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BGH Beschluss v. - 1 StR 376/24

Instanzenzug: LG Hagen (Westfalen) Az: 71 KLs 5/21

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten S.       wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in vier Fällen sowie wegen Steuerhinterziehung in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Den Angeklagten B.             hat es wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt und zur Steuerhinterziehung in vier Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 120 € verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Die Angeklagten wenden sich mit ihren jeweils auf Verfahrens- und Sachbeanstandungen gestützten Revisionen gegen ihre Verurteilung.

21. Das Landgericht hat – soweit hier von Bedeutung – im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3Der Angeklagte S.       erbrachte unter der Firma R.                                  e.K. (im Folgenden: R.   ) Dienstleistungen in den Bereichen Gebäudereinigung, Garten- und Landschaftsbau sowie Winterdienst. Der von ihm angestellte Angeklagte B.                war zuständig für die Akquise von neuen Kunden, das Aushandeln von Verträgen und die Entgegennahme etwaiger Mängelrügen. Die Aufträge im Bereich Gebäudereinigung und Gartenpflege konnte der Angeklagte S.       mit seinem schwankenden Bestand an geringfügig Beschäftigten bewerkstelligen. Nach Übernahme des Winterdienstes für große Flächen verschiedener öffentlich-rechtlicher Auftraggeber geriet er jedoch in Personalnöte. Ohnehin war dieses Saisongeschäft nur schwer am Markt konkurrenzfähig und wirtschaftlich kaum rentabel.

4Der Angeklagte S.       ließ die Winterdienste daher durch nicht zur Sozialversicherung angemeldete Schwarzarbeiter erledigen. In den Jahren 2012 bis 2015 bediente er sich der ihm vom gesondert verfolgten Y.       zugeführten Schwarzarbeiter. Daneben zog er ab 2013 zunächst vereinzelt, ab Herbst 2015 in großem Umfang selbst Schwarzarbeiter heran. Zur Plausibilisierung der Schwarzlohnzahlungen stellte er in die Buchhaltung der R.    nicht leistungshinterlegte Abdeckrechnungen aus der vermeintlichen Beauftragung von Subunternehmen ein. Die von der R.    hierauf geleisteten Zahlungen flossen – ggf. nach Abhebung von den Empfangskonten – an Y.       bzw. – insoweit nach Abzug einer Provision – an den Angeklagten S.       zurück und dienten der Entlohnung der jeweils eingesetzten Schwarzarbeiter. Im Einzelnen handelte es sich um die folgenden Beauftragungen:

5Betreffend die Jahre 2012 bis 2015 schloss der Angeklagte S.       Verträge mit sechs Subunternehmen, bei denen es sich tatsächlich um (vermeintlich) von rumänischen Staatsangehörige ohne Deutschkenntnisse geleitete leere Unternehmenshüllen ohne eigene Mitarbeiter – in nennenswerter Anzahl – handelte, hinter denen jeweils Y.        stand. Allein dieser organisierte und koordinierte die Schwarzarbeiter. Die mittels Abdeckrechnungen geforderten Beträge in Höhe von insgesamt 2.407.712,15 € bezahlte der Angeklagte S.       entweder bar oder per Überweisung auf die Geschäftskonten der Subunternehmen.

6In den Jahren 2013 bis 2016 erhielt der Angeklagte S.       Abdeckrechnungen des Subunternehmens E.     R.                                    (im Folgenden: E.     ) im Umfang von 36.000 €, welche für die Jahre 2015 und 2016 in Höhe von 26.000 € Eingang in die Buchhaltung der R.        fanden. Ausführende der Winterdienste waren der faktische Geschäftsführer der E.                    A.     sowie vom Angeklagten S.       beauftragte unbekannte Schwarzarbeiter. Der Angeklagte B.                fungierte als Ansprechpartner des             A.    , indem er diesen über anstehende Einsätze informierte, ihm Anweisungen für die zu räumenden Flächen erteilte und ihn mit Streusalz ausstattete. Als weiterer „Rechnungsschreiber“ fungierte im Jahr 2015 das Subunternehmen Ö.                                  , welches – in die Buchhaltung der R.    übernommene – Abdeckrechnungen über Winterdienste im Umfang von insgesamt 78.314,23 € ausstellte.

7Für den Zeitraum ab Herbst 2015 ließ sich der Angeklagte von T.              an die W.                  GmbH vermitteln. In den Jahren 2015 und 2016 beglich die R.    so erstellte Rechnungen über insgesamt 650.000 €. Weitere Abdeckrechnungen über Winterdienste in Höhe von insgesamt über 100.000 € erhielt der Angeklagte S.       von der                   L.        GmbH. Diese beglich die R.    nur gut zur Hälfte.

