Sozialgerichtliches Verfahren - Versagungsbescheid wegen fehlender Mitwirkung - zulässige Klageart - Anfechtungsklage - Unzulässigkeit einer kombinierten Verpflichtungs- oder Feststellungsklage - Ausnahmekonstellation - isolierte Feststellungsklage - effektiver Rechtsschutz
Gesetze: § 54 SGG, § 55 SGG, § 88 SGG, § 66 Abs 1 SGB 1, § 9 Abs 1 SGB 7, Art 19 Abs 4 GG, Art 20 Abs 2 S 2 GG
Instanzenzug: Az: S 68 U 26/18 Urteilvorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 3 U 36/21 Urteil
Tatbestand
1Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Feststellung der Berufskrankheit Nr 2101 (BK 2101) der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) hat.
2Die Klägerin war an einem Bildschirmarbeitsplatz mit Dateneingabe befasst. Wegen anhaltender Armbeschwerden rechts zeigte der sie betreuende Facharzt für Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin F den Verdacht auf eine BK 2101 an (bis zum "Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnenscheidengewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können"; seit dem "Schwere oder wiederholt rückfällige Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- und Muskelansätze").
3Die Beklagte holte auf Wunsch der Klägerin eine gutachtliche Stellungnahme des Arztes F ein, der die medizinischen Voraussetzungen der BK 2101 für gegeben hielt. Wegen beratungsärztlicher Zweifel leitete die Beklagte ein Gutachterauswahlverfahren ein. Da die Klägerin keinen benannten Gutachter auswählte, legte ihr die Beklagte unter Hinweis auf die Mitwirkungspflichten dar, dass die Begutachtung durch einen erfahrenen Facharzt erforderlich sei. Die Klägerin vertrat den Standpunkt, sie habe sich bereits einer Begutachtung unterzogen. Die Beklagte lehnte es daraufhin bis zur Nachholung der Mitwirkung ab, die BK 2101 anzuerkennen (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ).
4Diese Bescheide hat das SG aufgehoben und die auf Feststellung der BK 2101 gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom ). Die Berufung der Klägerin gegen die Klageabweisung hat das LSG zurückgewiesen (Urteil vom ): Die Feststellungsklage sei unzulässig. In Fällen der Versagung könne die kombinierte Anfechtungs- und Leistungs- bzw Verpflichtungsklage zwar ausnahmsweise zulässig sein, wenn die Leistungsvoraussetzungen zwischen den Beteiligten unstreitig seien. Anders als dies die höchstrichterliche Rechtsprechung nahelege, reiche es aber nicht, wenn die Klägerin ihr Vorliegen - wie hier - lediglich behaupte.
5Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen (§§ 54, 55 SGG) und materiellen Rechts (§ 9 Abs 1 SGB VII iVm BK 2101). Für die Zulässigkeit der Feststellungsklage genüge es, das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen zu behaupten. Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungs- bzw Leistungsklage sei zulässig, wenn tatsächliche Ermittlungen durchgeführt worden seien, interne Teilentscheidungen der Behörde vorlägen oder nach Beweislastgrundsätzen entschieden werden könne. Die Beklagte sei hier nicht gehindert, eine Entscheidung in der Sache zu treffen, die kraft Gesetzes zum Gegenstand des Verfahrens würde. Im Übrigen könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Beklagte nochmals eine Versagungsentscheidung wegen fehlender Mitwirkung treffe.
6Die Klägerin beantragt,die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom und Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom zu verpflichten, bei ihr eine Berufskrankheit Nr 2101 der Anlage 1 zur BKV festzustellen.
7Die Beklagte beantragt,die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
8Die Beklagte pflichtet dem angefochtenen Urteil bei. Sobald das Revisionsverfahren beendet sei, werde sie das Verwaltungsverfahren zur Feststellung der BK 2101 wieder aufnehmen und entscheiden, ob die Erkrankung als BK anzuerkennen sei.
Gründe
9Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen den klageabweisenden Teil im erstinstanzlichen Urteil zu Recht zurückgewiesen. Denn das SG hat die ursprünglich erhobene Klage, die BK 2101 gerichtlich festzustellen, zutreffend als unzulässig abgewiesen. Soweit es zugleich den (Versagungs-)Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom (§ 95 SGG) auf die (isolierte) Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Var 1 SGG) aufgehoben hat, ist dieser zusprechende Teil des erstinstanzlichen Urteils rechtskräftig geworden, weil die Beklagte keine (Anschluss-)Berufung eingelegt hat (§ 141 Abs 1 Nr 1, § 202 Satz 1 SGG iVm § 705 ZPO).
