein. Eine Betriebsstätte kann jedoch nicht ansässig sein, weshalb die inländische Betriebsstätte einer im Ausland ansässigen Person auch nicht Arbeitgeber sein kann (z.B. , BFHE 146, 136, BStBl II 1986, 513, unter II.4.a, betreffend DBA-Frankreich 1959; vom - I R 109/85, BFHE 146, 141, BStBl II 1986, 442, unter II.5.b, betreffend DBA-Schweden 1959; Senatsurteil vom - VI R 31/21, BStBl II 2024, 646, Rz 29 ff., betreffend DBA-Griechenland 1966).
26 (a) Dies folgt schon aus dem Wortlaut von Art. 14 Abs. 2 Buchst. c DBA-Großbritannien 2010/2014, DBA-Australien 2015; Art. 15 Abs. 2 Buchst. c DBA-Schweden 1992, DBA-Kanada 2001 und DBA-Italien 1989, der ausschließt, den abkommensrechtlichen Arbeitgeberbegriff mit dem Begriff der Betriebsstätte gleichzusetzen. Denn die dortige Formulierung, wonach die Vergütung von einer Betriebsstätte getragen beziehungsweise von ihrem Gewinn abgezogen werden muss, die der Arbeitgeber im anderen Staat hat, macht hinreichend deutlich, dass zwischen dem Arbeitgeber und der Betriebsstätte zu unterscheiden ist (ähnlich bereits , BFHE 144, 428, BStBl II 1986, 4).
27 (b) Anders als die Klägerin meint, knüpfen Art. 14 Abs. 2 Buchst. b DBA-Großbritannien 2010/2014, DBA-Australien 2015; Art. 15 Abs. 2 Buchst. b DBA-Schweden 1992, DBA-Kanada 2001 und DBA-Italien 1989 für die Arbeitgebereigenschaft an die Fähigkeit zur Ansässigkeit unbeschadet des Umstands an, dass die Ansässigkeit als negatives Tatbestandsmerkmal („nicht im anderen Staat ansässig ist“) formuliert ist. Denn fehlt dem Arbeitgeber überhaupt die Fähigkeit, ansässig sein zu können, wäre der letzte Halbsatz der vorgenannten Bestimmungen obsolet, weil er immer erfüllt wäre. Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass die Parteien einer Vielzahl von DBA, die insoweit auch Art. 15 Abs. 2 Buchst. b des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) zur Vermeidung der Doppelbesteuerung sowie der Steuerverkürzung und -umgehung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen 2017 (OECD-Musterabkommen —OECD-MustAbk—) entsprechen, eine von vornherein überflüssige Regelung vereinbart haben.
28 (c) Aus dem Begriff des wirtschaftlichen Arbeitgebers ergibt sich abkommensrechtlich insoweit nichts anderes. Denn die Klägerin ist als einzige Arbeitgeberin der im In- und im Ausland wohnhaften Arbeitnehmer nicht nur zivilrechtliche, sondern gleichzeitig auch wirtschaftliche Arbeitgeberin. Außer der Klägerin gibt es keine (andere) Person, die den Arbeitslohn der in das Inland entsandten ausländischen Arbeitnehmer wirtschaftlich trägt.
29 (d) Dieser Auslegung steht auch der sogenannte Authorised OECD Approach (AOA) nicht entgegen. Den AOA hat die OECD erstmals im OECD-Betriebsstättenbericht 2008 als Konzept zur Auslegung der Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte für Zwecke der Gewinnabgrenzung eingeführt und ab dem Jahr 2010 in das OECD-Musterabkommen übernommen. Nach diesen Grundsätzen wird die Betriebsstätte (ausschließlich) für Zwecke der Zurechnung von Unternehmensgewinnen im Sinne des Art. 7 OECD-MustAbk fiktiv als selbständiges und unabhängiges Unternehmen behandelt (Reinhold in: Gosch/Kroppen/Grotherr/Kraft, DBA, Art. 15 OECD-MA Rz 194; Haase in: Haase, AStG/DBA, Art. 15 OECD-MA Rz 182). Der AOA ist mithin ohne Einfluss auf die tatsächliche Arbeitgebereigenschaft. Daher ist es auch ohne Bedeutung, ob der AOA im entsprechenden Abkommen bereits umgesetzt wurde (so im Ergebnis auch , BStBl I 2018, 643, Rz 186).