8In den Monaten Dezember 2015 und Februar bis April 2016 enthielt der Angeklagte S.       der zuständigen Einzugsstelle Sozialversicherungsabgaben in Höhe von insgesamt 382.904,05 € vor (Fälle II. 1. bis 4. der Urteilsgründe); er verkürzte Lohnsteuer in Höhe von insgesamt 91.494,58 € und Solidaritätszuschläge in Höhe von 4.769,86 € (Fälle II. 5. bis 8. der Urteilsgründe). Die aus den Abdeckrechnungen der von Y.        gelenkten Subunternehmen sich ergebenden Vorsteuerbeträge machte der Angeklagte S.       in Kenntnis dessen, dass er insoweit zum Vorsteuerabzug nicht berechtigt war, in den Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Besteuerungszeiträume 2012 bis 2016 geltend (Fälle II. 9. bis 13. der Urteilsgründe).

92. Die Revision des Angeklagten S.       hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Den Verfahrensbeanstandungen bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Gründen der Erfolg versagt. Während die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachrüge betreffend den Schuld- und Strafausspruch in den Fällen II. 5. bis 8. der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zu Lasten der Angeklagten aufgedeckt hat, erweist sich in den Fällen II. 1. bis 4. der Urteilsgründe die Strafrahmenbestimmung als rechtsfehlerhaft (hierzu unter b). In den Fällen II. 10. bis 13. der Urteilsgründe ist die Verurteilung wegen lückenhafter Feststellungen aufzuheben (hierzu unter c). Im Fall II. 9. der Urteilsgründe ist das Verfahren wegen eines von Amts wegen zu beachtenden Verfahrenshindernisses gemäß § 206a StPO einzustellen (hierzu unter a). Dies zieht die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs nach sich (hierzu unter d).

10a) Soweit das Landgericht den Angeklagten im Fall II. 9. der Urteilsgründe (Umsatzsteuerhinterziehung 2012) verurteilt hat, ist das Verfahren gemäß § 206a StPO einzustellen, weil diese Tat nicht Gegenstand der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft vom ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 150/22 Rn. 2 und vom – 4 StR 200/18 Rn. 2). Gegenstand der Anklage sind lediglich die zugunsten des Einzelunternehmens R.    begangenen Umsatzsteuerhinterziehungen hinsichtlich der Besteuerungszeiträume 2013 bis 2016 (Fälle II. 10. bis 13. der Urteilsgründe).

11b) In den Fällen II. 1. bis 8. der Urteilsgründe tragen die Feststellungen den Schuldspruch wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 53 StGB und wegen Lohnsteuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 53 StGB in jeweils vier Fällen. Die Strafzumessung hingegen erweist sich in den vier Fällen der Zuwiderhandlung gegen § 266a StGB als rechtsfehlerhaft.

12aa) Zum Schuldspruch in den Fällen II. 1. bis 4. der Urteilsgründe ist wie folgt ergänzend auszuführen:

13Das Verhalten des Angeklagten erfüllt den Tatbestand des § 266a Abs. 2 Nr. 1 StGB. Soweit § 266a Abs. 2 StGB voraussetzt, dass der Taterfolg des Vorenthaltens von Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung durch die unrichtigen oder unvollständigen Angaben über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen oder das In-Unkenntnis-Lassen der Einzugsstelle über solche Tatsachen („dadurch“) eingetreten sein muss, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwischen den das Unrecht des Tatbestands prägenden Tathandlungen und dem Vorenthalten als deren Folge keine strikte äquivalente Kausalität in dem Sinne erforderlich, dass der Arbeitgeber ohne die Tathandlung – also bei ordnungsgemäßen Angaben – die Beiträge gezahlt haben müsste. Der Zusammenhang ist vielmehr, wie im Fall des gleichlautenden § 370 Abs. 1 AO, funktional zu verstehen (, BGHR StGB § 266a Abs. 2 Leistungsfähigkeit 1 unter 4.). Insbesondere erfordert die Vorschrift des § 266a Abs. 2 StGB – anders als der Betrugstatbestand des § 263 StGB – keine irrtumsbedingte Verfügung der zuständigen Einzugsstelle über fällige Sozialversicherungsbeiträge. Vielmehr bewirken die Tathandlungen des § 266a Abs. 2 StGB regelmäßig gerade eine durch das Machen falscher Angaben gegenüber der Einzugsstelle erhöhte Gefahr einer Beitragsvorenthaltung (vgl. aaO). Erklärt sich daher der Arbeitgeber gemäß § 266a Abs. 2 StGB gegenüber der Einzugsstelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtig oder unvollständig oder lässt er die Einzugsstelle über solche Tatsachen in Unkenntnis und zahlt er – wie hier – trotz Fälligkeit gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV den Gesamtsozialversicherungsbeitrag nicht (§§ 28d, 28e SGB IV), so liegt regelmäßig zugleich der erforderliche funktionale Zusammenhang zwischen Täuschungshandlung und Beitragsvorenthaltung vor, weil sich in der Nichtzahlung der Beiträge eine den Tathandlungen des § 266a Abs. 2 StGB typischerweise anhaftende Gefahr für das Beitragsaufkommen realisiert (zu etwaigen Ausnahmekonstellationen vgl. z.B. Wiedner in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 3. Aufl., § 266a StGB Rn. 65).