10Die Klägerin durfte bei dem Streit über die Feststellung eines Versicherungsfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 7 Abs 1 SGB VII) auch noch im Revisionsverfahren zulässigerweise von der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage auf die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage übergehen, weil es sich dabei um eine bloße Antragsänderung bei gleichbleibendem Klagegrund handelt und dies gemäß § 99 Abs 3 Nr 2 SGG keine im Revisionsverfahren nach § 168 Satz 1 SGG ausgeschlossene Klageänderung darstellt ( - BSGE 136, 174 = SozR 4-2700 § 2 Nr 63, RdNr 7, vom - B 2 U 13/20 R - BSGE 134, 109 = SozR 4-2700 § 3 Nr 3, RdNr 11 und vom - B 2 U 1/17 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 42 RdNr 8 mwN). Dennoch ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (dazu 1.) ebenso unzulässig wie es die ursprünglich erhobene kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage war (dazu 2.). Die Klägerin kann die Bescheidung ihres Feststellungsbegehrens auch nicht im Wege der Untätigkeitsklage erreichen (dazu 3.).
111. Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Var 1 und 3, § 56 SGG), mit der die Beklagte verpflichtet werden soll, die BK 2101 behördlich festzustellen, ist unzulässig. Denn es fehlt der grundsätzlich erforderliche Ablehnungsverwaltungsakt (dazu a). Eine Konstellation, in der hiervon ausnahmsweise abgesehen werden kann, liegt nicht vor (dazu b).
12a) Die Verpflichtungsklage setzt nach § 54 Abs 1 Satz 1 Var 3 SGG einen ablehnenden Verwaltungsakt (§ 31 Satz 1 SGB X) voraus, dh eine endgültige Verneinung des geltend gemachten (Feststellungs-)Anspruchs in der Sache durch die zuständige Ausgangsbehörde. Eine solche Regelung enthält der angefochtene Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom nicht.
13Dieser trifft nur eine Entscheidung darüber, dass der Anspruch auf Feststellung der BK 2101 wegen fehlender Mitwirkung einstweilen nicht besteht, wie dessen Auslegung ergibt (§§ 133, 157 BGB entsprechend), die auch dem Revisionsgericht obliegt ( - SozR 4-2700 § 2 Nr 62 RdNr 44, vom - B 2 U 12/20 R - BSGE 133, 172 = SozR 4-2700 § 180 Nr 2, vom - B 2 U 7/19 R - BSGE 131, 297 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4115 Nr 1, RdNr 25 und vom - B 5 RE 4/14 R - juris RdNr 12 mwN). Es kann offenbleiben, ob sich die Beklagte dabei überhaupt auf § 66 Abs 1 Satz 1 SGB I stützen und die Feststellung der BK 2101 versagen durfte, obwohl sich die Vorschrift ausdrücklich (§ 31 SGB I) nur auf "Sozialleistungen" (§ 11 SGB I) und gerade nicht auf Feststellungen bezieht (zweifelnd für die Feststellung der Familienversicherung - BSGE 132, 245 = SozR 4-2500 § 19 Nr 3, RdNr 31; bejahend für die GdB-Feststellung - SozR 4-1200 § 66 Nr 8 RdNr 18 und vom - B 9 SB 3/13 R - SozR 4-1200 § 66 Nr 7 RdNr 27 f). Denn selbst wenn die Feststellung eines Versicherungsfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung rechtmäßig versagt werden könnte, wäre dies nur eine rein verfahrensrechtliche Entscheidung (dazu aa) mit Vorläufigkeitscharakter (dazu bb) und damit keine endgültige Verneinung des geltend gemachten (Feststellungs-)Anspruchs in der Sache, wie dies § 54 Abs 1 Satz 1 Var 3 SGG erfordert.
14aa) Die Versagung der BK 2101 ist keine Entscheidung ("in der Sache") über die Voraussetzungen des Feststellungsanspruchs selbst, also keine materielle Ablehnung (vgl - juris RdNr 21), sondern nur eine Entscheidung über Rechte und Pflichten der Beteiligten im Verwaltungsverfahren (vgl - SozR 4-2500 § 13 Nr 47 RdNr 11 mwN) bzw über die Verletzung einer Mitwirkungsobliegenheit nach §§ 60 - 62, 65 SGB I (vgl BH - juris RdNr 4; - BSGE 76, 16, 20 = SozR 3-1200 § 66 Nr 3 S 8). Denn eine Versagung setzt ja gerade voraus, dass noch nicht über den Anspruch entschieden werden kann (vgl § 66 Abs 1 Satz 1 SGB I aE). Demgegenüber ergeht eine ablehnende Entscheidung in der Sache, wenn die Anspruchsvoraussetzungen fehlen, entweder aufgrund Beweiswürdigung oder nach einer Beweislastentscheidung ( - BSGE 132, 245 = SozR 4-2500 § 10 Nr 13, RdNr 28). Folglich ist die Versagung nach § 66 SGB I schon ihrem Wesen nach eine andere Entscheidung (aliud) als die Ablehnung eines Anspruchs ( - juris RdNr 20).