30 (e) Auch soweit in Art. 14 Abs. 2 Buchst. b und c DBA-Großbritannien 2010/2014, DBA-Australien 2015; Art. 15 Abs. 2 Buchst. b und c DBA-Schweden 1992, DBA-Kanada 2001 und DBA-Italien 1989 eine Korrespondenz zwischen der Minderung des Steuersubstrats im Tätigkeitsstaat durch den Abzug der Löhne als Betriebsausgaben und dem Besteuerungsrecht angelegt ist, gilt diese nicht absolut (Haase, Internationales Steuerrecht —IStR— 2014, 237 f.; Dziurdz, IStR 2014, 876, 877 f.; Peter, IStR 1999, 456, 458; Vogel, Betriebs-Berater 1978, 1021, 1024 f.; a.A. Vogler/Nientimp, IStR 2014, 427, 433). Insbesondere hängt die grundsätzliche Aufteilung des Besteuerungsrechts von Löhnen nicht von der Abzugsfähigkeit der Löhne ab. Auch im Wortlaut der einschlägigen DBA hat dies keinen Niederschlag gefunden (Dziurdz, IStR 2014, 876, 878; Haase, IStR 2014, 237 f.).
31 (f) Angesichts des eindeutigen Wortlauts und der Systematik der im Streitfall einschlägigen DBA kommt auch keine Einschränkung der inländischen Lohnbesteuerung aus Verwaltungsvereinfachungs- und Praktikabilitätserwägungen in Betracht (a.A. Ziesecke/Riehle/Muscheites, Deutsches Steuerrecht 2015, 969, 976).
32 5. Diese Auslegung des abkommensrechtlichen Arbeitgeberbegriffs verstößt nicht gegen Unionsrecht.
33 a) Ein Verstoß gegen die durch Art. 49, 54 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gewährleistete Niederlassungsfreiheit liegt nicht vor.
34 aa) Die Niederlassungsfreiheit erfasst nach Art. 49 Abs. 1 Satz 1 und 2 AEUV auch die Gründung einer Zweigniederlassung, mithin einer Betriebsstätte, im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats. Art. 54 Abs. 1 AEUV erweitert diesen Schutz auf nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründete Gesellschaften.
35 bb) Eine Diskriminierung des grenzüberschreitenden Sachverhalts gegenüber dem reinen Inlandssachverhalt liegt nicht vor. Denn das Stammhaus müsste auch für Arbeitnehmer einer inländischen Betriebsstätte die Lohnsteuer berechnen und abführen.
36 cc) Ein Verstoß gegen die von der Niederlassungsfreiheit erfassten Rechtsformwahlfreiheit liegt ebenfalls nicht vor.
37 (1) Ein solcher Verstoß kann nicht damit begründet werden, das Stammhaus sei nicht nur mit erhöhtem administrativem Aufwand, sondern auch tatsächlich mit der Lohnsteuer belastet. Denn die Betriebsstätte als Teil des Unternehmens bildet mit dem Stammhaus eine Einheit.
38 (2) Eine Verletzung der Rechtsformwahlfreiheit ist ebenfalls nicht darin zu sehen, dass es für eine inländische Gesellschaft aufgrund des erhöhten Verwaltungsaufwands im Zusammenhang mit der Berechnung der Lohnsteuer für Mitarbeiter einer ausländischen Betriebsstätte weniger attraktiv sei, über eine solche anstatt über eine ausländische Tochtergesellschaft tätig zu werden.
39 (a) Zwar hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entschieden, dass ein Mitgliedstaat es einer Gesellschaft zu ermöglichen hat, Zweigniederlassungen in einem anderen Mitgliedstaat zu eröffnen, um ihre Tätigkeit dort unter den gleichen Bedingungen auszuüben, wie sie für Tochtergesellschaften gelten (EuGH-Urteile CLT-UFA vom - C-253/03, EU:C:2006:129, Rz 14 und Philips Electronics UK vom - C-18/11, EU:C:2012:532, Rz 14).
40 Ein Verstoß scheitert aber bereits daran, dass in einer Konstellation wie der vorliegenden (Personen-)Gesellschaften und Betriebsstätten schon dem Grunde nach aufgrund der (Teil-)Rechtsfähigkeit der Gesellschaften nicht vergleichbar sind. So geht auch der EuGH nicht pauschal von einer Vergleichbarkeit von Betriebsstätten und Gesellschaften aus (EuGH-Urteil Saint Gobain ZN vom - C-307/97, EU:C:1999:438, Rz 48 f.; ähnlich auch EuGH-Urteil Kommission/Frankreich vom - C-270/83, EU:C:1986:37, Rz 20). Vielmehr kommt es auf Sinn und Zweck der Regelung im jeweiligen Einzelfall an (EuGH-Urteil Philips Electronics UK vom - C-18/11, EU:C:2012:532, Rz 17).
