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BGH Urteil v. - VIa ZR 282/22

Instanzenzug: OLG Oldenburg (Oldenburg) Az: 1 U 15/21vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 13 O 2117/20

Tatbestand

1 Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarb im Juli 2017 bei einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten VW Beetle, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.

2 Die Klägerin hat die Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie die Feststellung des Annahmeverzugs und die Freistellung von vorgerichtlichen Kosten verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge weiter.

Gründe

3Revision

I.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Der Klägerin stehe gemäß §§ 826, 31 BGB kein Anspruch auf Rückabwicklung des Vertrags zu. Dabei könne dahinstehen, ob trotz des beabsichtigten und mit dem Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) abgestimmten Vorgehens gemäß der vorgelegten Applikationsrichtlinie EA 288 eine Fahrkurve in der Motorsteuerungssoftware des Fahrzeugs noch hinterlegt sei. Ebenso könne offenbleiben, ob es sich bei den in dem Fahrzeug unstreitig verwendeten Emissionskontrollsystemen in Gestalt eines Thermofensters und der die Prüfstandssituation angeblich erkennenden Fahrkurve um unzulässige Abschalteinrichtungen nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handele. Gleiches gelte für die von der Klägerin erstmals in zweiter Instanz behauptete unzulässige Manipulation des On-Board-Diagnose-Systems. Selbst wenn diese Systeme in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht als europarechtswidrige unzulässige Abschalteinrichtungen anzusehen wären, seien Ansprüche der Klägerin gemäß § 826 BGB nicht gegeben, weil sich weder ein Schaden noch ein vorsätzlich sittenwidriges Handeln der Beklagten feststellen lasse. Das KBA habe über einen Zeitraum von inzwischen sechs Jahren seit Bekanntwerden des Abgasskandals und nach umfänglichen Testungen von Fahrzeugen mit Motoren der Reihe EA 288 weder Anordnungen noch Rückrufe wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen bei diesem Motortyp vorgenommen. Vor diesem Hintergrund sei ein Schaden der Klägerin, die ihr Fahrzeug seit Jahren ohne Beeinträchtigungen nutze, nicht zu erkennen. Ein nach der Verkehrsanschauung unvernünftiger, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessener und damit als nachteilig anzusehender Vertrag liege nicht vor, wenn eine Betriebsuntersagung und Stilllegung des Fahrzeugs tatsächlich zu keinem Zeitpunkt gedroht habe. Es fehle zudem an einem vorsätzlichen und sittenwidrigen Handeln der bei der Beklagten verantwortlichen Personen. Wenn das KBA als zuständige Zulassungsbehörde nach umfänglichen Überprüfungen bis heute zu dem Schluss komme, dass unzulässige Abschalteinrichtungen in dem Fahrzeug nicht verbaut seien, habe auch die Beklagte als Herstellerin auf die Zulässigkeit der in dem Motor verbauten technischen Vorrichtungen vertrauen dürfen.

6Der Klägerin stünden auch keine Ansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB, § 31 BGB zu.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Es begegnet im Ergebnis keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts kommt es für den Eintritt eines Schadens zwar nicht darauf an, ob sich die aus dem - revisionsrechtlich zu unterstellenden - Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung resultierende Gefahr einer Stilllegung verwirklicht hat. Denn aus dem Verhalten des KBA, insbesondere aus dem Umstand, dass dieses bislang nicht eingeschritten ist, kann nicht auf eine fehlende Gefahr der Betriebsbeschränkung oder -untersagung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geschlossen werden (vgl. , BGHZ 225, 316 Rn. 48 i.V.m. 21, 52 bis 55; Urteil vom - VI ZR 131/20, WM 2024, 218 Rn. 21; Urteil vom - VIa ZR 458/21, juris Rn. 7). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat das KBA jedoch den streitgegenständlichen Motortyp bereits umfassenden Untersuchungen unterzogen und die von der Klägerin gerügten Funktionen nicht als unzulässige Abschalteinrichtungen eingestuft. Damit kann das Verhalten der Beklagten bereits nicht als besonders verwerflich eingestuft werden (vgl. , juris Rn. 17; Urteil vom - VII ZR 610/21, juris Rn. 15; Urteil vom - VIa ZR 560/21, juris Rn. 11). Die insoweit von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).

92. Die Revision hat jedoch deshalb Erfolg, weil das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung des sogenannten "großen" Schadenersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11Die Berufungsentscheidung ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

12Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschadendie erforderlichen

C. Fischer                    Brenneisen                    Messing

               Katzenstein                     F. Schmidt

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:020425UVIAZR282.22.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-89299