Leitsatz
Gibt ein Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung auf deren Geschäftspapier eine Erklärung ab, die Wirkung auf die Vertragsbeziehungen der Gesellschaft entfalten soll, geht der objektive Erklärungswert einer solchen Erklärung grundsätzlich dahin, dass diese im Namen der Gesellschaft abgegeben werden soll.
Instanzenzug: Az: 1 U 20/22 Urteilvorgehend LG Mosbach Az: 4 O 8/20 KfH
Tatbestand
1Der Kläger und seine Brüder T. und J. F. waren zu gleichen Anteilen Gesellschafter der Gebrüder F. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), über deren Vermögen im laufenden Rechtsstreit das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt worden ist. Der Kläger war neben T. F. zur Einzelvertretung berechtigter Geschäftsführer der Schuldnerin mit einem Geschäftsführergehalt von 6.525 € monatlich.
2Nach § 9 Nr. 3 der Satzung der Schuldnerin wird die Gesellschaft bei Abschluss, Änderung oder Beendigung eines Geschäftsführeranstellungsvertrags "durch die Gesellschafter und die Geschäftsführung gemeinsam vertreten".
3Mit Beschluss der Gesellschafterversammlung der Schuldnerin vom wurde der Kläger als Geschäftsführer abberufen. In der Gesellschafterversammlung vom wurde beschlossen, den Geschäftsführeranstellungsvertrag mit dem Kläger außerordentlich fristlos zu kündigen. An beiden Gesellschafterversammlungen nahm der Kläger nicht teil. Mit Schreiben vom sprach T. F. die fristlose Kündigung des Geschäftsführeranstellungsvertrags gegenüber dem Kläger aus.
4In der Gesellschafterversammlung der Schuldnerin vom wurde erneut beschlossen, den Kläger als Geschäftsführer der Schuldnerin abzuberufen und den Geschäftsführeranstellungsvertrag des Klägers zu kündigen. Mit Schreiben vom selben Tag erklärte T. F. , der von der Gesellschafterversammlung mit dem Ausspruch der Kündigung gegenüber dem Kläger beauftragt worden war, die fristlose Kündigung des mit dem Kläger geschlossenen Geschäftsführeranstellungsvertrags gegenüber dem Kläger.
5Mit Schlussurteil vom hat das Landgericht unter Bestätigung zweier Vorbehaltsurteile die Schuldnerin zur Zahlung eines Geschäftsführergehalts für den Zeitraum Dezember 2019 bis Dezember 2020 in Höhe von insgesamt 84.825 € verurteilt. Zur Abwendung der Zwangsvollstreckung hat die Schuldnerin im Anschluss unter Vorbehalt die zugesprochene Geschäftsführervergütung gezahlt. Die Schuldnerin hat das landgerichtliche Urteil akzeptiert, soweit es von der Unwirksamkeit der ersten Kündigung ausgegangen ist, und gestützt auf die Kündigung vom mit der Berufung die Abweisung der Klage für den Zahlungszeitraum vom bis einschließlich Dezember 2020 verlangt. Im Laufe des Berufungsverfahrens ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet worden. Der Beklagte hat nach Wiederaufnahme des Verfahrens hilfsweise beantragt, den Kläger zu verurteilen, an ihn 26.595,05 € und 58.725 € zu zahlen. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen.
6Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seine in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Anträge weiter.
Gründe
7Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
8I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
9Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Zahlung der Geschäftsführervergütung zu, weil die mit Schreiben vom ausgesprochene außerordentliche Kündigung wegen Nichteinhaltung der nach § 9 Nr. 3 der Satzung der Schuldnerin für diesen Fall angeordneten gemeinsamen Vertretung durch Gesellschafter und Geschäftsführung unwirksam sei. Zwar könne unterstellt werden, dass der Geschäftsführer T. F. durch die Gesellschafter mit der Erklärung und Bekanntgabe der Kündigung gegenüber dem Kläger beauftragt worden sei. Es fehle jedoch die erforderliche Vertretung der Gesellschaft bei der Kündigungserklärung auch durch den Geschäftsführer T. F. . Dieser habe lediglich allgemeines Briefpapier der Schuldnerin verwandt, welches entsprechend den gesetzlichen Vorgaben am Seitenende vorgedruckt T. F. als Geschäftsführer aufgeführt habe, und ohne den Zusatz "Geschäftsführer" unterschrieben. Ein sonstiger, vor allem individueller Hinweis auf eine Erklärung (auch) als Geschäftsführer, beispielsweise unter seiner Unterschrift, finde sich hingegen nicht. Die Kündigung durch T. F. zumindest auch als Geschäftsführer sei keineswegs selbsterklärend. Er habe, im Gegenteil, einzig und in ausdrücklicher und wiederholter "Erfüllung des Auftrags der Gesellschafterversammlung" vom die Kündigung gegenüber dem Kläger erklärt, mithin ausdrücklich auf den Auftrag zur Erklärung der Kündigung im Namen des Mitgesellschafters Bezug genommen. Eine rein botenmäßige Übermittlung der Willenserklärung der Gesellschafterversammlung genüge aber nicht. Aus der Stimmabgabe des T. F. als Gesellschafter der Schuldnerin für die außerordentliche Kündigung des Geschäftsführeranstellungsvertrags mit dem Kläger könne, ungeachtet des der Kündigungserklärung angehängten Protokolls der Gesellschafterversammlung vom , nicht auf seine entsprechende Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung als Geschäftsführer geschlossen werden.
