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BGH Beschluss v. - 6 StR 278/24

Instanzenzug: LG Regensburg Az: 5 KLs 402 Js 481/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Vergewaltigung, wegen besonders schweren sexuellen Übergriffs, wegen schwerer sexueller Nötigung, wegen versuchter schwerer Vergewaltigung und wegen Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Außerdem hat es Adhäsionsentscheidungen zugunsten zweier Nebenklägerinnen getroffen. Der Nebenklägerin S.        hat es Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem zuerkannt. Im Übrigen hat das Landgericht von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat im Hinblick auf den Adhäsionsausspruch in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

II.

3Der Adhäsionsausspruch erweist sich weitgehend als rechtsfehlerfrei. Lediglich der Zinsausspruch bedarf im Hinblick auf den Zinslauf der Abänderung.

41. Die auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 177 StGB gestützte Verpflichtung, an die Nebenklägerin S.           ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 Euro zu zahlen, begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Insbesondere die Höhe des Schmerzensgeldes ist knapp, aber tragfähig begründet.

52. Jedoch kann der Zinsausspruch nicht bestehen bleiben. Der Adhäsionsklägerin stehen zwar Rechtshängigkeitszinsen seit dem , nicht aber Verzugszinsen zu. Der Senat hebt die Entscheidung daher auf, soweit das Landgericht der Adhäsionsklägerin Zinsen seit dem zugesprochen hat, und sieht (auch) insoweit von einer Entscheidung über den weitergehenden Adhäsionsantrag gemäß § 406 Abs. 1 Satz 3 StPO ab.

6a) Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen verfolgte der Angeklagte die Adhäsionsklägerin S.         , die mit ihrem Fahrrad am Ufer der Donau unterwegs war, am , stellte sich mit seinem Fahrrad vor sie und zwang sie auf diese Weise dazu anzuhalten. Sodann zog er einen Revolver aus seiner Jackentasche, richtete ihn auf die Adhäsionsklägerin und gab ihr zu verstehen, dass sie still sein solle. Nachdem es ihr gelungen war, den Angeklagten von der Durchführung des vaginalen Geschlechtsverkehrs bzw. des Analverkehrs unter einem Vorwand abzuhalten, zwang er sie schließlich, den Oralverkehr bis zum Samenerguss an ihm zu vollziehen. Mit Adhäsionsantrag vom begehrte sie unter anderem, den Angeklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes nicht unter 40.000 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz hieraus seit dem zu verurteilen. Zur Begründung trug sie vor, dass sie infolge des Tatgeschehens, durch welches sie Todesangst erlitten habe, traumatisiert sei. Infolge der Tat und der erneuten Konfrontation mit dem Tatgeschehen durch die Eröffnung des Prozesses, das Bestreiten des Tatvorwurfs durch den Angeklagten und durch ihre deshalb erforderlich gewordene Zeugenvernehmung leide sie an einer schweren Belastungsreaktion.

7b) Auf der Grundlage dieses Vorbringens hat das Landgericht der Adhäsionsklägerin zwar zu Recht ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 Euro zugesprochen. Ein Anspruch auf Verzinsung des Schmerzensgeldanspruchs seit der Tat steht der Adhäsionsklägerin aber weder aus § 849 BGB noch ‒ wie das Landgericht und ihm folgend der Generalbundesanwalt annimmt ‒ aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB zu.

8aa) § 849 BGB ist auf den Schmerzensgeldanspruch des durch eine Straftat Verletzten weder ausdrücklich noch entsprechend anwendbar.

9Der Zinsanspruch nach § 849 BGB soll mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer entzogenen oder beschädigten Sache ausgleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann (vgl. ‒ VI ZR 397/19, Rn. 21; vom – VI ZR 191/81, BGHZ 87, 38, 41, juris Rn. 10 mwN). Er erfasst daher nur Fälle der Sachentziehung, nicht Schmerzensgeldansprüche, die aus unerlaubter Handlung erwachsen.

