Instanzenzug: LG Aachen Az: 61 KLs 28/23
Gründe
1 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit „vorsätzlicher“ Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Seine Revision, mit der er die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts rügt, erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.
2 1. Das Landgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3 Der Angeklagte war neben anderen Vorahndungen bereits mit Urteil des Landgerichts Stralsund wegen einer am begangenen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung und mit Nötigung mit einer Jugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten belegt worden. Nach Teilverbüßung wurde ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt und der Angeklagte am bedingt entlassen.
4 Während eines Besuchs bei seiner Schwester in G. lernte der damals 22 Jahre alte Angeklagte am in einem Lebensmittelmarkt die seinerzeit 19 Jahre alte Nebenklägerin kennen. Sie war an ihm nicht als Mann interessiert, fand ihn aber von der Denkweise ähnlich und traf ihn wieder. Am Abend des verbrachten beide gemeinsam Zeit auf einem unbeleuchteten Spielplatz am Rande eines Parks, tranken Alkohol und rauchten jeweils einen Joint. Als die Nebenklägerin nach 22.30 Uhr urinieren musste und zu diesem Zweck ein Gebüsch aufsuchte, folgte ihr der leicht angetrunkene Angeklagte. Er hatte spätestens jetzt den Entschluss gefasst, mit ihr gegen ihren Willen, gegebenenfalls auch unter Anwendung von Gewalt oder Drohungen, geschlechtlich zu verkehren. Er warf sie zu Boden, setzte sich auf ihre Beine, steckte einen Finger in ihre Scheide und onanierte. Dann zog er ihre Hose und Unterhose bis zu den Unterschenkeln herunter, legte sich zwischen ihre Beine und drang mehrmals mit seinem halb erigierten Penis in ihre Scheide ein. Die Nebenklägerin weinte und versuchte den Angeklagten abzuschütteln, worauf er ihr mehrfach mit großer Wucht in ihr Gesicht schlug. Zwischen den Schlägen würgte er sie für kurze Zeit, legte ihr eine Hand auf den Mund und kündigte an, er werde auch noch anal in sie eindringen, sie sei hinterher „eh tot“. Die Nebenklägerin stellte ihre Gegenwehr ein und flehte ihn an aufzuhören. Darauf ließ der Angeklagte von ihr ab und erklärte ihr, zum Spielplatz zurückgekehrt, er habe „wohl einen Black-Out“ gehabt. Nach einiger Zeit, während der die Nebenklägerin eine günstige Möglichkeit zur Flucht suchte, verließ der Angeklagte den Spielplatz, wobei er ihr Mobiltelefon mitnahm, und begab sich zur Wohnung seiner Schwester. Die Nebenklägerin wandte sich um Hilfe an einen Bewohner eines nahegelegenen Hauses, der die Polizei verständigte.
5 2. Den Verfahrensrügen bleibt aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt.
6 3. Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch und zum Strafausspruch keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben.
7 4. Indes hält die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung der auf die Sachrüge veranlassten revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Ausführungen, auf die die Strafkammer ihre Überzeugung von der Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 iVm § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB gestützt hat, lassen besorgen, dass sie zulässiges Verteidigungsverhalten rechtsfehlerhaft zum Nachteil des Angeklagten gewertet hat.
8 a) Die Strafkammer hat bei ihrer Gefährlichkeitsprognose neben anderen Kriterien auf die Auseinandersetzung des Angeklagten mit „den Taten“ abgestellt. Sie hat dazu ausgeführt, sein Verhalten nach der Tat, insbesondere auch im Rahmen der Hauptverhandlung, in der er in Beweisanträgen seine Anwesenheit in G. in Abrede gestellt und das Fehlen emotionaler Reaktionen der Nebenklägerin bei ihren Vernehmungen als Hinweis für eine Falschbezichtigung bezeichnet habe, gehe über ein zulässiges Verteidigungsverhalten hinaus und belege seine fehlende Empathie für das Opfer. Dass der Angeklagte die abzuurteilende Tat nicht nur bestreite, sondern jeglichen Zusammenhang zwischen ihm und dem auch objektiv belegbaren Geschehen in Abrede stelle, stelle einen ungünstigen Prognosegesichtspunkt dar. Nach Einschätzung der psychiatrischen Sachverständigen, der sich die Strafkammer nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe angeschlossen hat, sei das Bestreiten der Tat an sich nicht prognostisch ungünstig, insbesondere wenn es auf Scham oder Bagatellisierung beruhe. Anders sei es aber zu beurteilen, wenn der Täter die Tat vollständig negiere, da sie und ihre Ursachen und die hieraus folgende Gefährlichkeit dann keiner Aufarbeitung zugänglich seien.
9 b) Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Tatgericht die auch im Hinblick auf die Maßregelentscheidung zu beachtenden Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens verkannt hat.
10 aa) Zulässiges Verteidigungsverhalten darf weder hangbegründend noch als Anknüpfungspunkt für die Gefährlichkeit des Angeklagten verwertet werden (vgl. , BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 4; Beschlüsse vom – 4 StR 200/19, NStZ-RR 2020, 15; vom – 4 StR 588/19, Rn. 5, und vom – 4 StR 166/22, Rn. 4, jew. mwN). Wenn der Täter die ihm zur Last gelegte Tat leugnet, bagatellisiert oder einem anderen die Schuld zuschiebt, ist dies grundsätzlich zulässiges Verteidigungsverhalten. Die Grenze zulässigen Verteidigungsverhaltens ist erst überschritten, wenn das Leugnen, Verharmlosen oder die Belastung des Opfers oder eines Dritten Ausdruck einer besonders verwerflichen Einstellung des Täters ist, etwa weil die Falschbelastung mit einer Verleumdung oder Herabwürdigung oder der Verdächtigung einer besonders verwerflichen Handlung einhergeht (BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 320/14, , und vom – 4 StR 134/19, NStZ 2020, 609, 611 Rn. 24, jew. mwN; vgl. auch , NStZ-RR 2012, 9).
11 bb) Dies war hier nicht der Fall. Dass der Angeklagte durch Beweisanträge seine Täterschaft insgesamt und hierbei bereits seine Anwesenheit am Ort der Tat in Abrede gestellt und durch Hinweise auf das äußerlich wahrnehmbare Aussageverhalten der Nebenklägerin Zweifel an der Glaubhaftigkeit der gegen ihn erhobenen Belastung zu streuen versucht hat, überschreitet die so bestimmten Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens nicht. Diese Verteidigung durfte ihm im Zuge der Maßregelanordnung folglich nicht angelastet und ihm der Sache nach angesonnen werden, die Tat zuzugeben, um einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zu entgehen.
12 c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung auf der rechtlich durchgreifend bedenklichen Erwägung beruht. Denn sie ist eine der tragenden Begründungen für die vom Angeklagten ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit.
13 5. Über die Frage der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung muss daher neu verhandelt und entschieden werden. Die Feststellungen sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:140125B2STR508.24.0
Fundstelle(n):
SAAAJ-89283