14Dies entspricht sowohl dem Wortlaut der Norm als auch dem Willen des Gesetzgebers, der § 266a Abs. 2 StGB bewusst an § 370 Abs. 1 AO angelehnt hat und Strafbarkeitslücken schließen wollte, die sich daraus ergaben, dass der Tatbestand des Betrugs gemäß § 263 StGB stets einen täuschungsbedingten Irrtum voraussetzt (BT-Drucks. 15/2573, S. 28). Auch für § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO genügt es, dass die unrichtigen oder unvollständigen Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen in anderer Weise als durch Täuschung für die Steuerverkürzung oder das Erlangen nicht gerechtfertigter Steuervorteile ursächlich werden (vgl. , BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Angaben 10 Rn. 26 f. mwN).

15bb) Der Strafausspruch hält in diesen Fällen der rechtlichen Überprüfung hingegen nicht stand.

16(1) Das Landgericht hat den vier Fällen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB rechtsfehlerhaft den Strafrahmen für einen besonders schweren Fall gemäß § 266a Abs. 4 Satz 1, 2 Nr. 2 StGB zugrunde gelegt. Der Angeklagte hat auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen schon deshalb nicht „unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthalten“, weil er die Abdeckrechnungen nicht der Einzugsstelle zur Kenntnis brachte. Die bloße Erfassung der Belege in der Buchhaltung reicht für ein „Verwenden“ nicht aus ( Rn. 50; zu § 370 AO: Rn. 17 und vom – 1 StR 308/23 Rn. 34; Beschlüsse vom – 5 StR 814/82 Rn. 1, BGHSt 31, 225 und vom – 3 StR 313/88 Rn. 4, BGHR AO § 370 Abs. 3 Nr. 4 Belege 1).

17(2) Die Urteilsfeststellungen rechtfertigen auch nicht ohne Weiteres die Annahme einer Beitragsvorenthaltung in großem Ausmaß aus grobem Eigennutz gemäß § 266a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StGB.

18Mit Verkürzungsbeträgen von 58.316,43 € bis zu 176.918,92 €, mithin jeweils mehr als 50.000 €, ist zwar in allen vier Fällen die Grenze des großen Ausmaßes überschritten (zur Sachgerechtigkeit einer einheitlichen Bestimmung des „großen Ausmaßes“ in § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB, § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO: vgl. Rn. 21 ff.). Auch ergibt ein – hier nach den Feststellungen naheliegendes – kollusives Zusammenwirken von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu Lasten der Solidargemeinschaft sowie zum Nachteil abgaben- und steuerehrlicher Unternehmer regelmäßig ein Tatbild, das durch ein gesteigertes Ausmaß an krimineller Energie geprägt ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 126/23 Rn. 16 und vom – 1 StR 501/09 Rn. 20). Den Feststellungen lässt sich aber (noch) nicht entnehmen, dass der Angeklagte S.       zudem aus grobem Eigennutz handelte, mithin sich bei den Taten in besonders anstößigem Maß vom Streben nach dem eigenen Vorteil leiten ließ (vgl. aaO Rn. 18).

19(3) Ein Rückgriff auf die Regelung des § 266a Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 StGB, der auch – wie hier – echte, jedoch inhaltlich unrichtige Belege erfasst, für die in den Jahren 2015 und 2016 liegenden Tatzeiträume scheidet aufgrund ihres Inkrafttretens erst am aus.

20c) Die Verurteilung wegen Umsatzsteuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO betreffend die Fälle II. 10. bis 13. der Urteilsgründe hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand; die diesbezüglichen Feststellungen tragen den Schuldspruch einer vollendeten Steuerhinterziehung nicht.