10Infolgedessen sei der Kläger der Schuldnerin bzw. dem Beklagten gegenüber auch nicht zur Rückzahlung der zur Abwendung der Zwangsvollstreckung bereits erhaltenen Zahlung verpflichtet.
11II. Das Berufungsurteil hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
121. Das Verfahren ist durch den beklagten Insolvenzverwalter wirksam nach § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO wiederaufgenommen worden. Da die Schuldnerin vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Abwendung der Zwangsvollstreckung die durch das Landgericht zugesprochene Geschäftsführervergütung gezahlt hat, handelt es sich um einen Rechtsstreit über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen.
13Die Frage, ob ein Aktivprozess im Sinne des § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO oder ein nicht in den Anwendungsbereich der Norm fallender Passivprozess vorliegt, ist nicht nach der formellen Parteirolle zu beantworten, sondern danach, ob in dem anhängigen Rechtsstreit über die Pflicht zu einer Leistung gestritten wird, die in die Masse zu gelangen hat (, BGHZ 217, 103 Rn. 16 mwN). Für die Einordnung als Aktivprozess kommt es darauf an, ob ein Vermögensrecht für den Schuldner und damit zu Gunsten der späteren Teilungsmasse in Anspruch genommen wird (, ZIP 1995, 643 f.; Beschluss vom - XI ZR 46/14, ZIP 2016, 1655 Rn. 10; Beschluss vom - II ZR 120/24, Rn. 7). Hat der Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf die Forderung geleistet, wandelt sich der Passivprozess bei Wiederaufnahme des Verfahrens durch den Insolvenzverwalter in einen Aktivprozess, weil es in dem wiederaufgenommenen Rechtsstreit nur noch darum geht, ob der Prozessgegner die an ihn gezahlten Beträge behalten darf oder ob er sie zur Insolvenzmasse zurückgewähren muss (, ZIP 1995, 643, 644; Urteil vom - VII ZR 392/96, NJW 2000, 1114, 1115).
142. Die Annahme des Berufungsgerichts, dem Kläger stehe Geschäftsführergehalt zu, weil die außerordentliche Kündigung seines Geschäftsführeranstellungsvertrags unwirksam sei, beruht auf einem Rechtsfehler. Die Auslegung des Berufungsgerichts, bei der mit Schreiben vom erklärtenaußerordentlichen Kündigung des Geschäftsführeranstellungsvertrags des Klägers sei die Schuldnerin nicht, wie § 9 Nr. 3 ihrer Satzung es verlange, durch die Gesellschafter und die Geschäftsführung gemeinsam vertreten worden, verstößt gegen anerkannte Auslegungsregeln.
15a) Die Auslegung einer Individualerklärung, wie hier der Kündigungserklärung, ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und kann revisionsrechtlich nur daraufhin überprüft werden, ob der Tatrichter gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt hat oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht, etwa weil wesentlicher Auslegungsstoff unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen worden ist (, ZIP 2005, 82, 83; Urteil vom - II ZR 242/09, ZIP 2011, 2299 Rn. 24 mwN; Urteil vom - VIII ZR 272/20, juris Rn. 71; Urteil vom - II ZR 76/21, ZIP 2023, 467 Rn. 18; Urteil vom - II ZR 211/21, NZG 2024, 482 Rn. 15; Urteil vom - II ZR 222/21, WM 2025, 72 Rn. 14). Leidet die tatrichterliche Auslegung an solchen revisionsrechtlich beachtlichen Rechtsfehlern, bindet sie das Revisionsgericht nicht (, ZIP 2023, 905 Rn. 24 f.; Urteil vom - II ZR 222/21, WM 2025, 72 Rn. 14).
16b) Einer an diesem Maßstab ausgerichteten Prüfung hält die Auslegung des Kündigungsschreibens vom durch das Berufungsgericht nicht stand. Die Auslegung des Berufungsgerichts, dem Schreiben lasse sich nicht entnehmen, dass T. F. die Kündigungserklärung zugleich als Geschäftsführer der Schuldnerin, mithin in fremdem Namen für diese, ausgesprochen habe, verstößt gegen anerkannte Auslegungsregeln.