15bb) Zudem ist die Versagung nur als Entscheidung bis zur Nachholung der Mitwirkung konzipiert. Diese wirkt als Schranke der Sachentscheidung, denn bei Nachholung der Mitwirkung können gemäß § 67 SGB I Leistungen nachgezahlt werden, wobei die Nachholung weder eine auflösende Bedingung (im Sinne des § 32 Abs 2 Nr 2 SGB X) ist noch eine Erledigung des Versagungsverwaltungsaktes auf andere Weise (§ 39 Abs 2 SGB X) bewirkt (vgl für eine Entziehung nach § 66 Abs 1 SGB I bereits - BSGE 76, 16, 27 = SozR 3-1200 § 66 Nr 3 S 15 f). Anders als eine Leistungsablehnung aus sachlichen Gründen beendet die Versagungsentscheidung das Verwaltungsverfahren nicht in der Sache. Stattdessen wird es mit der Möglichkeit der nachträglichen Bewilligung von Amts wegen wieder in Gang gesetzt, wenn die unterlassene Mitwirkung nachgeholt (oder der Verwaltungsakt aufgehoben) wird ( - SozR 4-1200 § 66 Nr 1 RdNr 29). Demgegenüber beendet eine materielle Ablehnung das Verwaltungsverfahren endgültig und hat daher auch weiterreichende Bindungswirkung als die Versagung ( - BSGE 132, 245 = SozR 4-2500 § 10 Nr 13, RdNr 30 und vom - B 9 SB 3/13 R - SozR 4-1200 § 66 Nr 7 RdNr 27).
16b) Es liegt keine Ausnahmekonstellation vor, in der mit der Anfechtungsklage gegen einen versagenden Verwaltungsakt eine Verpflichtungsklage auf die in der Sache begehrte Verwaltungsentscheidung kombiniert werden kann. Dies ist weder aus Gründen der Prozessökonomie und des effektiven Rechtsschutzes geboten (dazu aa) noch wird über existenzsichernde Leistungen gestritten (dazu bb).
17aa) Sind die (materiell-rechtlichen) Anspruchsvoraussetzungen anderweitig nachgewiesen, muss die Behörde sachlich über den Anspruch (im Sinne einer Bewilligung) entscheiden, sodass für eine Versagung von vornherein kein Raum bleibt ( - BVerwGE 71, 8 = juris RdNr 16). In solchen Fällen wäre es nicht prozessökonomisch und aus Gründen der Rechtschutzgarantie (Art 19 Abs 4 GG) auch nicht vertretbar, lediglich die Versagung mit der Begründung aufzuheben, die Leistungsvoraussetzungen seien nachgewiesen, und den Versicherten im Übrigen auf ein neu in Gang zu setzendes Verfahren zu verweisen. Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungs- bzw Verpflichtungsklage ist insoweit bereits für zulässig erachtet worden, wenn die Anspruchsvoraussetzungen zwischen den Beteiligten unstreitig sind oder die Klägerin ihr Vorliegen zumindest "behauptet" ( - BSGE 132, 245 = SozR 4-2500 § 10 Nr 13, RdNr 11, vom - B 4 AS 78/08 R - BSGE 104, 26 = SozR 4-1200 § 66 Nr 5, RdNr 14, vom - B 1 KR 4/02 R - SozR 4-1200 § 66 Nr 1 RdNr 12 und grundlegend vom - 3 RK 11/87 - juris RdNr 21; offengelassen in - SozR 1200 § 66 Nr 13 = juris RdNr 12). Dabei setzt ein "Behaupten" ein hohes Maß an Substantiierung der Anspruchsvoraussetzungen voraus (vgl bereits - juris RdNr 21: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für einen Krankengeldanspruch, positives gerichtliches Sachverständigengutachten, keine Einwände der Beklagten). Der bloße - ggf prozesstaktisch motivierte - Vortrag, die Anspruchsvoraussetzungen seien erfüllt, genügt nicht. Der Begriff hat hier nicht denselben Gehalt wie in § 54 Abs 1 Satz 2 SGG, wonach es für die Klagebefugnis und den damit bezweckten Ausschluss von Popularklagen ausreicht, dass die Klägerin durch den Verwaltungsakt möglicherweise beschwert ist. Derart geringe Anforderungen an den Substantiierungsgrad wären im vorliegenden Kontext mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz (Art 20 Abs 2 Satz 2 GG, § 1 SGG) unvereinbar. Dieser fordert grundsätzlich eine Erstentscheidung durch Verwaltungsakt. Denn die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind allein dazu berufen, Verwaltungshandeln zu kontrollieren ( - SozR 4-1500 § 160a Nr 13 RdNr 15; Berchtold in ders/Karmanski/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 3. Aufl 2024, § 6 RdNr 374). Vor diesem Hintergrund lassen sich Ausnahmen von der Notwendigkeit einer Verwaltungsentscheidung allenfalls mit dem bereits geführten Nachweis der Leistungsvoraussetzungen rechtfertigen, weil dann dem Gebot effektiven Rechtschutzes (Art 19 Abs 4 GG) Vorrang vor dem Prinzip der Gewaltenteilung (Art 20 Abs 2 Satz 2 GG) einzuräumen ist. Sind aber zwischen den Beteiligten bereits Vorfragen streitig und die Anspruchsvoraussetzungen insgesamt ungeklärt, kann auf die Durchführung eines vorangehenden Verwaltungsverfahrens zur Klärung sämtlicher Anspruchsvoraussetzungen nicht verzichtet werden.
