Instanzenzug: Az: 641 KLs 9/24
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge sowie auf eine Verfahrensbeanstandung gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
21. Nach der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hamburg vom liegt dem Angeklagten zur Last, zwischen April und Juni 2020 in sieben Fällen unter Verwendung eines EncroChat-Geräts jeweils mehrere Kilogramm Marihuana erworben und wieder veräußert zu haben, was die Staatsanwaltschaft jeweils als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gewertet hat (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG). Die Strafkammer hat die Anklage mit Blick auf das zwischenzeitlich in Kraft getretene Cannabisgesetz vom (BGBl. I Nr. 109) mit der Maßgabe zur Hauptverhandlung zugelassen, dass sämtliche Taten als Handeltreiben mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG zu würdigen seien.
32. Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Als Beweismittel hätten „nahezu ausschließlich“ EncroChat-Daten vorgelegen, hinsichtlich derer ein Beweisverwertungsverbot zu bejahen sei. Die übrigen Ermittlungen der Polizei, unter anderem zu Existenz und Tätigkeiten von Familienangehörigen, hätten ohne die EncroChat-Daten noch nicht einmal Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten des Angeklagten ergeben. Zwar habe sich der Angeklagte während des Zwischenverfahrens in einem Haftprüfungstermin über eine Verteidigererklärung zur Sache eingelassen. Dort habe er die Anklagevorwürfe grundsätzlich eingeräumt, nämlich im Tatzeitraum unter Verwendung zweier EncroChat-Kennungen mit Cannabis gehandelt zu haben. Zum Teil sei er im Rahmen einer Einkaufsgemeinschaft und zum Teil „auf eigene Faust“ tätig geworden, wobei er aus seiner Sicht partiell nur als Vermittler agiert habe. In der Hauptverhandlung habe der Angeklagte jedoch keine Angaben zur Sache gemacht und das Geständnis widerrufen. Von dessen Richtigkeit habe sich die Strafkammer nicht zweifelsfrei überzeugen können. So erscheine „konkret denkbar“, dass Familienangehörige des Angeklagten das EncroChat-Gerät genutzt hätten, welche dieser mit seiner Selbstbelastung habe schützen wollen.
II.
4Die Revision der Staatsanwaltschaft führt schon auf die Sachrüge zur Aufhebung des Freispruchs. Auf die Verfahrensrüge zur Frage der Verwertbarkeit der EncroChat-Daten in Fällen des Handeltreibens mit Cannabis kommt es daher nicht an (vgl. hierzu ; vgl. auch ).
51. Die Urteilsgründe entsprechen nicht den Anforderungen, die nach § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellen sind.
6a) Danach sind regelmäßig in einer geschlossenen Darstellung die als erwiesen angesehenen Tatsachen festzustellen, bevor in der Beweiswürdigung darzulegen ist, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden können. Denn es ist Aufgabe der Urteilsgründe, dem Revisionsgericht auf diese Weise eine umfassende Nachprüfung der freisprechenden Entscheidung zu ermöglichen (st. Rspr.; vgl. ; vom – 5 StR 170/22 Rn. 18 f.).
7b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht, da sie überhaupt keinen auf die Taten bezogenen Feststellungsteil enthalten. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass es Fallgestaltungen gibt, in denen Feststellungen zum eigentlichen Tatgeschehen in Gänze unmöglich sind (vgl. Rn. 24; vom – 5 StR 566/17, BGHSt 63, 107; vom – 5 StR 441/04). Von einer derartigen Situation ist das Landgericht jedoch offenbar selbst nicht ausgegangen. Denn seine Formulierung, es hätten „nahezu ausschließlich“ EncroChat-Daten vorgelegen, legt ebenso wie die erwähnten „übrigen Ermittlungen“ nahe, dass noch anderweitige Beweismittel vorhanden waren. Um welche es sich konkret handelte, bleibt jedoch ebenso offen wie ihr Ertrag.
8In den Urteilsgründen wird außerdem nicht mitgeteilt, welche Feststellungen zu den Lebensumständen des Angeklagten getroffen werden konnten. Es wurde schon versäumt, seine persönlichen Verhältnisse darzustellen. Solche Feststellungen sind zwar in erster Linie bei verurteilenden Erkenntnissen notwendig, um nachvollziehen zu können, ob das Tatgericht die wesentlichen Anknüpfungstatsachen für die Strafzumessung (§ 46 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 StGB) ermittelt und berücksichtigt hat ( Rn. 28). Sie sind jedoch auch bei freisprechenden Urteilen erforderlich, wenn diese Verhältnisse für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können (st. Rspr.; vgl. Rn. 27 ff.; vom – 5 StR 457/22; vom – 3 StR 183/20). Das war bei den vorliegenden Tatvorwürfen schon deshalb der Fall, weil Erkenntnisse zu den Lebens- und Einkommensverhältnissen des Angeklagten Hinweise auf eine etwaige Verstrickung in ein dem Drogenhandel nahestehendes Milieu hätten ergeben können (vgl. ; vom – 5 StR 60/24). Außerdem wären Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten erforderlich gewesen, um einen Bezugsrahmen für die gebotene Würdigung der geständigen Einlassung aus dem Zwischenverfahren zu schaffen.
92. Auch die Würdigung dieser Einlassung durch das Landgericht ist rechtsfehlerhaft, soweit die Strafkammer gegen deren Glaubhaftigkeit und für eine etwaige unrichtige Selbstbelastung angeführt hat, dass der Angeklagte möglicherweise habe Familienangehörige schützen wollen, die statt seiner das EncroChat-Gerät genutzt hätten. Im Urteil werden zwar Verwandte (Mutter und Bruder) des Angeklagten erwähnt. Den Gründen ist jedoch keinerlei Hinweis darauf zu entnehmen, dass bei diesen oder etwaigen weiteren Angehörigen irgendein Bezug zu den angeklagten Taten oder sonst zur Betäubungsmittelkriminalität besteht. Soweit dort Ermittlungen zu Familienangehörigen erwähnt werden, ist weder erkennbar, dass diese eine potentielle Tatbeteiligung zum Gegenstand gehabt hätten, noch wird ihr Ergebnis mitgeteilt. Es bleibt mithin unklar, weshalb der Angeklagte seine Familienangehörigen durch eine falsche Selbstbezichtigung habe schützen sollen.
10Insgesamt hat das Landgericht daher überspannte Anforderungen für seine richterliche Überzeugungsbildung zugrunde gelegt. Denn es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. ; vom – 4 StR 343/24; vom – 1 StR 303/24).
113. Auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht das Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Soweit es Feststellungen enthält, waren solche aufzuheben, weil der Angeklagte sie nicht angreifen konnte.
Gericke Mosbacher Köhler
von Häfen Werner
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:250325U5STR649.24.0
Fundstelle(n):
GAAAJ-89462