21So hat das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen, ob die jeweiligen Umsatzsteuerjahreserklärungen zu einer Zahllast oder zu einer Steuervergütung führten. Bei der Straftat der Steuerhinterziehung, bei der es sich nicht lediglich um ein Erklärungsdelikt, sondern auch um ein Erfolgsdelikt handelt, tritt Vollendung erst dann ein, wenn der Täter durch seine Tathandlung Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt (§ 370 Abs. 1 AO). Betreffen die Taten – wie hier – die Hinterziehung von Umsatzsteuer durch Abgabe inhaltlich unzutreffender Steuererklärungen, hängt die Tatvollendung davon ab, ob die unrichtigen Steueranmeldungen – seien es Umsatzsteuerjahreserklärungen oder Umsatzsteuervoranmeldungen (§ 150 Abs. 1 Satz 3 AO i.V.m. § 18 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 18 Abs. 3 Satz 1 UStG) – zu einer Zahllast oder zu einer Steuervergütung geführt haben. Zwar steht eine Steueranmeldung gemäß § 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Führt aber die Steueranmeldung zu einer Herabsetzung der bisher zu entrichtenden Steuer oder zu einer Steuervergütung, so gilt dies erst dann, wenn die Finanzbehörde zugestimmt hat (§ 168 Satz 2 AO). Das Tatgericht muss daher Feststellungen dazu treffen, ob die jeweilige Steueranmeldung eine Zahllast oder eine Steuervergütung zum Inhalt hatte und – im Falle der Steuervergütung – ob die Finanzbehörden dieser (z.B. konkludent durch Auszahlung) zugestimmt haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 148/20 Rn. 6; vom – 1 StR 512/17 Rn. 5 und vom – 1 StR 264/17, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Vollendung 4 Rn. 4).

22Hieran fehlt es. Zwar streitet für eine Umsatzsteuerzahllast, dass es sich beim Winterdienst ebenso wie bei der Gebäudereinigung und dem Garten- und Landschaftsbau um personalintensive Gewerbe mit vergleichsweise geringem Materialeinsatz handelt, der Angeklagte mithin nicht über Eingangsrechnungen mit der Berechtigung zum Vorsteuerabzug verfügte, der nach Saldierung die abzuführende Umsatzsteuer übersteigen würde. Dessen ungeachtet sprechen die Urteilsgründe aber an mehreren Stellen von der Erlangung eines „steuerlichen Vorteils“ bzw. eines „Umsatzsteuervorteils“ (UA S. 25, 27, 29, 30 und 31), was eine Steuervergütung nahelegt. Damit erlaubt auch der Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe keinen Rückschluss auf eine Zahllast oder ein Steuerguthaben. Insoweit ist das Urteil daher aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Einer Aufhebung der zugehörigen Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO); das Landgericht wird ergänzende Feststellungen zu einer Zahllast oder einem Steuerguthaben zu treffen haben.

23d) Der Wegfall der Einzelstrafen in den Fällen II. 1. bis 4. sowie II. 9. bis 13. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs nach sich.

24e) Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

25aa) Bei der Strafzumessung in den Fällen II. 1. bis 4. der Urteilsgründe wird das neue Tatgericht – wie stets – im Rahmen einer Gesamtbetrachtung nicht nur zu bewerten haben, ob trotz Vorliegens der Voraussetzungen eines Regelbeispiels nach § 266a Abs. 4 Satz 2 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung auf Grund mildernder Umstände die Regelwirkung entfällt und deshalb der Normalstrafrahmen anzuwenden ist, sondern auch, ob, ohne dass ein Regelbeispiel erfüllt ist, besondere erschwerende Gesichtspunkte einen unbenannten besonders schweren Fall gemäß § 266a Abs. 4 Satz 1 StGB begründen (vgl. hierzu Rn. 18 f.).

26bb) Bei der Entscheidung über die Gesamtstrafenbildung wird das neue Tatgericht zu berücksichtigen haben, dass ein Härteausgleich nicht zu gewähren ist, wenn – wie hier – der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe verurteilt ist und es sich bei der grundsätzlich einbeziehungsfähigen Strafe um eine bezahlte Geldstrafe handelt (vgl. nur Rn. 18 mwN). Dem steht auch nicht das Verschlechterungsverbot gemäß § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO entgegen. Die Vorschrift verbietet nur, dass das angefochtene Urteil in Art und Höhe der Rechtsfolgen zum Nachteil des Angeklagten geändert wird, und hat nicht zur Folge, dass die Auffassungen und Wertungen, die der angefochtenen, aber aufgehobenen Entscheidung zu Art und Höhe der Rechtsfolge zugrunde lagen, das neue Tatgericht in irgendeiner Form binden. Dieses hat vielmehr grundsätzlich über Art und Höhe der Strafe so zu entscheiden, als ob das (aufgehobene) frühere tatrichterliche Urteil nicht in der Welt wäre. Hierbei hat es nach seinem eigenen pflichtgemäßen Ermessen die Einordnung der Tat innerhalb des Strafrahmens vorzunehmen und ist lediglich im Ergebnis an die durch § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO gezogene Obergrenze gebunden (vgl. Rn. 6, BGHSt 45, 308).