17aa) Der von den Parteien gewählte Wortlaut einer Vereinbarung und der diesem zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille bildet den Ausgangspunkt einer nach §§ 133, 157 BGB vorzunehmenden Auslegung (, BGHZ 203, 77 Rn. 15; Urteil vom - VIII ZR 109/18, NZM 2019, 209 Rn. 19; Urteil vom - II ZR 222/21, WM 2025, 72 Rn. 18). Es entspricht jedoch ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass selbst ein vermeintlich klarer und eindeutiger Wortlaut der Erklärung keine Grenze für die Auslegung anhand der Gesamtumstände bildet (vgl. , NZM 2018, 601 Rn. 36 mwN; Urteil vom - XII ZR 111/12, GmbHR 2015, 200 Rn. 50 mwN; Beschluss vom - I ZR 237/19, K&R 2021, 61 Rn. 13; Urteil vom - XII ZR 92/19, WM 2022, 1662 Rn. 10; Urteil vom - II ZR 222/21, WM 2025, 72 Rn. 22). Der Tatrichter hat insbesondere auch den mit der Erklärung verfolgten Zweck und die Interessenlage der Parteien zu berücksichtigen (vgl. , NJW 2003, 2235, 2236 mwN; Urteil vom - XII ZR 114/10, GuT 2012, 268 Rn. 17). Soweit die vorgenannten Grundsätze auf § 157 BGB beruhen, gelten diese auch bei der Auslegung einseitiger Rechtsgeschäfte wie der Erklärung einer Kündigung (, NZM 2024, 501 Rn. 45; Palandt/Ellenberger, BGB, 84. Aufl., § 157 Rn. 1).
18bb) Diesen Auslegungsgrundsätzen werden die Erwägungen des Berufungsgerichts nicht gerecht. Die Kündigungserklärung im Schreiben vom23. Dezember 2019 wurde nicht nur für die Schuldnerin vertreten durch die Gesellschafter abgegeben, wovon das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ausgeht, sondern zugleich durch T. F. als Geschäftsführer der Schuldnerin. Das Revisionsgericht kann die Auslegung selbst vornehmen, wenn der Tatrichter eine Erklärung nicht oder unter Verletzung anerkannter Auslegungsgrundsätze ausgelegt hat und weitere, für die Auslegung maßgebliche tatsächliche Feststellungen nicht zu erwarten sind, und zwar auch dann, wenn mehrere Auslegungsmöglichkeiten bestehen (vgl. , BGHZ 203, 77 Rn. 23 mwN; Urteil vom - II ZR 114/15, ZIP 2016, 1376 Rn. 24; Urteil vom – II ZR 35/23, ZIP 2025, 195 Rn. 35).
19Die Annahme des Berufungsgerichts, das von T. F. verfasste Kündigungsschreiben vom enthalte keine individuellen Anhaltspunkte dafür, dass die Kündigungserklärung auch durch die Geschäftsführung in Vertretung der Schuldnerin erklärt worden sei, ist nicht haltbar. Gibt ein Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung auf deren Geschäftspapier eine Erklärung ab, die Wirkung auf die Vertragsbeziehungen der Gesellschaft entfalten soll, geht der objektive Erklärungswert einer solchen Erklärung grundsätzlich dahin, dass diese im Namen der Gesellschaft abgegeben werden soll. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Geschäftsführer ausdrücklich "in Vertretung" oder als "Geschäftsführer" zeichnet, wenn sich seine Stellung, wie hier, für den Erklärungsempfänger erkennbar, durch seine gemäß § 35a Abs. 1 Satz 1 GmbHG vorgeschriebene Namhaftmachung auf dem Geschäftsbrief ergibt (§ 164 Abs. 1 Satz 2 BGB). Dass hier ausnahmsweise etwas Anderes erklärt werden sollte, lässt sich dem Schreiben vom nicht entnehmen und wurde vom Berufungsgericht auch nicht festgestellt, da es den vorstehenden Erfahrungssatz nicht berücksichtigt hat.
20Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass bei der Auslegung der Erklärung der weitere Inhalt des Schreibens nicht unberücksichtigt bleiben darf. In diesem wird dem Kläger ein Hausverbot erteilt, wobei der Ausspruch des Hausverbots grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich der Geschäftsführung fällt und im vorliegenden Fall auch nicht vom Auftrag der Gesellschafterversammlung umfasst war. Der Ausspruch des Hausverbots und der Kündigungserklärung in einem Schreiben sprechen ebenfalls dafür, dass die Kündigung auch durch die Geschäftsführung im Namen der Schuldnerin erklärt werden sollte.
21III. Das Berufungsurteil ist danach insgesamt aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die noch erforderlichen Feststellungen treffen kann.
Born B. Grüneberg Sander
von Selle Adams
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:180325UIIZR77.24.1
Fundstelle(n):
CAAAJ-89044