10Der Vorschrift des § 849 BGB ist auch kein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Inhalts zu entnehmen, dass deliktische Schadensersatzansprüche stets von ihrer Entstehung an zu verzinsen sind (vgl. ‒ VI ZR 397/19, Rn. 21; vom – KZR 56/16, NJW 2018, 2479 Rn. 45; Leube, NJW 2012, 3606; Meincke, JZ 1980, 677, 678). Zwar ist der Begriff der Sache im Sinne der §§ 848, 849 BGB weit auszulegen und erfasst auch Geld (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 306/19, Rn. 2; vom – 2 StR 190/08, NStZ 2009, 109; Urteil vom – VI ZR 9/52, BGHZ 8, 288, 298). Auf den Anspruch auf Schmerzensgeld, der dem durch eine unerlaubte Handlung Geschädigten als Ausgleich für die ihm hierdurch entstandenen immateriellen Schäden erwächst, ist die Vorschrift aber nicht entsprechend anwendbar.

11bb) Entgegen der Rechtsauffassung des Landgerichts findet § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB auf den Schmerzensgeldanspruch aus unerlaubter Handlung nach § 823 BGB weder unmittelbar noch entsprechend Anwendung.

12(1) Der Gesetzgeber hat die Generalklausel des § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB durch das am in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom (BGBl. I S. 3138) in der Absicht normiert, die in der Rechtsprechung anerkannten Fälle zu kodifizieren, in denen besondere Umstände (ausnahmsweise) die Annahme eines Verzugseintritts ohne Mahnung rechtfertigen (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 146; NK-BGB/Schulte-Nölke, 4. Aufl., 2021, § 286 Rn. 40; Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, 6. Aufl., 2005, S. 245; Schwarze, Das Recht der Leistungsstörungen, 3. Aufl., 2021, § 28 Rn. 24). Der Gesetzgeber hatte dabei im Wesentlichen Fälle vertraglicher Leistungsstörungen und Konstellationen im Blick, in denen ein Schuldner eine Mahnung des Gläubigers durch sein Verhalten vereitelt (vgl. im Einzelnen und mit Beispielen BT-Drucks. 14/6040, S. 146). Eine Ausdehnung der bisher in der Rechtsprechung anerkannten Fälle eines Verzugseintritts ohne Mahnung aus Billigkeitsgründen sollte damit nicht verbunden sein. Diese gesetzgeberische Intention spricht dagegen, Schmerzensgeldansprüche aufgrund vorsätzlich begangener unerlaubter Handlungen, in denen ein Verzugseintritt ohne Mahnung weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur anerkannt war (vgl. Kohte/Micklitz/Rott/Tonner/Willingmann, Das neue Schuldrecht, § 286, Rn. 15 ff.; Schmidt-Räntsch/Maifeld/Meier-Göring/Röcken, Das neue Schuldrecht, S. 209; Diederichsen, JuS 1985, 825, 833; Walchshöfer, JuS 1983, 598, 599 ff.), in den Anwendungsbereich des § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB einzubeziehen.