273. Die Revision des Angeklagten B.                 hat mit der Sachrüge Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht (§ 349 Abs. 4 StPO). Die Urteilsfeststellungen tragen eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt sowie zur Steuerhinterziehung in vier Fällen gemäß § 266a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB, § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, §§ 27, 53 StGB nicht (hierzu unter a). Zudem hat das Landgericht betreffend den Angeklagten B.                  eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung rechtsfehlerhaft verneint (hierzu unter b).

28a) Individualisierbare Gehilfenbeiträge des Angeklagten B.                zu den Umsatzsteuerhinterziehungen des Angeklagten S.       in den Monaten Dezember 2015, Februar 2016, März 2016 und April 2016 sind nicht festgestellt. Den Urteilsfeststellungen zufolge wurde der Angeklagte allein im Zusammenhang mit der Einbindung der E.        tätig (UA S. 14, 93, 103). Diese erstellte Rechnungen nur für die Monate Dezember 2015 und März 2016, nicht auch für Februar und April 2016 (UA S. 86 ff.). Dass der Angeklagte in jenen beiden Monaten Gehilfenbeiträge betreffend die durch Abdeckrechnungen der E.        verschleierten Schwarzlohnzahlungen erbrachte, ergibt sich schon aus diesem Grund nicht. Hinsichtlich einer Beteiligung des Angeklagten im Monat Dezember 2015 sind die Feststellungen insoweit widersprüchlich, als die tabellarische Darstellung auf UA S. 86 eine Rechnung der E.       über 2.201,50 € erfasst, diese nach den Feststellungen auf UA S. 29 jedoch vom datiert, sich mithin nicht auf Arbeiten im Dezember 2015 beziehen kann. Gleiches gilt in Bezug auf eine Beteiligung im Monat März 2016, hinsichtlich dessen die tabellarische Darstellung auf UA S. 87 zwei Rechnungen der E.        über 9.377,20 € und 2.457,52 € aufführt, die weiteren Feststellungen auf UA S. 30 jedoch der erstgenannten Rechnung ein Erstellungsdatum schon vom zuweisen. Die genannten Widersprüche werden in den Urteilsgründen nicht aufgelöst.

29Der Senat hebt auch die Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO).

30b) Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht in Bezug auf den Angeklagten B.               zudem eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 20 Abs. 3 GG) verneint. Zwar erfuhr der Angeklagte von dem gegen ihn geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erst im Rahmen seiner Beschuldigtenvernehmung am und damit deutlich später als der Angeklagte S.       (zum maßgeblichen Zeitpunkt für den Beginn der Berechnung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung vgl. Rn. 11). Weniger als ein Jahr nach der Beschuldigtenvernehmung ist am die Anklage erhoben worden, was bei einem derart umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren nicht zu beanstanden ist. Das Landgericht hat aber übersehen, dass auch betreffend den Angeklagten B.                das Verfahren von Ende September 2021 bis Ende 2022 wegen Personalknappheit und vorrangig bearbeiteter Eil- und Haftsachen nicht gefördert werden konnte. Hierin liegt ein dem Staat zurechenbarer Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 377/23 Rn. 6; vom – 6 StR 590/21 Rn. 1 und vom – 1 StR 132/20 Rn. 6). Des Weiteren war der Angeklagte B.                 ebenso wie der Angeklagte S.       von der siebenmonatigen Verfahrensverzögerung zwischen März und Oktober 2023 betroffen, welche aus der Aussetzung der Hauptverhandlung resultierte, die ihrerseits auf justizseitige Versäumnisse zurückzuführen war (vgl. Rn. 17, BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 24). Dennoch hat das Landgericht diesen Umstand allein beim Angeklagten S.       berücksichtigt.

31Das Landgericht wird daher das Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung betreffend den Angeklagten B.                 erneut zu prüfen haben. Hierbei wird es zu erörtern haben, ob die bloße Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zur Kompensation ausreichend oder eine Kompensation im Wege des Vollstreckungsabschlags von der verhängten Freiheitsstrafe vorzunehmen ist (vgl. , BGHSt 52, 124).

Jäger                         Wimmer                         Leplow

             Munk                       Welnhofer-Zeitler

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:281124B1STR376.24.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-89285