18Hier sind weder die Voraussetzungen zur Feststellung der BK 2101 hinreichend deutlich dargetan noch sind sie zwischen den Beteiligten unstreitig. Nach den bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG sind zumindest die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen der BK 2101 umstritten und zudem ungeklärt. Es ist bereits nicht ersichtlich, an welcher Erkrankung die Klägerin Anfang Dezember 2013 litt und daher auch nicht, ob es sich überhaupt um eine Erkrankung der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes oder der Sehnen- und Muskelansätze handelt. Dazu hat das LSG festgestellt, dass das bei der Klägerin operierte Gangliom gerade keine Erkrankung ist, die unter die BK 2101 fällt (ebenso Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und BK, 10. Aufl 2024, S 1371). Zumindest offen ist auch die Belastungskonformität von Schadensmanifestation und Erkrankungsverlauf, weil die Klägerin die in Rede stehende Tätigkeit bereits seit 2006 ausübt und es offenbar erstmals im Dezember 2013 zu der Erkrankung gekommen ist, die sie als BK 2101 geltend macht (vgl zu begründeten Zweifeln am Kausalzusammenhang bei einem langen zeitlichen Intervall zwischen Aufnahme der Tätigkeit mit entsprechender Beanspruchung und dem Auftreten von Beschwerden Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und BK, 10. Aufl 2024, S 1374). Zudem ist nicht geklärt, ob die Klägerin für die Zeit bis zum den Unterlassungszwang erfüllt hat und ob für die Zeit danach eine "schwere oder wiederholt rückfällige Erkrankung" vorliegt. Schließlich hat das LSG Widersprüche in den Aussagen des behandelnden Arztes und Verwaltungsgutachters F festgestellt.
19bb) Auch eine Ausnahmekonstellation wegen existenzsichernden Leistungen liegt nicht vor. Bei der Versagung derartiger Leistungen nach dem SGB II ist die Zulässigkeit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) erwogen worden, wenn sich nach der Aufhebung der Versagung das bisherige Verwaltungsverfahren lediglich wiederholen würde ( - BSGE 104, 26 = SozR 4-1200 § 66 Nr 5, RdNr 16). Hier geht es indes nicht um existenzielle oder damit vergleichbare Leistungen.
202. Eine mit der Anfechtungsklage verbundene (§ 56 SGG) Feststellungsklage (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG) auf gerichtliche Feststellung der BK 2101 wäre ebenfalls unzulässig, weil auch darüber vorher prinzipiell in der Sache durch Verwaltungsakt hätte entschieden werden müssen. Denn das Interesse gerade an der gerichtlichen Feststellung ist grundsätzlich erst "berechtigt", nachdem sich der Versicherte an den Unfallversicherungsträger gewandt und ihm Gelegenheit gegeben hat, das (Nicht-)Vorliegen des Versicherungsfalls behördlich festzustellen, weil dies in der Regel der einfachste, schnellste und prozessökonomischste Weg ist, um eine rasche und verbindliche Klärung zu erlangen. Lehnt der Träger es ab, den Versicherungsfall behördlich festzustellen und wurde das Vorverfahren erfolglos durchgeführt (§ 78 Abs 1 Satz 1 SGG), kann gegen den Ausgangsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids (§ 95 SGG) zulässigerweise Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Var 1 SGG) erhoben werden, die mit der Feststellungklage (§ 55 Abs 1 Nr 1 SGG) zu kombinieren (§ 56 SGG) ist (siehe für die Feststellung der Folge eines Versicherungsfalls - juris RdNr 8; vgl bereits - SozR 4-1500 § 55 Nr 4 RdNr 8).Da der Versagungsbescheid keine materiell-rechtliche Entscheidung über die Feststellung eines Versicherungsfalls enthält, fehlt eine Ausgangsentscheidung, die in der Regel zur Annahme des Feststellungsinteresses erforderlich ist.