13(2) Es erscheint weder nach dem Sinn und Zweck der Regelung noch unter dem Gesichtspunkt der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes (vgl. dazu BGH, Vereinigte Große Senate, VGS 1/16, BGHZ 212, 48, 61) geboten, die hier in Rede stehenden Fälle dem Anwendungsbereich des § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB zu unterstellen. Die Vorschrift soll Fälle erfassen, in denen es nach den Grundsätzen von Treu und Glauben angezeigt erscheint, den Verzug ohne (weitere) Leistungsaufforderung eintreten zu lassen, es mithin unbillig erschiene, von dem Gläubiger eine Mahnung zu verlangen (vgl. Staudinger/Feldmann, BGB, Neubearbeitung 2019, § 286 Rn. 93; BeckOGK/Dornis, BGB, § 286 Rn. 199). Das Erfordernis einer Mahnung ist jedoch nicht schon deshalb unbillig, weil der Gläubiger einen Schmerzensgeldanspruch geltend macht, der aus einer vorsätzlich begangenen Straftat resultiert. Das Erfordernis einer Mahnung führt auch nicht zu unbilligen Ergebnissen. Denn anders als im Falle von Vermögensschäden, die der Geschädigte nach dem Grundsatz der Totalreparation ohne Berücksichtigung weiterer Umstände ersetzt erhält (§§ 249 ff. BGB), sieht das Gesetz bei dem Ausgleich immaterieller Schäden keine starre Regelung, sondern eine „billige Entschädigung in Geld“ vor, ohne dem Gericht die zu berücksichtigenden oder berücksichtigungsfähigen Umstände im Einzelnen vorzugeben (vgl. BGH, Vereinigte Große Senate, VGS 1/16, BGHZ 212, 48, 60 mwN). Das Gericht soll bei der Bemessung des Schmerzensgeldes vielmehr alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigen. Maßgebend für dessen Höhe sind dabei im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das hierdurch bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers (vgl. , NJW 2022, 1953 Rn. 13; vom – VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246). Darüber hinaus können auch alle anderen Umstände berücksichtigt werden, die dem Einzelfall sein spezifisches Gepräge geben, wozu auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten oder diejenigen des Schädigers gehören (vgl. BGH, Vereinigte Große Senate, VGS 1/16, BGHZ 212, 48, 64; Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 157 ff. jeweils mwN). Gegebenenfalls kann bei der Schmerzensgeldbemessung auch der Zeitablauf berücksichtigt werden (vgl. zu einem verzögerten Regulierungsverhalten der Haftpflichtversicherung OLG Celle, Urteil vom ‒ 14 U 133/22). Ferner kann bei seiner Bemessung auch die Notwendigkeit der Durchführung eines das Leiden des Geschädigten verstärkenden langwierigen Prozesses ‒ worauf sich die Adhäsionsklägerin vorliegend ausdrücklich berufen hat ‒ schmerzensgelderhöhend berücksichtigt werden (vgl. ; VI ZR 60/59; ‒ 10 U 4379/01, juris Rn. 49). Es besteht somit allenfalls das Risiko einer mit den schadensrechtlichen Grundsätzen nicht in Einklang stehenden Überkompensation, wenn das Schmerzensgeld aufgrund der gleichen Erwägungen erhöht und zudem gemäß § 288 Abs. 1 Satz 1, § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB zusätzlich verzinst würde.

14(3) Soweit der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (, NStZ 2009, 109) ausgesprochen hat, dass der dem Opfer eines Raubüberfalls zustehende Rückzahlungsanspruch gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 4, § 288 Abs. 1 BGB zu verzinsen sei, und zur Begründung darauf verwiesen hat, dass dies dem in der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts erörterten Fall gleichstehe, dass der Schuldner sich einer Mahnung entziehe (BT-Drucks. 14/6040, S. 146), kann diese Rechtsprechung nicht auf die vorliegende Fallkonstellation einer Ersatzpflicht des Schädigers für immaterielle Schäden übertragen werden. Entgegen der Auffassung des Landgerichts folgt aus der Entscheidung des 3. Strafsenats des ) nichts anderes; Anspruch auf Verzugszinsen sind dort nur im Hinblick auf den zuerkannten Schadensersatzanspruch, nicht auf das Schmerzensgeld für rechtsfehlerfrei erachtet worden. Zudem beziehen sich beide Entscheidungen auf Sachentziehungsfälle, in denen den Geschädigten Deliktszinsen nach § 849 BGB zustehen; dies würde bei der nach § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB zu treffenden Interessenabwägung für eine Entbehrlichkeit der Mahnung sprechen (vgl. MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl., § 286 Rn. 87; Staudinger/Feldmann, BGB, Neubearbeitung 2019, § 286 Rn. 93).

153. Da sich die Antragsschrift zur Frage einer verzugsbegründenden Mahnung im Sinne von § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht verhält, sieht der Senat insoweit von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag ab und spricht der Adhäsionsklägerin gemäß § 404 Abs. 2 StPO, § 291 Satz 1 BGB Prozesszinsen zu, entsprechend § 187 Abs. 1 BGB ab dem auf den Eintritt der Rechtshängigkeit folgenden Tag (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 6 StR 131/20, Rn. 5; vom – 5 StR 587/19, Rn. 1 mwN). Da die Antragsschrift am beim Landgericht eingegangen ist, ist der Schmerzensgeldanspruch mithin ab dem zu verzinsen. Der Senat ändert den Adhäsionsausspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO und ergänzt ihn zugleich klarstellend dahin, dass auch im Hinblick auf den weitergehenden Zinsanspruch von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen wird (§ 406 Abs. 1 Satz 3 StPO).

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:021024B6STR278.24.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-89622