41 Insbesondere hat der EuGH im Fall X Holding ausgeführt, dass sich ausländische Betriebsstätten und ausländische Tochtergesellschaften im Hinblick auf die Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse bezüglich der Unternehmensgewinne im Sinne des Art. 7 Abs. 1 DBA-Niederlande-Belgien 2001 nicht in einer vergleichbaren Situation befinden. Auch vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Rechtsformwahlfreiheit steht es den Mitgliedstaaten vielmehr frei, Bedingungen und Höhe der Besteuerung verschiedener ausländischer Niederlassungsformen von inländischen Gesellschaften festzulegen, sofern es zu keiner Diskriminierung gegenüber vergleichbaren inländischen Niederlassungen komme (EuGH-Urteil X Holding vom - C-337/08, EU:C:2010:89, Rz 38 und 40).
42 Vor diesem Hintergrund liegt es im Ermessen der Mitgliedstaaten, ihre Besteuerungsbefugnisse —auch durch entsprechende Auslegung des Arbeitgeberbegriffs— im Hinblick darauf aufzuteilen, ob es sich bei den Niederlassungsformen um selbständige Rechtspersonen handelt oder nicht. Für die Aufteilung der Besteuerungsrechte im Rahmen der nichtselbständigen Einkünfte kann dabei nichts anderes gelten als bei den Unternehmenseinkünften, zumal vorliegend keine Diskriminierung gegenüber inländischen Niederlassungen erfolgt.
43 (b) Dem steht auch der (Der Betrieb 2005, 1855, unter B.I.) nicht entgegen. Denn dort ging es nicht um die grundsätzliche Rechtsfähigkeit einer Zweigniederlassung beziehungsweise Betriebsstätte, sondern darum, ob eine eingetragene Zweigniederlassung einer ausländischen Gesellschaft im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren beteiligtenfähig ist.
44 (c) Hinzu kommt, dass der monierte Verwaltungsaufwand lediglich die Tätigkeitsausübung berührt. Anders als im Falle einer marktzugangsbeschränkenden Maßnahme (EuGH-Urteile Kommission/Italien vom - C-518/06, EU:C:2009:270, Rz 64; Kommission/Spanien vom - C-400/08, EU:C:2011:172, Rz 64; Kommission/Italien vom - C-565/08, EU:C:2011:188, Rz 46 und DKV Belgium vom - C-577/11, EU:C:2013:146, Rz 33) ist bei einer solchen marktverhaltensbezogenen Maßnahme (Calliess/Ruffert/Korte, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 49, Rz 63), die weder die Gründung noch die spätere Niederlassung einer Gesellschaft betrifft (EuGH-Urteil Kornhaas vom - C-594/14, EU:C:2015:806, Rz 28), nicht von einer Beschränkung auszugehen.
45 b) Auch ein Verstoß gegen die durch Art. 45 AEUV gewährleistete Arbeitnehmerfreizügigkeit ist nicht ersichtlich.
46 Aus dem Vorbringen der Klägerin, es sei für Arbeitnehmer, die in einem anderen Mitgliedstaat bei einer Betriebsstätte tätig werden, weniger attraktiv, nach Deutschland zu reisen, als wenn sie bei einer Tochtergesellschaft der Klägerin im jeweiligen Mitgliedstaat tätig wären, lässt sich keine Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ableiten. Denn unabhängig davon, dass schon zweifelhaft ist, ob die Grundsätze der Rechtsformwahlfreiheit überhaupt im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit berücksichtigt werden können, scheitert ein Verstoß —wie vorstehend dargelegt— bereits an der mangelnden Vergleichbarkeit von Tochtergesellschaft und Betriebsstätte.
47 6. Schließlich liegt auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht vor.
48 Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. hierzu z.B. , BVerfGE 124, 251, Rz 34, m.w.N.). Die Situation einer inländischen Gesellschaft mit ausländischer Betriebsstätte und einer solchen mit ausländischer Tochtergesellschaft ist aus Sicht des nationalen Rechts aber bereits aus dem Grund nicht vergleichbar, da einer Betriebsstätte keine selbständige Rechtspersönlichkeit zukommt und Einkünfte einer Betriebsstätte grundsätzlich anders als solche von Tochtergesellschaften besteuert werden.
49 7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2024:U.121224.VIR26.22.0
Fundstelle(n):
SAAAJ-89808