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BSG Beschluss v. - B 11 AL 32/24 B

Gründe

1I. Im der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Verfahren begehrt die Klägerin den Erlass einer Erstattungsforderung wegen überzahlter Leistungen nach dem SGB Ill. Nachdem der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von PKH für das von ihr eingeleitete Berufungsverfahren abgelehnt worden war (Beschluss vom ), hat die Klägerin das Ruhen des Verfahrens beantragt, da mangels Bewilligung von PKH bislang kein neuer Rechtsanwalt habe beigeordnet werden können. Das LSG hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass Gründe für ein Ruhen des Verfahrens nicht vorlägen und es ihr freistehe, trotz versagter PKH einen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung zu beauftragen. Einen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung hat das LSG für den bestimmt und das persönliche Erscheinen der Klägerin angeordnet. Diesen Termin hat es aufgrund eigener Verhinderung auf Montag, den , 15:15 Uhr verlegt. Mit einem beim LSG am eingegangenen Schreiben vom hat die Klägerin beantragt, den Termin "am " zu verschieben. Mit weiterem Schreiben vom hat die Klägerin "die Verschiebung (das Ruhen des Verfahrens) der mündlichen Verhandlung für den " beantragt. In beiden Fällen hat sie sich darauf berufen, keinen Rechtsbeistand zu haben. Gesundheitliche Gründe für eine Terminverlegung hat die Klägerin nicht angegeben. Der Vorsitzende hat der Klägerin unter dem mitgeteilt, dass es bei dem Gerichtstermin am verbleibe. Am Tag der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin das Attest einer Neurologin vom vorgelegt. Danach liegen bei der seit Juni 2015 durch sie fachärztlich behandelten Klägerin die Diagnosen Panikstörung, Karpaltunnel-Syndrom beidseits, posttraumatische Belastungsstörung und Herzinsuffizienz vor. Die Klägerin sei aktuell krankheitsbedingt verhandlungsunfähig und insbesondere eine Verhandlung ohne Rechtsbeistand sei für sie nicht durchführbar. Eine weitere Reaktion des LSG auf dieses Schreiben vor Beginn der mündlichen Verhandlung ist nicht erfolgt.

2II. Der Klägerin ist von Amts wegen (§ 67 Abs 2 Satz 4 SGG) Wiedereinsetzung in die Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren wegen der fristgerechten Stellung eines PKH-Antrags durch sie und der fristgerechten Beschwerdeeinlegung und -begründung ihres Prozessbevollmächtigten nach der Bewilligung von PKH durch den Senat.

3Die hiernach zulässige Beschwerde der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.

4Die Klägerin hat einen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend gemacht, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Bezogen auf die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) im Zusammenhang mit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung in ihrer Abwesenheit hat die Klägerin den Verfahrensmangel iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG hinreichend bezeichnet (zum Beruhen-Können insoweit B 10 ÜG 4/20 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 23 RdNr 18; - juris RdNr 5).

5Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt auch vor. Gemäß § 124 Abs 1 SGG entscheidet das Gericht, soweit nichts anderes bestimmt ist, aufgrund mündlicher Verhandlung. Dieser Mündlichkeitsgrundsatz räumt den Beteiligten das Recht ein, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen und mit ihren Ausführungen gehört zu werden. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs in einer mündlichen Verhandlung umfasst das Recht auf Aufhebung oder Verlegung eines anberaumten Termins, wenn dies aus erheblichen Gründen geboten ist (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 227 Abs 1 ZPO; - juris RdNr 11).

6Als erheblicher Grund gilt die Verhinderung der Teilnahme eines erkrankten und dadurch reise- oder verhandlungsunfähigen Beteiligten an einem Termin zur mündlichen Verhandlung. Machen Beteiligte mit der Anzeige einer gesundheitsbedingten Verhinderung jedenfalls sinngemäß ( - juris RdNr 7) geltend, sie wollten grundsätzlich an einer mündlichen Verhandlung teilnehmen, ist über die Terminverlegung zu entscheiden. Dabei ist zu prüfen, ob der geltend gemachte Hinderungsgrund vorliegt.

7Die Beschwerdebegründung rügt zutreffend, dass das LSG auf die Rechtsprechung des BSG zur Substantiierung des Vorbringens anwaltlich vertretener Kläger bei der Geltendmachung von Verhandlungsunfähigkeit abgestellt und - weil es an entsprechendem Vortrag gefehlt habe - daher den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht verlegt hat.

8Ist ein Beteiligter anwaltlich nicht vertreten und macht er eine Verhinderung aus gesundheitlichen Gründen geltend, darf jedoch - bestehen Zweifel an der behaupteten Verhandlungsunfähigkeit - nicht in seiner Abwesenheit verhandelt und entschieden werden, ohne ihn entweder zur weiteren Erklärung und gegebenenfalls Vorlage eines aussagekräftigeren Attests aufzufordern oder selbst eine nähere medizinische Stellungnahme einzuholen (zusammenfassend - juris RdNr 9). Das gilt auch bei kurzfristig gestellten Terminverlegungsanträgen ( - juris RdNr 12). Etwas anderes mag zu entscheiden sein, wenn dem gesamten prozessualen Verhalten des Beteiligten entnommen werden muss, dass es ihm ohnehin nur um eine Prozessverschleppung geht (vgl - juris RdNr 20; - juris RdNr 18; - juris RdNr 10). Darauf hat aber das LSG nicht abgestellt und dafür spricht angesichts des erstmals mit gesundheitlichen Ursachen begründeten (weiteren) Terminverlegungsantrags nichts.

9Nach § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, was - wie ausgeführt - hier der Fall ist. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.

10Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:120325BB11AL3224B0

Fundstelle(n):
EAAAJ-89642