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BVerwG Beschluss v. - 20 F 18/22

Instanzenzug: Az: 13 K 12066/17 Beschluss

Gründe

I

1Die Kläger war von 2014 bis 2019 Journalist bei einem bekannten Medienunternehmen und befasste sich dort u. a. mit dem ... verstorbenen Rechtsextremisten ... ... und der Ermordung des jüdischen Rabbiners und Verlegers ... ... und dessen Lebensgefährtin am ... Im Zusammenhang damit beantragte er Anfang 2017 gemäß § 5 Abs. 8 BArchG a. F. sowie Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG (u. a.) die Nutzung der beim Bundesamt für Verfassungsschutz vorhandenen Personenakte zu ... ... Nach Ablehnung des Antrags und erfolglosem Widerspruch erhob er - nach Novellierung des Bundesarchivrechts nunmehr gestützt auf § 11 Abs. 6 i. V. m. § 10 Abs. 1 BArchG n. F. sowie Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3 GG und Art. 10 EMRK - unter dem Klage zum Verwaltungsgericht Köln. Im Laufe des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wurde nach Durchführung von Konsultationsverfahren in vier "Teillieferungen" ein großer Teil der strittigen Unterlagen dem Kläger zugänglich gemacht und der Hauptsachestreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt.

2Mit Beschluss vom hat das Verwaltungsgericht der Beklagten aufgegeben, die bislang nur geschwärzt bzw. nicht vorgelegten Unterlagen aus der beim Bundesamt für Verfassungsschutz vorhandenen Personenakte zu ... ... ungeschwärzt vorzulegen. Der Beigeladene hat daraufhin mit Schreiben vom eine 44 Seiten umfassende Sperrerklärung abgegeben.

3Mit Schriftsatz vom hat der Kläger "Antrag nach § 99 Abs. 2 VwGO" gestellt. Das Verwaltungsgericht hat unter dem die Akten des Ausgangsverfahrens dem Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts übersandt.

4Im Verfahren vor dem Fachsenat hat die Beklagte in Frage gestellt, dass das Verwaltungsgericht die Entscheidungserheblichkeit der noch in Rede stehenden Unterlagen unter Berücksichtigung der Angaben in der Sperrerklärung ordnungsgemäß geprüft und bejaht habe. Der Kläger ist dem entgegengetreten.

II

5Der Antrag ist unzulässig.

61. Das Verwaltungsgericht hat die Entscheidungserheblichkeit der betreffenden Aktenbestandteile für das Hauptsacheverfahren nicht ordnungsgemäß bejaht (vgl. zum gesamten Folgenden BVerwG, Beschlüsse vom - 20 F 2.15 - NVwZ 2016, 467 Rn. 4 ff., vom - 20 F 8.17 - juris Rn. 5, vom - 20 F 16.22 - NVwZ 2024, 72 Rn. 18 ff. und vom - 20 F 2.21 - BVerwGE 181, 226 Rn. 10 ff.).

7a) Die Zulässigkeit eines Antrags nach § 99 Abs. 2 VwGO setzt voraus, dass das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Akteninhalte ordnungsgemäß bejaht hat (vgl. 20 F 13.20 - juris Rn. 7 m. w. N.). Dafür ist grundsätzlich ein der Sperrerklärung vorausgehender förmlicher Beweisbeschluss durch den Spruchkörper zu fassen (vgl. 20 F 17.22 - NVwZ 2023, 1435 Rn. 14).

8Hat das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit in einem Beweisbeschluss bejaht, ist der Fachsenat grundsätzlich an dessen Rechtsauffassung gebunden. Eine andere Beurteilung kommt nur in Betracht, wenn die Rechtsauffassung des Gerichts der Hauptsache offensichtlich fehlerhaft ist oder wenn es seiner Verpflichtung nicht genügt hat, die ihm nach dem Amtsermittlungsgrundsatz zur Verfügung stehenden Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts zu erschöpfen, um auf dieser Grundlage über die Erforderlichkeit der Aktenvorlage zu entscheiden (vgl. 20 F 9.20 - juris Rn. 16 m. w. N.).