21Die Feststellungsklage kann mithin nur zulässig sein, wenn sie isoliert möglich wäre. Auch dies wäre hier nicht der Fall. Ausnahmen von der Notwendigkeit einer Ausgangsentscheidung für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage sind anerkannt, wenn es Klägern nicht zuzumuten ist, die Entscheidung der Behörde abzuwarten ( - SozR 3-2940 § 7 Nr 2 S 4) oder die Behörde besonderen Anlass zur sofortigen Klageerhebung gegeben hat ( - BSGE 58, 150, 151 = SozR 1500 § 55 Nr 27 = juris RdNr 8), was beides der Fall ist, wenn die Behörde den Feststellungsantrag ignoriert, außerdem wenn in einem Bescheid zumindest der Rechtsschein einer negativen Feststellung gesetzt ist ( - juris RdNr 9) und auch dann, wenn das Abwarten eines Verwaltungsakts reine Förmelei wäre ( - SozR 4-2500 § 87b Nr 29 RdNr 15 mwN). Keine dieser Konstellationen liegt hier vor.
22Weder ist der Klägerin ein Abwarten auf eine Sachentscheidung unzumutbar noch hat die Beklagte Anlass zur Erhebung einer Feststellungsklage gegeben. Denn das förmliche Verfahren des § 66 SGB I eröffnet der Beklagten gerade die Möglichkeit, den Leistungsberechtigten zur Mitwirkung heranzuziehen und entbindet sie insofern zunächst von weiteren Ermittlungen (§ 20 SGB X) und einer Entscheidung in der Sache.
23Die Beklagte hat in dem angegriffenen Bescheid auch nicht den Rechtsschein einer negativen Feststellung gesetzt. Die Formulierung, dass die Anerkennung einer etwaigen BK 2101 aufgrund fehlender Mitwirkung im Verwaltungsverfahren bis zur Nachholung der Mitwirkung abgelehnt wird, kann aus dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB entsprechend) nicht als Sachentscheidung über die Nichtanerkennung der BK 2101 verstanden werden. Die Klägerin trägt Entsprechendes auch nicht vor, sondern geht gerade davon aus, dass eine solche Sachentscheidung nicht getroffen wurde.
24Der Erlass eines Verwaltungsaktes über das Vorliegen der BK 2101 ist keine bloße Förmelei. Die Beklagte hat die arbeitstechnischen und insbesondere arbeitsmedizinischen Voraussetzungen noch nicht hinreichend ermittelt und wird dies nachzuholen haben, um anschließend nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten über das Vorliegen der BK 2101 durch Verwaltungsakt zu entscheiden.
253. Schließlich hätte die Klägerin eine Verpflichtung der Beklagten zur Entscheidung über das Vorliegen der BK 2101 nicht mit einer Untätigkeitsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Var 4, § 88 Abs 1 SGG) erreichen können, die sie erstinstanzlich erhoben und dann konkludent zurückgenommen hat. Denn gemäß § 131 Abs 3 SGG könnte das Gericht lediglich die Verpflichtung aussprechen, die Klägerin unter Beachtung seiner Rechtsauffassung zu bescheiden. Im Übrigen gilt, dass die Verletzung einer Mitwirkungsobliegenheit zwar kein zureichender Grund für eine unterlassene Bescheidung im Sinne des § 88 SGG ist ( - BSGE 75, 56, 59 = SozR 3-1500 § 88 Nr 2 S 14 f). Diesen Bescheidungsanspruch der Klägerin hat die Beklagte indes mit ihrer Versagungsentscheidung erfüllt, auch wenn § 88 SGG nach seinem Wortlaut darauf abstellt, dass ein Antrag "sachlich nicht beschieden" ist. Denn nach der Rechtsprechung des BSG liegt in einem Versagungsbescheid eine Bescheidung im Sinne des § 88 Abs 1 SGG, weil der Bescheidungsanspruch nur auf "Bescheidung schlechthin" gerichtet ist ( BH - juris RdNr 10).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2024:031224UB2U922R0
Fundstelle(n):
LAAAJ-89790