9Selbst wenn das Gericht der Hauptsache zunächst in einem Beweisbeschluss in ausreichender Weise die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Akten verlautbart hat, kann es verpflichtet sein, die Entscheidungserheblichkeit nach der daraufhin erfolgten Abgabe der Sperrerklärung erneut zu überprüfen. Ist erst in der Sperrerklärung der Inhalt der angeforderten Unterlagen jedenfalls stichwortartig näher beschrieben worden, hat zunächst das zur Sachentscheidung berufene Gericht der Hauptsache förmlich darüber zu befinden, ob es die im Verfahren aufgeworfenen Rechtsfragen ohne Einsicht in die angeforderten Unterlagen auf der Grundlage der abstrakten Umschreibung ihres Inhalts beantworten kann (vgl. 20 F 8.17 - juris Rn. 5 m. w. N.). Ob und in welchem Umfang es zur Beurteilung des Geheimhaltungsbedarfs als Erkenntnishilfe der streitigen Akten bedarf, kann neben dem Zuschnitt der Geheimhaltungsgründe davon abhängen, ob die betreffenden Akteninhalte ihrem Gegenstand nach unstreitig sind und auf dieser Grundlage über die fachgesetzlichen Geheimhaltungsgründe entschieden werden kann (vgl. 20 F 2.15 - NVwZ 2016, 467 Rn. 5 m. w. N.).

10b) Ein solcher Fall liegt hier vor.

11aa) Das Verwaltungsgericht hat der Beklagten in dem Beweisbeschluss pauschal aufgegeben, alle bislang nur geschwärzt bzw. nicht vorgelegten Unterlagen aus der Personenakte zu ... ... ungeschwärzt vorzulegen. Es hat diese Anforderung damit begründet, dass es die Unterlagen unter unterschiedlichen rechtlichen Gesichtspunkten prüfen müsse, um über das archivrechtliche Aktennutzungsbegehren des Klägers entscheiden zu können. Entscheidungserheblich sei zum einen, inwieweit bei der Personenakte die dreißigjährige archivrechtliche Schutzfrist abgelaufen sei, und zum anderen, ob bzw. in welchem Umfang der Offenlegung der Unterlagen fachgesetzliche Geheimhaltungsgründe entgegenstünden, was sich ohne Einsichtnahme in die Unterlagen nicht abschließend klären lasse. Mit dieser Begründung ist allerdings ebenfalls nur pauschal auf die zu prüfenden gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen (§ 11 Abs. 6 i. V. m. § 10 Abs. 1 Satz 1 BArchG) und Einschränkungs- und Versagungsgründe (§ 13 BArchG) verwiesen.

12Der Beigeladene hat auf den Beweisbeschluss unter dem eine 44 Seiten umfassende detaillierte Sperrerklärung abgegeben. In dieser wird bezogen auf die einzelnen Seiten der Personenakte in abstrakter Form der Inhalt der nicht offengelegten Passagen umschrieben und der für die jeweilige Schwärzung maßgebliche Geheimhaltungsgrund angegeben. Der Beigeladene hat mit der Sperrerklärung außerdem mitgeteilt, dass in Anbetracht der verstrichenen Zeit und anlässlich der erneuten Prüfung und Durchführung von Konsultationsverfahren einige zuvor gesperrte Vorgänge nunmehr mit Schwärzungen vorgelegt und Namen von Personen offengelegt würden, die inzwischen verstorben seien oder von deren Tod auszugehen sei. Ferner hat die Beklagte dem Verwaltungsgericht unter dem ein vier Aktenordner umfassendes Digitalisat der streitgegenständlichen Personenakte angekündigt und - mit einer Ausfertigung für den Kläger - unter dem postalisch übermittelt. Die Aktenordner korrespondieren mit dem Inhalt der Sperrerklärung und berücksichtigen - neben den bereits zuvor mit vier "Teillieferungen" erfolgten Offenlegungen - auch die zusammen mit der Sperrerklärung erfolgten weiteren Offenlegungen. Dem Verwaltungsgericht stand damit eine übersichtliche, auf dem letzten Stand konsolidierte Fassung der Personenakte einschließlich der noch aktuellen Schwärzungen zur Verfügung.

13bb) Vor diesem Hintergrund wäre nach der gesetzlichen Aufgabenverteilung zwischen dem Gericht der Hauptsache und dem Fachsenat zunächst Sache des Verwaltungsgerichts gewesen, seinen pauschalen Beweisbeschluss zu überprüfen, einzugrenzen und zu konkretisieren.

14Dies gilt vor allem im Hinblick auf die vom Kläger mehrfach ausgesprochene Erklärung, dass er mit der Schwärzung von personenbezogenen Daten noch lebender Mitarbeiter deutscher Sicherheitsbehörden einverstanden sei; diesbezügliche Schwärzungen sind mithin schon nicht Gegenstand des Klagebegehrens. Die Sperrerklärung (unter IV. 1. b und c) begründet zahlreiche Schwärzungen damit, dass sie Hinweise auf Behördenmitarbeitende und auf Beschäftigte deutscher Nachrichtendienste gäben. Da es sich dabei fast durchweg nur um einzelne oder sehr wenige Worte handelt, ist es auch dem Verwaltungsgericht anhand des im Übrigen offengelegten Kontextes der Schwärzung möglich, zu beurteilen, ob die Vorlage der betreffenden Seiten in ungeschwärzter Form für die Entscheidung in der Hauptsache notwendig ist.

15Auch soweit sich das Verwaltungsgericht darauf beruft, es müsse den nach Maßgabe des 6 C 21.18 - zu ermittelnden Ablauf der dreißigjährigen archivrechtlichen Schutzfrist (§ 11 Abs. 1 und 6 BArchG) prüfen, ist es durch die vereinzelten Schwärzungen zum allergrößten Teil nicht gehindert, die betreffenden Seiten aus dem Aktenkonvolut zu ermitteln und in dem Beweisbeschluss zu bezeichnen.

16Schließlich dürfte es dem Verwaltungsgericht auch hinsichtlich der übrigen Schwärzungen in etlichen Fällen möglich sein, anhand der Erläuterungen in der Sperrerklärung und des offengelegten Kontextes einzuschätzen, ob die - weitergehend mit den Geheimhaltungsgründen nach § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO maßstabsgleichen (vgl. 6 A 7.20 und 6 A 8.20 - BVerwGE 174, 342 Rn. 46) - archivrechtlichen Einschränkungs- und Versagungsgründe (§ 13 BArchG) vorliegen, und die verbleibenden Zweifelsfälle in dem Beweisbeschluss zu bezeichnen.

17cc) Aus dem vorstehend Gesagten folgt nicht, wie der Kläger einwendet, dass nach jeder Herausgabe von streitgegenständlichen Unterlagen durch die Beklagte während des In-camera-Verfahrens das In-camera-Verfahren unterbrochen und eine erneute Entscheidung des Gerichts der Hauptsache eingeholt werden müsste. Es geht hier vielmehr (nur) um die Pflicht des Hauptsachegerichts, vor Abgabe der Akten an den Fachsenat, also noch vor Beginn des In-camera-Verfahrens, den eigenen Beweisbeschluss zu überprüfen, wenn dies - wie hier - im Lichte der Sperrerklärung (und einer damit eventuell verbundenen weiteren Offenlegung der Akten) angezeigt ist. Zu befürchten ist deshalb auch nicht, wie der Kläger meint, dass zusammen mit der Praxis einer - nach Beanstandung durch den Fachsenat - wiederholten Vorlage von nachgebesserten Sperrerklärungen das Verfahren letztlich sabotiert werden könnte. In Rede steht hier lediglich die Reaktion des Hauptsachegerichts auf eine erstmals abgegebene Sperrerklärung.

182. Einer Kostenentscheidung bedarf es im Verfahren vor dem Fachsenat nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht, weil es sich im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren um einen unselbständigen Zwischenstreit handelt (vgl. 20 F 12.15 - juris Rn. 32 m. w. N.).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2025:100225B20F18.22.0

Fundstelle(n):
UAAAJ-88818